Ottos Weblog Januar 2006

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Tuesday, January 03, 2006

pluralis kindergaertneriniensis

Die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin ist ja nicht gerade einhellig positiv bewertet worden. Am meisten hat wohl der tantenhafte Ton gestört, mit dem Merkel uns weissmachen will, dass wir nur "wollen" müssen, damit "es" geht. Kein Wort jedoch darüber, wie sie es bewerkstelligen will, dass bestens verdienende Unternehmen weiterhin Jobs ins Ausland verlagern, um noch mehr Steuern zu sparen, die sie hierzulande eh’ kaum noch bezahlen. Torsten Harmsen in der Berliner Zeitung glaubt gar den alten DDR–Ton wiederzuentdecken:

Das wirklich Neue an der Rede Merkels ist der Ton. Er entspricht weder dem staatsmännischen Aufruf Kennedys, noch der bemüht pathetischen Werbelyrik der Jung–von–Matt-Kampagne "Du bist Deutschland" mit ihren unfreiwillig komischen Bildern: "Schlag mit deinen Flügeln und reiß Bäume aus. Du bist die Flügel, du bist der Baum. Du bist Deutschland."
Nein, Angela Merkel bringt einen längst vergessen geglaubten Stil in die bundesdeutsche Politik: und zwar mit der offiziellen Sprache der DDR, in der sie einst sozialisiert wurde. Sie kann nicht anders. Und es ist fast ein Witz, dass 15 Jahre nach dem Ende der DDR deren Stil nun auf höchster Ebene munter fortlebt — unter vollkommen gewandelten Verhältnissen.
Schon, wie sich Angela Merkel an die Bürger wendet: "Was kann man alles in einem Jahr erreichen? Es ist eine ganze Menge! Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend das Ziel setzen, im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen?" Das klingt nach Lernkonferenz in der Pioniergruppe, aber auch — für die Großen — nach dem Honecker-Slogan: "Das Erreichte ist nicht das Erreichbare".
"Sie werden sehen", setzt Merkel fort, "wie viel Freude es macht, wenn man Schritt für Schritt voran geht. Das kann jeder von uns zu Hause, in der Familie, mit Kindern, in der Schule, am Arbeitsplatz, mit Kranken, mit Behinderten, mit bei uns lebenden Ausländern, in Vereinen, in Selbsthilfegruppen, in Bürgerinitiativen, in Kirchen und vielem mehr". Das erinnert sehr an den Stil, mit dem einst die DDR-Zeitungen propagierten, dass jeder an seinem Platz etwas für die Gesellschaft tun könne: in der Schule, Betrieb, im Kollektiv, in der Neuererbewegung oder im Wohngebiet beim Kampf um die "Goldene Hausnummer".

Arbeite mit, plane mit, regiere mit
Das ist schon böse, gell?

Dem Telepolis Artikel Pandora macht’s möglich verdanke ich mein neustes Spielzeug, eine eigene Radiostation im Internet. Also, wer auf den folgenden Link klickt, kommt zu Otto’s Radio . Das kann man eine Weile hören, aber man wird schnell aufgefordert, sich (kostenlos) zu registrieren und doch schnell sein eigenes Radio zu schalten. Na denn los!
P.S. Eine Seite mit Favoriten gibts auch! Die wird mit der Zeit naturgemäß immer länger.

Thursday, January 05, 2006

Manchmal gibt es ja richtig nette Sachen im Netz, und so habe ich heute eine Seite mit wirklich schönen Unterwasser–Videos von Richard Maliszewski namens Dancing Fish entdeckt. Was mir am besten gefällt, ist jedoch die gelungene Hintergrundmusik bei den Videos. So gibt es bei dem Thailand–Video das phantastische "Bombay Calling" von der ersten LP der Band "It’s a Beautiful Day" (1969).

Sunday, January 08, 2006

"nur Nixon konnte nach China gehen"

Wie ich schon am Freitag, dem 4. März 2005 geschrieben habe, bedurfte es wohl eines beim "Gegner" absolut unbeliebten Poltikers wie Sharon, um die Belagerungsmentalität der Israelis ein wenig aufzubrechen, oder wie es heute im OBSERVER steht: er war einserseits der Einzige, dem sie zutrauten, den Konflikt zu lösen, andererseits aber auch derjenige, dem sie im Falle eines Scheiterns der Friedenbemühungen zutrauten, Israels Sicherheit zu garantieren:

"Most Israelis came to believe that Ariel Sharon was the only person able to solve the Palestinian conflict. Alternatively, if the conflict were to continue, he was the man they trusted to manage it in a manner that assured Israel’s stability and security." Henry Siegman: He never intended an equitable solution in Israel
Ob es nun stimmt, daß Sharon niemals eine gerechte Lösung im Sinn hatte oder nicht, seine Entscheidungen haben den wohl einzigen gangbaren Weg gewesen, der in Israel eine demokratische Mehrheit gefunden hat und hoffentlich auch in der Zukunft finden wird: Frieden gibt es nur im Austausch für Land. Es wäre ein großes Unglück, wenn in der Folge von Sharons erzwungenem Abtritt von der politischen Bühne wieder die alte Wagenburg–Mentalität in Israel um sich greifen würde.

Auf der anderer Seite muß die gewählte Palästinenserführung natürlich dringend die radikalen Vertreter ihres Volkes unter Kontrolle bekommen. Niemand wird von Israel erwarten können, Raketenabschussrampen an seinen Grenzen zu akzeptieren.

Tuesday, January 10, 2006

"Intelligent Design" ist nicht intelligent, sondern blöd!

Der Kreationismus (oder auch "Intelligent Design") ist

"eine religiös inspirierte Lehre, nach der die Vielfalt des Lebens nicht durch die Evolution, sondern nur durch das Wirken eines allmächtigen Schöpfers zu erklären ist." — Steve Jones in der ZEIT Nr.33 vom 11.08.2005.
Aufgekommen ist die Lehre dort, wo man nie ganz glücklich damit war, daß Gott durch die Naturwissenschaften und insbesondere durch Darwins Ursprung der Arten von seinem alleinigen Schöpferthron für diese Welt gestoßen worden ist, in den USA nämlich. Seit sich selbst Präsident Bush als Anhänger dieses neuerlichen religiösen Wahns geoutet hat, wird zunehmend versucht, "Intelligent Design" neben der klassischen Biologie auf dem Lehrplan unterzubringen, um Darwin zu verdrängen, wo immer es geht. Vordergründig wird das mit dem Argument probiert (das auch Bush in seiner ganzen Dummheit und Ignoranz bemühte), dass die Leute unterschiedliche "Theorien" angeboten bekommen "sollten," um sich selbst ein Bild zu machen. Faktisch geht es jedoch um eine Kontroverse, die keine ist, denn Kreationismus ist keine Wissenschaft, sondern religiöser Humbug und hat deshalb in den Schulen nichts zu suchen. Es geht in der Wissenschaft grundsätzlich darum, das Leben und die Naturgesetze ohne die Einwirkung übernatürlicher Mächte zu erforschen und zu erklären, nicht darum, solche "Mächte" an die Stellen zu setzen, wo das menschliche Wissen nicht weiter weiß:

"The whole enterprise of science is to explain life without invoking supernatural explanations. Intelligent design is not science, it’s religion, and it shouldn’t be taught in science class." Mariah Blake: Jews Say 'Feh' to Darwin
Letzterem ist nur zuzustimmen. Der Kreationismus versucht bewußt, die Kategorien zu dem Zweck zu verwischen, die Leute dumm zu halten. Das Konzept ist so dumm, daß man darauf nur noch mit Spott antworten kann. Sehr schön ist daher auch die Antwort, die das amerikanische Satiremagazin ONION gibt. Danach haben Christliche Wissenschaftler jetzt Newtons Gravitationstheorie zurückgewiesen, und zwar mit dem Hinweis auf ein vom Schöpfer bewirktes "Intelligentes Fallen":
"Things fall not because they are acted upon by some gravitational force, but because a higher intelligence, 'God' if you will, is pushing them down," said Gabriel Burdett, who holds degrees in education, applied Scripture, and physics from Oral Roberts University. Evangelical Scientists Refute Gravity With New 'Intelligent Falling' Theory

Vielleicht aber ist auch das Bild, das auf der folgenden Webseite zu sehen ist, die Lösung des Problems: "I Am God!"

Tuesday, January 31, 2006

Nach dem Ausscheiden Ariel Scharons aus der israelischen Politik war ohnehin schon Ruhe in den Friedensprozess eingekehrt und niemand wußte so recht, wie es weitergehen würde, da hat jetzt der Wahlsieg der Hamas in Palästina die Karten endgültig neu gemischt. Die Welt steht vielleicht am Abgrund und weiß es noch nicht einmal.

Während es für die USA und die Europäer klar ist, daß die Hamas zuerst das Existenzrecht Israels anerkennen muß, bevor sie überhaupt als ernsthafter Gesprächspartner in Frage kommen kann, besteht andererseits aber das Dilemma, daß man den Gesprächsfaden auch nicht ganz abreißen lassen kann, ohne die Situation ernsthaft zu destabilisieren, was sicherlich im Interesse keiner Seite wäre.

Während Israel, die USA und die Europäer ihren Standpunkt in allen Medien hinreichend deutlich machen konnten, war es mir zumindest bislang nicht bekannt, wie die Hamas ihre Positionen inhaltlich und en detail begründet. Was für mich als Deutscher daran so interessant ist, ist die Tatsache, daß diese Position direkt auf den 2. Weltkrieg, den von den Deutschen begangenen Holocaust und dessen "Ergebnisse" — die Gründung des Staates Israel — Bezug nimmt.

Es ist einer Zeitung wie dem Guardian vorbehalten, darüber zu informieren, wie dieser Hamas–Standpunkt aussieht. Er ist, kurz gesagt, unmöglich und wird nicht durchgehen, denn er basiert auf völlig falschen Grundlagen und auf einer totalen Verkennung der Realitäten. Keinesfalls wird es einer palästinensischen Führung, die solche Positionen vertritt, gelingen, ein souveränes Palästina zu erlangen.

So schreibt heute Khalid Mish'al, der als "head of the political bureau of Hamas" bezeichnet wird (was auch immer das für eine Position ist), daß es der Westen ist, der den "Demokratietest" nicht bestanden hat, indem er darauf besteht, daß die Palästinenser den bewaffneten Kampf gegen Israel einstellen und das Existenzrecht Israels anerkennen müssen. Mish'al behauptet, daß die Palästinenser, die er einseitig als die Opfer in dem Konflikt ansieht, bestraft werden, während die "unterdrücker" verhätschelt werden:

"We, the victims, are being penalised while our oppressors are pampered."
We will not sell our people or principles for foreign aid
Mish'al behauptet, daß der Westen den Konflikt ausschließlich durch die Augen der "Zionisten" sähe, was nach meiner Ansicht schon beweist, wie falsch der Standpunkt der Hamas ist. Denn es ist nicht die Ansicht der Zionisten, daß es neben dem Staat Israel einen freien und souveränen Staat Palästina geben muß, um den Konflikt zu lösen und einen dauerhaften und gerechten Frieden zu erzielen, sondern die Ansicht gemäßigter Israelis sowie des Westens und des größten Teils des Rests der Welt.

Ich glaube, daß ein großer Teil des Wahlerfolges der Hamas damit zusammenhängt, daß es der Organisation gelungen ist, in den besetzten Gebieten die falsche Botschaft zu verbreiten, daß der von Ariel Scharon eingeleitete Rückzug ein Erfolg der "Politik" der Hamas, des bewaffneten Kampfes sei. Nichts könnte illusionärer sein als die Ansicht, dieser Teilrückzug aus dem Gaza–Streifen sei ein Anzeichen von Schwäche. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die radikale Palästinenserführung die ersten ernstzunehmenden Schritte zum Frieden seit Jahrzehnten lediglich als Schwäche des Gegners ansieht, wird sie, so fürchte ich, dessen Stärke kennenlernen.

Manche Kommentatoren verweisen auf den angeblichen Pragmatismus der Hamas, aber wenn ich das Ende des Artikels lese, kann ich diesen Pragmatismus nicht sehen, sondern nur eine verhärtete, radikale und terroristische Position, die in der Realität scheitern wird:

"We shall never recognise the right of any power to rob us of our land and deny us our national rights. We shall never recognise the legitimacy of a Zionist state created on our soil in order to atone for somebody else's sins or solve somebody else’s problem. But if you are willing to accept the principle of a long–term truce, we are prepared to negotiate the terms. Hamas is extending a hand of peace to those who are truly interested in a peace based on justice." ibid
Ähnlich äußert sich auch Azzam Tamimi, Direktor des Institute of Islamic Political Thought in London am vergangenen Montag:
"The fact that Hamas does not, and will not, recognise the legitimacy of the state of Israel does not mean that Hamas is not capable of negotiating a peace deal that would end the bloodshed. Hamas is prepared to negotiate a settlement based on the concept of a hudnah (truce). As far as Hamas is concerned — and that is the position of the majority of Palestinians inside as well as outside Palestine — Israel has been built on land stolen from the Palestinian people. The creation of the state was a solution to a European problem and the Palestinians are under no obligation to be the scapegoats for Europe’s failure to recognise the Jews as human beings entitled to inalienable rights. Hamas, like all Palestinians, refuses to be made to pay for the criminals who perpetrated the Holocaust. However, Israel is a reality and that is why Hamas is willing to deal with that reality in a manner that is compatible with its principles."
Hamas will make a deal
Für einen irgendwie gearteten Waffenstillstand aber gibt es keinen Palästinenserstaat. Ebenso wie auch der zionistische Teil der israelischen Bevölkerung begreifen mußte und weiter muß, daß die andauernde Besetzung fremden Landes einem Frieden im Weg steht, muß die Gegenseite lernen, daß der gewaltsame Kampf und Terrorismus auch nicht zum Frieden führen werden. Die in den letzten beiden Zitaten geäußerte Verweigerung des Existenzrecht Israels macht deutlich, daß die Hamas eben kein ernstzunehmender politischer Partner ist. Kein in diesem Zusammenhang untauglicher Rückgriff auf die Verbrechen und Fehler der Deutschen und des Westens wird die Existenz Israels in Frage stellen, wohl aber die Schaffung eines unabhängigen und selbstbestimmten Palästinas in eine unbestimmte Zukunft verschieben. Die Palästinenser sollten wissen, daß sie die Vergangenheit gewählt haben, wenn sie in ihrer Mehrheit wirklich diese Ansichten teilen.

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