Daß in einem nichtlinearen dynamischen System dasselbe physikalische
Gesetz sowohl Ordnung als auch Chaos zu schaffen vermag, ist auch für den
Nichteingeweihten verständlich zumal der Physiker Lichtenberg diese
Grundeinsicht moderner Chaosforschung auf die einprägsamste aller Formeln
brachte, als er schrieb: Es regnete so stark, daß alle
Schweine
rein und alle Menschen dreckig wurden.
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The Beatles Piggies
Have you seen the little piggies
Crawling in the dirt
And for all the little piggies
Life is getting worse
Always having dirt to play around in.Have you seen the bigger piggies
In their starched white shirts
You will find the bigger piggies
stirring up the dirt
Always have clean shirts to play around in.In their styles with all their backing
They dont care what goes on around
In their eyes theres something lacking
What they needs a damn good whacking.Everywhere theres lots of piggies
Living piggie lives
You can see them out for dinner
With their piggie wifes
Clutching forks and knifes to eat their bacon.
Wir kommen nicht umhin, uns mit so unangenehmen physikalischen Dingen wie Formeln, Gesetzen, Sätzen etc. zu beschäftigen, wenn wir die Geschichte der Aufklärung sowie des 20. Jahrhunderts begreifen wollen. Und das ist Pynchons Oeuvre. Lichtenberg kehrt die binären Oppositionen Mensch (rein) und Schwein (dreckig) um, um das Begriffspaar Chaos und Ordnung zu erläutern. Mir schien es passend, weil auch Pynchon ähnlich arbeitet und weil es Schweine betrifft.
Pynchons Schweinefarm, Springfield, MASchweine spielen in "Gravitys Rainbow" eine große Rolle. Pynchon hat eine große Anzahl von Verweisen auf Schweine und die biologische Ähnlichkeit und Verwandschaft von Mensch und Schwein verarbeitet. Aber nicht nur das, man darf auch den gesellschaftlichen Kontext nicht vergessen, den das Wort «pig» während der Entstehungsjahre des Romans in Amerika hatte. «pigs» waren die brutalen, rassistischen amerikanischen Polizisten, die auf den AntiVietnam oder Bürgerrechtsdemonstrationen die Menschen zusammenknüppelten, mit Wasserwerfern und Tränengas behandelten und mehr als ein Mal auch scharfe Munition eingesetzt hatten.
Pigs aber waren auch die Politiker. Die tatsächliche Counterforce im realen Amerika des Jahres 1968 hatte versucht, die Absurdität der Präsidentschaftswahlen dadurch offenbar zu machen, daß ein Schwein als Präsidentschaftsandidat für die Pig Nation aufgestellt wurde. In Abbie Hoffmans Buch "Woodstock Nation" heißt es in dem Kapitel: Thorns of the Flower Children:
In der 14. Episode erzählt Pynchon, wie die holländischen Schweine von Katjes Vorfahr Frans van der Groov Mitte des 17. Jahrhunderts die flugunfähigen Dodos (didus ineptus) auf der Insel Mauritius ausrotteten. Der ökologische Ansatz von Pynchons Roman ist ebenso unübersehbar wie seine politischen und kulturhistorischen Dimensionen. Was Pynchon an dem Beispiel der niederländischen Kolonisten auf Mauritius fasziniert hat, formuliert er im Roman; das einzige, was die fehlgeschlagene Besiedlung erreicht hatte, war die erste dokumentierte Ausrottung einer ganzen Art durch den Menschen.
In
Episode 15
ist es nur eine Redewendung, die wie die meisten Redewendungen ziemlich
unübersetzbar ist. Wir bringen im deutschen eigentlich unsere
«Schäfchen ins trockene», wenn uns ein gutes Geschäft
geglückt ist, aber das soll an dieser Stelle keine Kritik an den
Übersetzern sein, dafür finde ich das Wort «Kuhhandel»
für «arrangement» in diesem Zusammenhang wiederum zu gut
gewählt:
Der Schweinezüchter unter Tyrone Slothrops puritanischen Vorfahren, William Slothrop, dem er in seiner Verkleidung als Schweineheld Plechazunga beim Schweineheldfest Tribut zollt, hatte eine ganz besondere Beziehung zu seinen Tieren (Episode 54):
In
Episode 57
trifft Tyrone Slothrop auf Frieda, das Schwein, zu dem Franz Pöckler eine
ganz besondere Beziehung aufgebaut hat.
Jules Siegel berichtet, daß Pynchon Ende 1966 oder Anfang 1967 (eine
eindeutige zeitliche Festlegung vermeidet Siegel oder ist zumindest seinem
Artikel nicht zu entnehmen) in einer umgebauten Garage in zwei Zimmern lebte,
wo es außer einer großen Menge von Büchern über Schweine
nicht viel gab. Eines dieser Bücher könnte David Coopers
Der Tod der Familie
(1971) gewesen sein, dessen fünftes Kapitel
Mästen sie ihr Schwein
(64-69) heißt:
Natürlich sind Menschen Schweine. Und menschliche Institutionen sind
natürlich Schweineställe oder Schweineproduktionsfarmen oder
Schlachthäuser für Schweine. (
) Es ist sicher kein Zufall,
daß junge amerikanische Revolutionäre die Polizei und ihre
Kollaborateure, die Psychiater, sowie die verlogene Obrigkeit überhaupt
als «pigs» (Scheine) bezeichnen. Das Schwein ist eine eindeutige
Identifizierung. Jener andere Ausdruck, «motherfucker»
(Mutterficker), ist insofern doppeldeutiger, als er entweder die
Beschränkung der eigenen Sexualität auf die eigene Mutter oder eine
Befreiung von Inzesttabus bedeuten kann. Trotz seines Kannibalismus ist das
Schwein das analgenital einladenste Tier der Welt. Allen, die da kommen,
reckt es sein Arschloch mit der vorstehenden analen Unterlippe entgegen. Wenn
wir diese Einladung zur sexuellen Vermischung erkennen, können wir
vielleicht einen Ausweg finden aus unseren viehischen Verhaltensweisen anderen
gegenüber. (
)
Wenn Schweine Flügel hätten, wie ein altes englisches Sprichwort sagt,
wäre alles möglich. Aber vielleicht haben Schweine wirklich
geheimnisvolle, unsichtbare Flügel,
und vielleicht sehen wir diese Flügel nicht, WEIL wir Angst haben,
«alles könnte möglich werden».
Daß das Schwein einen so sprichwörtlich schlechten Ruf bei den
Menschen hat (für die Moslems ist es unrein) ist eigentlich
unverständlich. Neben der Bedeutung als Nahrungsquelle für den
nichtmoslemischen Teil der Menschheit teilen Schwein und Mensch eine Menge
genetischer Eigenschaften, der Stoffwechsel ist so ähnlich, daß das
Schwein das bevorzugte Spendertier für die Xenotransplantation ist, die
Übertragung von Organen anderer Arten auf den Menschen. Pynchons
Behandlung des Themas Schwein und Mensch ist dazu angetan, diese edle Tier mit
anderen Augen zu betrachten.
Schon Thomas Pynchons Vorfahren hatten es mit Schweinen, insbesondere Mr. John Pynchon, dessen Erfahrungen mit der Schweinezucht in der Chronik der puritanischen Gemeinde Springfield, Massachusetts berichtet werden: Eine interessante, typisch pynchonsche Umkehrung, die Mr. John Pynchon da gebraucht. |
LiteraturDavid Cooper: Der Tod der Familie, Rowohlt, Das Neue Buch, Reinbek bei Hamburg 1972, orig. The Death of the Family, Allan Lane The Penguin Press, London 1971.Abbie Hoffman Woodstock Nation A TalkRock Album 1969, Pocket Books, New York 1971. Rocco und Antonia: Schweine mit Flügeln Sex + Politik. Ein Tagebuch, Rowohlt Verlag, Reinbek 1977. Siegel, Jules: "Who Is Thomas Pynchon And Why Did He Take Off With My Wife?" Playboy (american edition), March 1977, 97, 122, 168-70, 172, 174. LinksMax P. Haering Die sauberen SchweineZeichnung zu "Die Enden der Parabel" (Gravitys Rainbow) von Thomas Pynchon Seite 866: "Natürlich sah er es als eine Parabel er wusste, dass das quiekende, blutige Entsetzen am Ende des Weges im genauen Gleichgewicht stand mit ihrem glücklichen Grunzen..." The First Century of the History of Springfield. The Official Records from 1636 to 1736. With an Historical Review and Biographical Mention of the Founders. By Henry M. Burt. Volume I, Springfield, Massachusetts. Printed and Published by Henry M. Burt, 1898 |
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Otto Sell
Friday, March 17, 2000
Last update Sunday, December 09, 2007