Vladimir Nabokov

Pale Fire/Fahles Feuer

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Wißt ihr eigentlich, wie das mit den Nachtfaltern war? fragt er plötzlich.
Ich: Nein. Er: Es ist ein Gleichnis aus dem islamischen Orient.
Nachtfalter wollen das Geheimnis des Lichts erforschen.
Sie wissen nicht, warum sie so unwiderstehlich vom Licht
angezogen werden. Ihr Anführer schickt Kundschafter
aus. Die umkreisen die Kerze und beobachten sie genau.
Zurückgekehrt, berichten sie, was sie gesehen haben.
Wie sich das Licht bewegt, seine Farbe, das Aussehen der
Kerze. Das ist alles durchaus richtig und niemand bestreitet es.
Aber dennoch vermag nichts davon die rätselhafte Anziehung
zu erklären. Da meldet sich ein dritter Falter. Er fliegt
auf die Kerze zu, stürzt sich hinein, glüht auf und verbrennt.
— Er kennt nun das Geheimnis des Lichts, sagt der Anführer
zu seinem Volk, aber wer durch den Schleier eingetreten ist
ins Innere des Mysteriums, der kehrt nicht zurück und seine
Lippen bleiben versiegelt — wer aber zurückkommt
und spricht, der ist noch kein Wissender.

Ursula Dechêne: Der lange Tod des Fixers P.
Piper, München 1974, p. 13

“We should test our own ideas rigorously, so that by falsifying them ourselves we spare ourselves the embarrassment of having them refuted by others, and may thereby drive ourselves on to new and perhaps less vulnerable ideas.”
Brian Boyd

Pale Fire

Das 1962 erschienene Buch (dt. von Uwe Friesel: Fahles Feuer, Reinbek 1968) ist Nabokovs vierzehnter Roman und sein fünfter in englischer Sprache. In Form eines hochkomplexen (Schach?) Spiels von Referenzen und verborgenen Anspielungen führt Nabokov das Genre des Romans über seine Grenzen hinaus. Sein Umgang mit binären Oppositionen wie Ursache und Wirkung, Leben und Tod, These und Antithese, Spiegelungen, Verdopplungen, Doubles, Umkehrungen, Revolutionen, Koinzidenzen, Metamorphosen und Mimikry erweisen ihn als frühen Meister eines Schreibstils, der einen nachhaltigen Einfluss auf die Autoren des amerikanischen Postmodernismus (Pynchon, Barth) erkennen lässt.

In dieses binäre Grundmuster passen auch seine Verwendung des Schmetterlings, eines völlig symmetrischen Tieres, dessen Körper die Spiegelachse für die Flügel bildet. Schmetterlinge (und vergleichbare Fluginsekten wie Zikaden und Motten) haben Nabokov sein Leben lang so sehr fasziniert, dass er es neben seiner Karriere als Schriftsteller und Universitätslehrer sogar zu einigem Ruhm als Lepidopterist gebracht hat.

Ebenfalls in dieses Muster als eine Form der ‘Umkehrung’ der „normalen” Verhältnisse passt die literarische Verwendung der Homosexualität in Nabokovs Werk. Als Mensch mag sein Verhältnis zu der Homosexualität seines Bruders sowie eines seiner Onkel durchaus zwiespältig gewesen sein –und ein Teil der immanten Kritik Nabokovs an dieser Neigung scheint auch in Pale Fire in der Charakterisierung des Protagonisten Charles Kinbote durchzuscheinen– literarisch jedoch passt die Homosexualität hervorragend in Nabokovs Konzept und Grundmuster.

Ein Schlüssel für die Bedeutung der Homosexualität mag auch Nabokovs Kenntnis der Schriften Vasilii Rozanovs (2. Mai 1856 –20. April alter Zeit–bis 5. Februar 1919) sein, wie Alexander Etkind in seinem Essay darlegt:

“ I will deal with one such author, Vladimir Nabokov. During the remainder of my talk, I will show how this writer of the middle 20th century used a Rozanovian metaphor as a semi-secret tool for formulating his own, nabokovian views on the subject. My observations are not entirely new, of course. This area has been recently explored by a Moscow scholar Olga Skonechnaia, but our material and interpretations will not largely overlap. Nabokov was not wont to discuss literary influences which were significant to him. In his lectures on Russian literature, Nabokov mentioned Rozanov only once. “I knew Rozanov,” Nabokov told his Cornell students. In those early years when Nabokov could have met Rozanov, he also confronted the mystery of homosexual love. His younger brother, Sergei, was gay. In many of Nabokov’s novels and stories, homosexuals are described as unhappy and mysterious creatures, close to the main character. Sometimes their homosexuality is explicitly described, sometimes a reader has to guess. In many cases, however, the description of the homosexual character is accompanied by some reference to the Moon. There are dozens of examples, (…) The conception of Moonlight people created by Rozanov allowed Nabokov to hint, throughout his work, both at his relationship to his pre-Revolutionary Russian world and to his fascination with the realms of the hidden and the ambiguous. Rozanov’s own fascination with transgressive desires offered Nabokov a means of establishing a trans-historical, inter-textual correspondence in which deviance and desire could escape the medicalization that he abhorred. Politically as well as sexually, Rozanov and Nabokov were essentially conservative. What each recognized in homoerotic desire was the symbolic and practical disruption of dominant political and sexual norms. Moonlight and Revolution were deeply connected, and deeply disturbing, for both writers. What their writing prefigured, however, was a theorizing of the poetic and the political potential of homoerotic desire as an instrument for subverting hegemonies. Rozanov’s “moonlight”, born out of his homophobic and counter- revolutionary anxieties, has become an unexpected source of illumination.”
Secret Words for Secret Desires. Significations of Homosexuality from Rozanov to Nabokov

Ferner ist Nabokov an Spielen interessiert, die nach diesem Grundmuster funktionieren: Schach, Tennis, Tischtennis und Fussball. Sein literarisches Spiel hingegen ist äusserst vielschichtig und stellt sozusagen den literarischen Versuch einer Synthese aus verschiedenen antithetischen Komponenten dar.

Die klassische Romanform wird von Nabokov dekonstruiert. So kommt der Roman einerseits sehr wohl in der klassischen Struktur von Einleitung, Steigerung der Handlung, Höhepunkt und Ausklang daher, hebt diese Form jedoch gleichsam dadurch auf, dass der Roman mit einer Einleitung des Kommentators Charles Kinbote beginnt, auf die das eigentlichen Gedicht “Pale Fire” von John Shade folgt, woran sich dann Kinbotes Kommentar anschliesst, der mit dem Gedicht auf den ersten Anschein entgegen den Behauptungen seines Verfassers recht wenig zu tun zu haben scheint. Der letzte Teil des Romans besteht aus Kinbotes Index zu seinem Kommentar.

In der Kritik gab es lange Zeit eine Debatte darüber, ob sich nicht einer der beiden Protagonisten, Shade oder Kinbote, den jeweils anderen ausgedacht hat oder wie sonst die kaum zu erklärenden Referenzen zwischen dem Gedicht und den anderen Romanteilen zu erklären seien. Im dritten Teil seinem Buches stellt Brian Boyd die These auf, dass Nabokov den Roman so konzipiert hat, dass hinter Shade seine tote Tochter, seine Tante Maud sowie seine toten Eltern stecken, die allesamt aus einer geisterhaften Existenz heraus Shade beim Schreiben seines Gedichts beeinflussen und dass Shade nach seinem Tod, Kinbote bei der Abfassung seines Kommentars beinflusst:

“Shade composes his poem, dies, and then helps Kinbote orchestrate his Commentary. Behind her father’s life, and before his death, his dead daughter, with help from his dead parents, inspires both Kinbote’s Zembla and through it the controlled convolutions of her father’s poem. Beyond them all, Nabokov determines the patterns of their world, precisely because he in turn suspects that something beyond him shapes his world and ours. (…) In the fictive world of Pale Fire Nabokov can allow us to discover the identities of the “tender ghosts” who shape the lives of the mortal Shade and Kinbote and to catch glimpses of himself as creator and contrapuntal controller of his fictional world.”
(Boyd, 1999, p. 242-43)
Boyd, der anfangs die Shade-Hypothese vertreten hatte, rückt damit von seiner ursprünglichen Ansicht ab und schlägt hier eine Lösung vor, die den Streit für immer schlichten könnte, zumal Nabokov selbst nach Aussagen seines Sohnes Dmitri die “Ein-Autor-Lösung” abgelehnt hatte, ohne jedoch das Geheimnis zu lüften (ibid p. 253). In jedem Fall jedoch bekommt der Begriff “Ghost-Writer” hier durch Nabokov eine völlig neue, ironische Bedeutung, indem seine eigentlich metaphorische Bedeutung ins Wortwörtliche verkehrt wird.

Seite 2

Fahles Feuer Pale Fire

Vladimir Nabokov: Pale Fire (1962, Penguin Classics 2000)

Vladimir Nabokov: Fahles Feuer, Marginalien (Rowohlt 1968)

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