2. DAS MÄDCHEN VOM PLANETEN DES EPSILONSTERNS IM TUKAN
Ein leises gläsernes Klingen ertönte auf dem Tisch, begleitet von
orangefarbenen und blauen Funken. Über die durchsichtige Scheidewand
huschten bunte Lichtflecke. Der Leiter der Außenstationen für den
Großen Ring des Weltalls, Dar Veter, betrachtete die Lichter der
Spiralstraße. In gigantischem Bogen wand sie sich in die Höhe und
senkte sich dann hinab zum Meer, an dessen Ufer sie als mattgelber Streifen
verlief.
Heute sollte sich im Leben dieses Mannes eine gewaltige Veränderung
vollziehen. Am Morgen war aus dem Wohngürtel der südlichen Halbkugel
Mwen Mass eingetroffen, der vom Rat für Sternenfahrt bestimmt war, seine
Stelle einzunehmen. Die letzte Sendung über den Großen Ring werden
sie gemeinsam durchführen, und dann
Eben dieses "dann" war
noch ungeklärt.
Sechs Jahre hatte er seine Arbeit, die eine unermeßliche Anspannung
erforderte, verrichtet. Nur außerordentlich befähigte Menschen mit
großartigem Gedächtnis und enzyklopädischen Kenntnissen wurden
dazu bestimmt. Immer häufiger jedoch wiederholten sich bei ihm
Anfälle von Gleichgül
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tigkeit gegenüber der Arbeit und dem Leben eine der schwersten
Krankheiten des Menschen.
Die berühmte Nervenärztin Ewda Nal hatte ihn untersucht. Die erprobte
alte Heilmethode, Musik harmonischer, weicher Akkorde in dem von beruhigenden
Strahlen erfüllten "Zimmer der blauen Träume", hatte nicht
geholfen. Es blieb nichts weiter übrig, als die Tätigkeit zu wechseln
und sich durch körperliche Arbeit zu heilen dort, wo noch
täglich und stündlich Muskelarbeit notwendig war. Seine liebe
Freundin, die Historikerin Weda Kong, hatte ihm gestern vorgeschlagen, bei ihr
als Ausgräber zu arbeiten. Bei den archäologischen Ausgrabungen
konnten noch nicht alle Arbeiten von Maschinen verrichtet werden, die letzte
Etappe mußten Menschenhände bewältigen. Weda hatte ihm eine
lange Reise in uraltes Steppengebiet, hatte ihm unberührte Natur
versprochen.
Wenn Weda Kong
aber Weda liebte Erg Noor, das Mitglied des Rates für
Sternenfahrt, den Leiter der siebenundreißigsten Sternenexpedition. Erg
Noor hatte schon vom Planeten Sirda Nachricht geben sollen. Sollte jedoch
keine Nachricht von ihm kommen was höchst unwahrscheinlich war,
denn die Berechnungen der interstellaren Flüge waren außerordentlich
präzise , so würde dennoch jeder Versuch, Wedas Liebe zu
erringen, zwecklos sein. Der Freundschaftsvektor war das Höchste, was ihn
mit ihr verbinden konnte. Trotzdem würde er zu ihr zum Arbeiten fahren!
Dar Veter drückte auf einen Knopf, und helles Licht überflutete das
Zimmer. Die eine Wand des sich über Erde und Meer erhebenden Raumes
bildete ein Kristallfenster. Mit einer Hebelbewegung ließ Dar Veter diese
Wand sich neigen, und der
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Raum öffnete sich dem Sternenhimmel, wobei er mit seinem unteren
Metallrahmen die Lichter der Straßen, Gebäude und Leuchttürme
an der Meeresküste abschirmte.
Das Zifferblatt der galaktischen Uhr mit den drei konzentrischen Skalenringen
fesselte Dar Veters Aufmerksamkeit. Die Nachrichtensendung über den
Großen Ring erfolgte jede hunderttausendstel galaktische Sekunde oder
einmal in acht Tagen nach irdischer Zeitrechnung. Eine Umdrehung der Galaxis um
ihre Achse entsprach einem Tag galaktischer Zeit.
Die nächste und für ihn letzte Sendung würde um neun Uhr nach
der Zeit des tibetanischen Observatoriums, also hier, im Mittelmeerobservatonum
des Rates, um zwei Uhr erfolgen. Bis dahin waren noch etwas mehr als zwei
Stunden Zeit.
Das Gerät auf dem Tisch klingelte und flackerte erneut. Hinter der
Scheidewand erschien ein Gehilfe in heller, seidig glänzender Kleidung.
Er meldete kurz: "Alles ist für Sendung und Empfang bereit."
"Im kubischen Saal?" fragte Dar Veter und erkundigte sich, nachdem
seine Frage bejaht worden war, wo Mwen Mass sei.
"Er erfrischt sich nach der Reise; und er scheint aufgeregt zu sein."
"Ich an seiner Stelle wäre auch aufgereg"", sagte Dar Veter
nachdenklich. "Vor sechs Jahren ging es mir genauso."
Der Gehilfe hatte Mühe, seine Gefühle zurückzudrängen;
vielleicht dachte er auch, daß er selbst einmal durch die Freuden und
Leiden einer großen Arbeit und gewaltigen Verantwortung schreiten
müsse.
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"Wenn Mwen Mass erscheint, führen Sie ihn bitte sofort zu mir."
Der Gehilfe entfernte sich. Dar Veter öffnete zwei Türflügel in
der Wandtäfelung aus farbigem Holz. Licht flammte auf, das aus dem Innern
eines spiegelähnlichen Bildschirmes kam.
Der Leiter der Außenstationen wählte mit Hilfe einer
Spezialschaltung den Freundschaftsvektor die direkte Verbindung zwischen
eng befreundeten Menschen, damit sie sich in jedem beliebigen Augenblick
erreichen konnten. Der Freundschaftsvektor verband mehrere ständige
Aufenthalte: die Wohnung, den Arbeitsplatz und die Lieblingsecke für eine
Ruhepause.
Der Bildschirm leuchtete auf, und in seiner Tiefe zeichneten sich die
vertrauten Umrisse der hohen Wandregale mit den unzähligen Reihen von
Buchfilmen mit verschlüsselten Bezeichnungen ab. Blaue, grüne, rote
Streifen die Zeichen der zentralen Filmotheken, wo die wissenschaftlichen
Forschungsergebnisse aufbewahrt wurden, von denen schon seit langem nur ein
Dutzend Exemplare erschien. Das war Wedas persönliche Bibliothek. Ein
leichtes Knacken, und das Bild verschwand. Ein anderes Zimmer leuchtete auf,
ebenfalls leer. Beim nächsten Knacken übertrug das Gerät einen
Saal mit schwach beleuchteten Tischen. Die am vordersten Tisch sitzende Frau hob
den Kopf, und Dar Veter sah die dichten, weit auseinanderstehenden Augenbrauen
und das liebliche schmale Gesicht mit den großen grauen Augen. Das
Lächeln des kühn gezeichneten Mundes und die weißen Zähne
machten das Gesicht noch weicher und liebenswürdiger.
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"Weda, es sind nur noch zwei Stunden. Sie müssen sich umziehen, und
ich möchte, daß Sie etwas früher im Observatorium
erscheinen."
Die Frau auf dem Bildschirm bog die Hände zu dem dichten aschblonden Haar.
"Ich gehorche, mein Lieber", sagte sie lächelnd, "ich gehe
nach Hause."
Die erzwungene Fröhlichkeit in ihrer Stimme blieb Dar Veters Ohr nicht
verborgen.
"Nur Ruhe, tapfere Weda. Jeder, der über den Großen Ring
spricht, hielt irgendwann einmal seine erste Rede
"
"Sie können sich Ihre ermunternden Worte sparen." Weda Kong warf
eigensinnig den Kopf zurück. "Ich komme bald."
Der Bildschirm erlosch. Dar Veter schloß die Türflügel und
wandte sich dem Eingang zu, um seinen Nachfolger zu begrüßen. Mwen
Mass trat mit weitausholenden Schritten ein. Seine Gesichtszüge und die
dunkelbraune Farbe seiner glänzenden Haut deuteten darauf hin, daß
seine Vorfahren Neger gewesen waren. Ein weißer Umhang hing in schwerem
Faltenwurf von seinen Schultern herab. Mwen Mass schüttelte Dar Veter
kräftig die Hände. Beide Leiter der Außenstationen, der
bisherige und der künftige, waren tief bewegt.
"Mir ist, als müsse heute etwas Wichtiges geschehen", begann
Mwen Mass mit jener vertraulichen Offenheit, wie sie den Menschen der Ära
des Großen Rings eigen war.
Dar Veter zuckte die Schultern.
"Etwas Wichtiges wird sich für uns alle ereignen. Ich werde meine
Arbeit abgeben, Sie werden sie übernehmen, und Weda Kong wird zum
erstenmal mit dem All sprechen. Sie wird für KRS
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664456-BS-3252 eine Lektion über unsere Geschichte halten."
Verblüffend schnell stellte Mwen Mass eine Berechnung an.
"Sternbild des Einhorns, Stern Ross 614 ein aus alten Zeiten
bekanntes Planetensystem. Ich liebe altertümliche Bezeichnungen und
Ausdrücke", ergänzte er mit einem kaum merklichen Ton der
Entschuldigung.
Wie gut es der Rat versteht, Menschen auszuwählen, dachte Dar Veter. Laut
fügte er hinzu:
"Dann werden Sie sich mit Yuni Ant, dem Leiter der
ElektronenGedächtnismaschinen, gut verstehen. Er selbst nennt sich
Leiter der Gedächtnislampen. Nicht nach der kümmerlichen Leuchte im
grauen Altertum, sondern nach den ersten plumpen Elektronenlampen aus Glas, aus
denen die Luft herausgepumpt war und die den elektrischen Leuchten vor
dreitausendneunhundert Jahren glichen.
Mwen Mass lachte so herzlich und offen, daß Dar Veter noch
größere Sympathie für ihn empfand.
"Gedächtnislampen! Unsere Gedächtnisnetze sind kilometerlange
Korridore aus Milliarden Zellenelementen! Aber da lasse ich hier meinen
Gefühlen freien Lauf", sagte er, plötzlich ernst geworden,
"anstatt mich über das Notwendigste zu informieren. Wann hat Ross 614
zum erstenmal gesprochen?"
"Vor zweiundfünfzig Jahren. Seit jener Zeit beherrschen sie die
Sprache des Großen Rings und können mit der nächsten Umgebung
sprechen. Bis zu uns sind es insgesamt vier Parsek. Wedas Lektion werden sie in
dreizehn Jahren empfangen.
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Nach der Lektion schalten wir auf Empfang um. Durch unsere alten Freunde werden
wir Neuigkeiten über den Ring erfahren."
"Über Schwan 61?"
"Natürlich. Manchmal auch über Schlangenträger 107, um die
von Ihnen so geliebte alte Terminologie zu benutzen."
Ein Mann in der gleichen silbrig glänzenden Kleidung des Rates für
Sternenfahrt, die auch Dar Veters Gehilfe trug, trat ein. Er war klein und
lebhaft, hatte eine große Nase und erregte sofort durch den scharfen,
forschenden Blick seiner tiefschwarzen Augen Aufmerksamkeit. Der Eingetretene
fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf.
"Ich bin Yuni Ant", sagte er, zu Mwen Mass gewandt, mit hoher,
schriller Stimme.
Mwen Mass begrüßte ihn achtungsvoll. Die Leiter der
Gedächtnismaschinen übertrafen alle übrigen Menschen an
Gelehrsamkeit. Sie entschieden, welche der erhaltenen Informationen in den
Gedächtnismaschinen zu verewigen und welche in die Linien der Allgemeinen
Information oder zu den Palästen des Schaffens zu senden waren.
"Weda wollte etwas früher kommen", begann Dar Veter, doch seine
Worte gingen in den alarmierenden musikalischen Akkorden unter, die einem hellen
Klicken am Zifferblatt der galaktischen Uhr folgten.
"Das Signal für die ganze Erde", erläuterte Dar Veter.
"Es gilt für alle Energiestationen, alle Betriebe, das
Lichttransportwesen und die Radiostationen. In einer halben Stunde muß
die gesamte Energieentnahme eingestellt werden. Die Energie wird in
großen Kondensatoren gespeichert, um die für den Kosmos
erforderliche Kapazität zu errei
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chen. Für die Sendung werden dreiundsechzig Prozent der Erdenergie
verbraucht."
"Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte Mwen Mass, zur
Bekräftigung mit dem Kopf nickend. Plötzlich strahlte er vor
Begeisterung.
Dar Veter sah sich um. Von ihnen unbemerkt, war Weda Kong eingetreten und
stand an der durchsichtigen Leuchtsäule. Für ihren Auftritt hatte
sie ihr schönstes Kleid angelegt, das in seinem Stil den Gewändern
entsprach, wie sie schon vor über achttausend Jahren von Frauen im
Kreterreich getragen wurden. Der schwere, hoch aufgesteckte Knoten aschblonden
Haares hob die Schönheit des kräftigen schlanken Halses. Der weite,
fließende Rock ließ die gebräunten Beine in roten Sandalen
frei. Eine Kette aus großen, in Titan gefaßten kirschroten Steinen
Phaanten von der Venus leuchtete auf der zarten Haut im Ton der
vor Erregung geröteten Wangen.
Mwen Mass betrachtete die Geschichtswissenschaftlerin, die er zum erstenmal
sah, mit unverhohlenem Entzücken.
"Sie wollten mich sprechen?" sagte Weda zu Dar Veter.
Beide traten auf die breite Ringterrasse hinaus, und Weda kehrte ihr Gesicht
dem frischen Meereswind zu.
Der Leiter der Außenstationen teilte ihr mit, daß er sich
entschlossen habe, zu den Ausgrabungen zu fahren; er erzählte ihr, wie
schwer ihm die Wahl geworden sei zwischen der achtunddreißigsten
Sternenexpedition, den antarktischen Unterwassergruben und der Archäologie.
"Oh nein, nur keine Sternenexpedition!" rief Weda. Dar Veter begriff
sofort seine Taktlosigkeit.
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Mit seinen Gedanken beschäftigt, hatte er versehentlich an die wunde
Stelle in Wedas Herz gerührt.
"Es ist Zeit! In einer halben Stunde schalten wir uns in den Ring
ein!" Dar Veter faßte Weda Kong fürsorglich unter.
In Begleitung der andern fuhren sie mit der Rolltreppe bis tief unter die Erde
und betraten einen kubischen Raum, der direkt in den Fels gehauen war.
Die matte dunkle Täfelung der Wände wirkte wie Samt. Golden,
grün, hellblau und orangefarben leuchteten matt die Skalen, Zeichen und
Zahlen. Die smaragdenen Spitzen der Zeiger vibrierten über den schwarzen
Halbkreisen.
Mehrere Sessel, ein großer Tisch aus Ebenholz vor einem riesigen
perlmuttglänzenden halbsphärischen Bildschirm in einem massiven
Goldrahmen war alles, was im Zimmer stand.
Weda Kong und Mwen Mass, zum erstenmal im Observatorium der
Außenstationen, blickten interessiert um sich.
Durch ein Zeichen rief Dar Veter seinen Nachfolger zu sich, während er den
übrigen die hohen schwarzen Sessel zuwies. Mit verhaltenem Atem trat Mwen
Mass näher. Gleich wird sich von hier aus das Fenster der Erde in die
endlosen Räume des Kosmos öffnen, die Menschen werden sich durch
Gedanken und Wissen mit ihren Brüdern auf anderen Welten verbinden. Jetzt
stehen fünf Vertreter der Menschheit vor dem Weltall. Ab morgen werden
ihm, Mwen Mass, alle Einrichtungen dieser großartigen Station anvertraut
sein. Ein leichter Schauer lief ihm über den Rücken. Erst jetzt
begriff er ganz, welche Verantwortung er
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übernahm, als er der Entscheidung des Rats zustimmte.
Ein lang anhaltender Ton erklang, als hätte man ein Stück massives
Kupfer zum Klingen gebracht. Dar Veter drehte sich rasch um und betätigte
einen Schalter. Der Ton verstummte, und Weda Kong sah die Täfelung der
rechten Wand in voller Zimmerhöhe hell werden. Sie schien zu
zerfließen und in grenzenloser Ferne zu verschwinden. Unten wurden die
Konturen eines pyramidenförmigen Berggipfels sichtbar, den ein riesiger
steinerner Ring krönte. Unterhalb dieser kolossalen Kappe
festgefügten Gesteins glitzerten Flecke weißen Bergschnees.
Mwen Mass erkannte den zweithöchsten Berg Afrikas, den Kenia.
Wieder erfüllte der seltsame Ton das unterirdische Zimmer. Dar Veter nahm
Mwens Hand und legte sie auf einen runden Knopf mit einem granatroten Auge.
Gehorsam drehte ihn Mwen Mass bis zum Anschlag. Jetzt wurde die gesamte in den
eintausendsiebenhundertsechzig riesigen Kraftwerken der Erde erzeugte Energie
zum Aquator umgeleitet, zu diesem Berg von fünftausend Meter Höhe.
Über seinem Gipfel wallte ein vielfarbiger Lichtschein, der plötzlich
wie ein Speer senkrecht nach oben in den Himmel jagte. Einer Windhose gleich
entstand über dem steinernen Ring eine feine Säule, an der sich
grelleuchtende blaue Rauchspiralen in die Höhe schlängelten.
Die gelenkte Strahlung durchstieß die Atmosphäre und bildete einen
ständigen Kanal zu den Außenstationen für Empfang und Sendung.
Sechsunddreißigtausend Kilometer über der Erde befand sich ein
Tagessatellit eine große Station, die in
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Äquatorhöhe in vierundzwanzig Stunden einmal um den Planeten kreiste
und dadurch stets über dem Kenia in Ostafrika stand. Ein anderer
großer Satellit rotierte in einer Höhe von
siebenundfünfzigtausend Kilometern um den neunzigsten Breitengrad und
stand mit dem tibetanischen Empfangs und Sendeobservatonum in Verbindung.
Das Licht auf der rechten Täfelung erlosch. Im gleichen Augenblick
leuchtete der goldgefaßte Bildschirm auf. In seinem Zentrum erschien eine
bizarr vergrößerte Figur, wurde deutlicher und lächelte mit
gewaltigem Mund. Das war Gur Gan, einer der Beobachter vom Tagessatelliten. Auf
dem Bildschirm war er zu einem Märchenriesen angewachsen. Er nickte
fröhlich, reckte seinen drei Meter langen Arm und schaltete das Netz der
Satelliten ein. Nach allen Seiten des Weltalls richteten die
Empfangsgeräte ihre hochempfindlichen Fühler. Am besten wurden die
Rufe des roten Sterns im Sternbild des Einhorns vom Satelliten
siebenundfünfzig empfangen, und Gur Gan stellte die Verbindung zu ihm
durch einen direkten Strahlungsstrom her. Der unsichtbare Kontakt der Erde mit
dem Stern konnte nur eine dreiviertel Stunde dauern. Keine Minute dieser
kostbaren Zeit durfte deshalb ungenutzt verlorengehen.
Dar Veter ließ Weda Kong in den blauen Metallkreis vor dem Bildschirm
treten. Geräuschlos begannen die Elektronenmaschinen zu arbeiten, die
Wedas Rede in die Sprache des Großen Rings übersetzten. Nach
dreizehn Jahren werden die Empfänger des Planeten vom roten Stern die in
den Weltraum geschickten Schwingungen in Form von allgemeingültigen
Zeichen aufnehmen. ElektronenÜbersetzungsmaschinen falls sie
dort
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bestehen werden die Zeichen in eine lebendige Sprache
zurückverwandeln.
Weda Kong sprach knapp und exakt über die wesentlichen Meilensteine der
Menschheitsgeschichte. Die Menschen der Ära des Großen Rings waren
nicht an der Aufzählung vernichtender Kriege, furchtbarer Leiden oder
großmächtiger Herrscher interessiert, wie alte Geschichtsbücher
sie enthielten. Bedeutend wichtiger war die Geschichte der widerspruchsvollen
Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und der
auf ihnen basierenden Ideen, der Kunst und des Wissens, die Geschichte des
Kampfes für einen wahren Menschen, der Vorstellungen über die Welt
und die gesellschaftlichen Beziehungen, über die Rechte und Pflichten und
das Glück des Menschen, woraus auf der ganzen Erde die mächtige
kommunistische Gesellschaft erwuchs und blühte.
Alle Kräfte der Gesellschaft, die im Zeitalter des Kapitalismus für
den Bau von Kriegsmaschinen, für den Unterhalt riesiger Armeen verwendet
worden waren, kamen jetzt dem Aufbau des Lebens und der Entwicklung der
Wissenschaft zugute.
Auf ein Zeichen von Weda Kong bediente Dar Veter einen Knopf, und neben der
schönen Histonkerin wurde ein großer Globus sichtbar.
"Wir begannen"" fuhr Weda fort, "mit einer völligen
Neuaufteilung der Wohn und Industriezonen unseres Planeten. Hier diese
braunen Streifen längs der dreißigsten Breitengrade auf der
nördlichen und suuml;dlichen Halbkugel sind eine ununterbrochene Kette
städtischer Siedlungen, die an den Küsten warmer Meere in einer
milden Klimazone ohne Winter liegen. Die Bevölkerung konzen
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trierte sich vor allern an der Wiege der Menschheitskultur am Mittelmeer.
Nördlich dieses Wohugürtels erstreckt sich eine gigantische Zone von
Wiesen und Steppen, wo ungezählte Herden von Haustieren weiden.
Der Anbau von pflanzlicher Nahrung und Nutzholz konzentriert sich auf die
tropische Zone, die tausendmal günstiger dafür ist als die kalten
Klimazonen.
Zu den Hauptfreuden der Menschen zählt das Reisen. Heute umspannt unseren
ganzen Planeten die Spiralstraße, die durch Riesenbrücken über
die Meerengen alle Kontinente miteinander verbindet." Weda fuhr mit dem
Finger den Silberfaden entlang und drehte den Globus. "Auf ihr fahren in
ununterbrochenem Strom Elektrozüge, und hunderttausende Menschen
können sehr schnell aus der Wohnzone in die Steppen, Feld oder
Waldzone befördert werden.
Die planvolle Gestaltung des Lebens war es schließlich, die der
mörderischen Jagd nach Geschwindigkeit, dem Bau immer schnellerer
Transportmaschinen ein Ende setzte. Auf der Spiralstraße fahren die
Züge zweihundert Kilometer in der Stunde, noch langsamer vollzieht sich
der Transport auf den Zweigstraßen. Nur in seltenen Fällen werden
schnelle Flugschiffe verwandt, die tausende Kilometer in der Stunde
zurücklegen.
Vor einigen Jahrhunderten haben wir das Antlitz unseres Planeten stark
verändert. Die Eiskappen, die während der letzten Eiszeit an den
Polen der Erde entstanden sind, haben wir beträchtlich verkleinert und
damit das Klima des ganzen Planeten verändert. Der Wasserspiegel der
Ozeane wurde um sieben Meter gehoben, in der Atmo
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sphärenzirkulation wurden die Polarfronten sowie die Ringe der
Passatwinde, die an der Grenze der Tropen die Wüstenzonen ausgedörrt
hatten, bedeutend eingeengt.
Die warmen Steppen drangen bis zum sechzigsten Breitengrad vor, und die
grünen Wiesen und Wälder der gemäßigten Zonen
überschritten sogar den siebzigsten Breitengrad.
Das antarktische Festland, zur Hälfte vom Eis befreit, erwies sich als ein
Hort an Bodenschätzen für die Menschheit. Noch unberührt lagen
dort die Reichtümer der Berge, die auf allen anderen Kontinenten nach dem
unvernünftigen Verschleiß der Metalle in den großen
zerstörenden Kriegen stark ausgebeutet worden waren. Über die
Antarktis gelang es auch, den Ring der Spiralstraße zu schließen.
Die Möglichkeiten zur Erzeugung von Nahrungsmitteln wuchsen um ein
Vielfaches, neue Gebiete wurden bewohnbar.
Doch all das war für die Erdbevölkerung trotz ihres ständigen
Anwachsens nicht mehr von zwingender Notwendigkeit. Die ersten
gefährlichen und zerbrechlichen Planetenschiffe ermöglichten es
ja, die nächsten Planeten unseres Systems zu erreichen. Ein
Gürtel künstlicher Satelliten, von denen aus sich die Menschen
mit dem Kosmos vertraut machten, umgab die Erde. Da trat vor achthundertacht
Jahren ein wichtiges Ereignis ein, das eine neue Ära im Dasein der
Menschheit einleitete.
Seit langem arbeitete der Geist des Menschen an der Sendung von Bildern, Lauten
und Energie über weite Entfernungen. Hunderttausende hochbegabte
Wissenschaftler waren in einer besonderen Organisation tätig, die bis
heute noch die Aka
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demie der gelenkten Strahlung heißt. Vor fast dreitausend Jahren
stellten unsere Gelehrten fest, daß zugleich mit der Gesamtstrahlung der
Gestirne und Sternensysteme auch Rufe aus dem Kosmos und Sendungen über
den Großen Ring des Alls zu uns gelangten. Obwohl wir seit langem
imstande waren, diese geheimnisvollen Signale einzufangen, maßen wir
ihnen keinerlei Sinn bei, denn wir hielten sie für natürliche
Strahlungen.
Der Wissenschaftler Kham Amat hatte den Einfall, auf künstlichen
Satelliten Versuche mit Bildempfängern durchzuführen, wobei er immer
neue Kombinationen von Wellenbereichen ausklügelte.
Kham Amat vermochte eine Sendung vom Plnetensystem eines Doppelsterns
aufzufangen, der seit alters Schwan 61 genannt wird. Im Bildschirm zeigte sich.
eine uns nicht ähnliche Gestalt, doch zweifellos ein denkendes Wesen, und
wies auf eine aus den Zeichen des Großen Rings gebildete Inschrift. Erst
nach neunzig Jahren vermochten wir die Inschrift zu entziffern. Heute ziert sie
in unserer Erdensprache das Denkmal Kham Amat:
'Gruß euch Brüdern, die ihr in unsere Familie eingetreten seid. Von
Raum und Zeit getrennt, vereinen wir uns durch den Verstand im Ring der
großen Kraft.'
Die Sprache der Zeichen, Bilder und Karten des Großen Rings wurde
für uns erst auf einer von der Menschheit vor nicht allzulanger Zeit
erreichten Entwicklungsstufe verständlich. Zwei Jahrhunderte später
konnten wir uns schon mit den Planetensystemen der nächsten Sterne
unterhalten und ganze Bilder des vielfältigen Lebens der verschiedenen
Welten empfangen und senden. Erst kürzlich erhielten wir Antwort von den
vierzehn Plane
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ten aus dem großen Lebenszentrum des Deneb im Sternbild des Schwans,
einem Riesenstern mit viertausendachthundertfacher Sonnenleuchtkraft, der sich
einhundertzweiundzwanzig Parsek von uns entfernt befindet. Die Entwicklung des
Denkens hat dort eine außerordentlich hohe Stufe erreicht.
Und von den alten Welten den kugelförmigen Anhäufungen in
unserer Galaxis und dem riesigen bewohnten Gebiet um das galaktische Zentrum
kommen aus unermeßlicher Ferne seItsame Bilder und Zeichen,
für uns noch unverständlich, da sie noch nicht entziffert werden
können. Von Gedächtnismaschinen aufgezeichnet, werden sie an die
Akademie der Grenzen des Wissens weltergeleitet. So heißt die
wissenschaftliche Organisation, die an den Problemen arbeitet, die von unserer
Wissenschaft gerade erst erkannt werden. Wir versuchen, die Produkte des
Denkens zu entziffern das uns Millionen Jahre voraus ist, das sich auf Grund
anderer Entwicklungswege des Lebens von unserem außerordentlich
unterscheidet."
Weda Kong wandte sich vom Bildschirm ab, in den sie wie hypnotisiert gestarrt
hatte, und warf Dar Veter einen fragenden Blick zu. Jener lächelte und
nickte billigend. Weda hob stolz das Gesicht, streckte die Hände aus und
wandte sich jenen Unsichtbaren und Unbekannten zu, die in dreizehn Jahren ihre
Worte hören und ihre Gestalt sehen würden:
"Das ist unsere Geschichte, ein qualvoller, schwieriger und langer Weg des
Aufstiegs zu den Gipfeln des Wissens. Wir rufen euch, Brüder, vereinigt
euch mit uns im Großen Ring, um die ge
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waltige Kraft der Vernunft in alle Winkeln des Alls zu tragen!"
Der Bildschirm erlosch. Auf der durchsichtigen Täfelung blieb der
leuchtende Verbindungskanal mit der Außenstation.
Plötzlich begann der goldgefaßte Bildschirm wieder zu arbeiten und
gab den Blick in eine ungeheure Tiefe frei.
Die zarte Stimme der Übersetzungsmaschine begann zu sprechen:
"Informationsstation Schwan 61 sendet für den gelben Stern
STL-3388
"
Die Wissenschaftler blickten sich an. Das war die galaktische Bezeichnung der
Erde, genauer, des Sonnensystems.
"Wir haben von dem Stern
es folgte eine Reihe Zahlen und
Zeichen , "der nicht unserem Ring angehört, außerhalb der
festgelegten Zeit zufällig eine gute Sendung aufgenommen. Der
Entwicklungsstand des Denkens dort ist eurem sehr ähnlich. Gebt
Obacht!"
Die Maschine verstummte. Auf dem Bildschirm zeichnete sich ein heller Stern mit
einem Planetensystem ab. Einer der Planeten näherte sich aus der Ferne
und wurde mit jeder Sekunde größer.
Zuerst war die Oberfläche des Planeten zu erkennen, natürlich aus
der Perspektive der Außenstation unseres Satelliten. Eine riesige
blaßblaue, durch ihre hohe Temperatur gespenstisch wirkende Sonne
überflutete mit durchdringenden Strahlen die bläuliche Wolkendecke
seiner Atmosphäre.
"Das ist der Epsilonstern im Sternbild des Tukan ein heißer
Stern der Größenklasse B 9 mit achtundsiebzigfacher
Sonnenleuchtkraft", flüsterte Mwen Mass.
(55)
Dar Veter und Yuni Ant nickten bestätigend.
Das Blickfeld veränderte sich.
Runde, wie aus Kupfer gegossene Bergkuppen ragten auf, unbekannte Gesteine oder
Metalle von körniger Struktur leuchteten feuerrot unter dem hellen Licht
der blauen Sonne. Selbst in der unvollkommenen Wiedergabe der Geräte
strahlte die unbekannte Welt in majestätischer Pracht.
Der Widerschein der Strahlen umrahmte die Konturen der Kupferberge, die sich
auf den Wellen eines violetten Meeres als breite rote Straße
widerspiegelten. Das amethystfarbene Wasser schien schwerflüssig und
sprühte von innen heraus rote Funken, die wie eine Zusammenballung
lebendiger kleiner Augen wirkten. Die Wogen umspülten den massiven
Sockel einer Riesenstatue, die sich weit vom Ufer in stolzer Einsamkeit erhob.
Eine aus dunkelrotem Stein gehauene weibliche Gestalt, den Kopf
zurückgebogen, reckte wie in Ekstase die ausgebreiteten Arme dem
flammenden Himmel entgegen. Sie konnte durchaus eine Tochter unserer Erde sein
die völlige Ähnlichkeit mit unseren Menschen und die
erstaunliche Schönheit der Skulptur waren verblüffend.
Die fünf Menschen der Erde blickten atemlos auf diese neue Welt. Der
breiten Brust Mwen Mass entrang sich ein tiefer Seufzer.
Am Ufer, der Statue gegenüber, bezeichneten gemeißelte silberne
Türme den Anfang einer breiten weißen Treppe, die sich elegant
über einem Hain schlanker Bäume mit türkisblauem Laub erhob.
Der optische Elektronenapparat des neuen Planeten drang aIlmählich und
lautlos immer weiter vor.
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Für eine Sekunde leuchteten weiße Mauern mit breiten
Vorsprüngen auf, von einem Portal aus blauem Stein durchbrochen. Dann
spiegelte der Bildschirm einen hohen hellerleuchteten Saal wider. Der
Perlmuttglanz der Wände, die ein strenges Ornament schmückte,
ließ alles im Raum außerordentlich klar hervortreten. Eine Gruppe
von Gestalten vor einer Wand aus einem gigantischen Smaragd fesselte die
Aufmerksamkeit der Erdmenschen.
Das flammende Rot ihrer Haut entsprach der Farbtönung der Statue im Meer.
Das war für die Erde nichts Ungewöhnliches: einige
Indianerstämme Zentralamerikas besaßen nach den erhalten
gebliebenen Farbaufnahmen zu urteilen in vergangenen Zeiten eine
ebensolche Hautfarbe, wenn auch vielleicht in weniger sattem Ton.
Im Saal befanden sich zwei Frauen und zwei Männer. Beide Paare waren
verschieden gekleidet. Die näher zur grünen Wand Stehenden trugen
goldglänzende kurze Kombinationen, die mit Schnallen versehen waren.
Die beiden anderen hatten perlmuttfarbene Gewänder an, die vom Kopf bis zu
den Zehen reichten.
Die an der grünen Wand Stehenden führten rhythmische Bewegungen aus,
wobei sie schräg gespannte Saiten berührten. Die Wand aus poliertem
Smaragd wurde durchsichtig. Im Takt ihrer Bewegungen zogen an dem
durchsichtigen Kristall klare Bilder vorüber. Sie erschienen und
verschwanden so schnell, daß es selbst für so geübte
Betrachter wie Yuni Ant und Dar Yeter schwer war, ihren Sinn restlos zu
erfassen.
In der Aufeinanderfolge der Bilder schien die Geschichte des Planeten
eingefangen. Gleich
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Phantomen zogen seltsame schöne Tier und Pflanzenformen vorüber.
Viele Tiere und Pflanzen waren jenen sehr ähnlich, deren Fossilien in den
Schichten der Erdrinde gefunden worden waren. Lang erstreckte sich die
aufsteigende Stufenleiter der Formen des Lebens der sich immer mehr
vervollkommnenden organischen Materie. Dieser endlos lange Entwicklungsweg
schien noch länger und widersprüchlicher als der jedem Erdbewohner
bekannte Entwlcklungsweg seines eigenen Werdens.
Die Bilder verblaßten, und die polierte Fläche des grünen Steins
wurde wieder sichtbar.
Danach verschwanden die beiden in der goldglänzenden Kleidung aus dem
Blickfeld, und das zweite Paar nahm ihren Platz ein. Mit einer schnellen
Bewegung warfen sie die Umhänge ab, und auf dem Perlenhintergrund der
Wände spiegelten sich die dunkelroten halbentblößten
Körper. Der Mann streckte der Frau beide Hände entgegen die
antwortete ihm mit einem Lächeln von so strahlender Freude, daß die
Erdbewohner vor Entzücken erstarrten. Die beiden begannen dort, im
Perlensaal der fernen Welt, einen langsamen Tanz. Richtiger gesagt, war es kein
Tanz, sondern eher eine rhythmische Schaustellung. Die Tanzenden wollten
offenbar die Vollkommenheit und Schönheit, die plastische Geschmeidigkeit
ihrer Gestalten zeigen. In der rhythmischen Folge der Bewegungen vermeinte
man, eine majestätische und gleichzeitig melancholische Musik zu
spüren, wie eine Erinnerung an die große Leiter der namenlosen und
unzähligen Opfer der Entwicklung des Lebens, die zu einem so herrlichen
Wesen, dem Menschen, geführt hat
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Die Wesen des Tukans waren den Erdmenschen so ähnlich, daß sich der
Eindruck einer fremden Welt allmählich verlor. Ihre Körper jedoch
waren von so vollendeter Schönheit, wie sie auf der Erde noch nicht
existierte und wie sie nur in den Träumen und Schöpfungen der
Künstler lebte.
Je schwieriger und länger die Evolution bis zum ersten denkenden Wesen
war, desto schöner, desto zweckentsprechender sind die höchsten
Lebensformen, dachte Dar Veter. Schon längst haben die Menschen der Erde
begriffen, daß die Schönheit instinktiv faßbare
Zweckmäßigkeit der Struktur ist, der entsprechenden Bestimmung
angepaßt, Je vielseitiger die Bestimmung, desto schöner die Formen
diese roten Wesen sind wahrscheinlich noch vielseitiger und geschickter
als wir.
Der Tanz wurde unterbrochen. Die junge rothäu tige Frau trat in die Mitte
des Saales, und der Bildschirm konzentrierte sich auf sie allein. Ihre
ausgebreiteten Arme und das Gesicht waren der Saaldecke zugewandt.
Unwillkürlich folgten die Augen der Erdbewohner ihrem Blick. Entweder
hatte der Saal überhaupt keine Decke, oder aber der sich
darüberspannende Sternenhimmel mit den klaren, großen Sternen war
eine geschickte optische Illusion, höchstwahrscheinlich jedoch war es nur
eine Darstellung. Die fremde Anordnung der Gestirne erzeugte keine bekannten
Assoziationen. Die junge Frau winkte mit der Hand, und an ihrem linken
Zeigefinger erglänzte eine kleine blaue Kugel. Daraus schlug wie eine
lange silberne Nadel ein Strahl hervor, ein riesiger Zeigestab. Die runde
Leuchtspitze am Ende des Strahls verweilte bald auf dem einen, bald auf dem
anderen Stern an der
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Decke. Und gleichzeitig damit erschien auf der smaragdenen Wand ein
unbewegliches, breites Panorama. Langsam wanderte die Spitze des Strahls, und
ebenso langsam tauchten die Bilder unbewohnter oder mit unbekanntem Leben
erfüllter Planeten auf. In bedrückender Trostlosigkeit leuchteten
steinerne oder sandige Weiten unter roten, blauen, violetten oder gelben
Sonnen. Die Strahlen einer merkwürdig bleigrauen Sonne hatten auf ihren
Planeten glocken und trichterförmige Lebewesen erzeugt, die wie
Medusen in einer orangefarbenen Atmosphäre oder einem Ozean schwammen. In
der Welt einer roten Sonne wuchsen unvorstellbar hohe Bäume mit
schlüpfrig schwarzer Rinde. Sie reckten wie in auswegloser Verzweiflung
Myriaden Zweige in die Höhe. Andere Planeten waren völlig von dunklem
Wasser überflutet. Auf der ruhigen Wasserfläche schwammen riesige
Inseln aus Tieren oder Pflanzen, die unzählige wollige Fühler regten.
"In ihrer Nähe gibt es keine Planeten mit höheren
Lebensformen", sagte plötzlich Yuni Ant, der unverwandt die Bilder
des unbekannten Sternenhimmels verfolgt hatte.
"Doch", widersprach Dar Veter, "auf der einen Seite von ihnen
liegt ein flaches Sternensystem, einer der letzten Ausläufer der Galaxis.
Wir wissen aber, daß flache und sphärische Systeme, neue und alte,
einander gesetzmäßig ablösen. Und tatsächlich existiert in
Richtung auf das Sternbild des Eridanus ein System mit denkenden Lebewesen, das
zum Ring gehört."
"WWR-3955, EN-2528 und so weiter", warf Mwen Mass ein. "Weshalb
wissen sie aber nichts davon?"
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"Zwischen ihnen und dem Eridanus muß ein für gelenkte
Strahlungen undurchdringliches Feld liegen", antwortete Dar Veter.
Das rothäutige Mädchen aus der fernen Welt streifte die kleine blaue
Kugel vom Finger und wandte sich mit ausgestreckten Händen den Zuschauern
zu, als wollte sie jemanden umarmen.
Und wieder ließ ihre strahlende Schönheit die Menschen von der Erde
wie versteinert den Atem anhalten. Auf ihrem Antlitz lag nicht die
gemeißelte bronzene Strenge der rothäutigen Menschen auf der Erde;
das rundliche Gesicht mit der kleinen Nase und den großen, weit
auseinanderstehenden blauen Augen, mit dem kleinen Mund erinnerte eher an die
nördlichen Völker der Erde. Auch das schwarze wellige Haar war nicht
hart und strähnig. Jede Linie des ebenmäßigen Gesichts und
Körpers atmete eine fröhliche und beschwingte Zuversicht.
"Sollten sie wirklich vom Großen Ring nichts wissen?"
flüsterte Weda Kong fast stöhnend, völlig von der Anmut ihrer
schönen Schwester aus dem Kosmos gebannt.
"Jetzt sicherlich", gab Dar Veter zurück. "Denn das, was wir
heute sehen, geschah vor dreihundert Jahren
"
"Achtundachtzig Parsek" brummte Mwen Mass mit tiefer Stimme.
"Dreihundert Lichtjahre
alle, die wir gesehen haben, sind
längst tot!"
Und wie zur Bestätigung seiner Worte erlosch das Bild aus der wunderbaren
Welt, verschwand auch der grüne Verbindungsanzeiger. Die Sendung über
den Großen Ring war beendet.
Eine Weile verharrten alle wie versteinert. Als erster faßte sich Dar
Veter. Verdrossen biß er
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sich auf die Lippen und schaltete hastig die Geräte aus. Nachdem er alle
notwendigen Operationen vollzogen hatte, wandte er sich seinen Gefährten
zu.
Yuni Ant überflog mit hochgezogenen Brauen die engbeschriebenen
Blätter.
"Ein Teil des Gedächtnisbandes von der Sternkarte an der Decke
muß sofort ins Institut für den südlichen Sternenhimmel
geschickt werden!" erklärte er Dar Veters jungem Gehilfen.
Jener blickte Yuni verwundert an, als erwache er soeben aus einem
ungewöhnlichen Traum. Der strenge Gelehrte verbarg ein Lächeln; glich
das Geschaute nicht dem Traum von einer wunderschönen Welt?
"Sie hatten recht, Mwen Mass", sagte Dar Veter lächelnd,
"indem Sie vor Beginn der Sendung erklärten, heute würde etwas
Besonderes geschehen. Zum erstenmal in den achthundert Jahren unserer
Verbindung mit dem Großen Ring erschien aus der Tiefe des Weltalls das
Bildnis eines Planeten, dessen Bewohner nicht allein dem Geist, sondern auch
der Körperbildung nach unsere Brüder sind. Und das geschah am Tage
Ihres Dienstantrittes!"
Dar Veter merkte, daß ihn die ungewöhnlichen Eindrücke redselig
gestimmt hatten. Unnötiger Wortschwall galt in der Ära des
Großen Rings als einer der beschämendsten und widerlichsten
Mängel des Menschen, und er verstummte, ohne seinen Gedanken beendet zu
haben.
"Ja, ja", antwortete Mwen Mass zerstreut.
Yuni Ant spürte, daß der andere nicht ganz bei der Sache war, und
stutzte. Weda Kong berührte leise Dar Veters Hand und deutete mit dem Kopf
auf Mwen Mass.
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Vielleicht ist er zu empfindsam, ging es Dar Veter durch den Sinn, und er
musterte eingehend seinen Nachfolger.
Mwen Mass fühlte, daß seine Freunde insgeheim über ihn
befremdet waren, und er gab sich einen Ruck und war wie vorher: ein
aufmerksamer und kluger Kenner seines Fachs. Die Rolltreppe brachte sie nach
oben, zu den breiten Fenstern und dem Sternenhimmel, der wieder genauso fern
war wie all die dreißig Jahrtausende über, seit der Mensch
existierte.
Mwen Mass und Dar Veter hatten noch zu tun.
Weda Kong drückte Dar Veter noch einmal fest die Hand und flüsterte,
sie werde diese Nacht niemals vergessen.
"Ich selbst kam mir so winzig vor!" sagte sie mit einem Lächeln,
das ihre Worte Lügen strafte.
Dar Veter verstand, was sie meinte. Er schüttelte verneinend den Kopf.
"Ich bin überzeugt, Weda, hätte die rote Frau Sie gesehen, sie
wäre stolz auf ihre Schwester
Unsere Erde ist gewiß nicht
schlechter als ihre Welt!" Dar Veters Gesicht strahlte vor inniger Liebe.
"Nun ja, mit Ihren Augen, lieber Freund", gab Weda zurück.
"Aber fragen Sie Mwen Mass!" Scherzend verschloß sie mit der
Hand die Augen und verschwand hinter der Wand.
Lange stand Mwen Mass auf dem Balkon des Observatoriums in die Betrachtung der
ihm noch unbekannten Gebäudekonturen versunken.
Ein Stück entfernt erhob sich auf einem flachen Plateau ein gigantischer
Aluminiumbogen von neun parallel verlaufenden Streifenbändern durchzogen,
die von cremefarbenen und silberweißen
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Plexiglasscheiben unterteilt waren das Gebäude des Rates für
Sternenfahrt. Davor stand ein Denkmal, jenen Menschen errichtet, die als erste
in die Weiten des Kosmos vorgedrungen waren. Es stellte einen steilen Berg dar,
der in einem Sternschiff alten Typs gipfelte einer fischförmigen
Rakete,
die spitze Nase in die Höhe gerichtet. Eine Kette aufwärtsklimmender
einander stützender aus Metall gegossener Figuren umwand spiralig den
Denkmalsockel: Piloten von Raketenschiffen, Physiker, Astronomen, Biologen
und kühne Schriftsteller phantastischer Romane. Schon färbte der
erste Schimmer der Morgenröte den Rumpf des alten Sternschiffes und die
schwungvollen Konturen der Gebäude. Bestürzt empfand Mwen Mass jetzt
die innere Leere, die sein ganzes bisheriges Leben erfüllt hatte, ohne
daß er von ihrer Existenz etwas geahnt hätte. So unerträglich
stark war der Drang nach einem neuen Zusammentreffen mit dem Planeten des
Epsilonsterns im Tukan, mit dieser unvergeßlichen Welt. Das Bild des
rothäutigen Mädchens, ihre rufend ausgebreiteten Arme, ihren zarten
halbgeöffneten Mund und ihre bezwingende Schönheit vermochte er nicht
mehr aus dem Herzen zu verdrängen.
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