Gravity’s Rainbow Episode 5 (50-63) (29-37)

Zeit: noch immer der 18. Dezember, zwischen 22:00 und 00:00 Uhr (Zero!). London, at Snoxall’s (32), eine Séance (29-32), an der Jessica, die Freundin von Roger Mexico, teilnimmt. Ein T.S. Eliot April (35).


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"at Snoxall’s"

Der Ort, an dem uns die Séance mit dem "Other Kingdom" erstmalig in Kontakt bringen wird, ist merkwürdig unbestimmt. Die Atmosphäre, die der Roman heraufbeschwört wird, ist die Gaslicht–Atmosphäre eines winterlichen London:
"(…) Winterregen vor den Fenstern. Jetzt ist die Zeit der verschlossenen Türen, der falschen Gaskamine, der warmen Schals gegen den Nachtfrost gekommen. Zeit, euch an euer Mädchen oder eure Alte zu kuscheln oder, wie hier bei Snoxall’s, an nette Gesellschaft. Hier ist ein Unterschlupf, vielleicht sogar ein echter Ruhepunkt mitten in diesem endlosen Krieg, wo man sich treffen kann und Dinge tun, die nicht unbedingt im militärischen Interesse liegen." (55)

"(…) winter rain at the windows. Time for closeting, gas logs, shawls against the cold night, snug with your young lady or old dutch or, as here at Snoxall’s, in good company. Here’s a shelter perhaps a real node of tranquillity among several scattered throughout this long wartime, where they’re gathering for purposes not entirely in the martial interest." (32)

Steven Weisenburger konnte die Lokalität nicht genau identifizieren, nennt sie "someplace vaguely identified as "Snoxall’s" (30), und auch in den Zeiten des Internet ist es mir nicht gelungen, näheres über Pynchons Quelle für diesen Namen zu erfahren.

Eine Séance

Während Roger Mexico in einem anderen Raum mit Pirate Prentice spricht, nimmt Jessica an der Séance teil, die einen Geist namens Roland Feldspath beschwört. Es ist ein Spiel mit binären Oppositionen, dem beherrschenden Strukturelement des Romans, deren Umkehrung und Aufhebung, das Pynchon hier betreibt.

Die erste Opposition besteht in dem Gegensatzpaar von Diesseits und Jenseits. Die Séance erfordert eine bestimmte binäre Struktur, die dem diesseitigen magischen Zirkel einen eben solchen Kreis im Jenseits gegenüberstellt. Dieser jenseitige Kreis besteht wiederum aus zwei jenseitigen (Geist und Kontrolle, hier Feldspath und Roland Sachsa) und zwei diesseitigen Komponenten (Medium und Angehörige, hier Carroll Eventyr und Gattin Selena), die den Kontakt vom Diesseits zum Jenseits sicherstellen.

Der Inhalt dessen, was Feldspath berichtet, ist ebenfalls von binären Oppositionen gekennzeichnet. Nach seinem Übergang in das Totenreich entdeckt Feldspath, „daß sich alle Zeichen gegen ihn gewandt hatten" (51):

"Lights he had studied so well as one of you, position and movement, now gathered there at the opposite end, all in dance . . . irrelevant dance." (30)
Pynchon appelliert hier zwar nicht, daß wir unseren kritisch–aufgeklärten Verstand vergessen sollen, aber er verweist auf dessen Begrenztheit angesichts der neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die, obwohl auch schon fast einhundert Jahre alt, in all ihren Konsequenzen noch immer keinen Eingang in den Common Sense gefunden haben. Dem Entweder–Oder wird hier eine Absage zugunsten des Sowohl–als–auch erteilt, einer Unentscheidbarkeit, wie sie sich in dem wissenschaftlichen Dilemma der Welle–Teilchen Betrachtung des Lichts offenbart:
„Der Zugang zur physikalischen Welt ist über die Erfahrung vermittelt. Der gemeinsame Nenner aller Versuche ist das «Ich», das die Versuche durchführt. Kurz, was wir erfahren und erleben, ist keine äußere Realität, sondern unsere Wechselwirkung mit ihr. Dies ist eine der «Komplementarität» zugrundeliegende fundamentale Annahme. Komplementarität ist der Begriff, den Niels Bohr entwickelte, um die Wellen–Partikel–Dualität des Lichts zu erklären. Bisher hat noch niemand eine bessere Erklärung gefunden. Welleneigenschaften und Partikeleigenschaften, so lautet die Theorie, schließen sich gegenseitig aus, das heißt, sie sind komplementäre Aspekte des Lichts. Obwohl die eine Eigenschaft die andere immer ausschließt, sind beide erforderlich, um das Licht zu verstehen. Eine von ihnen schließt immer die andere aus, denn weder Licht noch irgend etwas anderes kann gleichzeitig Welle und Partikel sein. Wie können die sich gegenseitig ausschließenden wellenartigen und partikelartigen Verhaltensweisen Eigenschaften ein und desselben Lichts sein? Sie sind keine Eigenschaften des Lichts. Sie sind Eigenschaften unserer Wechselwirkung mit dem Licht. Je nach unserer Wahl könne wir den Versuch so einrichten, daß das Licht sich als Wellenerscheinung oder als Partikelerscheinung manifestiert. (…) Das «Wir», das die Versuche durchführt, ist das Bindeglied zwischen Licht als Partikel und Licht als Welle. Das wellenartige Verhalten, das wir beim Doppelspalt–Versuch beobachten, ist keine Eigenschaft des Lichtes, es ist eine Eigenschaft unserer Wechselwirkung mit dem Licht. Ebenso sind die partikelartigen Eigenschaften, die wir beim photoelektrischen Effekt beobachten, keine Eigenschaften des Lichts. Auch sie sind eine Eigenschaft unserer Wechselwirkung mit dem Licht. Wellenanartiges und partikelartiges Verhalten sind Eigenschaften von Wechselwirkungen."
(Gary Zukav: Die tanzenden Wu-Li Meister, 114–117)
Diese Erkenntnis aber ist nicht nur in dem begrenzten Kontext der Quantenphysik von Interesse, sie enthält eine fundamentale Sprengkraft in ihrer Aussage über die Natur unserer Realität, wie wir sie gemeinhin verstehen. Sie führte Nils Bohr zu der Aussage, daß so es etwas wie "eine unabhängige Realität im gewöhnlichen physikalischen Sinne" gar nicht gibt. Wenn wir schon über die Beschaffenheit dieser Welt keine letztendlich gültigen Aussagen machen können, wie wollen wir dann Aussagen über eventuelle "höhere Welten" machen? Oder aber Aussagen über jene als unzutreffend abtun?

Der heraufbeschworene Geist Roland Felspath äußert sich zu der Frage, was geschieht, wenn die Menschen Gott von seinem privilegierten Pol stürzen und glauben, selber die Kontrolle zu haben:

"Es ist die Kontrolle. Alle diese Dinge wurzeln in einer Schwierigkeit: der Kontrolle. Zum erstenmal kam sie von innen, siehst du das? Die Kontrolle ist nach innen verlagert. Man ist nicht mehr gezwungen, passiv unter Kräften zu leiden, die von außen kommen (…). Ein Markt brauchte nicht länger von der Unsichtbaren Hand gelenkt zu werden, sondern konnte sich jetzt selbst erschaffen –seine eigene Logik, seine Dynamik, seinen Stil, von innen heraus. Die Kontrolle nach innen zu verlagern bedeutete, eine vollendete Tatsache anzuerkennen: daß ihr mit Gott gebrochen hattet. Aber ihr habt eine größere und gefährlichere Illusion an seine Stelle gesetzt — die Illusion der Kontrolle: Das ist ein Irrtum. Absolut. Niemand bewirkt. Die Dinge geschehen einfach. A und B existieren nicht, es sind nur Namen für Teile, die eigentlich untrennbar sein sollten …"
"Wieder so ein uspenskianischer Unsinn", flüstert eine Dame, die am Arm eines Hafenarbeiters vorbeirauscht. "
Ist es natürlich nicht, sondern eine Anspielung auf etwas sehr Weltliches, nämlich Adam Smiths (1723–1790) The Wealth of Nations (1776), das als grundlegender Text des Wirtschaftsliberalismus angesehen wird und sozusagen das Credo der puritanischen Ideologie in Bezug auf das Verhältnis von Ökonomie und Staat darstellt:
"Besonders populär geworden ist der von Adam Smith geprägte Begriff der unsichtbaren Hand: Das eigennützige Streben der Menschen trage zum Wohl der gesamten Gesellschaft bei." — Wikipedia

Ein T.S. Eliot April

Thomas Stearns Eliot, geboren am 26. September 1888 in St. Louis, Missouri, gestorben am 4. Januar 1965, hatte 1915 seine dichterische Laufbahn (ermuntert von Ezra Pound) mit The Love Song of J. Alfred Prufrock begonnen. Von 1906 bis 1910 hatte Eliot in Harvard studiert. In den Jahren 1910 und 1911 studierte er in Frankreich und Deutschland, kehrte aber von 1911 bis 1914 nach Harvard zurück. Infolge des Kriegsausbruchs konnte er seine Studien in Deutschland nicht fortsetzen und ging stattdessen nach Oxford. Fortan lebte er in London und wurde 1927 britischer Staatsbürger.
"a T.S. Eliot April." (35)
Die Anspielung verweist auf den Beginn von T.S. Eliots Gedicht The Waste Land aus dem Jahr 1922:

The Burial of the Dead

April is the cruellest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.
Summer surprised us, coming over the Starnbergersee
With a shower of rain; we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten,
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm’ aus Litauen, echt deutsch.
And when we were children, staying at the archduke’s,
My cousin’s, he took me out on a sled,
And I was frightened. He said, Marie,
Marie, hold on tight. And down we went.
In the mountains, there you feel free.
I read, much of the night, and go south in the winter.
(T.S. Eliot - The Waste Land )

Literatur

Amerikanische Lyrik – Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart – Philip Reclam jun., Stuttgart 1974 und 1984.

Richard Ruland, Malcolm Bradbury: From Puritanism to Postmodernism – A History of American Literature, Penguin, New York 1992.

Gary Zukav: Die tanzenden Wu–Li Meister, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, Mai 1985.

Links

What the Thunder Said — "a site devoted to the works and life of T.S. Eliot." — Timeline, Works, Resources.

The T. S. Eliot Page — Poems, Links and Resources.

Gary Zukav: The Dancing Wu Li Masters, – Zukav liest sein Buch (Youtube):

Episode 4 Episode 6

I Beyond the Zero II Un Perm’ au Casino Hermann Goering III In the Zone IV The Counterforce

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Professor Irwin Corey Accepts the National Book Award for Thomas Pynchon
Charles Hollander: Pynchon’s Inferno
Douglas Kløvedal Lannark: Paperware to Vaporware, The Nativity of Tyrone Slothrop
Douglas Kløvedal Lannark: Mason & Dixon: Astrological Review
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© Otto Sell – Monday, June 26, 2000
Last update Thursday, December 24, 2009

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