Ottos Weblog September 2004

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Thursday, September 02, 2004

Der Erste September ist irgendwie kein gutes Datum. Historisch sowieso nicht, weil er selbst uns danach Geborene immer an den Beginn des Zweiten Weltkrieges erinnern wird, unter dessen Auswirkungen auch wir noch so lange gelitten haben. Das polnisch–deutsche Verhältnis ist nach wie vor nicht spannungsfrei, weil es noch immer Vertriebene gibt, die damit drohen, Polen auf Entschädigungszahlungen für vermeintliches Unrecht während der Vertreibung zu verklagen, woraufhin die polnische Seite mit Klagen gegen Deutschland wegen des Krieges droht. Keine Seite dürfte irgendeine Aussicht auf Erfolg haben, aber für das Klima ist es Gift.

Ein paar Tage nur nach der gefälschten Präsidentschaftswahl in Tschetschenien haben Terroristen gestern eine Schule in Beslan in Nordossetien gestürmt und Kinder, Eltern und Lehrer als Geiseln genommen. Eine islamistische Gruppe namens "Islambuli-Brigaden" behauptet, hinter dem feigen Angriff zu stecken. Russlands Präsident Putin behauptet, daß es eine Verbindung zu al-Qaida gibt, aber das wird von Geheimdienstexperten bezweifelt. Unzweifelhaft aber ist, daß die "Erfolge" von Bin Ladens Gruppe andere Extremisten dazu ermuntert haben, es mit ähnlichen Methoden zu probieren, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Putins Russland, das den Tschetschenienkonflikt aus der Jelzin-Zeit geerbt hat, erfährt jetzt die Rache für seine imperialistische Politik in den moslemischen Teilrepubliken, denen nach 1990 die Unabhängigkeit vorenthalten wurde.

Kanzler Schröder, der Putin in seinem Urlaubsort besucht hatte, konnte es sich leider nicht verkneifen, zu dem Thema einen Kommentar abzugeben und die Tschetschenienwahl als "akzeptabel" zu bezeichnen. Hätte er besser den Mund gehalten, denn jetzt bezieht er (zu Recht) öffentliche Schelte dafür, daß er sich gegen das Votum der OECD-Beobachtergruppe wendet, von der die Wahl als wenig fair und demokratisch gescholten worden ist. Das dieses Urteil richtig ist und der Wahrheit am nächsten kommt, bezweifle ich keine Sekunde lang. Und wie die terroristischen Anschläge zeigen, hat Putin sich und den Menschen in Russland auch keinen Gefallen getan. Eine gefakte Wahl ist leider nicht das geeignete Mittel, um eine imperialistische Politik als Teil des weltweiten "Krieges gegen den Terror" zu verkaufen.

Ich hätte ja nicht gedacht, daß ich Angela Merkel einmal zustimmen würde, aber ich will sie gerne in ein paar Jahren an ihre heutigen Worte erinnern:

CDU-Chefin Angela Merkel sagte dem Privatsender N24, sie finde es beschämend, dass Schröder bei seinem Treffen mit Putin nicht die Kraft gehabt habe, "einmal öffentlich und laut zu sagen, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in Tschetschenien gekommen ist, dass es schlecht um die Pressefreiheit und um die Menschenrechte steht". In der Außenpolitik dürfe nicht mit zweierlei Maßstäben gemessen werden, da sehe sie "so ein Stück Doppelmoral". DER SPIEGEL
An genau diese Doppelmoral werde ich Frau Merkel erinnern, wenn sie als wahrscheinlich nächste Kanzlerin mit Putin klarkommen muß.

Eine andere Wahl, die uns bis zum November und vielleicht sogar darüber hinaus noch beschäftigen wird, ist die Neuwahl des US-Präsidenten. Timothy Garton Ash hat dazu im GUARDIAN einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben. Er nennt diese US-Wahl die wohl wichtigste Wahl unseres Lebens. Wir Europäer, so sagt er, dürfen zwar nicht wählen, aber die Amerikaner sind dennoch an unserer Meinung dazu interessiert. Vier weitere Jahre George Bush, so argumentiert er, würden die moslemische Welt weiterhin in der paranoiden und selbstzerstörerischen Stimmung gegenüber dem Westen halten, die zur Zeit die öffentliche Meinung der meisten moslemischen Länder dominiert, Europa und Amerika weiter voneinander entfernen und die USA auf den Weg des fiskalischen Ruins bringen sowie — das ist der interessante Schluß des ersten Absatzes seines Kommentars — wird das aufstrebende China in vier Jahren der geteilten Welt seine Bedingungen diktieren?

"Welcome to the most important American election in living memory. A world election, in which the world has no vote. Four more years of Bush can confirm millions of Muslims in a self-defeating phobia against the west, Europe in hostility to America, and the US on the path to fiscal ruin. Four more years, and the Beijing Olympics will see ascending China dictating its terms to a divided world." The World Election
Irgendwie kommen da ungute Erinnerungen an 1936 hoch. Wird die Taiwan-Frage unser München?

Timothy Garton Ash argumentiert damit gegen diejenigen, vor allem von der linkeren Linken, die immer noch behaupten, es würde letztlich keinen Unterschied machen, welche Partei in den USA an der Macht ist, weil doch stets das große Geld das Sagen hat, und ich bin geneigt, ihm darin zuzustimmen. Selbst wenn es tatsächlich eine Wahl zwischen zwei unterschiedlich großen Übeln ist, würde ich doch stets das kleine Übel vorziehen.

Aber Ash warnt auch davor, zu laut für Kerry zu schreien. Zumindest für europäische Regierungen ziemt sich das nicht, wenn man nicht das genaue Gegenteil erreichen will:

"All we can do is cheer our lungs out from the ringside. Except that if we shout too loudly for Kerry we may actually help the other man – especially if we shout in French. (…) No European government would be wise to endorse either candidate. They can leave that to us unofficial Europeans."
Sehr schön finde ich den Verweis auf George Bushs mangelndes Geschichtsbewußtsein, für den der Zweite Weltkrieg erst mit dem Angriff auf Pearl Harbour begonnen zu haben scheint. Die Analyse der gegenwärtigen Situation ist, so Ash, ebenso schlecht wie die historische:
"Like the second world war," he declared in mid-August, "the war we are fighting now began with a ruthless, surprise attack on America." Well, tell that to the Poles. (I’m writing this on the 65th anniversary of the true beginning of the second world war, which was indeed a ruthless, surprise attack – on Poland.) Or the British. Or the French."
Die konservative Regierung in den USA versucht, so Ash, ihrer Bevölkerung eine "Große Erzählung" ("Grand Narrative") zu verkaufen, indem der "War on Terror" propagandistisch in ein ähnliches Muster wie der Zweite Weltkrieg oder der Kalte Krieg gepackt wird. Dieser Terminus entstammt der postmodernen Philosophie und das sollte man wissen, damit man den Vorgang nicht als reine Propaganda zu den Akten legt. Denn strukturell gleicht diese "Grand Narrative" natürlich jener, die Osama Bin Laden als Vorwurf gegenüber dem Westen erhoben hat. Jede dieser "Große Erzählungen" behauptet nämlich, die einzige und unverrückbare Wahrheit auszudrücken (was sie in Widerspruch zur Postmoderne bringt), weshalb jeder, der Zweifel äußert, als Verräter und Unterstützer des Feindes deklariert und denunziert werden kann. Und es ist in der Tat zweifelhaft, ob eine solche Haltung eine Lösung für die Probleme des 21. Jahrhunderts darstellen kann.

Tuesday, September 07, 2004

Der fürchterliche Terroranschlag gegen die Schule im nordossetischen Beslan vom vergangenen Mittwoch beherrscht auch nach einer Woche noch die westlichen Zeitungskommentatoren wahrscheinlich mehr als die gleichgeschalteten russischen Medien, wo verständlicherweise die Empörung über das unglaubliche Massaker an so vielen Kindern überwiegt. Für heute werden Hunderttausende von Demonstranten gegen den Terror in Moskau erwartet. Vielleicht wird es auch einige Plakate geben, die sich kritisch mit der Rolle der eigenen Führung in dem Konflikt auseinandersetzen, aber allzu viele werden es sicherlich nicht sein. Dabei aber täte genau das nötig, denn Belehrungen aus dem Ausland verbietet sich Putin ja bekanntlich. Weder Fragen nach dem Ablauf des –notwendigerweise– chaotischen "Notzugriffs" noch nach den Ursachen des Konflikts, der zu der jüngsten tschetschenischen Terrorwelle gegen Russland geführt hat, sind zulässig:

In einer Erklärung des Moskauer Außenministeriums hieß es, Terrorismus sei absolut unvereinbar mit den Prinzipien von Moral und Menschlichkeit. Nur wenn alle Staaten gemeinsam den Terror bekämpften, könne er besiegt werden. „Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Doppelmoral’ ist nicht zulässig." NWZ am 06.09.2004.
Und wer in der russischen Presse zu offen oder zu kritisch berichtet, wird wie heute der Chefredakteur der "Iswestia," Raf Schakirow, ganz schnell seinen Job los. Also bleibt eigentlich nur die Straße, wenn sich im postsowjetischen Russland etwas tun soll, das dem Land zu mehr Sicherheit und Stabilität verhilft. Denn daß sich Putin die Kommentare der europäischen Presse zu Herzen nehmen wird, steht nicht zu erwarten; eher wird ihn die folgende DLF–Presseschau darin bestärken, daß allzu freie Medien seiner Sache sicherlich nicht dienlich wären. Wenn hierbei die Presse der ehemaligen "Verbündeten" des Warschauer Paktes ein wenig kritischer zu sein scheint als die des "Alten Europa," so wundert uns das auch nicht:
Die polnische Tageszeitung RZECZPOSPOLITA sieht auch die westlichen Politiker in der Verantwortung: "In Russland existiert praktisch keine Opposition, und die Medien stehen seit langem unter der Kontrolle des Kreml. Die einzigen, die Putin zu einer Korrektur seiner Kaukasus-Politik bewegen könnten, sind die westlichen Politiker. Doch diese schweigen immer häufiger. Außer einem Statement von Javier Solana war keine einzige Stimme zu hören, die neben Beileidsbekundungen wenigstens ansatzweise eine kritische Betrachtung der Ursachen für die Tragödie in Beslan geliefert hätte", bemängelt die in Warschau erscheinende RZECZPOSPOLITA. In der Prager Zeitung MLADA FRONTA DNES heißt es: "Putin Unterstützung auszusprechen und sein Eingreifen mit dem von US-Präsident Bush im Irak zu vergleichen, ist widerlich. Der Eingriff im Irak war ebenso richtig wie der Einsatz in Afghanistan, was sich von dem schändlichen Krieg gegen Tschetschenien nicht sagen lässt. Die Botschaft des Dramas von Beslan kann einzig diese sein: die Beendigung des Kriegs in Tschetschenien, dessen vollständige Unabhängigkeit und der Rücktritt Putins. Leider ist dies eine Utopie. In keinem Fall aber sollte die zivilisierte Welt zulassen, dass das Unglück der Kinder und Erwachsenen von Beslan Putin als Vorwand für einen weiteren Genozid in Tschetschenien dient", findet die tschechische Zeitung MLADA FRONTA DNES.

Auch die TIMES aus London geht auf die Haltung der Europärer ein: "Die implizierte Kritik der EU an der angeblichen russischen Schuld an der Tragödie war geschmacklos. Tatsache ist, dass eine Attacke dieses Ausmaßes immer und überall passieren kann. Was Russland jetzt helfen kann, ist eine gemeinsame internationale Reaktion auf die Herausforderung des Terrorismus. Präsident Putin unternahm den ungewöhnlichen Schritt, vom UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zu Beslan einzufordern. Damit hat er einen neuen Weg eingeschlagen und um internationale Hilfe gebeten. Seine Aktion eröffnet die Möglichkeit einer künftigen gemeinsamen Politik gegenüber islamischen Regierungen. Deshalb sind Moralpredigten der Europäer nicht angebracht und nur dazu angetan, die internationale Solidarität nach dem 11. September 2001 zu gefährden," befindet die britische TIMES.

LA NACIÓN aus Argentinien warnt: "Die Geiselnahme von Beslan droht die gesamte Region in ein Inferno zu verwandeln, in der nationalistische Motive mit religiösem Fanatismus einhergehen und eine Spirale der Gewalt in Gang setzen. Hier muss Russland jede internationale Hilfe in Anspruch nehmen, die zu Frieden und Versöhnung führen kann", verlangt das in Buenos Aires erscheinende Blatt LA NACIÓN.

Und in der dänischen Zeitung BERLINGSKE TIDENDE ist zu lesen: "Die Beslan-Tragödie kann zu dem Funken werden, der den gesamten Flickenteppich anzündet, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der südlichen Peripherie Russlands entstanden ist. Jetzt muss der Kreml vermutlich einsehen, dass die totale Ablehnung, mit den tschetschenische Unabhängigkeitskräften zu sprechen, die Probleme eher verschärftals sie zu lösen", meint BERLINGSKE TIDENDE aus Kopenhagen.

Nach Auffassung der US-Zeitung THE HOUSTON CHRONICLE schaden die Anschläge dem Ansehen der Tschetschenen in der westlichen Welt: "Die Morde in Beslan werden die Abneigung vieler Russen gegenüber den Tschetschenen vergrößern und diesem Volk und seinem Freiheitsstreben auch weltweit Sympathien kosten. Weil die meisten Tschetschenen Moslems sind, und weil auch ihre Unabhängigkeitsbewegung zunehmend religiöse Züge trägt, zieht die tschetschenische Sache Terroristen aus der gesamten moslemischen Welt an. Die tschetschenischen Terroristen und ihre ausländischen Komplizen haben das Mittel der barbarischen Selbstmordattentate auf Unschuldige vom Terror-Netzwerk El Kaida und vom palästinensischen Terrorismus übernommen. Dies kann nur dazu führen, die religiöse Intoleranz im Westen zu vergrößern – und genau dies scheint eines der Ziele der Terroristen zu sein."

Der Leitartikel des GUARDIAN beklagt genau den Zustand, daß der Kreml nach wie vor nicht in der Lage ist, auf eine Herausforderung wie die Tschetschenienkrise wie ein liberaler westlich orientierter Staat zu reagieren:

Russia has always reacted with enormous sensitivity to any foreign criticism of its hardline policy in Chechnya, and western governments have learned to tread extremely carefully, especially since the September 11 2001 attacks on the US allowed Vladimir Putin to sign up to the global "war on terror". It suits Mr Putin to emphasise Chechen links to Islamist extremists including Osama bin Laden, though the heart of the problem lies in Chechnya itself. Thus grandiose rhetoric about humanitarian intervention and the internationalisation of human rights – part of the arguments for intervention in Kosovo and Iraq – has not been translated into reality despite widespread evidence of human rights abuses by Russian troops and security forces. Lamentably little has been done to drive home to the Russians the fundamental point that a puppet government in Grozny, dubious elections and crushing poverty will not drain the swamp that breeds such nihilistic violence. Our Business Too

Aber der GUARDIAN gibt auch der tschetschenischen Stimme Raum. Ahmed Zakaev war stellvertetender Premierminister unter Aslan Maskhadov, des 1997 gewählten, von Moskau aber nicht anerkannten und mittlerweile zumTerroristen erklärten tschetschenischen Präsidenten. Zakaev hat 2003 Asyl in Großbritannien erhalten und erläutert im folgenden den russischen Staatsterrorismus, ohne deshalb Beslan zu entschuldigen:

Ten years ago Chechnya had a population of 2 million. Today it is 800,000, and Vladimir Putin has an army of what we estimate to be up to 300,000 Russian soldiers in Chechnya inflicting a regime of terror. Many Chechens are refugees and many others have simply disappeared, often in the night. At least 200,000 Chechen civilians have been killed by Russian soldiers, including 35,000 children. Another 40,000 children have been seriously injured, 32,000 have lost at least one parent and 6,500 have been orphaned. These are figures supported by reports of human rights organisations such as Amnesty International, and we believe they are conservative. This is how Putin’s soldiers treat Chechen civilians. Our Dead and Injured Children — Ahmed Zakaev: Beslan was Barbaric – so has been Russia’s Reign of Terror in Chechnya.
Für diese Zahlen spricht sicherlich mehr als Putins Behauptung, hinter dem Anschlag auf Beslan würde Maskhadov stecken, weshalb er versucht, die Auslieferung dessen Stellvertreters Zakaev zu erreichen. Daß Shamil Basayev, der sich der früheren Geiselnahme in Budyonnovsk 1995 brüstet und behauptet, ebenfalls für das Attentat auf das Theater in Moskau 2002 verantwortlich zu sein, hinter Beslan steckt, glaube ich sofort. Aber es ist in Putins Verantwortung, mit den gemäßigten Führern der Tschetschenen über die Bedingungen für die Unabhängigkeit des Landes zu verhandeln.

Wednesday, September 08, 2004

Es war ja schon irgendwie pervers, daß den ganzen Tag über das Gefecht um die Schule in Beslan auf CNN live übertragen wurde, von russischen Kameramännern gefilmt, deren Sender die Bilder nicht bringen durfte. Aber müssen wir uns auch noch antun, daß von den Terroristen produzierte Video in Großbild und Detailausschnitten anzusehen. Ich habe die Übertragung abgebrochen und werde auch den Link nicht posten.

Auch die neutigen Kommentare beschäftigen sich noch überwiegend mit der offiziellen russischen Reaktion auf das Ereignis. Die Unfähigkeit, die waren Ursachen anzuerkennen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, wird allenthalben festgestellt.

"Der Kreml ist wieder einmal dabei, die Tragweite einer Tragödie erheblich zu reduzieren, und zwar auf einen Akt des internationalen Terrorismus, der gegen Russland gerichtet gewesen sei. Ein Zusammenhang mit der eigenen Kaukasus-Politik wird hingegen nicht hergestellt, und schon gar nicht mit der Lage in Tschetschenien. Nur ein Wechsel in der Politik dort kann jedoch verhindern, dass sich ähnlich entsetzliche Vorfälle wiederholen." — die lettische Zeitung DIENA in der DLF Presseschau.

Der Chefwissenschaftler der ESA, Dr. Bernard Foing, hat vorgeschlagen, eine "Arche Noah" der Erde in Form einer Gendatenbank auf dem Mond zu stationieren, um sicherzustellen, daß das biologische Erbe der Erde überlebt, wenn es zu einer kosmischen oder einer Nuklearkatastrophe kommt, die das Leben hier unten auslöscht.

Dr Foing is head of Europe’s Moon missions, so his thoughts on matters lunar should be taken seriously. He is concerned that if the Earth were destroyed, there would be little or nothing left of the rich diversity of life on the planet. His solution is to build a DNA library on the Moon. "If there were a catastrophic collision on Earth or a nuclear war you could place some samples of Earth’s biosphere, including humans, [on the Moon]," he said. "You could repopulate the Earth afterwards like a Noah’s Ark," he said. BBC–Online

Thursday, September 09, 2004

Ich hatte mich schon ziemlich aufgeregt über die ziemlich dreisten Lügen der Republikaner Dick Cheney und Arnold Schwarzenegger sowie des Demokraten Zell Miller (ein greiser alter Mann, den Alzheimer offensichtlich fest im Griff hat) auf dem Parteitag der Republikaner in der letzten Woche. Da wurde von den drei Genannten unisono behauptet, John Kerry wolle die Entscheidung darüber, ob sich die USA im Falle eines Angriffs von Außen verteidigen dürften, in die Hände der französischen Regierung oder UNO legen. Abgesprochen, auswendig gelernt und einfach dumm, aber die Botschaft ist bei den Delegierten und bei den Wählern angekommen, Kerrys Umfragewerte sind kräftig gesunken. Die amerikanische Bevölkerung ist scheints ebenso dumm die die deutsche, die lediglich die SPD für die harten Folgen der Reform der Sozialsysteme verantwortlich macht, nicht aber die CDU, die den maroden Zustand dieser Systeme viel eher zu verantworten hat und außerdem dafür gesorgt hat, daß die wirklichen Härten, gegen die die Gewerkschaften Sturm laufen, Eingang in die Reformgesetze gefunden haben. Die Amerikaner haben Spaß an dem Ton gehabt, in dem die Angriffe auf Kerry formuliert worden sind, im Deutschen würden wir das Stammtischrhetorik nennen und darüber lachen, so offensichtlich dämlich ist es.

Aber was hier eine Universitätsprofessorin aus Atlanta, Georgia, abliefert, schlägt wirklich alles. Hier wird die Generation der Sechziger Jahre mal wieder für den angeblichen "Werteverfall" verantwortlich gemacht, der erst dazu geführt hat, daß Amerika am 11. September 2001 überhaupt angegriffen werden konnte. Als Beispiel dient der Autorin ausgerechnet mein Lieblingsbuch, Gravity’s Rainbow von Thomas Pynchon:

"Long before the twin towers were brought down by diabolical promoters of an ideology in 2001, another tower, representative of the great accomplishments in Western culture, had crumbled after an attack from within. (…) While the good average citizens expressed shock, outrage, and patriotism, disillusioned sophisticates lectured to classes on the evils of the West. While most of America put up American flags, the remaining enthusiasts of Marxism plastered the hallways with "Understanding Islam" posters. While most of America grieved, dissolute graduate students grabbed the opportunity to post political diatribes against the U.S. government on university list-servs. (…) But this anti-Americanism did not begin with the war in Iraq. In the mid-nineties I had the opportunity to experience first-hand the promotion of such a view in a class on the modern novel, in which the major text was Thomas Pynchon’s Gravity’s Rainbow. Indeed, Senator Miller, had he had known about it, would have been outraged back then to hear a popular professor promote the idea that agreed with Pynchon’s claim that, rather than being liberators of the Nazi concentration camps, the U.S. was a major player in the regime’s inception. The novel, after a string of descriptions of sado-masochistic acts involving children (connected, of course, with the West/U.S./Nazi regime), ends with the indictment of the latest in what Pynchon presents as a long line of fascist presidents, Richard Nixon. Pynchon’s book is nothing but a long, hallucinatory propaganda piece that in a disjointed post-modernist style distorts history in order to equate Nazism with Western civilization. (…) Senator Miller would have been outraged had he been in an English department where the very idea of "family" is questioned and attacked. He would have been shocked while listening to discussions of sadistic child pornography discussed with aplomb not only in Pynchon’s novel but then again in the class." — by Mary Grabar, continous at: Zell and the Converts at Tech Central Station
Mich wundert nur, daß Grabar nach all’ diesen Fehlinformationen und Lügen über den Roman das Ende des Buches vergessen hat, wo es heißt:
There is a Hand to turn the time,
Though thy Glass today be run,
Till the Light that hath brought the Towers low
Find the last poor Pret’rite one . . .
Till the Riders sleep by ev’ry road,
All through our crippl’d Zone,
With a face on ev’ry mountainside,
And a Soul in ev’ry stone. . . .
(760)
Diesen unverhohlenen Hinweis darauf, daß die "Übergangenen der Erlösung," in Pynchons Lesart alle von Machtmißbrauch und Totalitarismus geschändeten Menschen, unabhängig von der jeweiligen Ideologie, die ein spezielles Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, dereinst am Licht jener Kraft teilhaben könnten, das die "Türme der Macht" zum Einsturz bringt, die puritanische Erlösung also umgekehrt wird, hat die Autorin nicht zur Kenntnis genommen. Angesichts der Fehler in ihrer Beschreibung des Romaninhalts gehe ich eher davon aus, daß sich ihre Kenntnis des Romans auf das erwähnte Seminar sowie einiger signifikanter Textstellen, bestenfalls aber auf eine rein kursorische Lektüre des Buches beschränkt.

Aber auch andere regimekritische Intellektuelle kriegen ihr Fett weg. Hier entlarvt sich Grabar vollends als naiver Propagandist der neokonservativen Bewegung in den USA, die, unter Bush an die Macht gekommen, mit eben all’ dieser Macht versucht, die seit den sechziger Jahren stattgefundenen Entwicklungen in der Gesellschaft umzukehren und das Rad der Geschichte zurückzudrehen:

As with Zell Miller, my conversion was solidified by 9/11. That event made very clear the danger of the ideas promoted by theorists like Noam Chomsky, Richard Rorty, Edward Said, and Peter Singer. That is the one thing the students taking over campuses in the 1960s realized: the arguments made in the halls of the academy, contrary to the conventional wisdom about the isolation of the ivory towers, have very real impact. The graduates become journalists, teachers, parents, and government workers. The political ideologies do not begin with the peasants, the workers, the average citizens. They start with the slick talkers, the ones who deliver their messages in measured tones, with thousands of footnotes. They then become policy. Ibid
Es ist interessant, wie Grabar ohne den geringsten Hinweis auf die Art der möglichen Verbindung zwischen den Attentätern des 11. September (die "Gravity’s Rainbow" gewiß nicht gelesen hatten) und den amerikanischen Intellektuellen, Romanautoren wie Pynchon und Theoretikern wie Chomsky, Rorty und Said, diese Verbindung und Verantwortlichkeit für gegeben erklärt und sich im weiteren ausgiebig über die durch die radikale Generation der Sechziger verbreitete Kinderpornographie ausläßt. Das ist sicherlich eine mögliche Ursache für den 11. September, nicht aber die aggressive US-Außenpolitik im Hinblick auf die Kontrolle der natürlichen Energiereserven der Menschheit sowie die einseitige Parteinahme für den israelischen Standpunkt im Palästina–Konflikt.

Monday, September 20, 2004

In Brandenburg und Sachsen–Anhalt sind die self-fullfilling prophecies in Erfüllung gegangen. Neber der PDS, die kräftig zulegen konnte, haben die Rechten abgesahnt und bestatigt, was wir schon immer befürchtet hatten: es gibt ein rechtsextremes Wahlpotential von ungefähr 15% im Land. Das dies bislang im Westen nicht so wie im Osten zum Tragen kommt, mag daran liegen, daß die Bindung der Ostdeutschen an die etablierten Parteien nicht so groß ist wie im Westen. Aber ich bin sicher, daß das Potential "hier im Westen" ebenso vorhanden ist wie in "Dunkeldeutschland":

Dunkeldeutschland ist einer jener hässlichen Begriffe, die auf der Nominierungsliste zum "Unwort des Jahres" zu finden sind. Für den ersten Platz reichte es 1994 nicht, da waren die "Peanuts" des Deutschbankers Hilmar Kopper davor. Verschwunden ist der Ausdruck verbaler Demütigung in diesen zehn Jahren nicht, er lebte sogar auf in den Wahlkämpfen in Sachsen und Brandenburg.

Von Dunkeldeutschland sprachen in Chemnitz und Cottbus die Arbeitslosen. Bittere Ironie derer, die sich im Schatten fühlen, übersehen von der westlichen Mehrheit, deklassiert. Wie Dunkeldeutschland haben sie an diesem Sonntag auch gewählt - oder sich der demokratischen Übung enthalten. Den großen Volksparteien CDU und SPD haben sie als Verursachern enttäuschter Hoffnungen die kalte Schulter gezeigt. Die PDS konnte zwar zulegen, profitierte aber weniger als erwartet von der Proteststimmung, die vor allem die Braunen nährt. Dunkles Deutschland — von Astrid Hölscher, Frankfurter Rundschau

Der unselige Vorgang wird natürlich auch im Ausland zur Kenntnis genommen:
"It’s a mixture of social rage, and the abuse of this rage by extreme right-wing, neo-Nazi groups," said Hajo Funke, a political scientist at the Free University of Berlin. "They present themselves as ordinary people, but they have this right–wing, anti–foreign, anti–Semitic language." Rightists Make Strong Strides in Eastern German State Elections — by Mark Landler, New York Times

The NPD has been linked to violent skinhead groups, but its main focus in the campaign was on frustration at the economic situation and welfare cuts. These include cutting benefits for the long-term unemployed, and forcing people to take any kind of job offered – no matter how badly paid – or lose all state support. This has caused particular anger in the former communist East — where unemployment is twice as high as in the West, and wages, benefits and pensions are lower. "If you look back 15 years, people had a lot of hopes and the politicians said ‘everything will be OK’," says Gesine Loetzsch, an MP for the reformed communist PDS. The PDS has benefited even more than the NPD from the wave of anger. In Brandenburg they gained nearly 30% of the vote, and in Saxony 23%. "Now people see the reality, and they had different ideas about how reunification would turn out," says Loetzsch. "You don’t create more jobs just by putting pressure on unemployed people. We need an industry policy that will create decent jobs, not low-paid ones." The Impact May Be Limited for Now, But the Message is Clear — by Ray Furlong, BBC correspondent, Berlin

Wednesday, September 22, 2004

Einen vernünftigen Vorschlag macht Jonathan Freedland im heutigen GUARDIAN — wenn schon die ganze Welt von den Auswirkungen der US–Politik betroffen ist, warum sind dann nicht Menschen aus der ganzen Welt bei den kommenden US-Wahlen wahlberechtigt? Warum bestimmen ein paar Rentner aus Florida, wer die Welt regiert?

US policy now affects every citizen on the planet. So we should all have a say in who gets to the White House (…) who could honestly describe the 2004 contest of George Bush and John Kerry as a domestic affair? There’s a reason why every newspaper in the world will have the same story on its front page on November 3. This election will be decisive not just for the United States but for the future of the world. Anyone who doubts it need only look at the last four years. The war against Iraq, the introduction of the new doctrine of pre–emption, the direct challenge to multilateral institutions — chances are, not one of these world–changing developments would have happened under a President Al Gore. It is no exaggeration to say that the actions of a few hundred voters in Florida changed the world. So perhaps it’s time to make a modest proposal. If everyone in the world will be affected by this election, shouldn’t everyone in the world have a vote? (&#a33;) shouldn’t the men who want to be president win the support of Liverpool and Leipzig as well as Louisville and Lexington? It may sound wacky, but the idea could not be more American. After all, the country was founded on the notion that human beings must have a say in the decisions that govern their lives. The rebels’ slogan of "No without representation" endures two centuries later because it speaks about something larger than the narrow business of raising taxes. It says that those who pay for a government’s actions must have a right to choose the government that takes them. Still no Votes in Leipzig — by Jonathan Freedland

Saturday, September 25, 2004

Die Gerüchte, daß das Vermögen der Familie Bush aus Geschäften stammt, die Prescott Bush, der Großvater des heutigen Präsidenten der USA mit deutschen Firmen während des Zweiten Weltkrieges (auch noch nach dem Kriegseintritt der USA) gemacht hatte, gehen schon eine ganze Weile durchs Internet, wurden bislang aber eher als "hoax," also als Internet-typische Falschmeldungen der Bush–Gegner abgetan.

Nun hat der britische GUARDIAN anscheinend neue Informationen darüber, daß die Sache wohl doch kein Hoax war, sondern daß etwas dran ist:

The Guardian has obtained confirmation from newly discovered files in the US National Archives that a firm of which Prescott Bush was a director was involved with the financial architects of Nazism. (…) The debate over Prescott Bush’s behaviour has been bubbling under the surface for some time. There has been a steady internet chatter about the "Bush/Nazi" connection, much of it inaccurate and unfair. But the new documents, many of which were only declassified last year, show that even after America had entered the war and when there was already significant information about the Nazis’ plans and policies, he worked for and profited from companies closely involved with the very German businesses that financed Hitler’s rise to power. It has also been suggested that the money he made from these dealings helped to establish the Bush family fortune and set up its political dynasty. How Bush’s Grandfather helped Hitler’s Rise to Power — by Ben Aris in Berlin and Duncan Campbell in Washington
Inakkurat und unfair? Nun, in der New York Times gab es am Sonntag, dem 18. January 2004 eine Buchbesprechung zu Kevin Phillips Buch: American Dynasty Aristocracy, Fortune, and the Politics of Deceit in the House of Bush (Viking, New York 2004):
The book makes two basic and interlocking arguments. The first is that the United States has entered a period of what Phillips calls dynastic politics, in which the spouses and offspring of political figures are picking up where their relatives left off, to the detriment of democracy. The second is that the most important example of this phenomenon is not the Kennedys but the Bushes, who, beginning with George W. Bush’s great-grandfathers, Samuel P. Bush and George H. Walker, assembled wealth and power by exploiting ties to Wall Street, arms merchants, the American intelligence apparatus and foreign dictators including Hitler. That wealth and power, and those connections, are why Bush is president today, Phillips says, and why his policies are what they are. Phillips finds the family fingerprints on everything from Bush’s pursuit of Saddam Hussein to his leanings toward the energy industry, which, in the web Phillips weaves, are also related to each other. Family Lies — by Michael Oreskes
Die Verbindungen zwischen Prescott Bush und Thyssen waren seit langem bekannt, so wie im übrigen auch die "guten" Verbindungen vom jetzigen Präsidenten Bush zu den saudischen Feudalisten und zur Familie Osama bin Ladens. Wer, wenn nicht die texanischen Ölmultis, profitiert denn vom derzeitigen Ölpreis.

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