Ottos Weblog Maerz 2006

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Monday, March 06, 2006

Eine sehr schöne Sache ist ja auch You Tube, wo man sich seine private Videosammlung anlegen, aber sich auch an den Videos erfreuen kann, die Andere ins Netz gestellt haben. Der Tip kommt von der Pynchon Liste — credits to Keith!

Ich habe mir erst einmal ein paar Musikvideos angeschaut, z.B. Captain Beefhearts I’m Gonna Booglarize You Baby aus dem Beat Club vom 24. Juni 1972 oder auch einiges von Zappa . Und Jimi Hendrix natürlich.

Donald Fagan ist zurück! Der Frontmann von Steely Dan legt eine schöne Soloplatte vor, die man sich (teilweise) über das Netz gestreamt auf der Webseite Fagans anhören kann.

Morph the Cat The Nightfly

Wednesday, March 08, 2006

Nun hat sich auch Tony Blair dahingehend geoutet, daß er glaubt, sich in seinem Handeln und seinen Entscheidungen auf Gott berufen zu können, wie Telepolis berichtet:

"Gefragt, wie er mit der Entscheidung zum Krieg lebe, sagte er, dass solche Entscheidungen getroffen werden müssen, mit denen man zu leben habe, aber dass es schließlich ein letztes Urteil darüber gibt: "Wenn man mit Glauben an solche Dinge herangeht, erkennt man, dass die Beurteilung durch andere Menschen geschieht. Und wenn man an Gott glaubt, dann wird sie auch von Gott gemacht." Aus der Perspektive eines Nichtreligiösen lässt sich aus solchen Berufungen auf Gott natürlich stets das Bemühen herauslesen, nicht alleine zur Verantwortung gezogen werden zu können. Handelt man im Auftrag Gottes oder Allahs, ist man eine Art göttliches Werkzeug oder ein göttlicher Gesandter, der letztlich die Konsequenzen auf eine andere Instanz mit ihrem unerforschlichen Willen abwälzen kann."
Florian Rötzer: Von Gott gerechtfertigte Kriegspolitik? (04.03.2006)
Regisseur, Schauspieler und Monty Python Mitglied Terry Jones hat sich diese Haltung einmal wortwörtlich zu eigen gemacht und läßt den Allmächtigen heute im Guardian zum Thema Tony Blair einmal selbst zu Wort kommen. Gott, so Jones, sei unglücklich über Blairs Versuche, ihn in sein Irak–Abenteuer hineinzuziehen. Mehr noch, denn wie aus "höheren Kreisen" zu vernehmen war, sei Gott aufgebracht und wütend über Blairs Versuche, ihn, den Schöpfer, für die Bombardierung Bagdads mitverantwortlich zu machen:
"If Tony Blair thinks his friendship with George W Bush is worth rubbing out a couple of hundred thousand Iraqi men, women and children, then that’s something he can talk over with me later," said God. "But when he starts publicly claiming that’s the way I do the arithmetic too, it’s time I put my foot down!" It is well known that God has a very big foot.
God: I’ve Lost Faith in Blair
Einer Quelle zufolge hatte der Erzengel Gabriel Tage allein damit zu tun, den Allmächtigen davon abzubringen, eine Krötenplage auf die Familie des Premierministers loszulassen. Auf den Einwand des Erzengels, daß Cherie Blair und die Kinder schließlich nicht für Tonys Entscheidungen verantwortlich gemacht werden könnten, habe Gott geantwortet:
"Blair says the Iraqis are lucky to have got bombed, so how can he complain if his family gets a few toads in the bath?"
Gott stört sich allgemein an der wachsenden Neigung von Politikern, ihn in ihre Geschäfte zu verwickeln. Schließlich hätte er nicht den US–Präsidenten gebraucht, um Saddam Hussein loszuwerden; er hätte ihm einfach eine Lungenentzündung schicken können:
According to Gabriel, God spake these words: "That George W Bush once had the nerve to say: 'God told me to go end the tyranny in Iraq, and I did.' Well, let me tell you I did no such thing! If I’d wanted to get rid of Saddam Hussein, I could have given him pneumonia. I didn’t need the president of the United States to send in hundreds of heavy bombers and thousands of missiles to destroy Iraq — even though I appreciate that Halliburton needed to fill its order books."
Was wäre, so Gott, wenn er herumlaufen und behaupten würde, daß Blair absolut mit dem Tsunami einverstanden gewesen sei, den er, Gott, letztes Jahr gesandt hatte!

Tuesday, March 21, 2006

Eigentlich ist heute Frühlingsanfang, nur ist davon in diesem Jahr noch nicht viel zu spüren. Nicht einmal der Kater hat wirklich Spaß draußen. Also vertreibt man sich die Zeit mit Literatur.

Die Pynchon–Liste, seit 1992 aktiv, ist nach wie vor kräftig in Schwung und auch wenn meine eigenen Beiträge ziemlich rar geworden sind (einfach aus Zeitgründen), lese ich die anderen Beiträge noch immer sehr gerne und nehme viele Anregungen mit. Vor allem die Links, die von den ziemlich Internet–erfahrenen Mitgliedern der Liste immer wieder gefunden werden, sind großartig.

So gibt es dieser Tage hervorragende Informationen zu dem Film V WIE VENDETTA auf der Liste. In der SPIEGEL–Rezension kommt der Film ja nicht so gut weg, zumal der Zeichner Alan Moore, dessen gleichnamiger Comic die Vorlage für den Film darstellt, mit dem Film nichts zu tun haben will:

"Auf der einen Seite ein eigentlich rechtschaffenes Volk, auf der andern eine Clique verführerischer Demagogen: An dieser Symmetrie ist so ziemlich alles schief. Dass Diktaturen nicht vom Himmel fallen, sondern in kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen entstehen, passt den Manichäern Andy und Larry Wachowski nicht ins Konzept. Lieber huldigen sie, wie auch in "Matrix", der naiven Idee vom schuldlosen Kollektiv, das ein Aggressor von außen zum falschen Leben im wahren zwingt."
Daniel Haas: Gesichtsverlust für Hollywood
Bei Alter Net kommt der Film viel besser weg. Hier wird der Film, dessen Held ein Terrorist ist, der sich gegen ein totalitäres Herrschaftssystem in Großbritannien (im Stile Orwells) zur Wehr setzt, als eine Art Abrechnung Hollywoods mit dem herrschenden Bush–Regime gesehen, der andere politische Filme wie "Unsere kleine Farm" aussehen läßt:
"‘V for Vendetta’ is a pro-revolutionary, action–adventure romp that makes other political films look like ‘Little House on the Prairie.’ (…) In perhaps the most glaring and controversial example of Hollywood’s refusal to toe the Bush party line, "Vendetta’s" hero is a terrorist — a violent rebel on a mission to destroy his corrupt government in a blaze of explosives. Is this irresponsible? Does it glamorize terrorism? Perhaps. But for many progressives, whose anti–war protests have fallen on deaf ears and whose activism has been squashed by the powers–that–be, "V for Vendetta" should feel almost cathartic. (…) Above all, "Vendetta" should be enjoyed as the first true anarchist movie Hollywood has ever made. Film historians speak fondly of the paranoid cycle of American cinema in the 1960s and '70s ("The Manchurian Candidate," "Three Days of the Condor," "The Parallax View") or the countercultural anti–heroic outlaws of "Bonnie and Clyde" and "Badlands," but nowhere in mainstream U.S. cinema — and certainly not post–9/11 — has there been a pop–culture phenomenon that advocates not only overthrowing a corrupt government, but blowing it up. As the film’s tagline states, "People should not be afraid of their governments. Governments should be afraid of their people.""
Anthony Kaufman: Anarchism, Hollywood–Style
Der Comic "V wie Vendetta" war vor fünfundzwanzig Jahren eine Reaktion des britischen Künstlers Moore auf den Thatcherismus, und so verwundert es nicht, daß die Filmemacher Andy and Larry Wachowski ("Matrix") mit diesem Film nach Washington schauen:
"Twenty-five years ago, Moore and artist Lloyd were responding to the Thatcher government and the populace that continued to elect it. Here, producer/screenwriters Andy and Larry Wachowski and director John McTeigue (…) are clearly thinking about the Bush administration, 9/11 and the PATRIOT Act. At one point, we glimpse a poster for “The Coalition of the Willing” with a swastika on it. The vocabulary, the techniques, the spin — all suggest the Bush/Cheney regime taken to its logical extreme. When the story brings up the possibility that the Sutlerites created the plague as a pretense for establishing ironfisted control, is it possible to avoid thinking of the darkest notions some people entertained after 9/11?" (…) Ironically, it’s a beautiful endorsement of capitalism that “V for Vendetta” is being released by Warner, part of an empire that has contributed financially to the growth of the ultra–rightwing movement. (…) “A capitalist,” I was once told, “will eagerly sell you the rope with which to hang him.”
Andy Klein: The phantom of the apparat

Wednesday, March 29, 2006

Das Katastrophenprinzip

Stanislaw Lem — 12. September 1921 (Lemberg) — 27. März 2006 (Krakau)

Lem: Ich war sogar schon einmal klinisch tot vor zwei Jahren.
Frage: Wie das?
Lem: Ich bin einfach umgekippt, weil ich damals noch nichts von meiner Alters–Diabetes wußte und zu viel Süßes gegessen hatte. Die Folgen waren eine schwere Kopfwunde, eineinhalb Liter Blutverlust und schließlich einige Stunden Koma. Und was soll ich sagen? Es war ein sehr angenehmer Zustand; ein Zustand der vollkommenen Leere. Seit diesem Ereignis weiß ich jedenfalls, daß uns nach dem Tod nichts erwartet. Ein absolutes Garnichts.
Frage: In Bezug auf Ihre Person kommt man um eine generelle Diagnose schwerlich herum: die Wandlung vom SciFi–Visionär zum Fortschrittskritiker und –zweifler.
Lem: Das stimmt, ja. Weil sich ein absolut gesetzter Fortschritt in Regreß verwandelt. Auf allen möglichen Ebenen — ethisch, technisch, politisch. Sie als Einzelner können so viel schreien, wie Sie wollen. Sie werden nicht einmal gehört. Nichts können Sie mehr ausrichten!

Intelligenz ist im Grunde ihres Wesens ungesund — Ein letztes Gespräch mit Stanislaw Lem über das Altern, den Tod, das literarische Lebenswerk und den Fortschritt von Patrick Grossmann, DIE WELT, 29. März 2006.
Kennen Sie Phantolemchen oder Kamikätzchen? Nein? Kein Wunder! Denn es gibt sie schon lange nicht mehr. Trurl, der Erfinder, baute einst eine Maschine, die alles herstellen konnte, was mit dem Buchstaben N begann. Seither gibt es Nonsens, Nekrophilie, Niedertracht und vieles mehr. Sein neidischer Kollege Klapauzius aber wollte die Maschine auf die Probe stellen. Er befahl ihr: "Maschine, schaffe Nichts!" Und die Maschine machte sich ans Werk, erzeugte das Nichts und beseitigte Schritt für Schritt die Niedertracht, den Nonsens, die Nekrophilie, aber auch die Phantolemchen und die Kamikätzchen. Bald ahnten Trurl und Klapauzius, dass es das Ende der Welt bedeuten würde, wenn sie die Maschine nicht stoppten. Als sie ihr Einhalt geboten hatten, wünschte sich Klapauzius die Phantolemchen wieder, aber die Maschine erwiderte, sie könne sie nicht zurückbringen, weil sie ja nur Dinge erzeugen könne, die mit einem N begannen. Nonsens, Nekrophilie und Niedertracht gibt es seither wieder, Kamikätzchen und Phantolemchen sind für immer verschwunden. Es sind auch kleine Geschichten wie diese mit dem Titel "Wie die Welt noch einmal davonkam", die neben seinen bekannten Romanen die Einzigartigkeit des Werkes von Stanislaw Lem ausmachen.
Kein Kamikätzchen mehr — von Stefan Wirner, taz vom 29.3.2006.
Wie hat er das nur gemacht? Jedes Werk von Lem erstaunt seine Leser immer wieder durch diese eigenwillige und unverwechselbare Transformation der wissenschaftlichen Avantgarde in ein schriftstellerisches Produkt, in dem sich kreuzen und überlagern: die Wissenschaft, die Philosophie, die Literatur, das Entwerfen von kühnen Hypothesen, hochspekulative Phantasien und ein Riecher für Entwicklungstendenzen, die nicht realisiert werden müssen (Lem ist kein Futurologe), aber verwirklicht werden können. Und man muss Lem zugestehen, dass es ihm dabei oft auch gelungen ist, Wirklichkeiten zu antizipieren, die von seinen wissenschaftliche Kollegen nur mit spöttischem Lächeln zur Kenntnis genommen worden sind. Man denke nur an Gentechnologie, Neurobionik, Cyborgisierung, Künstliche Intelligenz, vor allem aber an die virtuellen Simulationsmechanismen, die Lem bereits 1964 in seiner Summa technologiae als "Phantomatik" und "Phantomatologie" skizziert und durchdacht hat.

Das "System Lem" arbeitete realistisch und phantastisch, befreit aus den Fesseln durch Tatsachen, aber orientiert an den neuesten Forschungsprogrammen. Es verortete sich im Kältestrom einer äußerst klaren Rationalität, aber überließ sich zugleich dem Flug im Wärmestrom der Phantasie. Deshalb musste es für all diejenigen eine Herausforderung bedeuten, die davon nur die eine Seite haben wollten und mit der anderen nichts anzufangen wussten. In der Literaturwissenschaft selbst seines Heimatlandes taucht der erfolgreichste polnische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts kaum auf, weil seine wissenschaftlichen Kenntnisse sich einer literarischen Würdigung entziehen; für viele Science-Fiction-Fans, die nur am Plot oder an technischen Erfindungen interessiert sind, wirken Lems philosophische Reflexionen störend; und für die meisten Naturwissenschaftler ist das Ganze vor allem ein literarisches Spiel, das nur parasitär am Wissenschaftsprozess teilnimmt.
Sich selbst ein Rätsel: Zum Tode von Stanislaw Lem — von Manfred Geier, Frankfurter Rundschau online 29.03.2006.

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