Ivan Antonovic Jefremow

Das Mädchen aus dem All (1957-58)

Wissenschaftlich–phantastischer Roman

3. IM BANNE DER FINSTERNIS

Auf der breiten Skala der Kurssteuerung rückte der weiße Zeiger langsam, aber unaufhaltsam nach rechts — das Sternschiff umflog auf einer elliptischen Kurve den Eisenstern.

Zitternd vor Anstrengung und Schwäche, nahm Erg Noor, von Pel Lin gestützt, an der Rechenmaschine Platz.

"Ingrid, was ist ein Eisenstern?" fragte Keh Ber leise, der die ganze Zeit unbeweglich hinter der Astronomin gestanden hatte.

"Ein für uns unsichtbarer Stern der Spektralklasse T, wohl erloschen, aber noch nicht endgültig erkaltet. Er sendet langwellige Lichtstrahlen aus, die im Wärmebereich des Spektrums liegen — infrarote Strahlen —, und wird mit Hilfe des Elektroneninvensors erst in relativ geringem Abstand sichtbar. Eine Eule könnte ihn wahrnehmen, da sie infrarote Strahlen sieht."

"Weshalb heißt er aber Eisenstern?"

"Auf allen bisher erforschten Sternen ist Eisen in erheblich größerer Menge vorhanden als auf der Erde. Handelt es sich um einen großen Stern, sind Masse und Gravitationsfeld gewaltig … Ich fürchte, wir sind auf solch einen Stern gestoßen."

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"Und was nun?"

"Ich weiß nicht. Du siehst selbst, wir haben fast keinen Treibstoff mehr. Unser Schiff wird um den Stern einen Spirale beschreiben und sich ihm allmählich nähern … bis es auf ihn niedersaust!" Ingrid zuckte nervös mit den Schultern, und Keh Ber streichelte zärtlich ihre Hand.

Der Expeditionsleiter trat an das Steuerungspult. Alle schwiegen. Keiner wagte zu atmen. Es schwieg auch die eben erst erwachte Nisa Krit, die instinktiv die ganze Gefahr der Situation begriff. Es mochten drei Stunden vergangen sein, da wagte Erg Noor endlich den entscheidenden Schritt. Wieder erschütterte das unerträgliche Vibrieren der Anameson–Motoren die "Tantra". Der günstigste Zeitpunkt des Loslösens war bereits errechnet worden, daher hatte Erg Noor keinen Augenblick zögern dürfen, denn mit wachsendem Geschwindigkeitsverlust wurde es für das Sternenschiff immer schwieriger, dem Anziehungsbereich des Eisensterns zu entrinnen.

Die Fluggeschwindigkeit des Schiffes erhöhte sich, und die elliptische Bahn wurde steiler. Eine Stunde, eine zweite … der furchtbare braune Himmelskörper verschwand aus dem vorderen Bildschirm und verschob sich zum Seitenbildschirm. Doch noch immer hielt die Gravitation wie mit unsichtbaren Ketten das davoneilende Schiff. Eine dritte, eine vierte Stunde … da leuchteten über Erg Noors Kopf zwei rote Punkte auf. Er riß den Hebel herunter — die Triebwerke standen still.

"Entkommen!" flüsterte Pel Lin erleichtert. Erg Noor wandte ihm langsam den Blick zu und schüttelte den Kopf:

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"Das ist noch fraglich. Der Anameson–Vorrat ist zu Ende!"

"Was jetzt?"

"Warten! Jetzt kämpfen die Schwerkraft des Sterns und die Geschwindigkeit der "Tantra" miteinander."

Erg Noor lehnte sich im Sessel zurück und ließ die Hände sinken. Die Menschen schwiegen, nur die Geräte summten leise. Eine andere, disharmonische, drohend anmutende Melodie flocht sich in das Lied der Steuerungsapparate. Der Ruf des Eisensterns, die Kraft seiner schwarzen Masse, die das an Geschwindigkeit einbüßende Schiff festhielt, war beinahe körperlich zu spüren.

Nisa Krits Wangen brannten, und ihr Herzschlug schneller. Unerträglich schien ihr das müßige Warten.

Langsam verrannen die Stunden. Im Zentralposten hatten sich alle vierzehn Expeditionsmitglieder eingefunden.

Der Flug der "Tantra" war zu stark verlangsamt worden, als daß sie vom Eisenstern wegkommen konnte. Den Kampf wieder aufzunehmen, war das Sternschiff nicht imstande. Immer weiter wurde die "Tantra" vom Kurs abgelenkt, bis sie auf der ersten weiten Schleife der unerbittlichen Spirale dahinjagde. Das Schicksal der "Tantra" war jedem klar.

Ein Stöhnen ließ alle zusammenfahren. Der Astronom Pur Hiss sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum. Furcht, Todesangst und Rachgier verzerrten das Gesicht des Wissenschaftlers.

"Er, er ist schuld!" schrie Pur Hiss und zeigte auf Pel Lin. "Idiot, Holzkopf, hirnloser Wurm…" Der Astronom schluckte und suchte nach längst in

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Vergessenheit geratenen Flüchen der Urahnen. Nisa, die neben ihm stand, wandte sich angeekelt ab. Da erhob sich Erg Noor.

"Den Navigator zu verurteilen führt zu nichts. Die Zeiten sind vorbei, wo Fehler absichtlich begangen werden konnten. Und in diesem Falle", Noor drehte an den Schaltern der Rechenmaschine, "beträgt, wie sie sehen, die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler dreißig Prozent. Zieht man noch die Erschütterungen durch das Schaukeln des Sternschiffs in Betracht, so hätten Sie, Pur Hiss, dessen bin ich sicher, den gleichen Fehler begangen!"

"Und Sie?" schrie der Astronom wütend.

"Ich — nein. Während der sechsunddreißigsten Sternenexpedition hatte ich ein ähnliches Erlebnis. Ich trage die größte Schuld: Ich hoffte, das Sternschiff in dem noch unerforschten Raum selbst zu steuern, und habe nicht alles im vorhinein bedacht, sondern mich nur auf eine einfache Instruktion beschränkt."

"Sie konnten doch nicht wissen, daß wir ohne Sie in diesen Bereich geraten würden!" rief Nisa.

"Ich hätte es wissen müssen", antwortete Erg Noor fest, "aber es verlohnt sich nur auf der Erde darüber zu sprechen."

"Auf der Erde!" heulte Pur Hiss. Und selbst Pel Lin machte ein betretenes Gesicht. "Wie können Sie so reden, wo alles verloren ist und nichts als der Tod vor uns liegt."

"Nein, vor uns liegt nicht der Tod, sondern ein großer Kampf", antwortete Erg Noor entschlossen.

Nisa wechselte mit ihm ein Lächeln voll Freude — trotz der ganzen Hoffnungslosigkeit des Augenblicks.

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"Zweifellos hat der Stern einen Planeten, vermutlich sogar zwei. Die Planeten sind groß und besitzen folglich eine Atmosphäre. Wir sind aber nicht gezwungen zu landen, denn wir haben einen großen Vorrat an festem Sauerstoff." Erg Noor verstummte, um sich zu sammeln. "Wir werden zu einem Satelliten des Planeten, indem wir um ihn unsere Flugbahn beschreiben. Wenn sich die Atmosphäre des Planeten als geeignet erweist, werden wir landen und Hilfe herbeirufen", fuhr er fort, "im Laufe eines halben Jahres werden wir die Richtung berechnen, die Ergebnisse unserer Forschungen von der Sirda durchgeben, ein Hilfsschiff herbeirufen und uns und das Schiff retten können…"

"Falls die Rettung gelingt!", warf Pur Hiss in aufkeimender Freude ein.

"Ja, falls die Rettung gelingt!" stimmte Erg Noor zu. "Das ist ein klares Ziel, und wir müssen alles daransetzen, es zu erreichen. Pur Hiss und Ingrid, Sie führen die Beobachtungen durch und berechnen die Größe der Planeten; Keh Ber und Nisa, Sie errechnen aus der Masse der Planeten ihre Schwerkraft und daraus die notwendige Fluggeschwindigkeit und den optimalen Radius."

Für alle Fälle trafen die Forscher Vorbereitungen zur Landung. Der Biologe, der Geologe und die Ärztin machten eine Erkundungsstation — einen Roboter — zum Abwurf fertig, die Mechaniker überprüften die Landepeilgeräte und montierten einen kleinen Satelliten zur Nachrichtenübermittlung von der Oberfläche des Planeten.

Nach dem ausgestandenen Schrecken und der Hoffnungslosigkeit ging die Arbeit besonders schnell voran. Sie wurde nur dann unterbrochen,

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wenn das Sternschiff durch Gravitationswirbel ins Schaukeln geriet. Doch die "Tantra" hatte ihre Geschwindigkeit bereits so stark vermindert, daß die Erschütterungen die Besatzung nicht mehr gefährdeten.

Pur Hiss und Ingrid stellten die Existenz zweier Planeten fest. Der äußere war ein riesiger, kalter Planet, umgeben von einer mächtigen, wahrscheinlich giftigen Atmosphäre, die der Expedition den Tod bringen konnte. Solche furchtbaren Riesenplaneten gab es auch im Sonnensystem — Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Die "Tantra" näherte sich unaufhaltsam dem Stern. Nach neunzehn Tagen hatten Pur Hiss und Ingrid die Ausmaße des inneren Planeten bestimmt; er war größer als die Erde. Da sich der Planet sehr nahe an seiner eisernen Sonne befand, umkreiste er sie mit rasender Geschwindigkeit; sein Jahr dauerte kaum länger als zwei Erdmonate. Der unsichtbare Stern T erwärmte ihn mit seinen infraroten Strahlen wahrscheinlich stark genug, so daß bei Vorhandensein einer Atmosphäre dort Lebewesen existieren konnten. In diesem Fall würde eine Landung ganz besonders gefährlich sein, denn Leben, das auf anderen Planeten unter anderen Entwicklungsbedingungen entstanden war, das aber gleiche Eiweißverbindungen entwickelt hatte, war für Erdbewohner von äußerst schädlicher Wirkung. Die Schutzstoffe, welche die Organismen auf unserem Planeten in Millionen von Jahrhunderten herausgebildet hatten, waren gegen andersgeartetes Leben auf anderen Planeten wirkungslos. Furchtbare Krankheiten und Epidemien gingen mit den ersten Erforschun–

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gen bewohnbarer, aber unbesiedelter Planeten einher. Deshalb trafen auch die von denkenden Wesen besiedelten Welten viele Vorkehrungen, bevor sie die direkte Sternschiffverbindung zu anderen Gestirnen aufnahmen. Auf unsere Erde, die von den zentralen, bewohnten Zonen der Galaxis weit entfernt liegt, waren bisher noch keine Gäste von Planeten anderer Sternsysteme, noch keine Vertreter anderer Zivilisationen gekommen. Der Rat für Sternenfahrt hatte erst vor kurzem die Vorbereitungen für die Aufnahme von Freunden naher Sterne aus dem Sternbild des Schlangenträgers, des Schwans und des Paradiesvogels abgeschlossen.

Erg Noor, über ein eventuelles Zusammentreffen mit Lebewesen besorgt, ordnete an, aus den Lagern biologische Schutzmittel bereitzuhalten, mit denen er die Expedition in der Hoffnung, zur Wega zu gelangen, ausreichend versorgt hatte.

Endlich war der entscheidende Augenblick gekommen: Die "Tantra" hatte ihre Fluggeschwindigkeit der des inneren Planeten des Eisensterns angeglichen und umkreiste ihn. Die verschwommene graubraune Oberfläche des Planeten, richtiger gesagt seiner Atmosphäre, ließ sich nur im Elektroneninvensor sichtbar machen. Alle Expeditionsmitglieder hatten ihre Plätze an den Geräten eingenommen.

"Die Umdrehung um die Achse dauert annähernd zwanzig Tage!"

"Die Peilgeräte bestätigen das Vorhandensein von Wasser und Festland."

"Die Höhe der Atmosphäre beträgt tausendsiebenhundert Kilometer."

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"Genaue Masse: das 3,2fache der Erdmasse."

Eine nach der andern erfolgten die Angaben. Erg Noor faßte die Zahlen zusammen, deren Angabe er für die Berechnung der Flugbahn benötigte. Der Planet war sehr groß. Seine Schwerkraft würde das Schiff an den Boden heften. Die Menschen könnten sich nur wie hilflose Kriechtiere bewegen.

Der Expeditionsleiter entsann sich der schauerlichen Erzählungen über Sternschiffe, die aus verschiedenen Gründen auf Riesenplaneten gelandet waren. Das Heulen der Motoren und das krampfartige Erbeben des Schiffes, das, unfähig, sich vom Boden zu erheben, an er Planetenoberfläche klebte und und vom eigenen Gewicht zerquetscht wurde … Unbeschreiblich dieses Grauen, das aus dem abgerissenen Stöhnen der letzten Meldungen und der Abschiedsendungen sprach…

Der Besatzung der "Tantra" drohte dieses Schicksal nicht, solange das Schiff den Planeten umkreiste. Müßte es aber auf seiner Oberfläche landen, dann würden nur sehr kräftige Menschen in der Lage sein, die Schwere ihres eigenen Gewichts in dieser künftigen Zufluchtsstätte zu schleppen, einer Zufluchtsstätte, an der sie vielleicht Jahrzehnte bleiben müßten… Würden sie unter diesen Bedingungen durchhalten? Unter der Last der erdrückenden Schwere, im ewigen Dunkel der ultravioletten Sonne, in der dichten Atmosphäre. Dennoch bedeutete das nicht den Tod, es bestand Hoffnung auf Rettung, und außerdem bestand keine andere Wahl!

Die "Tantra" zog ihre Bahn dicht über der Atmosphäre. Die Mitarbeiter der Expedition durften die Gelegenheit nicht versäumen, diesen völlig

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unbekannten Planeten, der sich verhältnismäßig nahe der Erde befand, zu untersuchen. Die beleuchtete, besser gesagt erwärmte Seite des Planeten unterschied sich von der Schattenseite nicht allein durch eine bedeutend höhere Temperatur, sondern auch durch gewaltige Anhäufungen von Elektrizität, die sogar die Peilgeräte störte, deren Angaben völlig verzerrt wurden. Erg Noor beschloß, den Planeten mit Hilfe von Abwurfstationen zu erforschen. Sie warfen eine physikalische Station ab. Bald kam das verblüffende Resultat. Der Automat meldete das Vorhandensein von freiem Sauerstoff in den unteren Schichten einer Krypton–Stickstoff–Atmosphäre, das Vorhandensein von Wasserdämpfen und eine Temperatur von zwölf Grad Wärme. Diese Bedingungen ähneltem im allgemeinen denen der Erde. Lediglich der Druck der dichten Atmosphäre überstieg den normalen Druck auf der Erde um das 1,3fache.

"Hier kann man leben!" sagte der Biologe mit einem Anflug von Lächeln, als er dem Expeditionsleiter die Meldungen der Station übergab.

"Wenn für uns die Möglichkeit besteht, werden dort gewiß schon Lebewesen existieren", erwiderte Erg Noor.

Als das Sternschiff zur fünfzehnten Umrundung des Planeten ansetzte, wurde eine Abwurfstation mit einem leistungsfähigen Fernsehsender vorbereitet. Doch die zweite physikalische Station, die auf der Schattenseite abgeworfen worden war, als sich der Planet um hundertzwanzig Grad gedreht hatte, war verschwunden, ohne ein einziges Signal zu geben.

"Sie ist im Ozean versunken!" konstatierte die Geologin ärgerlich.

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"Dann müssen wir die Oberfläche mit dem Hauptpeilgerät abtasten, bevor wir den Fernsehroboter abwerfen."

Ein Bündel gelenkter Radiostrahlen aussendend, jagte die "Tantra" um den Planeten und tastete die Konturen der Kontinente und Meere ab. Es markierten sich die Umrisse eines riesigen Flachlandes, das entweder in einen Ozean hineinragte oder zwei Ozeane fast am Äquator des Planeten voneinander trennte. Das Sternschiff führte den Peilstrahl in einer Zickzacklinie und erfaßte damit einen Streifen von zweihundert Kilometer Breite. Plötzlich flammte der Bildschirm des Peilgerätes für den Bruchteil einer Sekunde hell auf. Ein Pfeifen, das an den Nerven zerrte, bestätigte, daß es keine Halluzination war.

"Metall!" rief die Geologin. "Eine offene Lagerstätte!"

Erg Noor schüttelte den Kopf.

"Wie kurz auch das Aufflammen war, konnte ich doch festumrissene Konturen erkennen. Das ist entweder ein großer Klumpen Metall, ein Meteorit, oder…"

"Ein Schiff?" warfen Nisa und der Biologe gleichzeitig ein.

"Hirngespinste!" schnitt Pur Hiss das Gespräch ab.

"Vielleicht ist es wirklich so", entgegnete Erg Noor.

"Es hat ohnehin keinen Zweck, zu streiten", sagte Pur Hiss. "Es läßt sich nicht nachprüfen, denn wir werden ja nicht landen."

"Wir werden es in drei Stunden überprüfen, wenn wir wieder zu diesem Flachland kommen. Geben Sie Obacht, der Metallkörper befindet sich

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auf einer Ebene, die auch ich als Landeplatz wählen würde… Wir werfen die Fernsehstation genau dort ab. Stellen Sie den Strahl des Peilgerätes auf sechs Sekunden."

Der vom Expeditionsleiter vorgeschlagene Plan gelang, und nach dem Abwurf begann die "Tantra" erneut den dreistündigen Flug um den Planeten. Als sie sich dieser Stelle wieder näherte, empfing sie die Sendungen des Fernsehroboters. Gespannt blickten alle auf den Bildschirm. Wie ein menschliches Auge nahm der Sehstrahl die Konturen der Gegenstände dort unten in dem bodenlosen Dunkel auf. Keh Ber stellte sich deutlich vor, wie der leuchtturmähnliche Kopf der Station kreise. In dem vom Strahl des Automaten beleuchteten Gebiet traten die Umrisse niedriger Schluchten, Hügel und die schwarzen Windungen von Rinnen hervor. Plötzlich huschte gespensterhaft ein fischförmiger Körper vorüber, doch schon war er wieder in der Finsternis verschwunden.

"Ein Sternschiff!" riefen mehrere zugleich. Die "Tantra" entfernte sich von dem Fernsehroboter, und der Bildschirm erlosch. Der Biologe Eon Tal fixierte bereits den Streifen der Elektronenaufnahme. Mit vor Ungeduld zitternden Fingern legte er ihn in den Projektor.

Die bekannten schnittigen Konturen des Bugteils, das sich verbreiternde Heck… wie unwahrscheinlich dieser Anblick, dieses undenkbare, unmögliche Treffen auf dem Planeten der Finsternis auch sein mochte — tatsächlich war es ein Sternschiff der Erde! Unversehrt stand es auf die gewaltigen Ständer gestützt, in normaler, horizontaler Landestellung, als habe es eben erst auf dem Planeten des Eisensterns aufgesetzt.

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Während die "Tantra" ihre schnellen Kreise zog, schickte sie Signale hinunter, die jedoch unbeantwortet blieben. Mehrer Stunden vergingen. Im Zentralposten hatten sich wieder alle vierzehn Expeditionsteilnehmer eingefunden. Erg Noor, der in seine Gedanken vertieft gewesen war, erhob sich nun und sagte:

"Ich schlage vor zu landen. Vielleicht brauchen unsere Brüder Hilfe; vielleicht ist ihr Schiff beschädigt und kann nicht zur Erde zurückkehren. Dann könnten wir von ihnen Anameson übernehmen und dadurch sie und uns zugleich retten."

"Und wenn auch sie wegen Anameson–Mangels hier landen mußten?" gab Pel Lin zu bedenken.

"Dann müssen sie auf alle Fälle noch Ionenladungen haben, denn das Schiff ist richtig gelandet. Die könnten wir benutzen, um wieder zu starten. Während wir dann auf der Flugbahn kreisen, könnten wir die Erde rufen und auf Hilfe warten. Das würde, falls es uns gelingt, zehn Jahre dauern."

"Trotzdem bleibt die Landung auf dem schweren Planeten ein Risiko, und wir riskieren, dort bleiben zu müssen", brummte Pur Hiss. "Der Gedanke an diese Welt der Finsternis ist furchtbar."

"Das Risiko bleibt natürlich. Doch die Bedingungen sind nicht so schlecht! Wenn nur das Schiff nicht beschädigt wird."

Erg Noor warf einen Blick auf das Zifferblatt des Geschwindigkeitsreglers. Einen Augenblick blieb der Expeditionsleiter vor den Steuerungshebeln und Schaltern stehen. Die Finger seiner großen Hände zuckten, das Gesicht war wie aus Stein.

Nisa trat neben ihn, nahm seine rechte Hand und legte sie an ihre vor Erregung brennende

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Wange. Erg Noor nickte dankbar, strich dem Mädchen über das üppige Haar und richtete sich auf.

"Wir begeben uns in die unteren Atmosphärenschichten und schreiten zur Landung!" sagte er laut, während er das Signal einschaltete. Ein Heulen durchdrang das Schiff, die Menschen eilten an ihre Plätze und schnallten sich in den hydraulischen Sitzen fest. Die Ionentriebwerke brummten auf, und das Sternenschiff jagte den Felsen und Ozeanen des unbekannten Planeten entgegen. Die Peilgeräte und und infraroten Reflektoren tasteten sich durch das Dunkel, die roten Lämpchen auf dem Höhenmesser zeigten die gewünschte Höhe von fünfzehntausend Metern an. Über zehn Kilometer hohe Berge waren auf dem Planeten nicht zu erwarten. Das Wasser im Verein mit der Wärme der schwarzen Sonne arbeitete ebenso wie auf der Erde am Abschleifen der Oberfläche.

Beim ersten Rundflug konnten auf dem größten Teil des Planeten nur unbedeutende Erhebungen festgestellt werden, ein wenig höher als auf dem Mars.

Erg Noor stellte den Höhenbegrenzer auf dreitausend Meter und schaltete die starken Scheinwerfer ein. Unter dem Sternschiff erstreckte sich ein riesiger Ozean. Schwarze Wellen schlugen hoch und stürzten über unbekannte Tiefen wieder zusammen.

Kurz darauf nahm das glänzende Schwarz des Wassers eine matte Tönung an — das Festland begann. Die Strahlung der Scheinwerfer pflügten in die Mauern der Finsternis eine schmale Bahn. Auf ihr hoben sich unvermutet Farbflecke ab: bald gelblicher Sand, bald graugrünes Felsgestein.

Die "Tantra" raste über den Kontinent dahin.

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Endlich fand Erg Noor die Ebene wieder. Sie lag so niedrig, daß mansie nicht als Hochplateau bezeichnen konnte. Es war aber offensichtlich, daß Fluten und Stürme des dunklen Meeres die Ebene nicht zu erreichen vermochten, da sie ungefähr hundert Meter über dem anderen Teil des Festlandes lag.

Das vordere Backbord–Peilgerät gab einen Pfeifton von sich. Die "Tantra" bahnte sich mit den Scheinwerfern ihren Weg. Jetzt war das andere Sternschiff deutlich zu erkennen. Die Verkleidung seines Bugteiles aus kristallisch umgebildetem Anisotrop–Iridium funkelte im Scheinwerferlicht wie neu. Weder Bauten noch Lichter sah man in der Nähe des Schiffes; dunkel und leblos stand es da, ohne auf das Näherkommen seines Zwillingsbruders zu reagieren. Die Scheinwerferstrahlen glitten weiter. Plätzlich wurden sie wie von einem blauen Spiegel von einer hochkant stehenden kolossalen Scheibe zurückgeworfen, die zu einem Teil im schwarzen Boden eingesunken war. Für einen Augenblick schien es den Beobachtern, als ragten hinter der Scheibe Felsen empor, doch weiter hinten verdichtete sich die undurchdringliche Finsternis, dort befand sich wahrscheinlich eine Schlucht oder ein Abhang.

Die "Tantra" ließ ein ohrenbetäubendes Heulen vernehmen. Erg Noor wollte möglichst nah am Sternschiff landen. Deshalb warnte er mit diesem Signal die Menschen, die sich gegebenenfalls in der Todeszone befinden konnten, die ungefähr tausend Meter im Umkreis um den Landeplatz betrug. Sogar innen im Schiff war das laute donnern der Ionenmotoren zu hören. Die Bildschirme zeigten eine Wolke glühender Staubteilchen.

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Der Fußboden kippte vorn in die Höhe. Lautlos glitten die Sessel in den hydraulischen Scharnieren lotrecht nach hinten. Die gigantischen Federstützen sprangen aus dem Rumpf und fingen den ersten Aufprall gegen den Boden der fremden Welt ab. Einige Stöße noch — und die "Tantra" war gelandet. Erg Noor schaltete die Federstützen ab. Langsam glitt das Sternschiff nach vorn über und hatte bald seine frühere horizontale Lage wieder eingenommen. Die Landung war beendet. Sie rief im menschlichen Organismus wie üblich eine starke Erschütterung hervor. Wie nach einer schweren Krankheit konnten sich die Menschen kaum erheben. Der unermüdliche Biologe jedoch hatte bereits der Atmosphäre eine Probe entnommen.

"Für unsere Atmung geeignet", teilte er mit. "Gleich nehme ich ich die mikroskopische Untersuchung vor."

"Das ist unnötig", widersprach Erg Noor, während er die Gurte des Landesessels löste. "ohne Skaphander dürfen wir das Schiff nicht verlassen. Hier können außerordentlich gefährliche Sporen und Viren existieren."

In der Schleusenkajüte am Ausgang lagen leichte biologische Skaphander und sogenannte "springende Skelette" bereit — stählerne Gestelle mit einem Elektromotor, mit Sprungfedern und Stoßdämpfern für die Fortbewegung bei allzu großer Schwerkraft. Diese Skelette wurden über die Skaphander gezogen.

Alle konnten es kaum erwarten, nach sechs Jahren Irrfahrt im kosmischen Raum wieder Boden unter den Füßen zu fühlen, wenn auch fremden. Keh Ber, Pur Hiss, Ingrid, die Ärztin Luma und zwei Mechaniker jedoch mußten im Sternschiff

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bleiben, um den Dienst am Radio, an den Scheinwerfern und den Geräten zu versehen.

Acht der Expeditionsteilnehmer versammelten sich in der Schleusenkammer und warteten.

"Luft einschalten!" Erg Noor gab seinen Befehl an die im Schiff Verbliebenen, von denen sie bereits eine undurchdringliche Wand trennte.

Erst nachdem der Druck in der Kammer bedeutend größer war als draußen, vermochten die hydraulischen Winden die fest angepresste Tür zu öffnen. Durch den Überdruck in der Kammer wurden die acht Forscher beinah hinausgeschleudert, was gleichzeitig verhinderte, daß Schädliches von der Außenwelt eindrang. Der Scheinwerferstrahl bahnte einen hellen Weg, auf dem sich die Forscher mit ihren "federnden Beinen" entlangbewegten, wobei sie kaum ihre schweren Körper aufrecht halten konnten. Am Ende der Lichtbahn ragte das Riesenschiff auf. Ihre Ungeduld war so groß, und bei den ungelenkten Sprüngen auf dem unebenen, mit kleinen Steinen übersähten Boden wurden die Forscher so durchgeschüttelt, daß die anderthalb Kilometer kein Ende zu nehmen schienen.

Durch die dichte, mit Feuchtigkeit gesättigte Atmosphäre blinzelten die Sterne als blasse, verschwommene Flecke.

Die ringsum herrschende Finsternis ließ das Schiff äußerst plastisch hervortreten. Die dicke Schicht Silikat–Zirkonium–Farbe an der Wandung war stellenweise stark abgeschrammt; wahrscheinlich war das Sternschiff lange im Kosmos umhergeirrt.

Eon Tal stieß einen Ruf aus, der sich auf alle Helmtelefone übertrug. Er wies mit der Hand auf eine offene Tür, die wie ein schwarzes Loch

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gähnte, und auf einen kleinen Lift. Neben dem Lift und unter dem Schiff wuchsen Pflanzen. Die dicken Stengel trugen schwarze parabolische Schalen, die Blüten oder auch Blätter sein konnten und deren Ränder wie Zahnräder gezackt waren; sie waren ungefähr einen Meter hoch. Diese vielen schwarzen, unbeweglichen Zahnräder machten einen äußerst bedrohlichen Eindruck. Die ungestört wuchernden Pflanzen und die offene Tür wiesen daruf hin, daß Menschen schon seit langem diesen Weg nicht mehr benutzt hatten und ihre kleine irdische Welt nicht schützten.

Erg Noor, Eon Tal und Nisa Krit stiegen in den Lift, und der Expeditionsleiter drückte den Knopf. Der Fahrstuhl funktionierte. Im Nu befanden sich die drei Forscher in der weit offenstehenden Transitkammer. Dann folgten die anderen. Erg Noor bat die "Tantra", den Scheinwerfer auszuschalten. Augenblicklich verlor sich die kleine Menschengruppe in der bodenlosen Finsternis. Die Welt der eisernen Sonne schloß sich dicht um sie, als wolle sie das schwache Fünkchen irdischen Lebens ersticken, das auf dem riesigen dunklen Planeten aufgetaucht war.

Die Forscher schalteten die an den Helmen befestigten rotierenden Leuchtstäbe ein. Die Tür vom Transitraum zum Schiff war zu, jedoch nicht verschlossen und gab leicht nach. Die Expeditionsteilnehmer betraten den mittleren Korridor, wo sie sich leicht orientieren konnten, denn die Konstruktion des Sternschiffes unterschied sich von der "Tantra" nur unwesentlich.

"Das Schiff wurde vor einigen Jahrzehnten gebaut", meinte Erg Noor zu Nisa. Das Mädchen wandte sich ihm zu.

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"Ein absurder Gedanke", fuhr Erg Noor fort, "wenn das. . ."

". . . wenn das die "Parus" ist!" vollendete Nisa.

Der Erkundungstrupp drang in den Hauptraum des Schiffes vor — in die Laborbibliothek — und von dort zum zentralen Steuerungsposten. Der Expeditionsleiter schwankte in seinem skelettartigen Panzer, stieß gegen die Wände und erreichte schließlich den Hauptschalter. Die Schiffsbeleuchtung war eingeschaltet, aber ohne Strom. In den dunklen räumen leuchteten lediglich die phosphoreszierenden Zeiger und Zeichen. Erg Noor fand den Schalter für die Notbeleuchtung, und mattes Licht flammte auf. Anscheinend leuchtete es auch im Lift, denn über die Helmtelefone erklang die Stimme von Pur Hiss, der sich nach dem Verlauf der Untersuchung erkundigte. Die Geologin antwortete ihm, da Erg Noor wie gebannt an der Schwelle des Zentralpostens verharrte. Nisa folgte seinem Blick und entdeckte oben zwischen den vorderen Bildschirmen in der Sprache der Erde und dem Code des Großen Rings das Wort "Parus". Darunter standen die galaktischen Rufzeichen der Erde und die Koordinaten des Sonnensystems.

Somit war das vor achtzig Jahren spurlos verschwundene Sternschiff in dem bisher unbekannten System, das man lange Zeit nur für einen Dunkelnebel gehalten hatte, wiedergefunden worden.

Die Besichtigung der Räume des Sternschiffes ergab nichts über den Verbleib seiner Insassen. Die Sauerstoffbehälter waren nicht leer, und die Vorräte und Verpflegung hätten noch für einige Jahre gereicht. Aber nirgends war eine Spur von der "Parus"–Besatzung zu finden.

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In den Korridoren, im Zentralposten und in der Bibliothek waren an mehreren Stellen seltsame dunkle Schleimspuren zu sehen. Auf dem Fußboden der Bibliothek war ein Fleck. Es sah aus, als wäre hier eine vergossene Flüssigkeit eingetrocknet. Im Maschinenposten des Hecks hingen vor der aufgestoßenen Tür des hinteren Schotts abgerissene Leitungen herab, und die massiven Ständer der Kühlanlage aus phosphorhaltiger Bronze waren stark verbogen. Da das Schiff im übrigen völlig unversehrt war, blieben diese Beschädigungen, die von einer großen Zerstörungskraft zeugten, unverständlich. Die Forscher zermarterten sich die Köpfe, fanden aber nichts, was das Verschwinden der Besatzung hätte erklären können.

Nebenbei machten sie eine andere, sehr wichtige Entdeckung: Die Vorräte an Anameson und Ionenladungen im Schiff waren groß genug, um den Start der "Tantra" vom schweren Planeten und die Reise zur Erde durchzuführen. Jetzt stand die schwierige Arbeit des Umladens des Anamesons bevor. Die Aufgabe war schon an und für sich nicht leicht, aber hier, auf dem Planeten mit dreifacher Schwere, wurde sie zu einer Arbeit, die hohe technische Erfindungsgabe erforderte. Aber die Menschen in der Epoche des Rings schreckten nicht vor schwierigen geistigen Aufgaben zurück.

Im Zentralposten entnahm der Biologe dem Magnetofon eine halbbesprochene Spule des Bordbuchs. Erg Noor öffnete mit der Geologin den fest verschlossenen Hauptsafe, in dem die Expeditionsergebnisse der "Parus" aufbewahrt wurden. Die Forscher beluden sich mit den vielen Rollen von Photon–Magnet–Filmen, mit den Tagebüchern, astronomischen Beobachtungen und Berechnungen.

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Ihr Forschergeist ließ es nicht zu, diesen so wertvollen Schatz auch nur für kurze Zeit liegenzulassen.

Übermüdet trafen die Kundschafter wieder in der "Tantra" ein, wo sie von den vor Ungeduld fiebernden Gefährten erwartet wurden. Hier, in der gewohnten Atmosphäre, an den bequemen Tischen, unter dem hellen Licht, waren die grabesähnliche Finsternis der Umwelt und das tote verlassene Sternschiff nicht mehr als ein Alptraum. Nur der Druck der Schwerkraft dieses furchtbaren Planeten lastete auf jedem einzelnen und wich nicht eine Sekunde. Bei der kleinsten Bewegung verzog bald der eine, bald der andere der Forscher vor Schmerz das Gesicht. Ohne große Übung war es schwer, seinen Körper den Bewegungen der Mechanismen des "stählernen Skeletts" anzupassen. Selbst von einem kurzen Marsch kehrten die Menschen entkräftet zurück. Die Geologin Bina Led hatte sich offensichtlich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen, sie weigerte sich jedoch hartnäckig wegzugehen, bevor sie nicht das letzte Band des Schiffstagebuches abgehört hatte. Nisa erwartete von diesen Aufzeichnungen, die seit achtzig Jahren in dem toten Schiff lagen, irgend etwas Ungeheuerliches. sie stellte sich heisere Hilferufe, qualvolle Schreie und tragische Abschiedsworte vor. Das Mädchen zuckte zusammen, als aus dem Apparat eine wohlklingende Stimme ertönte.

Die unbekannte Stimme berichtete von den Ereignissen, die sich sieben Monate nach der Informationssendung an die Erde abgespielt hatten. Bereits ein Vierteljahrhundert vorher war die "Parus" beim Passieren eines Meteoritenstreifens im System der Wega beschädigt worden. Die Beschä—

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digung am Heck konnte beseitigt und die Reise fortgesetzt werden. Gleichzeitig war aber auch der hochempfindliche Regler für das Magnetschutzfeld der Motoren beschädigt worden. Nach einem zwanzig Jahre währenden Kampf mußten die Triebwerke abeschaltet werden. Noch fünf Jahre flog die "Parus" ohne Antrieb, bis sie beim Durchgang unbekannter Kraftfelder ihre Geschwindigkeit verlor. Damals wurde die erste Nachricht gesendet. Das Sternschiff näherte sich bereits unserer Sonne und wollte die zweite Nachricht senden, als es in das Gravitationsfeld des Eisensterns geriet. Es erging ihm wie der "Tantra", lediglich mit dem Unterschied, daß das Schiff keinen Widerstand zu leisten vermochte. Es konnte nicht zu einem Satelliten des Planeten werden, da die Ionentriebwerke ebenfalls gestört waren. Die "Parus" landete aber wohlbehalten auf dem niedrigen Plateau in der Nähe eines Meeres. Die Besatzung machte sich an die Lösung dreier vor ihr stehender Aufgaben: die Triebwerke zu reparieren, einen Ruf zur Erde zu senden und den unbekannten Planeten zu erforschen. Sie hatten noch nicht einmal den Startturm für die Senderakete zusammengebaut, als einige Besatzungsmitglieder auf unerklärliche Weise verschwanden. Auch jene, die auf die Suche geschickt wurden, kamen nicht zurück. Die Erforschung des Planeten wurde eingestellt. Nur gemeinsam verließen sie das Schiff zum Bau des Turmes. In den Pausen zwischen den Arbeiten, die wegen der größeren Schwerkraft ungeheuer an den Kräften zehrten, saßen sie lange Zeit in dem fest abgeschlossenen Schiff. Da sie die Senderakete schnellstens abschießen wollten, bemühten sie sich auch nicht, das fremde Sternschiff

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in der Nähe der "Parus" zu untersuchen, das offensichtlich seit langem hier stand.

Das ist die Scheibe! schoß es Nisa durch den Kopf. Ihre Augen trafen den Blick des Expeditionsleiters. dieser verstand ihre Gedanken und nickte bestätigend.

Von den vierzehn Besatzungsmitgliedern der "Parus" waren acht am Leben geblieben, denn seit den entsprechenden Vorsichtsmaßregeln war keiner mehr verschwunden. Dann erfolgte im Tagebuch eine ungefähr dreitägige Unterbrechung, nach der die Informationen von der hohen Stimme einer jungen Frau übermittelt wurden.

"Heute, am zwölften des siebenten Monats im siebenhundertdreiundzwanzigsten Jahr des Ringes, haben wir, alle Übriggebliebenen, die Vorbereitungen für den Abschuß der Senderakete abgeschlossen! Morgen um diese Zeit" — Keh Ber sah automatisch auf die Uhrskala längs des aufgespulten Bandes: fünf Minuten nach der Zeit der "Parus", und wer weiß, welche Zeit es auf diesem Planeten war — "schicken wir die genau berechnete..." Die Stimme wurde unterbrochen, kam dann wieder, aber leiser und schwächer, als hätte sich die Sprecherin vom Aufnahmegerät abgewandt: "Ich schalte ein! Noch..." Das Gerät verstummte, doch das Band spulte sich weiter ab. Die Zuhörer wechselten beunruhigte Blicke.

"Da ist etwas geschehen!" begann Ingrid Ditra.

Aus dem Gerät ertönten die hastig hervorgepressten Worte:

"Zwei konnten sich retten... Laik schaffte es nicht mehr... Der Lift... Sie konnten die Außentür nicht schließen, nur die zweite! Der Mechani—

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ker Sah Kton ist zu den Triebwerken gekrochen... Wir wehren uns mit planetarischen..."

Das Band lief eine gewisse Zeit, dann sprach wieder die gleiche Stimme:

"Kton scheint es nicht geschafft zu haben. Ich bin allein, habe aber einen Weg gefunden. Bevor ich beginne." Die Stimme wurde fester und sprach nun mit überzeugender Kraft: "Brüder, solltet ihr uns finden, verlaßt nie das Schiff! Ich warne euch!" Die Sprecherin seufzte und fuhr leise, wie zu sich selber, fort: "Ich muß erfahren, was mit Kton los ist. Wenn ich zurückkehre, werde ich alles ausführlich erklären. Ihn umgibt die Finsternis, nichts."

Ein Knacken — und das Band spulte sich bis zu Ende ab. Vergeblich warteten die Lauschenden. Die Unbekannte vermochte nichts mehr zu erklären, da es ihr wahrscheinlich nicht gelang, zurückzukehren.

Erg Noor schaltete den Apparat ab und wandte sich an seine Gefährten.

"Unsere ums Leben gekommenen Schwestern und Brüder retten uns. Wir haben eine Warnung vor einer tödlichen Gefahr erhalten, die auf diesem Planeten lauert. Ich weiß nicht, was es ist, wahrscheinlich aber ist es das fremde Leben."

"Wie gedenken Sie, uns mit Treibstoff zu versorgen, ohne das Schiff zu verlassen?" fragte Keh Ber.

"Warum sollen wir das Schiff nicht verlassen? Wir müssen es sogar verlassen und im Freien arbeiten. Aber wir sind gewarnt und werden Maßnahmen treffen..."

"Ich hab’s", sagte der Biologe Eon Tal. "Wir errichten eine Sperre um den Arbeitsplatz."

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"Und nicht nur dort, sondern auch auf dem Weg zwischen den Schiffen!" fügte Pur Hiss hinzu.

"Natürlich. Und da wir nicht wissen, wer uns auflauert, errichten wir eine Doppelsperre durch Strahlungen und Strom. Wir ziehen Leitungen und schaffen auf dem ganzen Weg einen Lichtkorridor."

Bina Leds Kopf schlug hart auf den Tisch. Die Ärztin und der zweite Astronom schleppten sich zu der bewußtlosen Geologin.

"Es ist nichts weiter", erklärte Luma Laswa. "Überanstrengung. Helfen Sie mir, Bina auf das Bett zu legen."

Diese einfache Arbeit wäre nicht so schnell erledigt worden, hätte nicht der Mechaniker Taron die Idee gehabt, einen automatischen Elektrokarren zu benutzen. Mit dessen Hilfe wurden alle acht Kundschafter zu ihren Betten transportiert; denn es war Zeit für sie auszuruhen, sonst hätte die Überanstrengung des an die neuen Bedingungen noch nicht angepassten Organismus eine Erkrankung hervorrufen können.

Bald begannen zwei aneinandergekoppelte Roboterwagen den Weg zwischen den Sternschiffen zu ebnen. Zu beiden Seiten des abgesteckten Weges erstreckten sich starke Kabel. An beiden Sternschiffen wurden provisorische Beobachtungstürme mit dicken Verschlußglocken aus Silikobor errichtet. In den Türmen saßen Beobachter, die von Zeit zu Zeit Bündel tödlicher Strahlen aus Pulsationskammern ausschickten. Das starke Licht der Scheinwerfer erlosch während der Arbeit nicht eine Sekunde. Im Kiel der "Parus" wurde die Hauptluke geöffnet, wurden die Schotten auseinandergenommen und vier Anameson–Be–

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hälter sowie dreißig Zylinder mit Ionenladungen zum Verladen vorbereitet. Das Verstauen in der "Tantra" war eine bedeutend kompliziertere Aufgabe. Das Sternschiff durfte nicht wie die tote "Parus" geöffnet werden, da sonst tödliche Keime fremden Lebens eindringen konnten. Deshalb wurde die Luke der "Tantra" nur zum Öffnen vorbereitet. Als die Innenschotten geöffnet waren, holte man von der "Parus" Reserveballons mit Preßluft. Vom Augenblick des Öffnens der Luke an bis zum Abschluß des Verladens der Behälter sollte unter hohem Druck Preßluft durch den Ladeschacht nach außen gejagt werden. Außerdem wurde an der Schiffswand eine Sperrstrahlung eingerichtet.

Allmählich gewöhnten sich die Menschen an die Arbeit in den "stählernen Skeletten" und an die Schwerkraft; der unerträgliche Schmerz in allen Gliedern, der nach der Landung eingesetzt hatte, ließ nach.

Einige Erdentage waren vergangen. Noch hatten sich die geheimnisvollen Feinde der Menschen nicht gezeigt. Plötzlich begann die Außentemperatur schlagartig zu sinken. Ein orkanartiger Wind kam auf, der von Stunde zu Stunde zunahm. Die schwarze Sonne ging unter. Es kühlte sich nicht sehr ab, gegen Mitte der Plantennacht setzte jedoch starker Frost ein. Die Arbeiten wurden mit eingeschalteter Skaphanderheizung fortgesetzt. Der erste Behälter konnte aus der "Parus" geholt und zur "Tantra" transportiert werden, als ein neuer Orkan zu wüten begann, bedeutend stärker als der vorherige. Die Temperatur stieg über Null, die dichten Luftströme führten viel Feuchtigkeit heran. Der Orkan wurde derart stark, daß das Sternschiff unter dem Anprall des ungeheuren

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Windes erbebte. Alle Anstrengungen der Forscher konzentrierten sich auf die Befestigung des Behälters unter dem Kiel der "Tantra". Das furchterweckende Heulen des Orkans wuchs an. Über die Hochebene jagten gefährliche Wirbelwinde, die unseren Tornados glichen. Im Lichtstreifen schoß eine riesige Windhose aus Regen, Schnee und Staub empor. Unter ihrem Anprall rissen die Hochspannungsleitungen, und bläuliche Funken zuckten gen Himmel.

Das gelbliche Scheinwerferlicht an der "Parus" erlosch.

Erg Noor verfügte, die Arbeit zu unterbrechen und sich ins Schiff zurückzuziehen.

"Aber der Beobachter ist ja noch dort!" rief Bina Led und zeigte auf den schwachen Lichtschein im Silikobor–Turm.

"Ich weiß, dort ist Nisa, ich werde gleich hingehen", sagte der Epeditionsleiter.

"Der Strom ist augeschaltet, und unsere Feinde können im Dunkeln lauern", gab Bina ängstlich zu bedenken.

"Wenn der Orkan auf uns wirkt, wird er zweifellos auch auf diese Wesen wirken. Ich bin überzeugt, solange der Sturm anhält, besteht keinerlei Gefahr. Und ich bin hier so schwer, daß ich nicht weggeblasen werde, wenn ich auf dem Boden dort hinkrieche. Schon lange wollte ich vom Turm aus diesen Wesen auflauern!"

"Lassen Sie mich mitgehen!" bat der Biologe und stellte sich schnell neben den Expeditionsleiter.

"Einverstanden. Aber weiter niemand."

Die beiden Männer krochen lange, sich an Unebenheiten und Gesteinsritzen festklammernd,

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bestrebt, dem Wirbel möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Immer wieder versuchte sie der Orkan vom Boden loszureißen und fortzublasen. Einmal gelang es ihm, aber Erg Noor bekam den davonrollenden Eon Tal noch zu fassen, wälzte sich über ihn und hakte sich mit seinen Krallenhandschuhen an einem großen Stein fest.

Nisa öffnete die Turmluke, und die beiden zwängten sich nacheinander hindurch. Hier im Turm war es warm und ruhig, er stand fest und sicher, da er in Voraussicht eventueller Stürme gut verankert war. Das rotlockige Mädchen war über das Eintreffen ihrer Gefährten erfreut. Sie gab ehrlich zu, daß es für sie furchtbar gewesen wäre, einen Tag allein im Sturm auf dem fremden Planeten zu verbringen.

Erg Noor teilte der "Tantra" ihre Ankunft mit, und der Scheinwerfer des Schiffes erlosch. Nun leuchtete in der tiefen Finsternis lediglich das schwache Licht im Innern des Turmes. Der Boden erbebte unter den Sturmböen und der darüber hinwegrasenden Windhosen. Nisa saß auf dem Drehstuhl, mit dem Rücken gegen den Rheostat des Stromabnehmers gelehnt. Der Expeditionsleiter und der Geologe setzten sich ihr zu Füßen auf den ringförmigen Vorsprung des Turmfundaments. In ihren dicken Skaphandern nahmen sie fast den ganzen Raum ein.

"Ich schlage vor, wir schlafen", erklang Erg Noors Stimme in den Telefonen. "Bis zum Aufgang der schwarzen Sonne sind es noch reichlich zwölf Stunden, erst dann wir der Orkan abflauen und die Temperatur ansteigen."

Nisa und Eon Tal stimmten bereitwillig zu. Von dem dreifachen Gewicht niedergedrückt, von

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den ungefügen Skaphandern eingeengt, schliefen die drei in dem sturmgeschüttelten Turm.

Von Zeit zu Zeit erwachte Nisa und gab an den Diensthabenden der "Tantra" die Durchsage "Alles wohl". Dann schlief sie wieder ein. Der Orkan hatte inzwischen merklich nachgelassen und das Beben des Bodens aufgehört. Jetzt konnten die unbekannten Wesen erscheinen. Die Beobachter im Turm nahmen Wachhaltetabletten ein.

"Das fremde Sternschiff läßt mir keine Ruhe", gestand Nisa. "Zu gerne möchte ich wissen, von wo und wie es hierhergeriet."

"Ich auch", antwortete Erg Noor, "wobei es klar ist, warum es hierherverschlagen wurde. Schon seit langem werden über den Großen Ring Berichte von Eisensternen und ihren Fangplaneten gesendet. Doch in der Umgebung der Sonne war bisher kein einziger Eisenstern bekannt. Wir haben den ersten entdeckt."

"Beabsichtigen Sie, auch das Tellerschiff zu untersuchen?" fragte der Biologe.

"Unbedingt! Tellerraumschiffe sind in den uns benachbarten besiedelten Gebieten unbekannt. Das ist von irgendwo weit her, vielleicht irrte es schon mehrere Jahrtausende nach dem Tode der Besatzung oder nach einer starken Beschädigung in der Galaxis umher. Vielleicht erschließen uns die Materialien, die wir in diesem tellerförmigen Schiff vorfinden werden, das Verständnis für viele Sendungen des Rings. Sobald wir die "Parus" entladen haben, werden wir uns mit ihm befassen. Jetzt können wir niemand entbehren."

"Die "Parus" hatten wir doch in wenigen Stunden untersucht..."

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"Ich habe mir das Tellerschiff im Stereoteleskop angesehen. Es ist verschlossen. Nirgends ist eine Öffnung zu sehen. Äußerst schwer ist es, in das Innere irgendeines kosmischen Schiffes einzudringen, das zuverlässig gegen Kräfte geschützt ist, die um ein Vielfaches stärker sind als alle irdischen Naturgewalten. Versuchen Sie einmal, in die abgeschlossene "Tantra" zu gelangen, durch ihre Panzerung aus Metall mit umgebildeter innerer Kristallstruktur. Weit schwieriger ist es bei einem völlig fremden Schiff, dessen Konstruktionsprinzipien man nicht kennt. Wir werden aber versuchen, das Rätsel zu lösen."

Erg Noor schwieg und lauschte. Selbst die empfindlichen Mikrofone ließen keinen Wind mehr erkennen. Der Sturm war vorüber. Doch von außen drang ein knirschendes Geräusch herein.

Der Expeditionsleiter hob die Hand, und Nisa, die ihn ohne Worte verstand, schaltete die Beleuchtung aus. Das Dunkel in dem von infrarotem Licht erwärmten Turm schien dicht wie eine schwarze Flüssigkeit, als stehe dieser Bau von Menschenhand auf dem Grund des Ozeans. Durch die durchsichtige Silikoborglocke flackerten braune Lichter auf, die von den Menschen deutlich erkannt wurden. Bisweilen bildeten sie für eine Sekunde einen kleinen Stern mit dunkelroten oder dunkelgrünen Strahlen, erloschen und erschienen wieder. Die Sternchen streckten sich kettenförmig aus, krümmten sich zu Ringen, krochen lautlos über die glatte, diamantharte Oberfläche des Turmdeckels. Die Forscher empfanden ein seltsames Brennen in den Augen und einen scharfen Schmerz in den Hauptnerven des Körpers. Es war, als bohr–

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ten sich die kurzen Strahlen der braunen Sterne wie Nadeln in die Nervenstränge.

"Nisa", flüsterte Erg Noor, "stellen Sie den Regulator auf volle Kraft und schalten Sie sofort das Licht ein."

Der Turm erstrahlte in grellbläulichem, irdischem Licht. Die davon geblendeten Menschen dahen nichts, oder fast nichts. Nisa und Eon glaubten etwas bemerkt zu haben, oder schien es nur so? Das Dunkel an der echten Turmseite verschwand nicht sofort, sondern blieb für einen Augenblick wie ein großer Klumpen liegen. Aber es dauerte nur einen Augenblick, dann war es blitzartig verschwunden.

"Das ist ein lebendes Wesen, und es versucht uns anzugreifen", rief Erg Noor.

Der Biologe unterstützte den Expeditionsleiter:

"Mir scheint, daß hier auf dem Planeten der Finsternis — wobei es ja nur für uns Finsternis ist, weil unsere Augen die infraroten Strahlen nicht wahrnehmen — andere Strahlen, zum Beispiel gelbe und blaue, auf diese Wesen eine starke Wirkung ausüben. Sie zogen sich so schnell zurück, daß die Besatzungsmitglieder der "Parus" nichts bemerken konnten, als sie den Platz des Überfalls mit Scheinwerfern ableuchteten. Und als sie etwas bemerkten, da war es zu spät, und die Sterbenden konnte nichts mehr erzählen."

"Wir werden sofort den Versuch wiederholen, so unangenehm das Näherkommen dieser Wesen auch ist."

Nisa schaltete das Licht aus, und wieder saßen die drei Beobachter in Erwartung der rätselhaften Wesen dieser Welt der Finsternis.

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"Womit sind sie ausgerüstet? Weshalb spürt man ihr Näherkommen durch Glocke und Skaphander?" fragte sich laut der Biologe. "Ist das eine besondere Form von Energie?"

"Es gibt hier nur sehr wenige Formen von Energie, und hier handelt es sich zweifelsohne um elektromagnetische. Es existieren jedoch vielfältige Abwandlungen. Dieses Wesen verfügt über eine Waffe, die auf unser Nervensystem einwirkt. Wie muß es erst sein, wenn ein solcher Fühler einen ungeschützten Körper berührt!"

Erg Noor überlief ein Schauer. Nisa Krit erzitterte, als sie die Ketten brauner Lichter bemerkte, die schnell von drei Seiten näher kamen.

"Das ist nicht nur ein Wesen!" flüsterte Eon. "Vielleicht sollten wir sie nicht erst den Turmdeckel berühren lassen."

"Sie haben recht. Soll sich jeder mit dem Rücken dem Licht zuwenden und nur auf seiner Seite Ausschau halten! Schalten Sie ein, Nisa."

Diesmal vermochte jeder der Forscher eine kleine Einzelheit festzustellen, aus denen sich ein Gesamteindruck von den Wesen ergab, die — flachen rhombischen Riesenquallen ähnlich — in geringer Höhe über dem Boden schwebten und unten mit dichten Fransen besetzt waren. Einige Fühler waren im Verhältnis zu den Ausmaßen des Wesens kurz, nicht länger als ein Meter. In den Spitzen Winkeln des Rhombus züngelten je zwei Fühler, die bedeutend länger waren. Am Ansatz der Fühler bemerkte der Biologe große Blasen, die matt von innen heraus leuchteten, und aus denen sternenförmige Blitze zuckten.

"Beobachter, warum schalten Sie das Licht ein und aus?" erklang plötzlich in den Helmen Ingrids

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Stimme. "Brauchen Sie Hilfe? Der Sturm ist zu Ende, und wir nehmen die Arbeit wieder auf. Wir werden sofort zu Ihnen kommen. . ."

"Unter keinen Umständen!" unterbrach sie der Leiter streng. "Wir stehen einer großen Gefahr gegenüber. Rufen Sie alle zusammen!"

Erg Noor berichtete von den Beobachtungen im Turm. Nach einer Beratung beschlossen die Weltraumreisenden, auf einem Karren einen Teil des Ionentriebwerkes herbeizuschaffen. Feuerströme von dreihundert Meter Länge jagten über die steinige Ebene und fegten alles Sichtbare und Unsichtbare hinweg. Es verging keine halbe Stunde, und die Menschen zogen ruhig neue Hochspannungskabel. Der Schutz war wiederhergestellt. Jetzt stand es fest, daß das Anameson bis zum Anbruch der Planetennacht umgeladen werden mußte. Dies gelang unter unglaublichen Anstrengungen. Danach verschanzten sich die entkräfteten Expeditionsteilnehmer hinter dem unbezwingbaren Panzer des Sternschiffes. Die Mikrophone trugen von außen das Heulen und Krachen des Orkans herein. Doch dadurch wurde die kleine, hell erleuchete Welt noch heimeliger.

Ingrid und Luma suchten einen Stereofilm aus, und schon umspülten die strahlend blauen Gewässer des Indischen Ozeans die Füße der in der Bibliothek Sitzenden.

Nisa beugte sich zu dem Biologen hinüber.

"Wie wunderbar ist doch die Schönheit unserer Welt nach der Finsternis und dem Sturm, nach diesen elektrischen schwarzen Medusen", flüsterte sie.

"Ja, natürlich. Und deswegen möchte ich brennend gerne eine solche Meduse fangen! Ich habe

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mir gerade über diese Aufgabe den Kopf zerbrochen."

Nisa Krit unterbreitete eine Idee, die ihr eben gekommen war. Man könnte einen der leeren Wassertanks mit einem aus der Ferne zu schließenden Deckel versehen. Als Köder müßte man ein Stück konserviertes Frischfleisch hineinlegen, wovon ein kleiner Vorrat als außerordentliche Delikatesse an Bord war. Sollte das schwarze "Etwas" dort hineinkriechen und der Deckel zuklappen, müßte durch Ventile die Luft des Planeten der Finsternis ausgepumpt, der Behälter mit einem Gas, das nur schwer chemische Verbindungen eingeht, gefüllt und der Deckelrand sicher abgedichtet werden.

Nach der neun Erdentage dauernden Planetennacht hatten die Ingenieure die Falle konstruiert.

Erg Noor stellte während dieser Zeit einen elektrischen Schneidbrenner her, mit dessen Hilfe er in das Innere des unbekannten scheibenförmigen Weltraumschiffes einzudringen hoffte.

In dem bereits zur Gewohnheit gewordenen Dunkel verebbten die Stürme, der Frost wurde wieder von Wärme abgelöst — der neuntägige "Tag" brach an. Das Verladen der Ionenladungen, einiger Vorräte und wertvoller Instrumente nahm noch weitere vier Erdentage in Anspruch.

Am fünften Tage wurde der Hochspannungsstrom abgeschaltet, und der Biologe schloß sich zusammen mit zwei Freiwilligen — Keh Ber und Ingrid — im Beobachtungsturm an der "Parus" ein. Die schwarzen Wesen tauchten unverzüglich auf. Der Biologe saß am Infrarotschirm und vermochte so das Treiben der mörderischen "Medusen" zu verfolgen. Jetzt kroch eine von ihnen zum Fangbehälter. Sie preßte die Fühler zusammen,

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klammerte sich fest und zog sich nach innen. Plötzlich erschien noch eine schwarze Meduse am offenen Tankrand. Die zuerst gekommene öffnete die Fühler — die Funken der sternförmigen Lichter vervielfachten sich und verwandelten sich in vibrierende dunkelrote Lichtstreifen, die auf dem Bildschirm als Blitze aufzuckten. Das zweite Wesen glitt zurück, worauf sich das erste augenblicklich zusammenrollte und auf den Boden des Tanks fallen ließ. Der Biologe griff zum Schalter, doch Keh Ber hielt ihn zurück. Auch das zweite Ungeheuer hatte sich jetzt zusammengerollt und folgte dem ersten nach. Nun befanden sich zwei dieser furchtbaren Medusen im Tank. Man mußte sich nur wundern, wie sie es fertiggebracht hatten, ihren Umfang derartig zu verringern. Ein Druck auf den Knopf — der Deckel klappte zu, und sofort umschwärmten fünf oder sechs schwarze Scheusale von allen Seiten das riesige zirkoniumumwandige Gefäß. Der Biologe bat die "Tantra", das Licht des Schutzstreifens einzuschalten. Die schwarzen Gespenster verschwanden wie üblich im Nu, doch zwei von ihnen lagen unter dem schweren Deckel des Tanks.

Der Biologe ging zu dem Wassertank, berührte den Deckel — und erhielt einen derart heftigen Nervenschlag, daß er vor Schmerz aufschrie. Sein linker Arm hing gelähmt herunter.

Keh Ber zog einen Hochtemperatur–Schutzskaphander an. Nun erst gelang es, den Deckel abzudichten und in den Tank reinen Erdstickstoff zu pressen. Auch die Ventile wurden zugeschweißt. Dann wurde um den Behälter ein Stück von der Reserveverkleidung des Sternschiffes gelegt und der Tank in die Sammelkammer gestellt. Der Sieg

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war um einen teuren Preis errungen — die Lähmung im Arm des Biologen ging trotz aller Bemühungen der Ärztin nicht vorüber. Eon Tal hatte stark darunter zu leiden, doch dachte er nicht daran, den Marsch zum Tellerschiff aufzugeben.

Das Tellerschiff — ein Gast aus fernen Welten — war von der "Parus" doch weiter entfernt, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. In dem in der Ferne verschwimmenden Scheinwerferlicht hatten sie auch die Ausmaße des Schiffes nicht richtig abgeschätzt. Beim Näherkommen zeigte sich, was für ein kolossales Bauwerk es war. Mindestens dreihundertfünfzig Meter betrug sein Durchmesser. Von der "Parus" mußten Kabel abmontiert werden, um das Schutzsystem bis zum Teller zu ziehen. Das geheimnisvolle Sternschiff ragte vor den Menschen wie eine lotrechte Wand auf. Pechschwarze Wolken ballten sich zusammen und verbargen den oberen Teil des Riesentellers. Eine malachitgrüne Masse bedeckte den Rumpf. Diese stark rissige Schicht war über einen Meter dick. Durch die Risse blinkte stahlblaues Metall.

Die Seite des Tellers, die der "Parus" zugewandt war, hatte einen spiralförmigen Auswuchs von ungefähr fünfzig Metern Durchmesser und zehn Metern Höhe. Die andere, gewölbtere Seite des Sternschiffs, die in tiefem Dunkel lag, bildete gewissermaßen einen mit dem Teller verbundenen Kugelabschnitt. Auch auf dieser Seite ragte eine hohe Spiralwelle aus dem Schiffsrumpf.

Viele Stunden verbrachten die Forscher mit der Suche nach einem Eingang oder einer Luke. Es gelang ihnen nicht einmal, Öffnungen für optische Geräte oder Antriebsdüsen zu entdecken. Der Metallkoloss war unzugänglich.

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Sie beschlossen, das Ende der Spiralwelle zu öffnen, denn sie rechneten damit, daß die Welle im Innern hohl sei und man durch sie in das Schiff gelangen werde, ohne Gefahr zu laufen, auf eine Reihe hintereinanderliegender Schotten zu stoßen.

Die Untersuchung des Tellerschiffes war von großem Interesse. Dieser Gast aus fernen Welten konnte Geräte, Materialien und Gebrauchsgegenstände jener Wesen in sich bergen, die das Sternschiff durch solche Weiten geführt hatten. Im Vergleich dazu ware die Reisen der Sternschiffe der Erde nur ein schüchterner Ausflug in den kosmischen Raum.

Auf der einen Seite reichte die Spiralwelle bis zum Boden. Dorthin schleppten die Forscher einen Scheinwerfer und Hochspannungsleitungen. Das von dem Teller zurückgeworfene bläuliche Licht zerfloß wie ein matter Nebel über die Ebene und reichte bis zu hohen, dunklen Erhebungen, wahrscheinlich Felsen, zwischen denen bodenlose Finsternis herrschte.

"Nur Keh Ber und ich, die wir Skaphander mit höchstem Hitze– und Strahlenschutz anhaben, werden die Spiralwelle öffnen", sagte Erg Noor. "Die anderen in den biologischen Skaphandern übernehmen die Deckung."

Der Leiter stockte. Etwas drängte sich in sein Bewußtsein, was seine Energie lähmte. Ihn erfüllte die stumpfe Ergebenheit eines kraftlos gewordenen Tieres. Völlig in Schweiß gebadet, schritt Erg Noor willenlos auf die schwarzen Felsen zu. Ein Schrei Nisas gab ihm das Bewußtsein zurück. Er blieb stehen, doch eine dunkle, unerklärliche Kraft trieb ihn wieder vorwärts.

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Keh Ber und Eon Tal, die sich am Rande des Lichtkreises befanden, folgten dem Expeditionsleiter langsam. In den Nebelschwaden entstand eine Bewegung, die über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinausging und deshalb um so furchteinflößender wirkte. Das war nicht die bereits bekannte medusenartige Kreatur. Aus dem aschgrauen Halbdunkel glitt ein schwarzes Kreuz mit breiten Schaufeln und einer konvexen Ellipse in der Mitte hervor. An drei Enden des Kreuzes waren linsenförmige Augen erkennbar, in denen sich das Scheinwerferlicht spiegelte. Der untere Teil des Kreuzes versank im Dunkel der Bodenvertiefungen.

Erg Noor, der schneller als die anderen ausschritt, kam dem gespenstischen Kreuz auf hundert Schritt nahe und stürzte plötzlich wie leblos zu Boden. Ehe einer begreifen konnte, daß es um Leben oder Tod des Expeditionsleiters ging, war das schwarze Kreuz über die Hochspannungsleitung hinausgewachsen. Es neigte sich wie ein der Stengel einer Pflanze nach vorn, um Erg Noor zu erreichen.

Nisa, die zu weit entfernt war, um dem Einfluß dieses neuen Wesens zu erliegen, hob, von Zorn gepackt, den Schneidbrenner, schaltete den Strom ein und sprang nach vorn, um mit ihrem Körper Erg Noor zu decken. Aus den drei Augen des Kreuzes schossen schlangenförmige Blitze hervor. Mit ausgebreiteten Armen stürzte das Mädchen auf Erg Noor nieder. Der Strahler entfiel Nisas Händen, seine Mündung blieb jedoch zum Glück auf die Mitte des schwarzen Kreuzes gerichtet. Das Untier krümmte sich zusammen und verschwand in der undurchdringlichen Finsternis am Felsen,

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als wäre es rücklings hingestürzt. Erg Noor und seine beiden Gefährten kamen wieder zu sich. Sie hoben das Mädchen auf und trugen es zum Tellerschiff. Die übrigen sechs, die sich inzwischen wieder gefaßt hatten, schleppten ein Ionentriebwerk herbei und improvisierten daraus eine Art Kanone. Mit einem bisher nie gekannten Gefühl der Wut richtete Erg Noor den vernichtenden Feuerstrahl gegen die Felsen, wobei er besonders sorgfältig am Boden entlangstrich, bemüht, nicht einen einzigen Quadratmeter auszulassen. Eon Tal kniete bei der unbeweglich liegenden Nisa. Leise rief er sie durchs Telefon an und versuchte, ihr Gesicht unter dem Helm zu erkennen. Das Mädchen lag mit geschlossenen Augen wie tot da.

"Das Ungeheuer hat Nisa getötet!" rief Eon Tal verbittert, als Erg Noor näher trat.

"Bringen Sie sie sofort zu Luma auf die "Tantra", und tun auch Sie Ihr möglichstes, die Art der Verletzung festzustellen!" Erg Noors Stimme klang seltsam fremd. "Wir bleiben zu sechst hier und führen die Untersuchung zu Ende. Der Geologe wird sie begleiten und unterwegs alle ihm begegnenden Gesteinsarten sammeln — wir können uns nicht länger auf diesem Planeten aufhalten. Hier braucht man Schutzpanzer, wie wir sie nicht haben. Wir setzen nur das Leben der Besatzung aufs Spiel."

Erg Noor drehte sich um und schritt auf das Tellerschiff zu. Die "Kanone" hielt ihren Schlund aufn die Felsen gerichtet. Alle zehn Minuten schaltete der Elektroneningenieur den Feuerstrom ein. Erg Noor und Keh Ber schleppten den Schneidbrenner zur Spiralwelle, deren Windung in Brusthöhe vor ihnen lag.

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Sogar durch den dicken Schutzskaphander drang das laute Krachen. In der Malachitschicht entstanden Risse. Bruchstücke der festen Masse platzten ab und schlugend klirrend gegen die Skaphander. Der weiter hinten stehende zweite Elektroneningenieur sammelte einige Stücke in einen Kasten. Der Schneidstrahl löste eine ganze Platte aus der Schicht und legte eine körnige im Scheinwerferlicht glitzernde Fläche von hellblauer Farbe frei. Nachdem ein Quadrat umrissen war, groß genug, einen Menschen im Skaphander durchzulassen, zog Keh Ber den ersten Schnitt, der aber das blaue Metall nicht ganz durchdrang. Ber zog eine zweite Linie im rechten Winkel zur ersten und fuhr mit dem Schneidstrahl auf der Linie hin und her, wobei er ständig die Spannung erhöhte. Der Einschnitt im Metall war schon über einen Meer tief. Ermüdet gab Keh Ber den Brenner Erg Noor. Plötzlich wichen die Schnittflächen auseinander.

"Alles zurück, hinlegen!" schrie Erg Noor, während er den Schneidbrenner abschaltete und zurücksprang. Das massive Metallstück klappte wie der Deckel einer Konservenbüchse auf, und aus der Öffnung schlug eine grelle regenbogenfarbige Flamme hervor, die an der Spiralwelle entlangschoß. Das rettete die Forscher; hinzu kam noch, daß das blaue Metall augenblicklich schmolz und die Öffnung wieder verschloß. Erg Noor und Keh Ber waren unversehrt geblieben. Der Ausbruch hatte sie von dem seltsamen Sternschiff weit weggeschleudert und die Hochspannungskabel zerfetzt.

Von der Erschütterung zu sich gekommen, begriffen alle, daß sie jetzt schutzlos waren. Zum

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Glück befanden sie sich im Lichtstrahl des ganz gebliebenen Scheinwerfers. Erg Noor entschied, daß es genug wäre. Die Forscher ließen Instrumente, Kabel und Scheinwerfer liegen, setzten sich auf den unbeschädigten Wagen und fuhren eilig zur "Tantra".

Nur ein glückliches Zusammentreffen verschiedner Umstände hatte sie beim unvorsichtigen Aufschweißen des fremden Sternschiffes gerettet. Ein zweiter Versuch hätte sie wahrscheinlich ins Verderben gestürzt. Was aber war mit Nisa? Erg Noor hoffte, der Skaphander werde die unbekannte Kraft des schwarzen Kreuzes geschwächt haben. Den Biologen hatte die Berührung der Medusenfalle ja auch nicht getötet. Aber konnten sie hier, fern von den mächtigen medizinischen Instituten der Erde, mit den Wirkungen der unbekannten Waffe fertig werden?

In der Schleusenkammer der "Tantra" näherte sich Keh Ber dem Expeditionsleiter und zeigte auf dessen linke Schulter. Erg Noor besah sich im Spiegel. Der Skaphander war an der Schulter aufgerissen. Daraus ragte ein Stück blaues Metall hervor, das in das Isolationsfutter gedrungen war, jedoch die innere Skaphanderschicht nicht durchschlagen hatte. Mit Mühe gelang es, den Splitter herauszuziehen. Um den Preis großer Gefahr konnte so wenigstens eine Probe des rätselhaften Metalls vom Tellerschiff mit zur Erde genommen werden.

Die gesamte Expedition atmete erleichtert auf, als alle wieder im Schiff waren. Die Katastrophe an der Welle war mit Stereoteleskopen beobachtet worden, und jede weitere Erklärung erübrigte sich.

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Inhalt

1. Der eiserne Stern (5-38)
2. Das Mädchen vom Planeten des Epsilonsterns im Tukan (39-64)
3. Im Banne der Finsternis (65-104)
4. Die Sinfonie in f-Moll (105-122)
5. Die roten Wellen (123-151)
6. Die Legende der blauen Sonnen (152-180)
7. Der Rat für Sternenfahrt (181-220)
8. Der Andromedanebel (221-253)

Index

Douglas Adams John Barth Samuel Beckett Bert Brecht: Laotse John Bunyan William Gaddis Wassily Kandinsky Stanislaw Lem David Mitchell Vladimir Nabokov Victor Pelewin Thomas Pynchon Salman Rushdie J. D. Salinger Neal Stephenson Laurence Sterne Arkadi und Boris Strugatzki William Carlos Williams Ludwig Wittgenstein Frank Zappa

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