Thomas Pynchon: "Wie Godzilla immer zu Mothra sagt..." - die deutsche Übersetzung von "Inherent Vice"

Nikolaus Stingl hat diese stilistische tour de force kongenial ins Deutsche übersetzt und die Untiefen des Hippie–Idioms, der opaken Abkürzungen und der unvermeidlichen Songs bravourös gemeistert.
Heinz Ickstadt, Deutschlandradio Kultur

Professor Ickstadt lobt Nikolaus Stingl zu Recht, dabei könnte ich mir durchaus vorstellen, dass sich der Kollege Stingl bereits recht früh bei der Arbeit am Roman ziemlich am Kopf kratzen musste, als er auf die Textstelle mit Godzilla und Mothra gestossen ist, die im englischen Original auf Seite 10 zu finden ist:

"Hey, like Godzilla always sez to Mothra—why don’t we go eat some place?"
Offengestanden warte ich sogar seit gut einem Jahr gespannt darauf, wie Stingl diese Klippe umschifft:
"Hey, wie Godzilla immer zu Mothra sagt — gehen wir irgendwas essen." (19)

Die Übersetzung klappt natürlich nicht, kann auch nicht klappen, denn das Problem besteht in der doppelten Bedeutung von "eat that place" im Roman, die in der Übersetzung verlorengeht. Der Witz zündet nicht. Für den deutschsprachigen Leser ist es eben einfach "irgendwas essen", die weitere Bedeutung von "place", der Witz, dass das eine Monster zum anderen sagt:" Lass uns einen Ort essen", (was genau das ist, was diese zwei Monster für gewöhnlich tun) findet sich in der Übersetzung nicht wieder.

Diese verloren gegangene Bedeutung lässt sich andererseits trefflich dazu verwenden, um Pynchons postmoderne Methode zu beleuchten, mit der er die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen seiner Texte in ganz einfachen und "harmlosen" Zeichenfolgen versteckt. Seit Herbert Stencil in "V.", Oedipa Maas in "Die Versteigerung von Nummer 49", Tyrone Slothrop in "Die Enden der Parabel", Prairie Wheeler in "Vineland", die berühmten Landvermesser in "Mason & Dixon" und zuletzt die "Freunde der Fährnis" in "Gegen den Tag" schickt Pynchon seine Helden und Heldinnen immer wieder auf detektivische Spurensuchen, so dass es für den geübten Pynchon–Leser eigentlich kein Wunder ist, dass endlich einmal ein Roman von Pynchon in Gestalt einer Parodie einer klassischen amerikanischen Detektivgeschichte daherkommt, mit typischen Elementen, wie wir sie aus Raymond Chandlers "Philip Marlowe"–Romanen kennen, mit Doc Sportello andererseits aber auch mit einem klassisch pynchonesken Schlemihl als Protagonisten, der den notorischen Roggenwhiskey Marlowes gegen den Joint eingetauscht hat.

Schon Chandlers Romane waren mehr als nur Kriminalromane, sie waren soziale Dokumente, die vor allem die Dekadenz und die Verbrechen der Reichen in Los Angeles darstellten, und bei Pynchon hat diese Kritik an den Auswüchsen des amerikanischen Kapitalismus ebenfalls Tradition, hier dargestellt an der Grundstücksspekulation im Großraum von Los Angeles. Man muss kein Verschwörungstheoretiker zu sein, um die unheilige Allianz der beiden Monster privaten Spekulantentums und korrupter öffentlicher Verwaltung zu sehen, die sich die Stadt Stück für Stück einverleiben. Opfer sind immer Minderheiten, die auf irgendeine Weise den Unwillen der Herrschenden auf sich gezogen haben. So auch der nächste "Kunde" Sportellos im Roman, der Schwarze Tariq Khalil:

Die lange, traurige Geschichte der Landnutzung in L.A. (…) Man hatte mexikanische Familien aus Chavez Ravine rausgeschmissen, um das Dodger Stadium bauen zu können, für das Music Center hatte man Indianer aus Bunker Hill rausgeworfen und für Channel View Estates Tariqs Viertel plattgewalzt. (28)

"Rein zufällig" ist der Bauunternehmer Mickey Wolfmann, der hinter diesem Bauvorhaben steckt, genau jener verschwundene Liebhaber, den Doc im Auftrag seiner Exfreundin Shasta suchen soll, und den er aus diesem Grund zuvor bei seiner Tante Reet "gegoogelt" hat. Wobei "gegoogelt" natürlich falsch ist, denn wir befinden uns im Jahre 1970, genauer gesagt Ende März des Jahres (interne Referenzen verweisen auf den 25. März als den Beginn der Romanhandlung), als die moderne Computertechnologie noch in den Kinderschuhen steckte und das Internet noch auf das "ARPAnet", einen Zusammenschluß weniger Universitäten, beschränkt war. Aber Tante Reet, bei der sich Doc nach Wolfmann auf althergebrachte Weise erkundigt, hat natürlich Recht. Die heutige Informationsvielfalt verschleiert oft mehr als sie enthüllt:

"Eines Tages", prophezeite sie, "wird es dafür Rechner geben, und man muss nur noch eintippen, was man sucht (…) und ruck, zuck liefert er dir mehr Informationen, als du je haben wolltest (…)." (14)

Das "ARPAnet", das 1969 verwirklichte Internet in seinen Kinderschuhen, lernt Doc später bei Fritz, seinem ehemaligen Partner im Inkassogeschäft, kennen. Aber "Natürliche Mängel" ist durchaus noch das, was Pynchon selber in seiner Einleitung zu Jim Dodges Roman "Stone Junction" einen "bewußt analogen" Roman nennt, der sich den Dingen widmet, die auch heute noch dem Zugriff der allgegenwärtigen digitalen Welt entzogen sind:

"Weiß das Ding auch, wo ich Stoff herkriegen kann?" (74)
Nein, Doc, tut mir leid, so weit sind wir selbst heutzutage noch nicht, jedenfalls meines Wissens nach nicht.

Literatur
Jim Dodge, "Stone Junction", Grove Press, New York 1990, Introduction by Thomas Pynchon 1997
Thomas Pynchon, "Inherent Vice", The Penguin Press, New York 2009
Thomas Pynchon, "Natürliche Mängel", Rowohlt, Hamburg 2010
Links
"Hippie–Detektiv mit bleibenden Grundwerten" — besprochen von Heinz Ickstadt, Deutschlandradio Kultur, 17.09.2010.

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