Ottos Weblog Dezember 2004

Index
2004: Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November
2005: Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
2006: Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober

Sunday, 05Monday, 06Tuesday, 07Saturday, 11Monday, 13Sunday, 19


Sunday, December 05, 2004

Es wurde aber auch einmal Zeit, daß endlich einmal jemand meinen Gefühlen Weihnachten gegenüber den angemessenen Ausdruck verleiht. Maureen Dowd, ohnedies meine Lieblingskommentatorin von der NEW YORK TIMES, hat es auf sich genommen, sich als Weihnachtsmuffel zu outen und das finde ich doch sehr sympathisch:

If I hear "Frosty the Snowman" one more time, I’ll rip his frozen face off. It’s a scientific fact, or should be, that Christmas music can turn you into a fruitcake. It either sends you into a Pavlovian shopping trance, buying stupid things like the Robosapien, or, if you hear repeated Clockwork-Orange choruses of "Ring, Christmas Bells" drilling into your brain with that slasher-movie staccato, makes you feel as possessed with Christmas spirit as Norman Bates.

I’ve never said this out loud before, but I can’t stand Christmas.

Everyone in my family loves it except me, and they can’t fathom why I get the mullygrubs, as a Southern friend of mine used to call a low-level depression, from Thanksgiving straight through New Year.
Maureen Dowd: Jingle Bell Schlock

Monday, December 06, 2004

Ungeheuerliches wird aus den Niederlanden berichtet, wo man, so der SPIEGEL, den Memoiren von Frits Hoekstra, des ehemaligen Leiters der "niederländischen Gegenspionage in der Tschechoslowakei und der DDR" entnehmen kann, daß die MLPN, die Marxistisch-Leninistische Partei der Niederlande, lediglich eine Tarnorganisation des niederländischen Geheimdienstes BVD war. Der Originalartikel ist am 3. Dezember im "Wall Street Journal" erschienen, jetzt aber nur noch Abonnenten zugänglich. Auf der Webseite der Australian Libertarian Society sind einige, so der Poster Jason Soon, heitere "bits" zu lesen. Danach hatte Pieter Bové alias Chris Petersen (sein Agentenname) besten Kontakt zur chinesischen und albanischen Führung und genoß vor allem die gute chinesische Küche auf seinen wiederholten Reisen nach China, auf denen er Erkenntnisse sammelte, die er nicht nur mit seinem Dienstherrn, sondern auch mit der CIA teilte:

Von Anfang der sechziger bis weit in die achtziger Jahre hinein reiste der lügende Holländer 25-mal nach Peking. Im Laufe der Jahre konnte er sich ein dichtes Netz von Freunden und Informanten aufbauen. Die als hausbacken beleumundeten holländischen Dienste wussten deshalb über Vorgänge, vor allem über Säuberungen innerhalb der Pekinger Nomenklatura, meist besser Bescheid als CIA, MI6 und BND. Erich Wiedemann: Operation Roter Hering

Besonders schlimm sind so späte Enthüllungen natürlich für ehemalige Mitglieder, die wirklich an die revolutionären Überzeugungen ihre Vorsitzenden glaubten. So wie Paul Wartena, der jahrelang 20 Prozent seines Einkommens der Partei gespendet hat und jetzt dieses Geld vom Geheimdienst zurückverlangt:
"I totally wasted 12 years of my life," says Paul Wartena, an ex- MLPN member who was so dedicated to the cause he used to donate 20% of his salary to the fake party. He says he "had some doubts now and then" about the MLPN but stayed loyal because "I was very naive and Mr. Boeve was such a good actor." Now a researcher at a university in Utrecht, Mr. Wartena wants Dutch intelligence to pay him back for all his donations.
Mr. Boeve, now 74, scoffs at his acolyte: "He was an idiot."

Jason Soon: Communist for Dutch intelligence

Tuesday, December 07, 2004

Record of a shooting
Watchtower
'It’s a little girl. She’s running defensively eastward'
Operations room
'Are we talking about a girl under the age of 10?'
Watchtower
'A girl of about 10, she’s behind the embankment, scared to death'
Captain R (after killing the girl)
'Anything moving in the zone, even a three-year-old, needs to be killed'

Israeli Officer: I was Right to Shoot 13-year-old Child — Chris McGreal in Jerusalem, Wednesday November 24, 2004

Saturday, December 11, 2004

Zu obigem Thema gibt es einen sehr guten Kommentar von dem Historiker Dan Diner in der heutigen WELT, aus dem ich ausgiebig zitieren möchte, denn besser kann man es kaum ausdrücken:

Zwischen Realismus und Ressentiment
Was hat der israelisch- palästinensische Konflikt mit Antisemitismus zu tun?

Der Holocaust macht den Juden gegenüber verlegen. Und verlegen ist auch die Rede über den jüdischen Staat. Wie steht es also um die allenthalben in den Modus von Kritik gefaßte Erregung über Israel in seinem Handeln den Palästinensern gegenüber? Hat sie von vornherein als antisemitisch oder - bitteschön - nur als antisemitisierend zu gelten, wenn die für Urteilskraft gehaltene Meinung über Juden öffentliche Sprache und Stimme für sich reklamiert? (…)
Was macht den Konflikt zwischen israelischen Juden und arabischen Palästinensern so wenig kompromißfähig? Handelt es sich nicht um einen Gegensatz zwischen Volk und Volk, Nation und Nation, der durch Vernunft und Einsicht in die realen Verhältnisse und im Sinne eines Kompromisses auf territorialer Grundlage und in Form zweier Staaten gütlich bereinigt werden könnte? Ein solcher Kompromiß ist in der Tat wünschenswert; und anzustreben wäre er allemal. Dennoch wird er ständig und immer wieder von einer dem Konflikt eigenen Asymmetrie in Demographie und in Legitimität hintertrieben. (…)
Die bis zur Staatsgründung erfolgte Praxis der Aneignung des Landes findet sich durch das Geschehen des Holocaust im Nachhinein gerechtfertigt. Die 1948/49 gezogenen Linien wären so gesehen durch Auschwitz legitimierte Grenzen. Der an den Juden verübte ultimative Genozid zöge auch die Rechtfertigung einer Drohung mit der ultimativen Waffe nach sich. Eine solche Legitimität fände freilich an den Grenzen von Auschwitz ihren Halt. An dieser moralischen Sperre entlang zeichnet sich die Bruchlinie einer verdeckten, die Gefahr des Bürgerkrieges heraufbeschwörenden Spaltung der israelischen Gesellschaft ab. Und wie die Latenz des Bürgerkrieges in Israel an der Frage der Siedlung jenseits der "grünen Linie" heraufbeschworen wird, stellt sie sich bei den Palästinensern hinsichtlich der Frage eines zu beanspruchenden oder zu verwirkenden "Rechts auf Rückkehr". Die konflikthaften Verspannungen innerhalb beider Gemeinschaften, der israelischen wie der palästinensischen, aber auch zwischen beiden Bevölkerungsgruppen untereinander, bilden sich anhand der sich gegenseitig verstärkender Fragen von Demographie wie von Legitimität ab. Deshalb ist es um die Kompromißfähigkeit des Konfliktes im Prinzip schlecht bestellt.
Nicht nur um den Konflikt ist es schlecht bestellt, sondern auch um die Rede über den Konflikt. Und dies, weil die Rede, vor allem die bisweilen antisemitisch oder antisemitisierend aufgeladene Rede, belastend und verschärfend auf das ohnehin heillos verfahrene Geschehen einwirkt. Die Beteiligung von Juden an einem dergestalt kompromißlos verfaßten Konflikt führt allen Anschein dazu, daß der des Holocaust wegen traditionell antijüdische Empfindungen ruhig stellende Sarkophag Risse aufzeigt, die Realität des Konflikts sich mit auslaufenden Ressentiments mischt. Etwa im muslimischen Kulturbereich, wo sich noch mehr als im Westen als der säkularisierten Christenheit ein traditionell tief sitzendes Unbehagen regt, Waffen tragende Juden hinzunehmen. (…)
In arabischen wie muslimischen Ländern gehört die Vorstellung von der Verschwörung gleichsam zur politischen Kultur. Das hat in diesen Gemeinwesen seine guten beziehungsweise weniger guten Gründe in den an höfische Kabale und Ränke erinnernden Umständen von Machterwerb und Machterhalt. Diese Vorstellungen verschmelzen mit solchen, die dem klassischen antisemitischen Arsenal entnommen werden. Schließlich will es nicht einleuchten, daß die als schmerzhaft empfundene Überlegenheit Israels mit rechten Dingen zugehe. Zudem werden in Zeiten der Globalisierung dem weltumspannend agierenden und in englischer Zunge sprechenden Kapital jüdische Züge zugeschrieben.
Was also tun angesichts jener in der Tat vertrackten Verschränkung zwischen einem realen und seinem Charakter nach wenig kompromißfähigen Konflikt und einem alt-neuen Ressentiment — zwischen der leidigen Palästina-Frage und der Frage des Antisemitismus? Auseinanderhalten, was auseinander gehört. Praktisch hieße das: gegen den Antisemitismus vorgehen, als sei der israelisch-palästinensische, arabisch-jüdische Konflikt nicht - und alles unternehmen, um jenen Konflikt einem guten Ende zuzuführen, so, als sei der Antisemitismus nicht.
In einer solchen wenig anheimelnden Lage mag folgende erkenntnistheoretisch anmutende Aussage Trost spenden: daß nämlich das, was theoretisch richtig ist, praktisch durchaus falsch sein kann; und daß man gut beraten wäre, die wohl kaum in der Mitte liegende Wahrheit eben gerade dort liegen zu lassen.
Dan Diner: Zwischen Realismus und Ressentiment

Monday, December 13, 2004

Wahrscheinlich ebenso in der Mitte liegen dürfte die Wahrheit, ob die Europäische Union mit einer Aufnahme der Türkei überlastet wäre oder nicht. Nach der schnellen Aufnahme aller jener osteuropäischer Länder, die auch nichts anderes als wirtschaftliche Vorteile wollten (und wollen), nachdem sie der sowjetischen Knute entronnen sind, soll jetzt der einzige Aufnahmekandidat, dem man die Aufnahme seit vierzig Jahren versprochen hat, der seit ewigen Zeiten NATO–Mitglied ist, draußen vor der Tür bleiben; die Türkei.

Die Argumente der CDU/CSU sind weniger konservativ als viel mehr rassistisch, eine merkwürdige christliche Wertegemeinschaft, die ihre eigenen Werte vergessen hat. Der mehr als dämliche (eigentlich war er schon immer peinlich) CDU–Pastor Peter Hintze nennt die Frage gar eine "Schicksalsfrage" und ich frage mich dann , was so ein christlicher Fundamentalist als Führungskader in einer politischen Partei zu suchen hat. Wohin das führt, sehen wir doch im Iran oder in den USA, wo religiöser Fundamentalismus die Menschen mit einfach gestrickten Antworten verführt. CSU–Parteichef Stoiber will mit dem Thema gar in den Bundestagswahlkampf 2006 ziehen — wohl dem, der keine anderen politischen Sorgen und vor allem, keine Alternativen zur gegenwärtigen Regierungspolitik hat.

Ein wohltuender Kommentar ist von dem schweizer Schriftsteller Adolf Muschg in der NZZ zu lesen, wo es eingangs heißt:

Die Europa der altgriechischen Sage war eine phönikische Königstochter, die mit ihren Gespielinnen in der Gegend des heutigen Gazastreifens Blumen pflückte, als Zeus sie in Stiergestalt entführte und über das östliche Mittelmeer nach Kreta trug. Europa ist keine Europäerin — damit fängt unsere Geschichte an. Selbst die Schrift, in der wir der Sage ihres Ursprungs begegnet sind - ich damals in der jugendfreien Version von Gustav Schwabs «Sagen des klassischen Altertums» —, ist phönizischen Ursprungs. Demnach ist schon das Alphabet, in dem ich mein Thema buchstabiere, die Leihgabe einer fremden Kultur. Aber: Was heisst hier fremd? Europa ist — überspitzt gesagt — kein europäisches, jedenfalls nie ein nur europäisches Thema. Ich hoffe, dass es dabei bleibt. Was ist europäisch? Die Entstehung Europas aus dem Geist der Tragödie

Aus Muschg’ Text wird klar, daß unsere Definitionen immer willkürlich und durch den Kontext, dem sie entspringen, begrenzt sind. Die Kontexte aber sind unendlich, das sollte man nicht vergessen. Ich finde seine Lesart, den athenischen Kontext einmal auf unsere aktuelle Situation anzuwenden, sehr geschickt.

Wie viele der PISA–Kids kennen eigentlich den Ursprung des Namens unseres Kontinents — und wie viele von ihnen lesen die "Neue Züricher Zeitung" — so daß man sich fragt, ob das löbliche Unterfangen des Herrn Muschg nichts ins Leere geht und nur die ohnehin davon Überzeugten (wie mich) erfreut, daß die deutsche Opposition politisch gesehen das Letzte ist und auf gar keinen Fall an die Regierung kommen darf. Angesichts der Tatsache, daß eine Mehrzahl der deutschen Wähler gegen einen Beitritt der Türkei zur EU ist (aber das ist in Frankreich und anderen Ländern auch so), ist es nur gut, daß wir keine Volksabstimmung zu dem Thema haben werden. Ich finde, das "hässliche," rassistische Deutschland zeigt schon wieder genug sein Gesicht. Da bedarf es nicht auch noch der politischen Elite dieses Landes, die auch noch diese Klischees bedient, nur weil sie meint, an den Stammtischen Stimmen holen zu können, wenn sie schon nicht imstande ist, politische Konzepte zu entwickeln, um mit den Folgen von Globalisierung und EU–Erweiterung fertig zu werden. Das "Projekt Multikulti" für gescheitert zu erklären, als ob es ein solches Projekt als politische Agenda jemals gegeben hätte, ist nur ein Schlagwort ohne echten Inhalt, denn der findet sich in den Verträgen der Europäischen Union, und dort ist die Freizügigkeit der Bewohner aller Mitgliedstaaten nun einmal festgeschrieben. Irgendwie weiß ich nicht, wie da die christliche Wertegemeinschaft hineinpaßt:

zugleich bin ich dankbar, dass die Europäische Union auf fromme Wünsche nicht angewiesen ist. Ihre reale Verfassung ist weiter als die geschriebene, mit der Europa nicht mehr steht und fällt; es ist für seine Bürger, wie sie auch dazu stehen mögen, auch diejenigen meines eigenen Landes, Teil ihrer Realität geworden, mit der sie nicht nur — zum ersten Mal in einer gemeinsamen Währung — täglich rechnen, in der sie auch leben. Sie haben vielleicht weniger europäische Identität nötig, als ihnen Politiker in wohlgemeinten Festreden glauben ans Herz legen oder — wie in meinem Land — ausreden zu müssen. Sie scheinen diese Identität auch nicht eben brennend zu vermissen, und die Intellektuellen weigern sich fast durch die Bank einigermassen standhaft, sie ihnen nachzuliefern. Leider bleiben sie Europa auch den Widerspruch schuldig, mit dem ihm eher gedient wäre. Man mag auch beklagen, dass der europäische Diskurs, soweit er diesen Namen verdient, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, die ihn auch nicht eben stürmisch anmahnt. «Brüssel» ist kein Ort, der die Phantasie beflügelt. Es scheint sich hauptsächlich als Zentralbehörde des Wettbewerbs um jeden Preis zu verstehen, als Vatikan regulierter Deregulation. Was durch verschlossene Türen dringt, klingt eher technokratisch als politisch und — im Sinne des klassischen Athen — ziemlich banausenhaft.
Aber Muschg mahnt auch an, die Chancen einer kulturellen europäischen Identität nicht zu vergessen, die, in seinen Worten, schon wieder ein Plädoyer für die kulturelle Vielfalt unter einem einigenden Dach sind und deren Verwirklichung über Europa hinaus eine politische Wirkung haben würde:
Europa wird ein kulturelles Projekt, oder es wird sich auch politisch nicht halten lassen. Die wirtschaftliche Logik vermag keine der Kräfte frei zu machen, die eine Kohäsion jenseits der Prosperität und auch ohne sie, ja sogar im Notfall sichern. Ich betrachte Europa als exemplarischen Testfall, ob es einer national und regional fundierten, aber auch entsprechend geteilten Gesellschaft gelingen kann, eine gemeinschaftlich bestimmte Grösse zu entwickeln, die der planetarischen Gesellschaft den Beweis ihrer Möglichkeit liefert. Die marktwirtschaftliche Globalisierung ist ein starker Motor, aber er kennt keine Bremsen und ist, in seiner moralischen Neutralität, steuerlos. Das Regulativ dazu sind Werte, die der Markt nicht so selbstverständlich erzeugt, wie sich Adam Smith, der Kirchenvater des Liberalismus, träumen liess, als er dem Überfluss des gesunden Egoismus die Produktion seines eigenen Korrektivs zutraute. Das Soziale ist leider keine erfreuliche — und schon gar keine automatische — Nebenwirkung des unbeschränkten Wettbewerbs. Als darwinistisches Prinzip neigt er eher dazu, die Grundlagen des Sozialen zu zerstören und den Gerechtigkeitssinn zu entwerten, denn dieser kann die Gesellschaft etwas kosten. Als die athenische Demokratie diesen Preis nicht mehr zahlen konnte und wollte, war sie verloren.
Und wo ich zustimme, ist seine letzte Schlußfolgerung, daß es durchaus sein könne, daß das Projekt Europa, das Projekt der Aufklärung letztendlich scheitern könnte, wenn es in Gestalt eben dieses kulturbildenden Projekts Europa nicht erfolgreich ist:
Europa, das bedeutet die Einrichtung eines Bündnisses, das einerseits nicht exklusiv, anderseits auch nicht beliebig ist. Auf dem Papier — noch einmal — ist das die Quadratur des Zirkels. In der Praxis — nur in der Praxis, aber einer von einem hohen kulturellen Bewusstsein getragenen, von der eigenen Geschichte geleiteten Praxis — scheint es möglich, zum ersten Mal. Und es verdient wahrlich so behandelt zu werden, als wäre es auch das letzte Mal; denn das könnte es sein, wenn es diesmal nicht gelingt.
Ein Scheitern, so heißt es doch so schön auf neudeutsch, ist keine Option.

Der Hinweis darauf, daß die Europäische Union (aus der Sicht des schweitzer Weltbürgers Muschg) einmal zum Beispiel für eine Weltregierung werden könnte, die diesen Namen auch verdient, führt mich zum zweiten Thema, das mich gedanklich in diesen Tagen beschäftigt hat: die Schelte und Kritik, die Bundeskanzler Schröder für seine Forderung nach einem Vetorecht für alle möglichen neuen Mitglieder des Weltsicherheitsrates einstecken mußte.

Dabei ist klar, daß eine solche geplante Restrukturierung, die angesichts der neuen Weltlage angemessen erscheint, nur Sinn macht, wenn das Vetorecht der fünf "Siegerstaaten" des Zweiten Weltkrieges, jenes schlimme Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges, entweder verschwindet oder aber zumindest auf die neuen zu wählenden ständigen Mitglieder des Rates auszudehnen ist, wenn die UNO die Legitimation erhalten soll, die ihr eigentlich zusteht. Insofern möchte ich Schröders Vorstoß eher als Anstoß zu einer Diskussion über dieses Vetorecht der Großen Fünf verstanden wissen, nicht so sehr als ernstzunehmenden Versuch, dieses Recht noch auf weitere Staaten auszudehnen. Eigentlich sollte das Vetorecht als zur Disposition stehend begriffen werden, damit die Weltgemeinschaft nicht länger als durch jeweils Einen der Großen Fünf erpressbar dasteht. Wenn diese sich aber weigern, ihr Vetorecht zugunsten eines Systems der Mehrheiten aufzugeben, sollte es aber ausgedehnt werden, um eine größere Meinungsvielfalt zu gewährleisten. Außerdem müßte jeder, der sein Vetorecht ausübt, in erhöhtem Maße damit rechnen, daß eigene Vorschläge oder Resolutionsentwürfe auch einmal einem Veto eines anderen Mitgliedes zum Opfer fallen könnten, was dazu führen könnte, das die Staaten entsprechend vorsichtig mit dem Instrument umgehen würden.

Monday, Sunday, December 19, 2004

Manchmal, aber nur manchmal…

Eigentlich habe ich ja nichts dagegen, wenn sich Politiker Gedanken um das Gemeinwesen machen. Ist ja irgendwie auch ihre Aufgabe. Was mich nur schon oft gestört hat, ist das Unzeitgemäße, unter dem so mancher gut gemeinte Vorschlag das Licht der Welt erblickt.

Als sich die Ganneffs CDU/CSU vor über einem Jahrzehnt aufmachten, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem im Lande den Garaus zu machen, weil sie es zum einen als linkslastig betrachteten und weil zum anderen viel zu viel Geld mit den zahlreichen in München angesiedelten schönen neuen Privatsendern zu machen war, haben sie wahrscheinlich gar nicht geahnt, wie erfolgreich ihre Doppelstrategie war, die öffentlich-rechtlichen finanziell dadurch ausbluten zu lassen, indem man ihnen sowohl die staatlichen Zuschüsse gekürzt wie auch die Möglichkeit eingeschränkt hat, Werbegelder zu erzielen.

Leider haben die öffentlich-rechtlichen Sender nicht in erster Linie mit Qualität, sondern ganz panikhaft mit der Kopie der schlechteren Form der TV–und Radiounterhaltung, die von den Privaten eingeführt worden ist, reagiert. Unter dem Stichwort der Jagd nach der Einschaltquote haben wir immer dämlicher werdende Nachmittagsshows, das sogenannte "Reality–TV, schlechtes Gerichtsfernsehen und Dauerwerbesendungen kennengelernt.

Im Radiobereich kann man private von öffentlich–rechtlichen Sendern beinahe noch weniger unterscheiden. Ausnahmen, wie der von mir hoch geschätzte Deutschlandfunk, bestätigen die Regel und sind im nächsten Jahr schon wieder von massiven Kürzungen betroffen.

Jetzt kommen die Mädels von Rot–Grün, Monika Griefahn & Antje Vollmer, mit dem Vorschlag daher, dem Radio vorzuschreiben, daß dreißig Prozent der gespielten Musikstücke deutschsprachig sein soll, und es hat immerhin zu einer Entschließung des Bundestages geführt, die privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunksender zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung aufzufordern:

Die Vorsitzende des Bundestags–Kulturausschusses, Monika Griefahn (SPD), verwies auf die Band Wir sind Helden, die im Radio kaum gespielt wurde, aber drei Echo-Preise erhalten habe und große Konzerthallen fülle.
Finde ich zwar nicht, denn "Denkmal" und "Reklamation" sind einfach gute Stücke, die meiner Ansicht nach auch hinreichend in den Sendern berücksichtigt worden sind. Ich würde "Wir sind Helden" gerade als Gegenbeispiel dafür anführen, daß es einer Deutschquote bedarf. Seht her, hier haben es deutsche Musiker geschafft, obwohl sie deutsch gesungen haben. Das viel größere Problem ist einfach der allgegenwärtige "Dudelfunk," dem man zwischen Autowerkstatt und Arztpraxis nirgends entgehen kann. Besser wird der mit deutschen Texten auch nicht, und ich wage zu bezweifeln, daß unsere Politikerinnen an den "Holzmichl" gedacht haben.

Besonders nett ist ja auch immer unsere Pastorin Antje Vollmer, deren warnender Zeigefinger den klagebereiten Privatsendern sicherlich Schauer den Rücken hinunter jagen wird:

Falls die sanfte Aufforderung des Bundestags keine Wirkung zeige, "werden wir über weitergehende Maßnahmen nachdenken müssen", betonte Vollmer in einer Presseerklärung nach der Sitzung. Das Parlament habe jetzt als "Frühwarnsystem" eingegriffen und komme damit den Forderungen vieler Künstler und breiter Bevölkerungsschichten nach. "Die Not muss also besonders groß sein."
Ich frage mich, welche Künstler welche Forderungen gestellt haben und anhand welcher Statistiken Frau Vollmer hier den "Volkswillen" zitiert. Wenn es um "Not" geht, könnte Frau Vollmer ja einmal damit beginnen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die mit dem Namen "Hartz IV" verbundenen sozialen Härten etwas abmildern könnte oder welche anderen Wahlversprechen Die Grünen alle nicht eingehalten haben. Was diese und was deutsche Texte allgemein angeht, sollte Frau Vollmer einmal Frau Roth fragen:

KEINE MACHT FÜR NIEMAND

Und was die "Mitnahmementalität" angeht, die Kanzler Schröder noch im September beklagt hat, so hat er damit sicherlich nicht den CDU–Generalsekretär Laurenz Meyer gemeint, der noch vor gut einem Monat das Scheitern der "Multi-Kulti-Gesellschaft von Rot-Grün" für gescheitert erklärt hat, wo er doch selbst kräftig dabei war, unser Land in eine Bananenrepublik zu verwandeln. Aber man kann nicht anders als zu konstatieren, daß Angela Merkel wirklich ihre Männer abhanden kommen, wie ja jüngst auch schon im Bundestag süffisant von Grünen-Fraktionschefin Christa Sager angemerkt worden ist:

Mit Spott reagierte Sager auf die personellen Änderungen in der Führung der Unions-Bundestagsfraktion. "Es ist nicht immer ein Unglück, wenn ein Mann einen verlässt", sagte Sager an die Adresse von CDU-Chefin Angela Merkel zum Rücktritt des CSU-Sozialpolitikers Horst Seehofer vom Amt des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mit Blick auf das Ausscheiden des Unions-Finanzexperten Friedrich Merz als Fraktionsvize fügte die Grünen-Politikerin hinzu: "Wenn es in so kurzer Zeit zwei Männer sind, sollte es einem doch zu denken geben." Merkel müsse aufpassen, dass sie nicht selbst ihre Ämter als CDU-Vorsitzende und Chefin der Union-Fraktion verliere. Im Fußball gelte die Regel: "Am Ende muss der Trainer gehen."
Nachdem George Bush nun einmal wiedergewählt worden ist, wäre eine Kanzlerin Angie im Jahre 2006 wohl auch eine zu harte Prüfung.

Search this site or the web powered by FreeFind

Site search Web search

Index Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November

No Responsibility for Links
comments are appreciated
© Otto Sell Dezember 2004

Douglas Adams John Barth Samuel Beckett John Bunyan William Gaddis I. Jefremow Wassily Kandinsky Douglas K. Lannark Stanislaw Lem Bert Brecht: Laotse David Mitchell Vladimir Nabokov Victor Pelewin Thomas Pynchon Salman Rushdie J. D. Salinger Neal Stephenson Laurence Sterne Arkadi und Boris Strugatzki William Carlos Williams Ludwig Wittgenstein Frank Zappa

WebLinks: Astro–Literatur Comics Downloads Esoterics Galerie Die Genesis Haikus Homepages Humor Jump Literatur Links Lyrics The Magazine of Fantasy and Science Fiction Die Milchstrasse Musik Links News Oldenburg@OL Philosophie Playlist Poesie Postmodernism Rebeccas Seite Science Fiction Short Stories Space Space Links Suchmaschinen Zeitarchiv Zitate Impressum Home Mail Gästebuch Seitenanfang

WEBCounter by GOWEB
created with Arachnophilia

Miro Web look at The Wayback Machine for dead links Windows Commander monitored by