Borja und ArkaschaNeben ihren hervorragenden Ursprüngen hat es die Science Fiction auch den großen Unterschieden zwischen den amerikanischen und den europäischen Autoren und ihren Texten zu verdanken, daß diese Gattung der Literatur die Niederungen der Trivialität verlassen hat. Wo sich die MassenSF auf triviale Muster beschränkt hat, bemühten sich andere Autoren um wirklich neue Ideen, die dann auch noch zuende gedacht und hinreichend diskutiert wurden. Ideen, die einer durch Geschichte und Anspruch der Aufklärung die auch eine Utopie ist verpflichteten Gattung der Literatur angemessen sind.Zwei der größten russischen Erzähler, die hierzu beigetragen haben, sind die Gebrüder Arkadi und Boris Strugatzki, die ihre Bücher stets gemeinsam verfaßt haben. Boris, geboren am 15. 4. 1933 in Leningrad, studierte hier Astronomie und arbeitete an der Sternwarte von Pulkowo. Arkadi Strugatzki, geboren am 28.8.1925 in Batumi, studierte nach dem 2. Weltkrieg Anglistik und Japanologie. Boris lebt in Leningrad (ich glaube, heute sagt man wieder St. Petersburg), Arkadi lebte in Moskau, wo er am 12.10.1991 starb. Der Vater, Natan Strugatzki, war seit 1916 Mitglied der Bolschewiki und kam im Februar 1942 ums Leben, als er versuchte, mit Arkadi das von der Deutschen Wehrmacht belagerte Leningrad zu verlassen. Die Mutter, Alexandra Litwinschewa, blieb zuerst mit dem jüngeren Boris zurück und verließ Leningrad erst, als sie Nachricht erhielt, daß Arkadi überlebt hatte. Im Jahr darauf wurde Arkadi einberufen und wäre wohl mit seinem ganzen Jahrgang am Kursker Bogen während der sowjetischen Sommeroffensive von 1943 umgekommen, wenn er nicht von der Armee zur japanischen Abteilung der Orientalischen Fakultät am Militärinstitut für Fremdsprachen geschickt worden wäre. Nach Kriegsende wurde er in den Fernen Osten abkommandiert und arbeitete u.a. während der Vorbereitungen für den Tokioter Kriegsverbrecherprozeß zeitweilig mit japanischen Kriegsgefangenen. Da er sich in seiner Arbeit mit der asiatischen Presse beschäftigen mußte, verfolgte er intensiv die Ereignisse um die erste amerikanische Wasserstoffbombe auf dem Bikini-Atoll im März 1954. Zusammen mit seinem Kollegen Lew Petrow schrieb er die Geschichte Die Asche von Bikini, die zuerst in den Zeitschriften Fernost und Jugend und dann als Buch im Kinderbuchverlag veröffentlicht wurde und das Schicksal der vom radioaktiven Fallout betroffenen japanischen Fischer zum Inhalt hat. Nach Beendigung seines Militärdienstes ging Arkadi 1955, mittlerweile zum zweiten Mal verheiratet und Vater zweier Töchter, mit seiner Familie zu Mutter und Bruder, die wieder in Leningrad lebten Wie die Strugatzkis es schafften, trotz der etwas merkwürdigen Situation, an verschiedenen Orten zu leben und zu arbeiten, gemeinsam Bücher zu schreiben, erklärt Rottensteiner so: "zum Schreiben trifft man sich in der Mitte, in der Provinzstadt Bologaje, in einem Café, das mittlerweile ein Schild Bei Borja und Arkascha schmückt." (p. 7)Sie begannen, ermutigt durch den "Erfolg von Jefremows Das Mädchen aus dem All" (195758) (Suvin, p. 255) "( ) im mainstream der sowjetischen SF zu schreiben, also Abenteuerromane vor dem Panorama der strahlenden Zukunft der kommunistischen Gesellschaft, wenn auch mit größerer Bandbreite der Charakterisierungen, mehr erzählerischer Raffinesse und interessanteren, menschlichen Konflikten, als man sie sonst in der sowjetischen SF findet." (Rottensteiner, p. 7).
Wolfgang Jeschkes
SF-Jahr 2001
enthält unter anderemzwei Beiträge von den Strugatzkis,
die einerseits die biographische Quellenlage für den deutschen Leser
entscheidend verbessern und zum zweiten einen hervorragenden Einblick in die
Entstehungsgeschichte eines Strugatzki-Romans (in diesem Fall:
Die gierigen Dinge des Jahrhunderts
) unter den Bedingungen der Sowjetzensur geben, und dies beides in der
bewährten ihnen eigenen humorvollen, stets selbstironischen Form der
Strugatzkis.
Ich muß gestehen, daß ich der sicherlich interessanten Frage, wer
von beiden für welche Teile in den Geschichten verantwortlich ist, noch
nicht nachgegangen bin. Da ich kein russisch kann, lasse ich das auch, denn ich
denke, daß dieser Gegenstand eher etwas für Slavistiker ist, die die
Texte im Original lesen können.
Auch hat mich der sozialkritische Aspekt, der sicherlich vorhanden ist, stets
nur in zweiter Linie und nur dann interessiert, wenn sich die Kritik nicht nur
auf die sowjetische Gesellschaft bezieht, sondern auch auf «unsere»
Absurditäten anwenden läßt.
Nein, was ich an diesen merkwürdigen Märchen so faszinierend fand,
war zum einen die spezielle magische Stimmung, die alle «guten«
Strugatzkis atmen und vor allem die späteren Werke ausmacht, sowie die
moralische Thematik, die immer wieder diskutiert wird. Darf man Menschen
für einen guten, wissenschaftlichen Zweck (wie die Eroberung des Alls)
opfern oder wird durch ein Abweichen von der vorgegebenen moralischen Maxime die
ursprünglich hehre Idee nicht korrumpiert.
Die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Kindern (und damit mit ihrer
Zukunft) verfährt, wird immer wieder gestellt. Und das betrifft nicht nur
die Vorstellung einer besseren Welt im Sinne des Sowjetkommunismus, sondern
auch uns im Westen, die wir von einerseits vom amerikanischen Streben nach
Glück wie vom puritanischen Triebaufschub gekennzeichnet sind.
Können wir uns überhaupt noch eine bessere Welt für unsere
Kinder vorstellen und wie bringen wir unser alltägliches Handeln in
Einklang damit, wenn uns Sachzwänge, Ideologien oder die
Vernunft zu anderen Entscheidungen drängen?
Oder ist es so, wie
Frank Zappa
im September 1968 sagte:
So bin ich auch auf die Verbindung zwischen den Strugatzkis und Thomas Pynchon
gekommen, die hauptsächlich darin besteht, daß sich meiner Ansicht
nach in
Gravitys Rainbow
verschiedene Anspielungen auf das Werk der Strugatzkis finden lassen. Inwiefern
man von Intertextualität reden kann, müßte noch genauer
untersucht werden, hier nur ganz allgemein und oberflächlich:
Natürlich ist der Regenbogen ursprünglich und immer das Symbol einer
besseren Welt. Dies allein wäre noch kein hinreichender Beleg dafür,
daß Pynchon die Strugatzkis gelesen hat und von ihnen so beindruckt war,
daß er einige Ideen übernommen hätte.
Seit Noah in der Genesis die Arche baute, hat gerade die SF dieses Prinzip
gerne und immer wieder übernommen, weil die NoahStory eigentlich
pure SF ist. Neben den Schiffsbautechniken kommt auch die Vererbungslehre zur
Sprache und somit die Kinder ins Spiel.
Im selben Zusammenhang tritt die Null als Symbol für das Unbekannte auf
und da hören für mich die Zufälle auf.
Schließlich und vor allem ist da aber noch das umgedrehte und
dekonstruierte Märchenparadigma, das die Strugatzkis und Pynchon
verwenden. All dies zusammen genommen macht für mich die Verbindung aus.
Gerade weil die Strugatzkis so völlig anders schreiben als Pynchon, macht
die Sache für mich Sinn. Pynchon dreht die Schraube stets etwas weiter als
andere und das direkte Zitat ist seine Sache nicht, eher die versteckte
Anspielung und der indirekte Verweis, den man als Leser selbst entdecken
muß; eine Technik, der sich die Strugatzkis immer bedienen mußten,
um unter der Zensur überhaupt veröffentlichen zu können.
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Web LinksIvan Jefremow Das Mädchen aus dem All, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau o. J. Nachdruck der im Verlag Kultur und Welt erschienenen Übersetzung von Heinz Lorenz.Arkady Strugatski was born in Batumi, Georgia. His mother, Alexandra Ivanova Strugatsky, was a teacher. Strugatskis father, Natan Zenovievich Strugatsky, came from a Jewish family. He was an active member of the Communist party, and died of hunger during the siege of Leningrad in 1942. One of his brothers died in the political purges of 1937. Strugatski served in the Soviet army in 1943-55, becoming a senior lieutenant. In 1955 he married Elena Oshanina; they had one stepdaughter. Strugatski studied English and Japanese at the Military Institute for Foreign Languages, and worked as a technical translator and editor for Institute for Technical Information, Goslitizdat (1959-61). He was an editor of Detgiz in 1961-64 and then worked as a freelance writer and translator from English and Japanese from 1964. Arkady Strugatski died on October 23, 1991. Brothers Strugatsky von dieser russischen, aber englischsprachigen Seite kann man Poor, Cruel Folk sowie einen kompletten Roman, The Final Circle of Paradise (Die gierigen Dinge des Jahrhunderts), downloaden.
Roadside Picnic
parallel in Russisch und Englisch.
Die Bibliothek Strugatzki diese deutschsprachige Seite enthält bio und bibliographische Angaben sowie Links und listet überdies die nach den Geschichten der Strugatzkis produzierten Filme und Hörspiele auf. Boris Natanovich Strugatsky Personalities of SaintPetersburg. Stalker von Andrei Tarkovsky, 1979 - West Germany / USSR - 160 min. Russian prose and science fiction in English translation Bulgakow, Strugatzki, Pelevin and others. LiteraturStanislaw Lem: Nachwort zu Picknick am Wegesrand, Suhrkamp, Frankfurt/M 1981, pp. 189-215.
Wolfgang Jeschke (Hrsg.):
Das Science Fiction Jahr 2001. Ein Jahrbuch für den Science Fiction Leser,
Heyne, München 2001, enthält unter anderem:
Franz Rottensteiner: Polaris 10 Ein SF Almanach, A. und B. Strugatzki gewidmet, Suhrkamp Frankfurt/M, 1986. Franz Rottensteiner: Quarber Merkur 93/94 Franz Rottensteiners Literaturzeitschrift für Science Fiction und Phantastik, ISBN 3-932621-47-6, Passau 2001. Bestellung: edfc@edfc.de , EDFC-Homepage: www.edfc.de Diese Doppelnummer enthält einen umfangreichen Sonderteil über das Werk der Gebrüder Strugazki, bestehend aus drei Aufsätzen und einer umfangreichen Bibliographie:
Erik Simon: Das Strugazki-Politikum (pp. 9-38)
Darko Suvin: Nachwort zu: Die Schnecke am Hang, Suhrkamp, Phantastische Bibliothek Bd. 13, Frankfurt 1978, pp. 255-277. Mit einer umfassenden Bibliographie zu den bislang erschienenen Romanen und Erzählungen. |
Strugatzki
Material
Stalker
Es ist nicht leicht ein Gott zu sein
©
Otto Sell
Wednesday, August 30, 2000
Saturday, April 22, 2006
Last update Tuesday, September 06, 2011