Ottos Weblog Mai 2005

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Tuesday, May 03, 2005

Ich bekenne, daß ich Raucher bin. Aber ich bemühe mich, meine Sucht für mich zu behalten und keinen Nichtraucher zu schädigen, der sich im gleichen Raum mit mir aufhält. Ursache meiner Sucht ist die Tatsache, daß ich zu einer Zeit geboren wurde, als Rauchen gesellschaftlich noch nicht geächtet war und in der man die Rücksichtnahme, die ich übe, auch den eigenen Kindern gegenüber noch nicht kannte. Mit anderen Worten: ich bin seit dem Mutterleib nikotinabhängig. Außerdem verdiene ich mit Autofahren mein Geld. Und jetzt kriege ich ein Problem. Es gibt immer wieder Politiker, die sich, anstatt sich um die wirklich wichtigen Dinge und Probleme in unserem Land und umzu zu kümmern, mit Vorschlägen daherkommen, um die (persönliche) Freiheit in diesem Land weiter einzuschränken. Jetzt fordern einige dieser Fehlgesteuerten ein Rauchverbot beim Autofahren, als ob wir nicht wirklich andere Sorgen hätten:

Politiker fordern Rauchverbot für Autofahrer Hamburg (dpa) – Rauchen am Steuer soll verboten werden. Das verlangen Politiker von SPD und Union in der «Bild»-Zeitung. SPD- Verkehrsexperte Peter Danckert meint: «Durch das Rauchen am Steuer steigt die Unfallgefahr drastisch.» Er sprach sich daher für ein absolutes Rauchverbot aus. Zustimmung zu diesem Vorschlag kommt von CSU-Gesundheitsexpertin Gerlinde Kaupa und ihrer CDU-Kollegin Katherina Reiche. «Zigaretten am Steuer lenken genauso ab wie Telefonieren mit dem Handy», sagte Reiche dem Blatt. Yahoo News
Die Leute können ja sagen und vorschlagen, was sie wollen. Es gibt ja eine Meinungsfreiheit hier. Aber dann darf ich auch sagen, was ich davon halte.

Da ist zuerst die Behauptung, daß die Unfallgefahr angeblich drastisch ansteige. Da bin ich aber mal auf die Untersuchungen gespannt, die das belegen. Das sind mit Sicherheit keine realen Fallzahlen, sondern statistische Erhebungen, die unter Testbedingungen erhoben worden sind und demnach überhaupt keine Aussagekraft für die Realität haben. Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast. Danckert, setzen, Sechs!

Dann die Aussage der Ossi–CDU–Tante Reiche, daß Rauchen ebenso ablenke wie Telefonieren. Es mag ja sein, daß sie selbst nicht in der Lage ist, rauchend zu telefonieren, während ihr Chauffeur ihren Dienstwagen mit 200 km/h über den Highway jagt, aber sie soll doch bitte ihre eigene Unfähigkeit zum Multitasking nicht auf andere Leute projizieren. Ach so, die raucht gar nicht! Und telefonieren tut sie auch nicht, weil niemand mit ihr reden will. Wie kommt sie aber dann zu der Aussage, woher weiß sie das, was sie da in ihrem jugendlichen Leichtsinn behauptet. Mädchen, wir sind im Westen, nicht mehr bei der SED. Hier sind die Menschen frei, wir brauchen keine Politiker, die uns sagen, wie wir zu leben haben. Außerdem möchte ich von Frau Reiche wissen, ob sie im Fall des Rot–Grünen Gentechnikgesetzes im Bundestag gegen ihre eigene Fraktion gestimmt hat oder ob ihr in dem Fall der Verbraucherschutz egal war?

Solche Leute, die nichts besseres zu tun haben, als die Freiheit in unserem Land einzuschränken, müssen raus aus der Politik. Die Wahlkreise, aus denen diese Nullen stammen, sind dafür verantwortlich, daß sie beim nächsten Mal nicht wieder in die Parlamente einziehen. Oder zieht das durch, und es gibt definitiv eine ganze Menge Nichtwähler mehr im Lande. Die SPD kann sich dann schon mal aus der Politik verabschieden, wenn sie so eine Politik gegen die Arbeiter macht.

Wir brauchen Politiker, die dieses Land aus der Krise führen, nicht solche, die sich lediglich Gedanken über weitere unsinnige, freiheitseinschränkende Gesetze machen, die Arbeitsplätze kosten und die Leute sauer und noch politikverdrossener machen.

Man kann ja davon halten, was man will, daß Franz Müntefering in Zeiten des Wahlkampfes auf die von mir im Februar angestossene Kapitalismusdebatte eingestiegen ist. Jedenfalls habe ich niemanden mit irgendwelchen Tieren verglichen — schon um die betreffenden Tiere nicht zu beleidigen.

Heute gibt es da wieder etwas zu lernen, und zwar, wie kurz das Gedächtnis eines gestandenen CDU–Historikers sein kann:

Düsseldorf (AFP) - Der Historiker Michael Wolffsohn hat SPD–Chef Franz Müntefering vorgeworfen, mit seiner Kapitalismuskritik gegen Unternehmer so zu hetzen wie einst die Nazis gegen Juden. Müntefering benutze "Worte aus dem Wörterbuch des Unmenschen", weil "Menschen das Menschsein abgesprochen wird", schreibt Wolffsohn in einem Gastbeitrag für die "Rheinische Post" vom Dienstag. "60 Jahre ‘danach’ werden heute wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die — das schwingt unausgesprochen mit — als ‘Plage’ vernichtet, ‘ausgerottet’ werden müssen", schreibt er. Heute würden diese "Plage" oder "Heuschrecken", damals "Ratten" oder "Judenschweine" genannt. Yahoo News
Wolffsohn ist seit 1981 Professor für Neuere Geschichte der Bundeswehr–Hochschule in München.

München, Strauss, «Ratten und Schmeißfliegen» — klingelt da vielleicht nicht doch etwas? Natürlich hat Wolffsohn hier in der Sache recht, nur hätte ich der Vollständigkeit halber von ihm auch einen Verweis auf den Strauss–Spruch erwartet. So, wie er sich jetzt äußert, erweckt er den falschen Eindruck, daß Müntefering der erste seit 1945 gewesen sei, der sich diesen Lapsus geleistet hat. War er aber nicht!

Wolffsohn selber ist ja auch nicht ganz ohne, und seine heutige Empfindlichkeit mag ja verständlich sein, seine Menschenfreundlichkeit aber ist selektiv. Vor gut einem Jahr äußerte er sich in der Debatte über die Legitimität von Folter so:

Der Professor von der Münchner Bundeswehr-Universität machte auch Mitglieder der Bundesregierung für die "Hetzjagd" auf ihn verantwortlich. Er sei "zum Abschuss freigegeben" worden. Wolffsohn führt unterschiedliche Standpunkte in der Folterdebatte auf unterschiedliche historische Erfahrungen zurück. "Wie die Deutschen aus der Geschichte lernten, nie wieder Täter sein und Gewalt anwenden zu wollen, so haben wir Juden gelernt, dass wir Gewalt anwenden müssen, um nicht und nie wieder Opfer zu sein." Wolffsohn hatte Anfang Mai in einem Interview mit dem Nachrichtensender n-tv gesagt: "Als eines der Mittel im Kampf gegen den Terrorismus halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim." Inzwischen distanzierte er sich mehrfach von diesen Worten. FAZ: Wolffsohn kritisiert Bundesregierung
Na immerhin. Also, gegen Moslems, Araber, Palästinenser und andere Außereuropäer darf man Gewalt anwenden, darf sie gelegentlich vielleicht auch foltern, oder, nein — doch lieber nicht (?).

Tuesday, May 17, 2005

In diesem Monat gab es wegen der vielen Feierei viel zu tun, so daß ich gar nicht hinreichend zum Schreiben gekommen bin. Massenintoxikation allenthalben und man kann nur von Glück sagen, daß Pfingsten einigermaßen verregnet war, sonst hätte es noch mehr staatlich sanktionierten Drogenmißbrauch gegeben.

Da tut es gut, daß es doch noch Politiker gibt, die sich um um unsere Volksgesundheit sorgen. Nach dem Versuch, das Rauchen während des Autofahrens zu verbieten, der anscheinend ins Leere gegangen ist, ließt man heute von einem neuerlichen Vorstoß aus CDU/CSU, das Rauchen generell zu verbieten. So schreibt der SPIEGEL und bezieht sich auf die BILDZEITUNG:

Die Diskussion über die Gefahren von Nikotin gewinnt an Schärfe. Gesundheitsexperten der Union setzen sich für ein generelles Verbot von Zigaretten ein. Sie seien "gemeingefährliche Mordinstrumente und müssen sofort vom Markt", sagte der CDU-Politiker Karl-Heinz Florenz laut einem Zeitungsbericht. (…) Die drogenpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion im Bundestag, Gerlinde Kaupa (CSU), unterstützte den Vorschlag. "Man fragt sich, warum wir uns mit all den krebserzeugenden Zusatzstoffen aufhalten und nicht gleich Zigaretten insgesamt verbieten", sagte sie dem Blatt.
Ich hoffe doch nur, daß diese Politiker so konsequent sein werden, auch gleich ein Verbot des Oktoberfests sowie der Münchner Biergärten in Erwägung zu ziehen, wo eine ganz erhebliche Massenintoxikation stattfindet.

Gut, daß es wieder nur Hinterbänkler wie Gerlinde Kaupa sind, die sich an die BILD wenden müssen, um überhaupt Gehör zu finden.

Ganz klasse ist auch die Geschichte, die sich NEWSWEEK geleistet hat. Der Bericht, daß im US–Stützpunkt Guantanamo der Koran die Toilette heruntergespült sein worden soll, hatte in Afghanistan und anderen moslemischen Ländern zu Protesten gegen die USA geführt, bei denen es auch zu Todesopfern gekommen war. Jetzt wurde der Bericht zurückgezogen und es gab eine lauwarme Entschuldigung, die aber kaum das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit der Bush–Regierung wiederherstellen wird. Denn das Problem ist ja nicht der wahrscheinlich falsche Bericht selbst, sondern die Tatsache, daß von vorneherein niemand an seinem Wahrheitsgehalt gezweifelt hat, weil jeder davon überzeugt ist, daß im Rahmen des Antiterrorkrieges hinsichtlich der Menschenrechte mit zweierlei Maß gemessen wird. Und da die Bush–Regierung zudem nicht gerade in dem Ruf steht, es mit der Wahrheit so genau zu nehmen, wird die Behauptung, einzelne Häftlinge hätten selbst Seiten aus dem Koran gerissen, um damit die Toiletten zu verstopfen, bei den Gläubigen wie eine billige Ausrede und ein Versuch, die Verantwortung abzuschieben, ankommen.

Thursday, May 19, 2005

Andererseits, und ich weiß, daß ich mich jetzt bei dem einen oder anderen Leser unbeliebt mache, halte ich die Aufregung über die vermeintliche Koranschändung auch ein wenig übertrieben. Eine Meldung, die heute gerade hereinkommt, macht das vielleicht deutlich. Da beklagt sich eine Muslimin, die über den Internet–Buchhandel Amazon einen gebrauchten Koran erworben hat, daß man ihr ein Exemplar zugesandt hatte, in das eine "Hass–Botschaft" gegen den Islam gekritzelt worden war:

"Dabei hatte sie den Koran gar nicht neu und direkt bei Amazon gekauft, sondern antiquarisch über einen Zwischenhändler, der nur die Plattform Amazon Marketplace für den Verkauf benutzte. Die Studentin sagte, auf dem Innenumschlag des heiligen Buchs hätten die Worte "Tod allen Moslems" gestanden. Sie beteuerte, sie habe das Buch sofort vor Schreck fallen gelassen, als sie dies gesehen habe. Amazon bemühte sich bereits um Schadensbegrenzung: Das Unternehmen entschuldigte sich bei der Käuferin, erstattete den Betrag, schickte ihr eine neue Koran-Ausgabe zu und stellte ihr einen Geschenkgutschein aus. Zudem hat das Unternehmen nach eigenen Angaben dem Händler, der das Buch verkauft und verschickt haben soll, verboten, weiterhin Artikel im Marketplace anzubieten." SPIEGEL ONLINE
Das Risiko geht man halt ein, wenn man gebrauchte Bücher über das Internet kauft. Eine Garantie, daß so etwas nicht vorkommt, stelle ich mir bei dem "Marketplace"–Konzept schwierig vor. Aber das ist ja gar nicht das Problem. Das Problem sind für mich jene Moslems, die jede vermeintliche Schändung ihres Glaubens durch die säkulare westliche Welt lautstark anprangern, zu der fortwährenden Schändung und Diskriminierung des Islams durch die islamistischen Terroristen aber beharrlich schweigen.

Im Grunde ist mir der Islam so egal wie das Christentum (die Religion, in der ich "erzogen" worden bin) oder jede andere organisierte Religion. Soll doch jeder glauben, was er will. Aber Glaube ist nicht gleich Religion, und mit der organisierten Religion, die vielleicht auch noch andere bekehren will, gehen die Probleme erst richtig los. Denn die führt unweigerlich zu Abspaltungen, wie wir sie auch aus dem Christentum kennen und heute im organisierten islamistischen Terror vorfinden. Und irgendwie kriegen alle die "normalen" Moslems die Kurve nicht, sich von diesen Sektierern zu distanzieren und ihnen damit die Legitimation für ihr Handeln zu entziehen.

Die überwiegende Anzahl der Opfer des täglichen Terrors im Irak sind Iraker, Moslems der verschiedenen Richtungen. Aber während ein abgeblich geschändeter Koran zu großem Aufruhr und sogar zu Toten führt, gibt es in der ganzen moslemischen Welt nicht eine klitzekleine Demo gegen die täglichen Autobomben, gegen Bin Laden, al Sarkawi oder die übriggebliebenen Baathisten. Nicht aus Solidarität mit der merkwürdigen Antiterror–Koalition der Bushisten, die es eh’ nicht auf die Reihe kriegen, sondern aus Mitgefühl für ihre irakischen Glaubensbrüder wären regelmäßige wiederholte Demonstrationen gegen den Terror in allen moslemischen Ländern angemessen, so wie es im Westen große Demonstrationen gegen die Kriege in Afghanistan und Irak gegeben hat.

Man kann von den Kriegsgründen halten, was man will. George Bushs Wortwahl nach dem 11. September 2001, das schnell zurückgezogene Wort vom "Kreuzzug" war sicherlich nicht die intellektuelle Meisterleistung, weil es zu unangemessenen historischen Vergleichen geführt hat. Aber das Wort war gefallen und blieb haften, auch wenn sich Ari Fleischer alle erdenkliche Mühe gab, es wieder aus der Welt zu schaffen. Ich finde den Begriff eigentlich genau richtig, denn wie auch die historischen Kreuzzüge hat dieser hier nichts mit dem Glauben zu tun, sondern mit Politik, Macht und Einfluß.

Während also auf den Straßen Palästinas die Menschen den 11. September feierten, kritisierten die moslemischen Machthaber den Westen für seine "Kreuzzugsmentalität," wohl ahnend, daß genau ein solcher dabei herauskommen würde. Für den einfachen amerikanischen Soldaten ist der Antiterrorkrieg schlichte Rache für das WTC . Daß im Fall des Irak Saddam Hussein damit höchstwahrscheinlich gar nichts zu tun hatte, ist ihm egal. Deshalb läßt er sich auch so leicht für Erniedrigung und Folter mißbrauchen, denn es geht ja darum, Massenmörder der Gerechtigkeit zuzuführen. Abu Ghureib hat seine Ursachen in der von der US–Regierung geschürten Meinung, der Antiterrorkrieg rechtfertige alle Mittel. Ein weiteres Beispiel ist der Verstoß gegen die Genfer Konvention sowie die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Guantanamo Bay darstellt.

Ebenso leicht lassen sich anscheinend auch viele junge und wohl desillusionierte Moslems für den Terrorismus rekrutieren. Solche Vorfälle wie in Abu Ghureib, die Tatsache, daß der Prozeß gegen Lynndie England erst einmal geplatzt ist oder auch der neueste Skandal bei Newsweek bestätigen die moslemische Welt doch nur in ihrer aus einem Minderwertigkeitskomplex gespeisten Überzeugung, daß der Westen verächtlich auf den Islam blickt. Und eine radikale Koranauslegung kann durchaus zu dem Schluß gelangen, daß es daher gerechtfertigt ist, die Ungläubigen zu bestrafen. Die Menschen verkennen dabei nur völlig, daß es sowohl denjenigen, die für diesen Krieg auf westlicher Seite verantwortlich sind wie auch den Top–Terroristen, trotz scheinbar gegenteiliger Äußerungen überhaupt nicht um den Glauben geht, sondern letztlich um die strategische Kontrolle der Ölreserven der Menschheit.

Der künstlich konstruierte Zusammenstoß der Kulturen nützt gewissen Leuten auf beiden Seiten. Dabei gibt es einfache und dennoch gute Argumente, sich persönlich grundsätzlich der Vereinnahmung durch gewisse "große" Ideen zu verweigern:

"Die Grundfrage", schlägt er vor, "war immer, wie man andere Menschen dazu bringt, für einen zu sterben. Was ist einem Menschen teuer genug, um ihn mit seinem Leben dafür bezahlen zu lassen? Und genau hier war die Religion im Vorteil, jahrhundertelang. Die Religion handelte immer vom Tod. Sie wurde nicht zur Betäubung eingesetzt, sondern eigentlich als Werkzeug — sie brachte die Leute dazu, für eine bestimmte Kollektion von Ansichten über den Tod zu sterben. Pervers, natürlich, aber wer sind wir, um darüber zu richten? Es war ein guter Trick, solange er funktionierte. Aber seit es unmöglich geworden ist, für den Tod in den Tod zu gehen, haben wir eine weltliche Version — eure. Sterben, um die Geschichte voranzubringen, auf ihrem Weg zum vorbestimmten Stadium. Sterben in dem Bewußtsein, daß dieser Akt der guten Sache ein Stück weiterhilft. Revolutionärer Selbstmord, prima. Aber jetzt schau: wenn die Wandlungen der Geschichte unausweichlich sind — warum dann nicht nicht sterben? Wjatscheslaw? Wenn ohnehin alles kommt, wie’s kommen muß, was macht’s dann aus?" Thomas Pynchon
In dem Zitat geht es zwar vordergründig um den Marxismus, das Argument ist aber selbstverständlich auf jede andere Glaubensrichtung oder Ideologie übertragbar, die von uns verlangt, für sie zu sterben. Und als eine solche Ideologie sehe ich auch den politischen Islam, der Krokodilstränen um ein Buch weint, während er gleichzeitig seine Kinder zu Selbstmordattentätern macht. Es ist, glaube ich, an der Zeit, Salman Rushdies Satanische Verse nochmals zu lesen, wo mit dem Humbug der "heiligen Offenbahrung" ein für allemal aufgeräumt wird, weil ein einfacher Mensch überhaupt nicht in der Lage ist, zu unterscheiden, ob eine Vision göttlichen oder teuflischen Ursprungs oder gar drogeninduziert ist.

Tuesday, May 24, 2005

Dafür, daß nach dem Rausch des Wahlsieges in Nordrhein–Westfalen am Sonntagabend bei der CDU/CSU am Montag schnell der politische Kater einkehrte, hat Kanzler Schröder mit seinem neuesten (und eventuell letzten) Coup gesorgt, der die Konservativen völlig kalt erwischt hat. Sie stehen mit einem Mal ohne ein Wahlprogramm und ohne jegliches Konzept da; sogar den Zeitpunkt der Kür ihres Kanzlerkandidaten bzw. ihrer Kandidatin hat Schröder noch bestimmt.

Andererseits ist mir nicht ganz klar, was Schröder eigentlich erreichen will. Er will sich beim Wahlvolk die Legitimation für seine Reformpolitik holen, gut. Damit bin ich einverstanden. Weiterhin will er allen, die bei den Wahlen Zuhause geblieben sind, klar machen, worum es geht: eine Rot–Grüne Republik, die den Sozialstaat reformiert (denn daran geht kein Weg vorbei) oder eine "Schwarze Republik" des ungebremsten Kapitalismus und Wirtschaftsliberalismus. Auch da kann ich, wie man heute so sagt, "hindenken". Insofern macht sogar Münteferings Kapitalismuskritik im Nachhinein Sinn. Schon zu dem Zeitpunkt (behaupte ich einfach mal so) hatten er und Schröder genau diesen Plan B – der realistisch betrachtet wohl eher Plan A war – in der Hinterhand, falls NRW wie erwartet auch verloren gehen sollte. Die Leute sollen wissen, worum es geht, wenn sie im September zur Wahl gehen oder eben dies nicht tun!

Denn der Wahlkampf verspricht wieder Themen, in denen sich die Blöcke unterscheiden. Das hat schon gestern an der Börse begonnen, wo mit einem Mal die Aktien der großen Energieversorger gefragt waren – auch ohne Merkels Ankündigung, die alten Atommeiler eventuell weiterlaufen zu lassen, während die Papiere der erneuerbaren Energien abgestraft wurden, obwohl dies doch alles High–Tech Firmen sind und Deutschland auf diesem Marktsegment Branchenführer ist. Der Finanzmarkt ist schon eine komische Welt. Die Anti–AKW Bewegung wird es freuen, denn sie wird wieder Zulauf erhalten; die Gewerkschaft der Polizei weniger, denn die Kollegen müssen wieder verstärkt den Kopf für die Versäumnisse der Politik hinhalten.

Aber selbst wenn Schröder es noch einmal reißen würde, was mir höchst unwahrscheinlich erscheint, bliebe das Problem mit der erdrückenden Bundesratsmehrheit gegen sich. Die SPD hat sechs Jahre lang Landtagswahl für Landtagswahl verloren, stets im Hinblick auf die schlechte Großwetterlage im Bund, auch wenn das einige anders sehen mögen. Was will er vier Jahre lang machen, wenn jeder Reformansatz, jedes wichtige Gesetz im Bundesrat zu Fall gebracht werden kann?

Oder sollte es so sein, daß Schröder darauf spekuliert, daß Schwarz–Gelb gar keine eigene Mehrheit zustandebringt, weil die PDS es über die Fünf–Prozent Hürde schafft und es letztlich zu Kieler Verhältnissen kommt? In der Großen Koalition, so mag er vielleicht spekulieren, lassen sich dann bis 2009 die Länder Stück für Stück zurückerobern, weil sich dann der Unwille der Menschen, den weiteren Umbau des Sozialstaates zu ertragen, auch auf die Union richten würde. Ob die SPD sich in dieser Konstellation allerdings hinreichend profilieren kann, um ihre Stammwähler zurückzuerobern, die ihr wegen Hartz–IV zuhauf abhanden gekommen sind, bliebe allerdings fraglich.

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