Thomas Pynchon: "Wie Godzilla immer zu Mothra sagt..." - die deutsche Übersetzung von "Inherent Vice" |
Professor Ickstadt lobt Nikolaus Stingl zu Recht, dabei könnte ich mir
durchaus vorstellen, dass sich der Kollege Stingl bereits recht früh bei
der Arbeit am Roman ziemlich am Kopf kratzen musste, als er auf die Textstelle
mit Godzilla und Mothra gestossen ist, die im englischen Original auf Seite 10
zu finden ist:
Die Übersetzung klappt natürlich nicht, kann auch nicht klappen, denn
das Problem besteht in der doppelten Bedeutung von "eat that place" im Roman,
die in der Übersetzung verlorengeht. Der Witz zündet nicht. Für
den deutschsprachigen Leser ist es eben einfach "irgendwas essen", die weitere
Bedeutung von "place", der Witz, dass das eine Monster zum anderen sagt:" Lass
uns einen Ort essen", (was genau das ist, was diese zwei Monster für
gewöhnlich tun) findet sich in der Übersetzung nicht wieder.
Diese verloren gegangene Bedeutung lässt sich andererseits trefflich dazu
verwenden, um Pynchons postmoderne Methode zu beleuchten, mit der er die
unterschiedlichsten Bedeutungsebenen seiner Texte in ganz einfachen und
"harmlosen" Zeichenfolgen versteckt. Seit Herbert Stencil in "V.", Oedipa Maas
in "Die Versteigerung von Nummer 49", Tyrone Slothrop in "Die Enden der
Parabel", Prairie Wheeler in "Vineland", die berühmten Landvermesser in
"Mason & Dixon" und zuletzt die "Freunde der Fährnis" in "Gegen den Tag"
schickt Pynchon seine Helden und Heldinnen immer wieder auf detektivische
Spurensuchen, so dass es für den geübten PynchonLeser
eigentlich kein Wunder ist, dass endlich einmal ein Roman von Pynchon in
Gestalt einer Parodie einer klassischen amerikanischen Detektivgeschichte
daherkommt, mit typischen Elementen, wie wir sie aus Raymond Chandlers "Philip
Marlowe"Romanen kennen, mit Doc Sportello andererseits aber auch mit
einem klassisch
pynchonesken
Schlemihl als Protagonisten, der den notorischen Roggenwhiskey Marlowes gegen
den Joint eingetauscht hat.
Schon Chandlers Romane waren mehr als nur Kriminalromane, sie waren soziale
Dokumente, die vor allem die Dekadenz und die Verbrechen der Reichen in Los
Angeles darstellten, und bei Pynchon hat diese Kritik an den Auswüchsen
des amerikanischen Kapitalismus ebenfalls Tradition, hier dargestellt an der
Grundstücksspekulation im Großraum von Los Angeles. Man muss kein
Verschwörungstheoretiker zu sein, um die unheilige Allianz der beiden
Monster privaten Spekulantentums und korrupter öffentlicher Verwaltung zu
sehen, die sich die Stadt Stück für Stück einverleiben. Opfer
sind immer Minderheiten, die auf irgendeine Weise den Unwillen der Herrschenden
auf sich gezogen haben. So auch der nächste "Kunde" Sportellos im Roman,
der Schwarze Tariq Khalil:
Die lange, traurige Geschichte der Landnutzung in L.A. (
) Man hatte
mexikanische Familien aus Chavez Ravine rausgeschmissen, um das Dodger Stadium
bauen zu können, für das Music Center hatte man Indianer aus Bunker
Hill rausgeworfen und für Channel View Estates Tariqs Viertel
plattgewalzt. (28)
"Rein zufällig" ist der Bauunternehmer Mickey Wolfmann, der hinter diesem
Bauvorhaben steckt, genau jener verschwundene Liebhaber, den Doc im Auftrag
seiner Exfreundin Shasta suchen soll, und den er aus diesem Grund zuvor bei
seiner Tante Reet "gegoogelt" hat. Wobei "gegoogelt" natürlich falsch ist,
denn wir befinden uns im Jahre 1970, genauer gesagt Ende März des Jahres
(interne Referenzen verweisen auf den 25. März als den Beginn der
Romanhandlung), als die moderne Computertechnologie noch in den Kinderschuhen
steckte und das Internet noch auf das "ARPAnet", einen Zusammenschluß
weniger Universitäten, beschränkt war. Aber Tante Reet, bei der sich
Doc nach Wolfmann auf althergebrachte Weise erkundigt, hat natürlich
Recht. Die heutige Informationsvielfalt verschleiert oft mehr als sie
enthüllt:
"Eines Tages", prophezeite sie, "wird es dafür Rechner geben, und man muss
nur noch eintippen, was man sucht (
) und ruck, zuck liefert er dir mehr
Informationen, als du je haben wolltest (
)." (14)
Das "ARPAnet", das 1969 verwirklichte Internet in seinen Kinderschuhen, lernt
Doc später bei Fritz, seinem ehemaligen Partner im Inkassogeschäft,
kennen. Aber "Natürliche Mängel" ist durchaus noch das, was Pynchon
selber in seiner Einleitung zu Jim Dodges Roman "Stone Junction" einen
"bewußt analogen" Roman nennt, der sich den Dingen widmet, die auch heute
noch dem Zugriff der allgegenwärtigen digitalen Welt entzogen sind:
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