Ottos Weblog Maerz 2005Index2004: Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 2005: Januar Februar April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 2006: Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Tuesday, 01 Friday, 04 Monday, 07 Thursday, 17 Wednesday, 23 Thursday, 24 Thursday, 31 |
Tuesday, March 01, 2005
Relativ widerlich
Unsere rechtskonservativen politischen Christen (CDU/CSU) legen sich ja
mächtig ins Zeug, um der bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
(allerdings wirklich) erfolglosen RotGrünen Koalition etwas am Zeug
zu flicken. Die gleichen Politiker, die sich schon zu Zeiten der Regierung Kohl
lediglich durch Nichtstun und Spendenaffären hervorgetan haben, blasen die
sogenannte Visaaffäre wie einen Luftballon auf, um vielleicht doch
irgendwie Joschka Fischer, den bis dato beliebtesten deutschen Politiker zu
Fall zu bringen. Wenn man den Zeitraum betrachtet, in dem die ganze Geschichte
stattgefunden hat, wird man feststellen, daß Joschka nach den 11.
September 2001 nun wirklich andere Dinge um die Ohren hatte, als sich um
Einreisevisa für irgendwelche Nutten zu kümmern. Fischer soll sich
erklären, wenn möglich ohne vorheriges Aktenstudium, man nennt ihn
von Seiten der CSU einen "Zuhälter" und macht ihn für irgendwelche
Sexualverbrechen verantwortlich. Die politische Rechte deren Klientel
zugleich die Kundschaft jener Prostituierten darstellt rast, wir aber
warten immer noch auf die Namen der Spender, denen ExKanzler Kohl sein
Ehrenwort, das er über die diesem Land geleisteten Amtseide stellt,
gegeben hat.
Dann ist da die SchleswigHolsteinWahl, die weder die Linke noch die
Rechte gewinnen konnten und die daher vom Südschleswigschen
Wählerverband (SSW) entschieden wird, der nicht der 5%Klausel
unterliegt. Daß diese Vertretung der in SchleswigHolstein lebenden
Dänen nun die totale Machtübernahme der Rechten im Bundesrat vorerst
verhindert, paßt der CDU/CSU überhaupt nicht. Also beginnt sie,
Ausländerhaß zu sähen und die Minderheit dergestalt zu
bedrohen, daß sie die besonderen Minderheitenrechte im nördlichsten
Bundesland in Frage stellt. Daß sich ihr eigener Ole von Beust dereinst
in Hamburg nicht zu schade war, sich von dem Rechtspopulisten Schill tolerieren
zu lassen, um die SPD im Hamburg zu stürzen, haben sie vergessen. Das
alles ist nicht einfach nur schlechter politischer Stil, das ist zum Kotzen!
Aber was soll man auch von einer Opposition erwarten, die es trotz ihrer
starken Stellung im Bundesrat in sechs Jahren nicht ein einziges Mal geschafft
hat, ein Konzept vorzulegen, das in irgendeiner Weise eine praktikable
Alternative zur Regierungspolitik dargestellt hätte.
Als langjähriger Kritiker der israelischen Besatzungspolitik hat mich ein Kommentar gefreut, den Ken Livingstone, der Bürgermeister von London, heute im GUARDIAN veröffentlicht hat. Darin macht er klar, daß Kritik an den Aktionen der israelischen Regierung nicht automatisch etwas mit Antisemitismus zu tun hat, sondern richtig und wichtig ist. Im Gegensatz zu der Polemik, die jeden Kritiker einer israelischen Regierung zu einem Antisemiten stempeln will, betont Livingstone, daß es falsch und gefährlich wäre, zu den Ungerechtigkeiten zu schweigen, die Staatsterror, Besatzung, Siedlungen und illegale Annektionen darstellen. Und er nennt den israelischen Premierminister Sharon einen Kriegsverbrecher, der auf der Anklage und nicht auf der Regierungsbank sitzen sollte: The fundamental issue ( ) is not antisemitism which my administration has fought tooth and nail but the policies of successive Israeli governments. To avoid manufactured misunderstandings, the policies of Israeli governments are not analogous to Nazism. They do not aim at the systematic extermination of the Palestinian people, in the way Nazism sought the annihilation of the Jews. Israels expansion has included ethnic cleansing. Palestinians who had lived in that land for centuries were driven out by systematic violence and terror aimed at ethnically cleansing what became a large part of the Israeli state. The methods of groups like the Irgun and the Stern gang were the same as those of the Bosnian Serb leader Karadzic: to drive out people by terror. Today the Israeli government continues seizures of Palestinian land for settlements, military incursions into surrounding countries and denial of the right of Palestinians expelled by terror to return. Ariel Sharon, Israels prime minister, is a war criminal who should be in prison, not in office. Israels own Kahan commission found that Sharon shared responsibility for the Sabra and Shatila massacres. Sharon continues to organise terror. More than three times as many Palestinians as Israelis have been killed in the present conflict. There are more than 7,000 Palestinians in Israels jails. This is about Israel, not antisemitismAndererseits, wie schon Mr. Spock zu Captain Kirk in Das unentdeckte Land sagte, "nur Nixon konnte nach China gehen" und so befürchte ich, daß auch nur ein harter Hund wie Sharon seine Landsleute dazu bewegen kann, einem Palästinenserstaat und damit dem Frieden zuzustimmen. Hinzu kommt, daß auch ein zum Ausgleich bereiter Palästinenserchef seine Radikalen nur in den Griff bekommt, wenn er darauf verweisen kann, daß seinem israelischen Gegenpart im Prinzip nichts an den Palästinensern liegt und daß es wahrscheinlich nur noch diese Chance gibt, einen eigenen Staat zu erhalten. Es wird niemals einen durch Terror erzwungenen Palästinensernstaat geben. Eher wird sich im Falle weitergehenden Terrors durch Hamas und andere Organisationen die westliche Welt zu der israelischen Sicht der Dinge durchringen, daß die Palästinenser als Araber 25 Staaten haben, in die sie gehen können, die Juden aber nur einen.
Der Beschuß der am letzten Freitag befreiten italienischen Journalistin
Giuliana Sgrena durch USTruppen ist schon ein ungeheuerlicher Vorgang,
egal, ob es sich dabei um einen "Unfall" oder einen gezielten Anschlag gegen
die Pressefreiheit gehandelt hat. So schreibt
DIE ZEIT:
CNN
hat die Erklärung, die Sgrena gestern in ihrer eigenen Zeitung
IL MANIFESTO
veröffentlicht hat, übersetzt und veröffentlicht:
The car kept on the road, going under an underpass full of puddles and almost losing control to avoid them. We all incredibly laughed. It was liberating. Losing control of the car in a street full of water in Baghdad and maybe wind up in a bad car accident after all I had been through would really be a tale I would not be able to tell. Nicola Calipari sat next to me. The driver twice called the embassy and in Italy that we were heading towards the airport that I knew was heavily patrolled by U.S. troops. They told me that we were less than a kilometer away when I only remember fire. At that point, a rain of fire and bullets hit us, shutting up forever the cheerful voices of a few minutes earlier. The driver started yelling that we were Italians. "We are Italians, we are Italians." Nicola Calipari threw himself on me to protect me and immediately, I repeat, immediately I heard his last breath as he was dying on me. I must have felt physical pain. I didnt know why. But then I realized my mind went immediately to the things the captors had told me. They declared that they were committed to the fullest to freeing me but I had to be careful, "the Americans dont want you to go back." Then when they had told me I considered those words superfluous and ideological. At that moment they risked acquiring the flavor of the bitterest of truths, at this time I cannot tell you the rest. 'My truth'Der objektiv schlechte Zustand der Straße macht die zuerst erhobene Behauptung der USMilitärs, daß Fahrzeug der Befreier habe sich mit hoher Geschwindigkeit einem Kontrollpunkt genähert, von vorneherein unglaubwürdig. Ich hatte mich sowieso sofort gefragt, warum der Fahrer so kurz vor dem Ziel noch so gerast sein sollte; wissend, daß bei den Soldaten die Nerven blank liegen. Als zweites habe ich sofort gedacht, daß es doch nicht sein kann, daß die Wachtposten nicht gewußt haben, wer da in dem Fahrzeug war. Eigentlich hätte auf Frau Sgrena am ersten Kontrollpunkt ein amerikanischer Helikopter warten müssen, um sie nicht der Gefahr einer neuerlichen Entführung auszusetzen. Tatsächlich aber weiß ich objektiv, daß die Regierung Berlusconi schlecht und hektisch arbeitet und mehr am Machterhalt und der eigenen Selbstdarstellung als an erfolgreicher und den Menschen nützender Politik interessiert ist. Pure Schlamperei ist also absolut wahrscheinlich. Das USMilitär schließlich ist gezwungen, immer mehr schlecht ausgebildete Reservisten anstelle regulärer Truppen im Irak einzusetzen. Die ganze Charmeoffensive der BushRegierung im neuen Jahr beginnt immer mehr in dem Licht zu erscheinen, daß sie ausschließlich der zunehmenden Einsicht entspringt, daß es zwar relativ einfach gewesen ist, den Krieg zu gewinnen und Parlamentswahlen abzuhalten, daß es aber nicht gelingt, die Verhältnisse im Lande tatsächlich zu stabilisieren.
Mein Provider machte heute morgen schlapp, ein "Backbone-Server" sei kaputt,
aber man arbeite mit Hochdruck daran und um 13:00 Uhr sollte alles wieder
gehen. Es kann ja immer mal was zu Bruch gehen, aber ich verstehe nicht recht,
warum die ganze Geschichte nicht durch bessere BackupSysteme gesichert
ist. Könnte man als zahlender Kunde eigentlich erwarten, oder? Es ist
schon nervig, wenn man seine Mails und die gewohnten Onlineangebote der
Zeitungen nicht lesen kann, wie man es gewohnt ist.
Andererseits ist man ja auch selber Schuld, wenn man die eigene Lebensweise und
das "Wohlbefinden" dermaßen davon abhängig macht, daß irgendwo
irgendwelche Maschinen laufen, die es schon richten werden. Das hat ja noch
nicht einmal primär etwas mit Binärrechnern zu tun, sondern betrifft
unsere gesamte Lebensweise, seit die Maschinen mit Einführung des
mechanischen Webstuhls begonnen haben, den Menschen die Arbeit wegzunehmen, die
sie bisher ernährt hat.
Apropos Arbeit, es war ein wetterbedingt arbeitsreicher Monat für mich, so
daß ich weniger zum Schreiben gekommen bin als ich eigentlich wollte.
Aber es gibt in diesem Monat ein paar Kommentare von mir zum HartzIV
Gesetz im Forum des Oldenburger Taximagazins
"DER INNENSPIEGEL,"
an dem ich mich mehr oder weniger regelmäßig beteilige. Die
Grausamkeiten, die der Staat den Langzeitarbeitslosen seit Beginn des Jahres
zumutet sowie die statistische Begradigung, die die Arbeitslosenzahl über
die FünfMillionenHürde gehieft hat, hat dazu
geführt, daß dieDiskussion darüber, wie ein Hochpreisland seine
Stücklohnkosten und Lohnnebenkosten senken kann, wieder angeheizt. Kurz
vor dem gestrigen "Jobgipfel" beim Bundeskanzler, dessen Bewertung vorher
zwischen "letzte Chance für Deutschland" und "keine zu großen
Erwartungen hegen" schwankte, ließ es sich der neue Bundespräsident
Köhler nicht nehmen, seinen verfassungsmäßig gesteckten Rahmen
sehr weit auszulegen und sich, da er ja ein Mann vom Fach ist, in die aktuelle
politische Diskussion mit einer Rede vor den Arbeitgebern einzumischen.
Was ich davon gehört habe, war nichts Besonderes oder gar Neues, die
üblichen Aufforderungen an die Politik halt, der Schaffung von
Arbeitsplätzen Vorrang vor allem Anderen zu geben. Da die Rede jedoch vor
Arbeitgebervertretern stattfand, denjenigen also, die beinahe als Einzige
theoretisch in der Lage wären, eine hinreichende Anzahl an Jobs zu
schaffen beziehungsweise die Verlagerung der Produktion ins Ausland zu stoppen,
muß es einen doch verwundern, daß Herr Köhler es vergessen
hat, diese direkter anzusprechen und daran zu erinnern, daß es bereits
eine große Steuerreform unter der RotGrünen Regierung gegeben
hat, die Spitzenverdiener und Mittelstand um 50 Milliarden (damals noch)
DMark entlastet hat, nicht aber dazu führte, daß mehr Jobs
entstanden sind oder das Outsorcing gestoppt worden wäre.
Es ist gut, daß der Präsident die Lohnzurückhaltung der
Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren gelobt hat, denn dies
könnte die Gewerkschaftvertreter, die leider viel zu oft in den
Aufsichtsräten der Großunternehmen sitzen, die hier im Lande gar
keine Steuern mehr zahlen, daran erinnern, wessen Interessen sie eigentlich zu
vertreten haben und ob sich Zurückhaltung in der Tarifpolitik lohnt, wenn
doch stets immer mehr Stellen abgebaut werden, obwohl die Unternehmensgewinne
gestiegen sind, Managergehälter und Abfindungen in astronomische
Höhen geklettert sind und die Auszahlung von Dividenden an die
Aktionäre Vorrang vor der Sicherung von Arbeitsplätzen hat. Es wird
zunehmend schwierig werden, dies den HartzIV Opfern, Arbeitnehmern und
Rentnern zu erklären. Das Agieren sämtlicher relevanter Parteien ist
jedenfalls nicht geeignet, der Politikverdrossenheit der Menschen in
Deutschland erfolgreich zu begegnen.
Die Tatsache, daß es der Bundesregierung gelungen zu sein scheint, in
Brüssel dafür zu sorgen, daß die besonderen Probleme
Deutschlands mit den Kosten der Wiedervereinigung sowie die Nettobeiträge
zur EUKasse bei zukünftigen Überschreitungen der
DreiProzent Defizitgrenze Berücksichtigung finden, hat ein ziemlich
geteiltes Echo erfahren:
Auch die internationale Presse ist, wie die immer ausgewogene Auswahl des
Deutschlandfunks
zeigt, gespalten. Insbesondere die Zeitungen aus den neuen
Mitgliedsländern stehen den von den großen und alten
Mitgliedsländern (und Defizitsündern) Frankreich und Deutschland
durchgesetzten Änderungen kritisch gegenüber:
Die Schweizer legen nach! Diesmal zur revidierten Dienstleistungsrichtlinie.
Auch heute wird die
NEUE ZÜRICHER ZEITUNG
von der
Presseschau des Deutschlandfunks
zitiert. Man achte auf die Einschätzung des DLFRedakteurs zum
Gemütszustand des schweizer Kommentators:
Zwei interessante Veröffentlichungen sind es, die ich heute besprechen
will. Zum einen ist es ein Abschnitt aus
Umberto Ecos
Roman
Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana,
der im
NEW YORKER
veröffentlicht worden ist, zum zweiten ein Essay von Salman Rushdie in
der heutigen Ausgabe der
ZEIT.
Ecos neuen Roman habe ich noch nicht gelesen, aber in der
FAZRezension
ist dazu zu lesen, daß es um einen Antiquar geht, der infolge eines
Schlaganfalls oder einer anderen Erkrankung sein Gedächtnis verloren hat
und nun versucht, sein bisheriges Leben zu rekonstruieren:
Was mich zum zweiten Text bringt. Salman Rushdies Essay in der heutigen
ZEIT
wendet sich gegen die Zunahme des Gewichts politischer Religiosität in den
letzten Jahren und insbesondere seit der Wiederwahl George Bushs:
Gleichwohl behaupten die Religionen nach wie vor, einen besonderen Zugang zu
ethischen Wahrheiten zu haben und folglich eine besondere Behandlung und
besonderen Schutz zu verdienen. Sie verlassen den Bereich des Privaten, in den
sie gehören (wie viele andere Dinge, die akzeptabel sind, wenn sie im
Privaten und im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Erwachsenen passieren,
nicht jedoch, wenn sie in der Öffentlichkeit passieren), und streben nach
Macht. Das Heraufkommen des radikalen Islams braucht hier nicht beschrieben zu
werden, viel bedeutsamer ist das Wiedererstarken von Religiosität.
(
) In Europa verstand sich die Aufklärung als eine Gegenbewegung,
die die Fesseln der Religion abschütteln wollte. In Amerika war es eine
Bewegung, die sich der religiösen Freiheit in der Neuen Welt zuwandte
ein Weg zu mehr statt weniger Religiosität. Heute erschrecken viele
Europäer über die amerikanische Mischung aus Religion und
Nationalismus. (
) Victor Hugo schrieb: »In jedem Dorf gibt es eine
Fackel, den Lehrer, und jemanden, der dieses Licht löscht, den
Pfarrer.« Wir brauchen mehr Lehrer und weniger Pfarrer, denn, wie James
Joyce einmal sagte: »Für die Kirche gibt es keine schlimmere
Häresie oder Philosophie als den Menschen.« Aber das beste Argument
für säkulares Denken stammt vielleicht von der großen
amerikanischen Anwältin Clarence Darrow: »Ich glaube nicht an Gott,
weil ich nicht an Kindergeschichten glaube.«"
"Victor Hugo wrote, There is in every village a torch: the schoolmaster
and an extinguisher: the parson. We need more teachers and fewer
priests in our lives because, as James Joyce once said, There is no
heresy or no philosophy which is so abhorrent to the church as a human
being. But perhaps the great American lawyer Clarence Darrow put the
secularist argument best of all. I dont believe in God, he
said, because I dont believe in Mother Goose."
The Trouble with Religion
Wherever Religions get into
Societys Driving Seat, Tyranny Results. By Salman Rushdie. Original im
Telegraph
aus Calcutta (Sunday, March 20, 2005).
comments are appreciated © Otto Sell März 2005 |