I
Auslöschung kennt die Natur nicht;
|
Manchmal kommt es mir vor, als habe von Braun diese Worte für
Gravitys Rainbow
geschrieben was natürlich Unsinn ist aber so gut scheinen
sie zu passen. Doch das Zitat kann auch als ein Paradebeispiel dafür
gesehen werden, wie sorgfältig Pynchon seine Zitate und literarischen
Anspielungen auswählt bzw. weglässt. Die folgende Äußerung
von Brauns zur Raumfahrt, die durchaus auch gepasst hätte, hat er nicht
zitiert:
It will free man from his remaining chains, the chains of gravity which still tie him to this planet. It will open to him the gates of heaven.Ich kann nicht recht glauben, daß Herr von Braun hier "heaven" und "sky" einfach miteinander verwechselt hat, irgendwie kriegt der Mann jedoch stets die Kategorien durcheinander. Doch dass gerade der Vater der V2-Rakete sich mit unserer spirituellen Existenz nach unserem Ableben befasst (und deshalb passt das von Pynchon gewählte Zitat, während das von mir hinzugefügte wesentliche Aspekte, nämlich die moralischen, unbeachtet lassen würde), birgt schon eine gewisse Ironie in sich. Ist doch irgendwie tröstlich für die Opfer der Raketen und deren Hinterbliebene sowie für die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die für die Produktion der Rakete versklavt, geschunden, gefoltert und ermordet wurden, daß derjenige, der sie, jedenfalls mittelbar, ins Himmelreich beförderte, sich immerhin darüber Gedanken macht, ob und dass es vielleicht ein solches gibt und welche erkenntnistheoretischen Schlüsse er hieraus zieht. Interessanter für den Roman ist natürlich, dass in dem Zitat eine binäre Opposition dekonstruiert wird. Zwei sehr unterschiedliche Bereiche, nämlich Glaube und Wissenschaft, Mythos und Fakt, werden in einen Zusammenhang gebracht, und die Wissenschaft, die in der Hierarchie dieser binären Opposition der untergeordnete Pol ist (weil sie, im Gegensatz zum Glauben, stets eines Beweises bedarf) muss noch für den Beweis des Glaubens herhalten, was natürlich Unsinn ist (auch wenn es völlig logisch und folgerichtig ist), da der Glauben eines Beweises ja nicht bedarf. Aber ehe sich hier Gott in Logikwölkchen auflöst, darf ich an dieser Stelle getrost auf Douglas Adams und F. Nietzsche verweisen. Während von Braun schlicht Unsinn redet, bleibt Pynchon bei seinem Kompositionsschema, eine gigantische Sammlung binärer Oppositionen in einen fiktionalen Zusammenhang zu stellen und uns somit zu zwingen, die Grundlagen unseres Weltverständnisses zu überdenken, wenn er wie hier den wissenschaftlichen und den religiösen Diskurs einander gegenüberstellt. Auslöschung kennt die Natur nicht, sie kennt nur die Verwandlung ist natürlich der erste Hauptsatz der Thermodynamik, ein Naturgesetz, das überall in dem uns bekannten Universum gilt. Der Satz dürfte, wie auch der 2. Hauptsatz der Wärmelehre, die Entropie nämlich, nur auf den atomaren Bereich und darüberliegende Ordnungen wie unseren menschlichen «Meterbereich» anzuwenden sein, nicht aber auf den inner- oder metaphysischen Bereich, um den es aber bei religiösen Fragen wie Gibt es ein Leben nach dem Tod handelt. Die religiösen Vorstellungen des Menschen von einem höheren Wesen setzen einen nachhaltigen Verstoß gegen die Naturgesetze beinahe voraus. Gleiches läßt sich von den Ergebnissen der Wissenschaft zum subatomaren Bereich sagen. Auch dort gelten die Naturgesetze nur bedingt, ist ihre Aussagekraft begrenzt. Insofern gelangen im 20. Jahrhundert die beiden Diskurse auf die gleiche Ebene. Die Wissenschaft kann weder die Seele noch Gott lokalisieren oder gar erklären. Mit einer bloßen Umkehrung der Pole der binären Opposition ist es also nicht getan. Der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts, eines der wesentlichen Ergebnisse der Aufklärung, wurde im 20. Jahrhundert mehrfach gebrochen. Neben der mittlerweile infrage gestellten Linearität der Entwicklung, die angesichts der ökologischen Fragen nicht mehr haltbar ist, ist aber auch die moralisch-ethische Komponente der Aufklärung angesprochen, in diesem Fall die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Schöpfung, die er der Religion aus den Händen genommen hat. Wernher von Braun ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich ein Wissenschaftler hinter seiner angeblichen weltanschaulichen Neutralität versteckt und seine Verantwortung darüber vergißt. Daß von Braun nach dem Krieg zum Vater des amerikanischen Raketenprogramms wurde (und nicht etwa als Kriegsverbrecher in Nürnberg landete, wo er hingehört hätte), macht ihn so wertvoll für Pynchon, einen amerikanischen Autor, denn auch hier, im demokratischen und puritanischen Amerika (und nicht im zum Neuheidentum neigenden faschistischen Deutschland) ging es nicht allein darum, zum Mond zu fliegen und der Menschheit den Weg in den Kosmos zu eröffnen. In erster Linie diente die Technik der großen Raketen dem Zweck, den ideologischen Gegner in Schach zu halten. Die technisch und medienmäßig so großartig inszenierte Mondlandung im Jahre 1969, die Pynchon sich im Fernsehen angesehen haben wird, während er dabei war, Gravitys Rainbow zu schreiben, war Theater. Als die Amerikaner auf dem Mond landeten, war bereits klar, daß mit dieser, die Umwelt verschmutzenden und Ressourcen raubenden Technik der Weltraum nicht zu besiedeln war, von tausend anderen ungelösten Problemfeldern einmal angesehen. Bezeichnenderweise bekam von Braun sogar eine eigene Filmserie bei Walt Disney und durfte seine krause Wissenschaftsphilosophie für die amerikanische Kinderseele aufbereiten. Indem Pynchon von Brauns erzpuritanische Seele outed und ihn in seiner ganzen Selbstgefälligkeit präsentiert, erinnert Pynchon seine amerikanischen wie europäischen Leser auch an ihre Verantwortung. In seinem Aufsatz Haunted History and Gravitys Rainbow (Pynchon Notes, spring-fall 1998, 12-28) widmet sich Steven Weisenburger ausführlich dem einleitenden Zitat, der Appendix (28) enthält die Quelle, der Pynchon das Zitat entnommen hat. Es ist ein kurzer Beitrag zu dem Buch The Third Book of Words to Live By: Selected and Interpreted by Seventy-Eight Eminent Men and Women von William Nichols (Ed., Simon and Schuster, NY, 1962, 119-20) mit dem Titel Why I Believe in Immortality, ein ziemlich grauenhafter und bigotter, selbstgerechter kurzer Text, von dem einem speiübel werden kann. Es ist wiederum bezeichnend (was auch Weisenburger findet), was Pynchon nicht zitiert (und ausblendet?), nämlich die Tatsache, daß von Braun selbst die Frage nach der Ethik der Wissenschaft an den Anfang seines Beitrages stellt und mit der Religion verbindet: Ethics alone will decide whether atomic energy will be an earthly blessing or the source of mankinds utter destruction.Theoretisch dürfte man gespannt sein, wie Wernher von Braun sein Handeln vor diesem Gericht gerechtfertigt haben dürfte, nachdem ihn die Amerikaner nun einmal einer weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen hatten. Aber auch dieses kurze Stück Text fußt auf mehreren binären Oppositionen, blessing vs. destruction, award vs. penalty. Weisenburger argumentiert richtig, daß Pynchon dadurch, daß er vielfältige geisterhafte Präsenzen im Roman auftreten läßt, von Braun ironisch beim Wort nimmt. Denn wenn die moralisch-ethischen Grundlagen eines Wernher von Braun, wie in seinem Buchbeitrag dargelegt, zur Entwicklung der V-2 und der modernen Interkontinentalraketen führte, so spricht nichts dagegen, sich die angebliche Sphäre des himmlischen Überlebens und ewiger Gerechtigkeit, auf die sich von Braun beruft, eher als eine solche des endgültigen Über-Todes vorzustellen, Deaths Other Kingdom (Weisenburger in Anlehnung an Douglas Fowler, pn 42-43, 14), der auf diese Weise durch Menschen wie von Braun Zutritt zu unserer Welt verschafft worden ist. LiteraturSteven Weisenburger: Haunted History and Gravitys Rainbow, Pynchon Notes 42-43, spring-fall 1998, 12-28.Douglas Fowler: A Readers Guide to Gravitys Rainbow, Ann Arbor, Michigan, 1980. Walter Dornberger: Peenemünde Die Geschichte der V-Waffen, Ullstein, München, 2000. Rainer Eisfeld: Mondsüchtig Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei, Rowohlt, Hamburg 1996. Why I Believe in Immortality at the HyperArts Pynchon Pages . |