Der neue Roman "Schossgebete" von Charlotte Roche ist von null auf eins in den Verkaufscharts eingestiegen und hat große Wellen im Feuilleton geschlagen, seit Alice Schwarzer mit der Autorin in einem offenen Brief hart ins Gericht gegangen ist. Aber diese Kritik ist sehr persönlich und ignoriert die offensichtliche Fiktionalität des Romans, aber taugt er nun wirklich nur sehr bedingt für eine neue FeminismusDiskussion, wie Karin Fischer im "Deutschlandfunk" feststellt? Wie Frau Schwarzer denunziert auch Frau Fischer den lustvollen Sex, den Roche ihre Protagonistin schildern lässt, als etwas Negatives, eben typisch Frauenbewegung, möchte man als "Mann" beinahe sagen. Aber nein, das war ein Scherz, der Feminismus der 68er war völlig richtig und wichtig, um die alten kaputten familiären Strukturen Nachkriegsdeutschlands aufzubrechen, die auch 1965 noch von einem für alle verbindlichen Weltbild bestimmt wurden, über das sich der Führer gefreut hätte. Der patriarchalische Geist ("Ich bin der Herr im Haus") sollte endgültig ausgedient haben, schließlich haben wir bei Theweleit gelesen, auf welchem asexuellen Ungeist der Faschismus beruhte und, so möchte man hinzufügen, noch heute religiöspolitischer Fanatismus fusst. Alice Schwarzer behauptet in ihrem Blog, dass der Roman bei den weiblichen Rezensenten besser ankomme als bei den männlichen. Ich glaube zu erkennen, dass das Feuilleton allgemein eher unzufrieden mit dem Roman ist, aber anstatt den Roman auf seine literarische Qualität hin abzuklopfen, arbeiten sich die Berufsrezensenten lieber an sekundären Fragen ab. Inwieweit stimmt Charlotte Roche mit ihrer Protagonistin überein, inwieweit ist Elisabeth Charlotte Roches Alter Ego? As ob das jemanden interessieren würde, die Leser anscheinend nicht, wie die Verkaufszahlen beweisen, oder ist das alles nur, wie Schwarzer moniert, "sex sells"? Ist es "neuer Konservationsmus", der Roman eine "verruchte Heimatschnulze", weil Elisabeth ihren Mann "bedient" und dabei denkt: "Na, vielen Dank, liebe Frauenbewegung!"? Man kann Frau Schwarzer verruchte Heimatschnulze vielleicht sogar verstehen, wenn sie sich bei Sätzen wie diesem denunziert fühlt, aber so böse ist das mit Sicherheit gar nicht gemeint. Hier tiriliert die Selbstironie der literarischen Postmoderne, der Tanz der binären Oppositionen auf allen Ebenen, von der reinen, sozusagen pornographischen Erzählebene zwischen Mund und Anus bis zur gedanklichen Reflexion darüber, dass das Geschilderte eigentlich gegen die Ideologie verstösst und diese untergräbt, die es erst ermöglicht hat, dass Elisabeth so erzählt, wie sie erzählt. Um Schwarzer im letzten Punkt zu widersprechen, SPIEGELRezensent Christian Buß hegt in "Ratio und Fellatio" immerhin resümierend die Hoffnung, dass sich Fellatio und der Feminismus noch vertragen werden und ein paar Tage später in "Häschen im Bett, Oma im Kopf": "Nein, so leicht, wie Alice Schwarzer sich die Welt in gute Frauen und böse Männer, in stolze Mütter und schlappe Großmütter einteilt, geht es wirklich nicht." Wenn es um Enttabuisierung geht, dann müssen letztlich auch feministische Tabus fallen, so wie der Feminismus die patriarchalischen Tabus zu Fall gebracht hat. Charlotte Roche propagiert ja nicht die Rückkehr zum alten, von Frauen wie Alice Schwarzer gestürzten patriarchalischchristlichem Modell (was Frau Schwarzer aber anzunehmen scheint), in dem die Lust der Frau grundsätzlich als etwas Negatives, Sündhaftes dargestellt wird, sondern eine partnerschaftliche Beziehung, die auf unterschiedliche Bedürfnisse und Befindlichkeiten einzugehen imstande ist und ja, auch eine Beziehung, die auf Dauer angelegt ist, muss dann erlaubt sein. Um Frau Schwarzer nochmals im obigen Punkt zu widersprechen, Sarah Maria Deckert rechnet im "Cicero" zusammen mit Charlotte Roche gleich auch mit der gesamten Postmderne ab, in der kunstvoller Rhetorik, die sie so bei Roche vermisst. Aber sie argumentiert widersprüchlich. Erst bemängelt sie den vermeintlichen Anspruch der Postmoderne auf den Tabubruch, redet wie der Papst gegen den "Relativismus", dann behauptet sie am Ende, es läge gar kein Tabubruch vor. Vielleicht liegt ja am Ende auch gar kein Relativismus vor, sondern schriftstellerische Freiheit? Die auch noch vom Publikum goutiert wird? Wie frech! Vom gleichen Publikum übrigens, das von der Überpräsenz des billigen LateNightSex in den Werbeblöcken der Privatsender angeödet ist und lieber ein gutes Buch liest. Wann hätte man schon mal solche Gedanken beim Sex bei einer Pornodarstellerin erlebt? Aber um bei der Postmoderne zu bleiben: kurz vor dem Ende heisst es in Kurt Vonneguts "Schlachthof 5":
Das steht da in Wirklichkeit natürlich nicht, der Übersetzer betrügt den Leser um die korrekte Übersetzung oder er weiß es einfach nicht besser:
Im Sinne dieses Vonnegutschen, dem deutschen Publikum seit 1972 vorenthaltenen Kriteriums erfüllt der Roman "Schossgebete" seine Funktion in der modernen Gesellschaft.
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