3. IM BANNE DER FINSTERNIS
Auf der breiten Skala der Kurssteuerung rückte der weiße Zeiger
langsam, aber unaufhaltsam nach rechts das Sternschiff umflog auf einer
elliptischen Kurve den Eisenstern.
Zitternd vor Anstrengung und Schwäche, nahm Erg Noor, von Pel Lin
gestützt, an der Rechenmaschine Platz.
"Ingrid, was ist ein Eisenstern?" fragte Keh Ber leise, der die ganze
Zeit unbeweglich hinter der Astronomin gestanden hatte.
"Ein für uns unsichtbarer Stern der Spektralklasse T, wohl erloschen,
aber noch nicht endgültig erkaltet. Er sendet langwellige Lichtstrahlen
aus, die im Wärmebereich des Spektrums liegen infrarote Strahlen
, und wird mit Hilfe des Elektroneninvensors erst in relativ geringem
Abstand sichtbar. Eine Eule könnte ihn wahrnehmen, da sie infrarote
Strahlen sieht."
"Weshalb heißt er aber Eisenstern?"
"Auf allen bisher erforschten Sternen ist Eisen in erheblich
größerer Menge vorhanden als auf der Erde. Handelt es sich um einen
großen Stern, sind Masse und Gravitationsfeld gewaltig
Ich
fürchte, wir sind auf solch einen Stern gestoßen."
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"Und was nun?"
"Ich weiß nicht. Du siehst selbst, wir haben fast keinen Treibstoff
mehr. Unser Schiff wird um den Stern einen Spirale beschreiben und sich ihm
allmählich nähern
bis es auf ihn niedersaust!" Ingrid
zuckte nervös mit den Schultern, und Keh Ber streichelte zärtlich
ihre Hand.
Der Expeditionsleiter trat an das Steuerungspult. Alle schwiegen. Keiner wagte
zu atmen. Es schwieg auch die eben erst erwachte Nisa Krit, die instinktiv die
ganze Gefahr der Situation begriff. Es mochten drei Stunden vergangen sein, da
wagte Erg Noor endlich den entscheidenden Schritt. Wieder erschütterte das
unerträgliche Vibrieren der AnamesonMotoren die "Tantra". Der
günstigste Zeitpunkt des Loslösens war bereits errechnet worden,
daher hatte Erg Noor keinen Augenblick zögern dürfen, denn mit
wachsendem Geschwindigkeitsverlust wurde es für das Sternenschiff immer
schwieriger, dem Anziehungsbereich des Eisensterns zu entrinnen.
Die Fluggeschwindigkeit des Schiffes erhöhte sich, und die elliptische
Bahn wurde steiler. Eine Stunde, eine zweite
der furchtbare braune
Himmelskörper verschwand aus dem vorderen Bildschirm und verschob sich zum
Seitenbildschirm. Doch noch immer hielt die Gravitation wie mit unsichtbaren
Ketten das davoneilende Schiff. Eine dritte, eine vierte Stunde
da
leuchteten über Erg Noors Kopf zwei rote Punkte auf. Er riß den
Hebel herunter die Triebwerke standen still.
"Entkommen!" flüsterte Pel Lin erleichtert. Erg Noor wandte ihm
langsam den Blick zu und schüttelte den Kopf:
(66)
"Das ist noch fraglich. Der AnamesonVorrat ist zu Ende!"
"Was jetzt?"
"Warten! Jetzt kämpfen die Schwerkraft des Sterns und die
Geschwindigkeit der "Tantra" miteinander."
Erg Noor lehnte sich im Sessel zurück und ließ die Hände
sinken. Die Menschen schwiegen, nur die Geräte summten leise. Eine andere,
disharmonische, drohend anmutende Melodie flocht sich in das Lied der
Steuerungsapparate. Der Ruf des Eisensterns, die Kraft seiner schwarzen Masse,
die das an Geschwindigkeit einbüßende Schiff festhielt, war beinahe
körperlich zu spüren.
Nisa Krits Wangen brannten, und ihr Herzschlug schneller.
Unerträglich schien ihr das müßige Warten.
Langsam verrannen die Stunden. Im Zentralposten hatten sich alle vierzehn
Expeditionsmitglieder eingefunden.
Der Flug der "Tantra" war zu stark verlangsamt worden, als daß sie vom
Eisenstern wegkommen konnte. Den Kampf wieder aufzunehmen, war das Sternschiff
nicht imstande. Immer weiter wurde die "Tantra" vom Kurs abgelenkt, bis sie auf
der ersten weiten Schleife der unerbittlichen Spirale dahinjagde. Das Schicksal
der "Tantra" war jedem klar.
Ein Stöhnen ließ alle zusammenfahren. Der Astronom Pur Hiss sprang
auf und fuchtelte mit den Armen herum. Furcht, Todesangst und Rachgier
verzerrten das Gesicht des Wissenschaftlers.
"Er, er ist schuld!" schrie Pur Hiss und zeigte auf Pel Lin.
"Idiot, Holzkopf, hirnloser Wurm
" Der Astronom schluckte und
suchte nach längst in
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Vergessenheit geratenen Flüchen der Urahnen. Nisa, die neben ihm stand,
wandte sich angeekelt ab. Da erhob sich Erg Noor.
"Den Navigator zu verurteilen führt zu nichts. Die Zeiten sind
vorbei, wo Fehler absichtlich begangen werden konnten. Und in diesem
Falle", Noor drehte an den Schaltern der Rechenmaschine,
"beträgt, wie sie sehen, die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler
dreißig Prozent. Zieht man noch die Erschütterungen durch das
Schaukeln des Sternschiffs in Betracht, so hätten Sie, Pur Hiss, dessen
bin ich sicher, den gleichen Fehler begangen!"
"Und Sie?" schrie der Astronom wütend.
"Ich nein. Während der sechsunddreißigsten
Sternenexpedition hatte ich ein ähnliches Erlebnis. Ich trage die
größte Schuld: Ich hoffte, das Sternschiff in dem noch unerforschten
Raum selbst zu steuern, und habe nicht alles im vorhinein bedacht, sondern mich
nur auf eine einfache Instruktion beschränkt."
"Sie konnten doch nicht wissen, daß wir ohne Sie in diesen Bereich
geraten würden!" rief Nisa.
"Ich hätte es wissen müssen", antwortete Erg Noor fest,
"aber es verlohnt sich nur auf der Erde darüber zu sprechen."
"Auf der Erde!" heulte Pur Hiss. Und selbst Pel Lin machte ein
betretenes Gesicht. "Wie können Sie so reden, wo alles verloren ist
und nichts als der Tod vor uns liegt."
"Nein, vor uns liegt nicht der Tod, sondern ein großer Kampf",
antwortete Erg Noor entschlossen.
Nisa wechselte mit ihm ein Lächeln voll Freude trotz der ganzen
Hoffnungslosigkeit des Augenblicks.
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"Zweifellos hat der Stern einen Planeten, vermutlich sogar zwei. Die
Planeten sind groß und besitzen folglich eine Atmosphäre. Wir sind
aber nicht gezwungen zu landen, denn wir haben einen großen Vorrat an
festem Sauerstoff." Erg Noor verstummte, um sich zu sammeln. "Wir
werden zu einem Satelliten des Planeten, indem wir um ihn unsere Flugbahn
beschreiben. Wenn sich die Atmosphäre des Planeten als geeignet erweist,
werden wir landen und Hilfe herbeirufen", fuhr er fort, "im Laufe
eines halben Jahres werden wir die Richtung berechnen, die Ergebnisse unserer
Forschungen von der Sirda durchgeben, ein Hilfsschiff herbeirufen und uns und
das Schiff retten können
"
"Falls die Rettung gelingt!", warf Pur Hiss in aufkeimender Freude
ein.
"Ja, falls die Rettung gelingt!" stimmte Erg Noor zu. "Das ist
ein klares Ziel, und wir müssen alles daransetzen, es zu erreichen. Pur
Hiss und Ingrid, Sie führen die Beobachtungen durch und berechnen die
Größe der Planeten; Keh Ber und Nisa, Sie errechnen aus der Masse
der Planeten ihre Schwerkraft und daraus die notwendige Fluggeschwindigkeit und
den optimalen Radius."
Für alle Fälle trafen die Forscher Vorbereitungen zur Landung. Der
Biologe, der Geologe und die Ärztin machten eine Erkundungsstation
einen Roboter zum Abwurf fertig, die Mechaniker überprüften
die Landepeilgeräte und montierten einen kleinen Satelliten zur
Nachrichtenübermittlung von der Oberfläche des Planeten.
Nach dem ausgestandenen Schrecken und der Hoffnungslosigkeit ging die Arbeit
besonders schnell voran. Sie wurde nur dann unterbrochen,
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wenn das Sternschiff durch Gravitationswirbel ins Schaukeln geriet. Doch die
"Tantra" hatte ihre Geschwindigkeit bereits so stark vermindert, daß die
Erschütterungen die Besatzung nicht mehr gefährdeten.
Pur Hiss und Ingrid stellten die Existenz zweier Planeten fest. Der
äußere war ein riesiger, kalter Planet, umgeben von einer
mächtigen, wahrscheinlich giftigen Atmosphäre, die der Expedition den
Tod bringen konnte. Solche furchtbaren Riesenplaneten gab es auch im
Sonnensystem Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Die "Tantra" näherte sich unaufhaltsam dem Stern. Nach neunzehn Tagen
hatten Pur Hiss und Ingrid die Ausmaße des inneren Planeten bestimmt; er
war größer als die Erde. Da sich der Planet sehr nahe an seiner
eisernen Sonne befand, umkreiste er sie mit rasender Geschwindigkeit; sein Jahr
dauerte kaum länger als zwei Erdmonate. Der unsichtbare Stern T
erwärmte ihn mit seinen infraroten Strahlen wahrscheinlich stark genug, so
daß bei Vorhandensein einer Atmosphäre dort Lebewesen existieren
konnten. In diesem Fall würde eine Landung ganz besonders gefährlich
sein, denn Leben, das auf anderen Planeten unter anderen
Entwicklungsbedingungen entstanden war, das aber gleiche
Eiweißverbindungen entwickelt hatte, war für Erdbewohner von
äußerst schädlicher Wirkung. Die Schutzstoffe, welche die
Organismen auf unserem Planeten in Millionen von Jahrhunderten herausgebildet
hatten, waren gegen andersgeartetes Leben auf anderen Planeten wirkungslos.
Furchtbare Krankheiten und Epidemien gingen mit den ersten Erforschun
(70)
gen bewohnbarer, aber unbesiedelter Planeten einher. Deshalb trafen auch die
von denkenden Wesen besiedelten Welten viele Vorkehrungen, bevor sie die
direkte Sternschiffverbindung zu anderen Gestirnen aufnahmen. Auf unsere Erde,
die von den zentralen, bewohnten Zonen der Galaxis weit entfernt liegt, waren
bisher noch keine Gäste von Planeten anderer Sternsysteme, noch keine
Vertreter anderer Zivilisationen gekommen. Der Rat für Sternenfahrt hatte
erst vor kurzem die Vorbereitungen für die Aufnahme von Freunden naher
Sterne aus dem Sternbild des Schlangenträgers, des Schwans und des
Paradiesvogels abgeschlossen.
Erg Noor, über ein eventuelles Zusammentreffen mit Lebewesen besorgt,
ordnete an, aus den Lagern biologische Schutzmittel bereitzuhalten, mit denen
er die Expedition in der Hoffnung, zur Wega zu gelangen, ausreichend versorgt
hatte.
Endlich war der entscheidende Augenblick gekommen: Die "Tantra" hatte ihre
Fluggeschwindigkeit der des inneren Planeten des Eisensterns angeglichen und
umkreiste ihn. Die verschwommene graubraune Oberfläche des Planeten,
richtiger gesagt seiner Atmosphäre, ließ sich nur im
Elektroneninvensor sichtbar machen. Alle Expeditionsmitglieder hatten ihre
Plätze an den Geräten eingenommen.
"Die Umdrehung um die Achse dauert annähernd zwanzig Tage!"
"Die Peilgeräte bestätigen das Vorhandensein von Wasser und
Festland."
"Die Höhe der Atmosphäre beträgt tausendsiebenhundert
Kilometer."
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"Genaue Masse: das 3,2fache der Erdmasse."
Eine nach der andern erfolgten die Angaben. Erg Noor faßte die Zahlen
zusammen, deren Angabe er für die Berechnung der Flugbahn benötigte.
Der Planet war sehr groß. Seine Schwerkraft würde das Schiff an den
Boden heften. Die Menschen könnten sich nur wie hilflose Kriechtiere
bewegen.
Der Expeditionsleiter entsann sich der schauerlichen Erzählungen über
Sternschiffe, die aus verschiedenen Gründen auf Riesenplaneten gelandet
waren. Das Heulen der Motoren und das krampfartige Erbeben des Schiffes, das,
unfähig, sich vom Boden zu erheben, an er Planetenoberfläche klebte
und und vom eigenen Gewicht zerquetscht wurde
Unbeschreiblich dieses
Grauen, das aus dem abgerissenen Stöhnen der letzten Meldungen und der
Abschiedsendungen sprach
Der Besatzung der "Tantra" drohte dieses Schicksal nicht, solange das Schiff
den Planeten umkreiste. Müßte es aber auf seiner Oberfläche
landen, dann würden nur sehr kräftige Menschen in der Lage sein, die
Schwere ihres eigenen Gewichts in dieser künftigen Zufluchtsstätte zu
schleppen, einer Zufluchtsstätte, an der sie vielleicht Jahrzehnte bleiben
müßten
Würden sie unter diesen Bedingungen durchhalten?
Unter der Last der erdrückenden Schwere, im ewigen Dunkel der
ultravioletten Sonne, in der dichten Atmosphäre. Dennoch bedeutete das
nicht den Tod, es bestand Hoffnung auf Rettung, und außerdem bestand
keine andere Wahl!
Die "Tantra" zog ihre Bahn dicht über der Atmosphäre. Die Mitarbeiter
der Expedition durften die Gelegenheit nicht versäumen, diesen völlig
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unbekannten Planeten, der sich verhältnismäßig nahe der Erde
befand, zu untersuchen. Die beleuchtete, besser gesagt erwärmte Seite des
Planeten unterschied sich von der Schattenseite nicht allein durch eine
bedeutend höhere Temperatur, sondern auch durch gewaltige Anhäufungen
von Elektrizität, die sogar die Peilgeräte störte, deren Angaben
völlig verzerrt wurden. Erg Noor beschloß, den Planeten mit Hilfe
von Abwurfstationen zu erforschen. Sie warfen eine physikalische Station ab.
Bald kam das verblüffende Resultat. Der Automat meldete das Vorhandensein
von freiem Sauerstoff in den unteren Schichten einer
KryptonStickstoffAtmosphäre, das Vorhandensein von
Wasserdämpfen und eine Temperatur von zwölf Grad Wärme. Diese
Bedingungen ähneltem im allgemeinen denen der Erde. Lediglich der Druck
der dichten Atmosphäre überstieg den normalen Druck auf der Erde um
das 1,3fache.
"Hier kann man leben!" sagte der Biologe mit einem Anflug von
Lächeln, als er dem Expeditionsleiter die Meldungen der Station
übergab.
"Wenn für uns die Möglichkeit besteht, werden dort gewiß
schon Lebewesen existieren", erwiderte Erg Noor.
Als das Sternschiff zur fünfzehnten Umrundung des Planeten ansetzte, wurde
eine Abwurfstation mit einem leistungsfähigen Fernsehsender vorbereitet.
Doch die zweite physikalische Station, die auf der Schattenseite abgeworfen
worden war, als sich der Planet um hundertzwanzig Grad gedreht hatte, war
verschwunden, ohne ein einziges Signal zu geben.
"Sie ist im Ozean versunken!" konstatierte die Geologin
ärgerlich.
(73)
"Dann müssen wir die Oberfläche mit dem Hauptpeilgerät
abtasten, bevor wir den Fernsehroboter abwerfen."
Ein Bündel gelenkter Radiostrahlen aussendend, jagte die "Tantra" um den
Planeten und tastete die Konturen der Kontinente und Meere ab. Es markierten
sich die Umrisse eines riesigen Flachlandes, das entweder in einen Ozean
hineinragte oder zwei Ozeane fast am Äquator des Planeten voneinander
trennte. Das Sternschiff führte den Peilstrahl in einer Zickzacklinie und
erfaßte damit einen Streifen von zweihundert Kilometer Breite.
Plötzlich flammte der Bildschirm des Peilgerätes für den
Bruchteil einer Sekunde hell auf. Ein Pfeifen, das an den Nerven zerrte,
bestätigte, daß es keine Halluzination war.
"Metall!" rief die Geologin. "Eine offene
Lagerstätte!"
Erg Noor schüttelte den Kopf.
"Wie kurz auch das Aufflammen war, konnte ich doch festumrissene Konturen
erkennen. Das ist entweder ein großer Klumpen Metall, ein Meteorit,
oder
"
"Ein Schiff?" warfen Nisa und der Biologe gleichzeitig ein.
"Hirngespinste!" schnitt Pur Hiss das Gespräch ab.
"Vielleicht ist es wirklich so", entgegnete Erg Noor.
"Es hat ohnehin keinen Zweck, zu streiten", sagte Pur Hiss. "Es
läßt sich nicht nachprüfen, denn wir werden ja nicht
landen."
"Wir werden es in drei Stunden überprüfen, wenn wir wieder zu
diesem Flachland kommen. Geben Sie Obacht, der Metallkörper befindet sich
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auf einer Ebene, die auch ich als Landeplatz wählen würde
Wir
werfen die Fernsehstation genau dort ab. Stellen Sie den Strahl des
Peilgerätes auf sechs Sekunden."
Der vom Expeditionsleiter vorgeschlagene Plan gelang, und nach dem Abwurf
begann die "Tantra" erneut den dreistündigen Flug um den Planeten. Als
sie sich dieser Stelle wieder näherte, empfing sie die Sendungen des
Fernsehroboters. Gespannt blickten alle auf den Bildschirm. Wie ein
menschliches Auge nahm der Sehstrahl die Konturen der Gegenstände dort
unten in dem bodenlosen Dunkel auf. Keh Ber stellte sich deutlich vor, wie der
leuchtturmähnliche Kopf der Station kreise. In dem vom Strahl des
Automaten beleuchteten Gebiet traten die Umrisse niedriger Schluchten,
Hügel und die schwarzen Windungen von Rinnen hervor. Plötzlich
huschte gespensterhaft ein fischförmiger Körper vorüber, doch
schon war er wieder in der Finsternis verschwunden.
"Ein Sternschiff!" riefen mehrere zugleich. Die "Tantra" entfernte
sich von dem Fernsehroboter, und der Bildschirm erlosch. Der Biologe Eon Tal
fixierte bereits den Streifen der Elektronenaufnahme. Mit vor Ungeduld
zitternden Fingern legte er ihn in den Projektor.
Die bekannten schnittigen Konturen des Bugteils, das sich verbreiternde
Heck
wie unwahrscheinlich dieser Anblick, dieses undenkbare,
unmögliche Treffen auf dem Planeten der Finsternis auch sein mochte
tatsächlich war es ein Sternschiff der Erde! Unversehrt stand es auf die
gewaltigen Ständer gestützt, in normaler, horizontaler Landestellung,
als habe es eben erst auf dem Planeten des Eisensterns aufgesetzt.
(75)
Während die "Tantra" ihre schnellen Kreise zog, schickte sie Signale
hinunter, die jedoch unbeantwortet blieben. Mehrer Stunden vergingen. Im
Zentralposten hatten sich wieder alle vierzehn Expeditionsteilnehmer
eingefunden. Erg Noor, der in seine Gedanken vertieft gewesen war, erhob sich
nun und sagte:
"Ich schlage vor zu landen. Vielleicht brauchen unsere Brüder Hilfe;
vielleicht ist ihr Schiff beschädigt und kann nicht zur Erde
zurückkehren. Dann könnten wir von ihnen Anameson übernehmen und
dadurch sie und uns zugleich retten."
"Und wenn auch sie wegen AnamesonMangels hier landen mußten?" gab
Pel Lin zu bedenken.
"Dann müssen sie auf alle Fälle noch Ionenladungen haben, denn das
Schiff ist richtig gelandet. Die könnten wir benutzen, um wieder zu
starten. Während wir dann auf der Flugbahn kreisen, könnten wir die
Erde rufen und auf Hilfe warten. Das würde, falls es uns gelingt, zehn
Jahre dauern."
"Trotzdem bleibt die Landung auf dem schweren Planeten ein Risiko, und wir
riskieren, dort bleiben zu müssen", brummte Pur Hiss. "Der Gedanke an
diese Welt der Finsternis ist furchtbar."
"Das Risiko bleibt natürlich. Doch die Bedingungen sind nicht so schlecht!
Wenn nur das Schiff nicht beschädigt wird."
Erg Noor warf einen Blick auf das Zifferblatt des Geschwindigkeitsreglers.
Einen Augenblick blieb der Expeditionsleiter vor den Steuerungshebeln und
Schaltern stehen. Die Finger seiner großen Hände zuckten, das
Gesicht war wie aus Stein.
Nisa trat neben ihn, nahm seine rechte Hand und legte sie an ihre vor Erregung
brennende
(76)
Wange. Erg Noor nickte dankbar, strich dem Mädchen über das
üppige Haar und richtete sich auf.
"Wir begeben uns in die unteren Atmosphärenschichten und schreiten zur
Landung!" sagte er laut, während er das Signal einschaltete. Ein Heulen
durchdrang das Schiff, die Menschen eilten an ihre Plätze und schnallten
sich in den hydraulischen Sitzen fest. Die Ionentriebwerke brummten auf, und
das Sternenschiff jagte den Felsen und Ozeanen des unbekannten Planeten
entgegen. Die Peilgeräte und und infraroten Reflektoren tasteten sich
durch das Dunkel, die roten Lämpchen auf dem Höhenmesser zeigten die
gewünschte Höhe von fünfzehntausend Metern an. Über zehn
Kilometer hohe Berge waren auf dem Planeten nicht zu erwarten. Das Wasser im
Verein mit der Wärme der schwarzen Sonne arbeitete ebenso wie auf der Erde
am Abschleifen der Oberfläche.
Beim ersten Rundflug konnten auf dem größten Teil des Planeten nur
unbedeutende Erhebungen festgestellt werden, ein wenig höher als auf dem
Mars.
Erg Noor stellte den Höhenbegrenzer auf dreitausend Meter und schaltete
die starken Scheinwerfer ein. Unter dem Sternschiff erstreckte sich ein
riesiger Ozean. Schwarze Wellen schlugen hoch und stürzten über
unbekannte Tiefen wieder zusammen.
Kurz darauf nahm das glänzende Schwarz des Wassers eine matte Tönung
an das Festland begann. Die Strahlung der Scheinwerfer pflügten in
die Mauern der Finsternis eine schmale Bahn. Auf ihr hoben sich unvermutet
Farbflecke ab: bald gelblicher Sand, bald graugrünes Felsgestein.
Die "Tantra" raste über den Kontinent dahin.
(77)
Endlich fand Erg Noor die Ebene wieder. Sie lag so niedrig, daß mansie
nicht als Hochplateau bezeichnen konnte. Es war aber offensichtlich, daß
Fluten und Stürme des dunklen Meeres die Ebene nicht zu erreichen
vermochten, da sie ungefähr hundert Meter über dem anderen Teil des
Festlandes lag.
Das vordere BackbordPeilgerät gab einen Pfeifton von sich. Die
"Tantra" bahnte sich mit den Scheinwerfern ihren Weg. Jetzt war das andere
Sternschiff deutlich zu erkennen. Die Verkleidung seines Bugteiles aus
kristallisch umgebildetem AnisotropIridium funkelte im Scheinwerferlicht
wie neu. Weder Bauten noch Lichter sah man in der Nähe des Schiffes;
dunkel und leblos stand es da, ohne auf das Näherkommen seines
Zwillingsbruders zu reagieren. Die Scheinwerferstrahlen glitten weiter.
Plätzlich wurden sie wie von einem blauen Spiegel von einer hochkant
stehenden kolossalen Scheibe zurückgeworfen, die zu einem Teil im
schwarzen Boden eingesunken war. Für einen Augenblick schien es den
Beobachtern, als ragten hinter der Scheibe Felsen empor, doch weiter hinten
verdichtete sich die undurchdringliche Finsternis, dort befand sich
wahrscheinlich eine Schlucht oder ein Abhang.
Die "Tantra" ließ ein ohrenbetäubendes Heulen vernehmen. Erg Noor
wollte möglichst nah am Sternschiff landen. Deshalb warnte er mit diesem
Signal die Menschen, die sich gegebenenfalls in der Todeszone befinden konnten,
die ungefähr tausend Meter im Umkreis um den Landeplatz betrug. Sogar
innen im Schiff war das laute donnern der Ionenmotoren zu hören. Die
Bildschirme zeigten eine Wolke glühender Staubteilchen.
(78)
Der Fußboden kippte vorn in die Höhe. Lautlos glitten die Sessel in
den hydraulischen Scharnieren lotrecht nach hinten. Die gigantischen
Federstützen sprangen aus dem Rumpf und fingen den ersten Aufprall gegen
den Boden der fremden Welt ab. Einige Stöße noch und die
"Tantra" war gelandet. Erg Noor schaltete die Federstützen ab. Langsam
glitt das Sternschiff nach vorn über und hatte bald seine frühere
horizontale Lage wieder eingenommen. Die Landung war beendet. Sie rief im
menschlichen Organismus wie üblich eine starke Erschütterung hervor.
Wie nach einer schweren Krankheit konnten sich die Menschen kaum erheben. Der
unermüdliche Biologe jedoch hatte bereits der Atmosphäre eine Probe
entnommen.
"Für unsere Atmung geeignet", teilte er mit. "Gleich nehme ich ich die
mikroskopische Untersuchung vor."
"Das ist unnötig", widersprach Erg Noor, während er die Gurte des
Landesessels löste. "ohne Skaphander dürfen wir das Schiff nicht
verlassen. Hier können außerordentlich gefährliche Sporen und
Viren existieren."
In der Schleusenkajüte am Ausgang lagen leichte biologische Skaphander und
sogenannte "springende Skelette" bereit stählerne Gestelle mit einem
Elektromotor, mit Sprungfedern und Stoßdämpfern für die
Fortbewegung bei allzu großer Schwerkraft. Diese Skelette wurden
über die Skaphander gezogen.
Alle konnten es kaum erwarten, nach sechs Jahren Irrfahrt im kosmischen Raum
wieder Boden unter den Füßen zu fühlen, wenn auch fremden. Keh
Ber, Pur Hiss, Ingrid, die Ärztin Luma und zwei Mechaniker jedoch
mußten im Sternschiff
(79)
bleiben, um den Dienst am Radio, an den Scheinwerfern und den Geräten zu
versehen.
Acht der Expeditionsteilnehmer versammelten sich in der Schleusenkammer und
warteten.
"Luft einschalten!" Erg Noor gab seinen Befehl an die im Schiff Verbliebenen,
von denen sie bereits eine undurchdringliche Wand trennte.
Erst nachdem der Druck in der Kammer bedeutend größer war als
draußen, vermochten die hydraulischen Winden die fest angepresste
Tür zu öffnen. Durch den Überdruck in der Kammer wurden die acht
Forscher beinah hinausgeschleudert, was gleichzeitig verhinderte, daß
Schädliches von der Außenwelt eindrang. Der Scheinwerferstrahl
bahnte einen hellen Weg, auf dem sich die Forscher mit ihren "federnden Beinen"
entlangbewegten, wobei sie kaum ihre schweren Körper aufrecht halten
konnten. Am Ende der Lichtbahn ragte das Riesenschiff auf. Ihre Ungeduld war so
groß, und bei den ungelenkten Sprüngen auf dem unebenen, mit kleinen
Steinen übersähten Boden wurden die Forscher so
durchgeschüttelt, daß die anderthalb Kilometer kein Ende zu nehmen
schienen.
Durch die dichte, mit Feuchtigkeit gesättigte Atmosphäre blinzelten
die Sterne als blasse, verschwommene Flecke.
Die ringsum herrschende Finsternis ließ das Schiff äußerst
plastisch hervortreten. Die dicke Schicht SilikatZirkoniumFarbe an
der Wandung war stellenweise stark abgeschrammt; wahrscheinlich war das
Sternschiff lange im Kosmos umhergeirrt.
Eon Tal stieß einen Ruf aus, der sich auf alle Helmtelefone
übertrug. Er wies mit der Hand auf eine offene Tür, die wie ein
schwarzes Loch
(80)
gähnte, und auf einen kleinen Lift. Neben dem Lift und unter dem Schiff
wuchsen Pflanzen. Die dicken Stengel trugen schwarze parabolische Schalen, die
Blüten oder auch Blätter sein konnten und deren Ränder wie
Zahnräder gezackt waren; sie waren ungefähr einen Meter hoch. Diese
vielen schwarzen, unbeweglichen Zahnräder machten einen äußerst
bedrohlichen Eindruck. Die ungestört wuchernden Pflanzen und die offene
Tür wiesen daruf hin, daß Menschen schon seit langem diesen Weg
nicht mehr benutzt hatten und ihre kleine irdische Welt nicht schützten.
Erg Noor, Eon Tal und Nisa Krit stiegen in den Lift, und der Expeditionsleiter
drückte den Knopf. Der Fahrstuhl funktionierte. Im Nu befanden sich die
drei Forscher in der weit offenstehenden Transitkammer. Dann folgten die
anderen. Erg Noor bat die "Tantra", den Scheinwerfer auszuschalten.
Augenblicklich verlor sich die kleine Menschengruppe in der bodenlosen
Finsternis. Die Welt der eisernen Sonne schloß sich dicht um sie, als
wolle sie das schwache Fünkchen irdischen Lebens ersticken, das auf dem
riesigen dunklen Planeten aufgetaucht war.
Die Forscher schalteten die an den Helmen befestigten rotierenden
Leuchtstäbe ein. Die Tür vom Transitraum zum Schiff war zu, jedoch
nicht verschlossen und gab leicht nach. Die Expeditionsteilnehmer betraten den
mittleren Korridor, wo sie sich leicht orientieren konnten, denn die
Konstruktion des Sternschiffes unterschied sich von der "Tantra" nur
unwesentlich.
"Das Schiff wurde vor einigen Jahrzehnten gebaut", meinte Erg Noor zu Nisa. Das
Mädchen wandte sich ihm zu.
(81)
"Ein absurder Gedanke", fuhr Erg Noor fort, "wenn das. . ."
". . . wenn das die "Parus" ist!" vollendete Nisa.
Der Erkundungstrupp drang in den Hauptraum des Schiffes vor in die
Laborbibliothek und von dort zum zentralen Steuerungsposten. Der
Expeditionsleiter schwankte in seinem skelettartigen Panzer, stieß gegen
die Wände und erreichte schließlich den Hauptschalter. Die
Schiffsbeleuchtung war eingeschaltet, aber ohne Strom. In den dunklen
räumen leuchteten lediglich die phosphoreszierenden Zeiger und Zeichen.
Erg Noor fand den Schalter für die Notbeleuchtung, und mattes Licht
flammte auf. Anscheinend leuchtete es auch im Lift, denn über die
Helmtelefone erklang die Stimme von Pur Hiss, der sich nach dem Verlauf der
Untersuchung erkundigte. Die Geologin antwortete ihm, da Erg Noor wie gebannt
an der Schwelle des Zentralpostens verharrte. Nisa folgte seinem Blick und
entdeckte oben zwischen den vorderen Bildschirmen in der Sprache der Erde und
dem Code des Großen Rings das Wort "Parus". Darunter standen die
galaktischen Rufzeichen der Erde und die Koordinaten des Sonnensystems.
Somit war das vor achtzig Jahren spurlos verschwundene Sternschiff in dem
bisher unbekannten System, das man lange Zeit nur für einen Dunkelnebel
gehalten hatte, wiedergefunden worden.
Die Besichtigung der Räume des Sternschiffes ergab nichts über den
Verbleib seiner Insassen. Die Sauerstoffbehälter waren nicht leer, und die
Vorräte und Verpflegung hätten noch für einige Jahre gereicht.
Aber nirgends war eine Spur von der "Parus"Besatzung zu finden.
(82)
In den Korridoren, im Zentralposten und in der Bibliothek waren an mehreren
Stellen seltsame dunkle Schleimspuren zu sehen. Auf dem Fußboden der
Bibliothek war ein Fleck. Es sah aus, als wäre hier eine vergossene
Flüssigkeit eingetrocknet. Im Maschinenposten des Hecks hingen vor der
aufgestoßenen Tür des hinteren Schotts abgerissene Leitungen herab,
und die massiven Ständer der Kühlanlage aus phosphorhaltiger Bronze
waren stark verbogen. Da das Schiff im übrigen völlig unversehrt war,
blieben diese Beschädigungen, die von einer großen
Zerstörungskraft zeugten, unverständlich. Die Forscher zermarterten
sich die Köpfe, fanden aber nichts, was das Verschwinden der Besatzung
hätte erklären können.
Nebenbei machten sie eine andere, sehr wichtige Entdeckung: Die Vorräte an
Anameson und Ionenladungen im Schiff waren groß genug, um den Start der
"Tantra" vom schweren Planeten und die Reise zur Erde durchzuführen. Jetzt
stand die schwierige Arbeit des Umladens des Anamesons bevor. Die Aufgabe war
schon an und für sich nicht leicht, aber hier, auf dem Planeten mit
dreifacher Schwere, wurde sie zu einer Arbeit, die hohe technische
Erfindungsgabe erforderte. Aber die Menschen in der Epoche des Rings schreckten
nicht vor schwierigen geistigen Aufgaben zurück.
Im Zentralposten entnahm der Biologe dem Magnetofon eine halbbesprochene Spule
des Bordbuchs. Erg Noor öffnete mit der Geologin den fest verschlossenen
Hauptsafe, in dem die Expeditionsergebnisse der "Parus" aufbewahrt wurden. Die
Forscher beluden sich mit den vielen Rollen von PhotonMagnetFilmen,
mit den Tagebüchern, astronomischen Beobachtungen und Berechnungen.
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Ihr Forschergeist ließ es nicht zu, diesen so wertvollen Schatz auch nur
für kurze Zeit liegenzulassen.
Übermüdet trafen die Kundschafter wieder in der "Tantra" ein, wo sie
von den vor Ungeduld fiebernden Gefährten erwartet wurden. Hier, in der
gewohnten Atmosphäre, an den bequemen Tischen, unter dem hellen Licht,
waren die grabesähnliche Finsternis der Umwelt und das tote verlassene
Sternschiff nicht mehr als ein Alptraum. Nur der Druck der Schwerkraft dieses
furchtbaren Planeten lastete auf jedem einzelnen und wich nicht eine Sekunde.
Bei der kleinsten Bewegung verzog bald der eine, bald der andere der Forscher
vor Schmerz das Gesicht. Ohne große Übung war es schwer, seinen
Körper den Bewegungen der Mechanismen des "stählernen Skeletts"
anzupassen. Selbst von einem kurzen Marsch kehrten die Menschen entkräftet
zurück. Die Geologin Bina Led hatte sich offensichtlich eine leichte
Gehirnerschütterung zugezogen, sie weigerte sich jedoch hartnäckig
wegzugehen, bevor sie nicht das letzte Band des Schiffstagebuches abgehört
hatte. Nisa erwartete von diesen Aufzeichnungen, die seit achtzig Jahren in dem
toten Schiff lagen, irgend etwas Ungeheuerliches. sie stellte sich heisere
Hilferufe, qualvolle Schreie und tragische Abschiedsworte vor. Das Mädchen
zuckte zusammen, als aus dem Apparat eine wohlklingende Stimme ertönte.
Die unbekannte Stimme berichtete von den Ereignissen, die sich sieben Monate
nach der Informationssendung an die Erde abgespielt hatten. Bereits ein
Vierteljahrhundert vorher war die "Parus" beim Passieren eines
Meteoritenstreifens im System der Wega beschädigt worden. Die
Beschä
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digung am Heck konnte beseitigt und die Reise fortgesetzt werden. Gleichzeitig
war aber auch der hochempfindliche Regler für das Magnetschutzfeld der
Motoren beschädigt worden. Nach einem zwanzig Jahre währenden Kampf
mußten die Triebwerke abeschaltet werden. Noch fünf Jahre flog die
"Parus" ohne Antrieb, bis sie beim Durchgang unbekannter Kraftfelder ihre
Geschwindigkeit verlor. Damals wurde die erste Nachricht gesendet. Das
Sternschiff näherte sich bereits unserer Sonne und wollte die zweite
Nachricht senden, als es in das Gravitationsfeld des Eisensterns geriet. Es
erging ihm wie der "Tantra", lediglich mit dem Unterschied, daß das
Schiff keinen Widerstand zu leisten vermochte. Es konnte nicht zu einem
Satelliten des Planeten werden, da die Ionentriebwerke ebenfalls gestört
waren. Die "Parus" landete aber wohlbehalten auf dem niedrigen Plateau in der
Nähe eines Meeres. Die Besatzung machte sich an die Lösung dreier vor
ihr stehender Aufgaben: die Triebwerke zu reparieren, einen Ruf zur Erde zu
senden und den unbekannten Planeten zu erforschen. Sie hatten noch nicht einmal
den Startturm für die Senderakete zusammengebaut, als einige
Besatzungsmitglieder auf unerklärliche Weise verschwanden. Auch jene, die
auf die Suche geschickt wurden, kamen nicht zurück. Die Erforschung des
Planeten wurde eingestellt. Nur gemeinsam verließen sie das Schiff zum
Bau des Turmes. In den Pausen zwischen den Arbeiten, die wegen der
größeren Schwerkraft ungeheuer an den Kräften zehrten,
saßen sie lange Zeit in dem fest abgeschlossenen Schiff. Da sie die
Senderakete schnellstens abschießen wollten, bemühten sie sich auch
nicht, das fremde Sternschiff
(85)
in der Nähe der "Parus" zu untersuchen, das offensichtlich seit langem
hier stand.
Das ist die Scheibe! schoß es Nisa durch den Kopf. Ihre Augen trafen den
Blick des Expeditionsleiters. dieser verstand ihre Gedanken und nickte
bestätigend.
Von den vierzehn Besatzungsmitgliedern der "Parus" waren acht am Leben
geblieben, denn seit den entsprechenden Vorsichtsmaßregeln war keiner
mehr verschwunden. Dann erfolgte im Tagebuch eine ungefähr dreitägige
Unterbrechung, nach der die Informationen von der hohen Stimme einer jungen
Frau übermittelt wurden.
"Heute, am zwölften des siebenten Monats im siebenhundertdreiundzwanzigsten
Jahr des Ringes, haben wir, alle Übriggebliebenen, die Vorbereitungen
für den Abschuß der Senderakete abgeschlossen! Morgen um diese Zeit"
Keh Ber sah automatisch auf die Uhrskala längs des aufgespulten
Bandes: fünf Minuten nach der Zeit der "Parus", und wer weiß, welche
Zeit es auf diesem Planeten war "schicken wir die genau berechnete..."
Die Stimme wurde unterbrochen, kam dann wieder, aber leiser und schwächer,
als hätte sich die Sprecherin vom Aufnahmegerät abgewandt: "Ich
schalte ein! Noch..." Das Gerät verstummte, doch das Band spulte sich
weiter ab. Die Zuhörer wechselten beunruhigte Blicke.
"Da ist etwas geschehen!" begann Ingrid Ditra.
Aus dem Gerät ertönten die hastig hervorgepressten Worte:
"Zwei konnten sich retten... Laik schaffte es nicht mehr... Der Lift... Sie
konnten die Außentür nicht schließen, nur die zweite! Der
Mechani
(86)
ker Sah Kton ist zu den Triebwerken gekrochen... Wir wehren uns mit
planetarischen..."
Das Band lief eine gewisse Zeit, dann sprach wieder die gleiche Stimme:
"Kton scheint es nicht geschafft zu haben. Ich bin allein, habe aber einen Weg
gefunden. Bevor ich beginne." Die Stimme wurde fester und sprach nun mit
überzeugender Kraft: "Brüder, solltet ihr uns finden, verlaßt
nie das Schiff! Ich warne euch!" Die Sprecherin seufzte und fuhr leise, wie zu
sich selber, fort: "Ich muß erfahren, was mit Kton los ist. Wenn ich
zurückkehre, werde ich alles ausführlich erklären. Ihn umgibt
die Finsternis, nichts."
Ein Knacken und das Band spulte sich bis zu Ende ab. Vergeblich warteten
die Lauschenden. Die Unbekannte vermochte nichts mehr zu erklären, da es
ihr wahrscheinlich nicht gelang, zurückzukehren.
Erg Noor schaltete den Apparat ab und wandte sich an seine Gefährten.
"Unsere ums Leben gekommenen Schwestern und Brüder retten uns. Wir haben
eine Warnung vor einer tödlichen Gefahr erhalten, die auf diesem Planeten
lauert. Ich weiß nicht, was es ist, wahrscheinlich aber ist es das fremde
Leben."
"Wie gedenken Sie, uns mit Treibstoff zu versorgen, ohne das Schiff zu
verlassen?" fragte Keh Ber.
"Warum sollen wir das Schiff nicht verlassen? Wir müssen es sogar
verlassen und im Freien arbeiten. Aber wir sind gewarnt und werden
Maßnahmen treffen..."
"Ich habs", sagte der Biologe Eon Tal. "Wir errichten eine Sperre um den
Arbeitsplatz."
(87)
"Und nicht nur dort, sondern auch auf dem Weg zwischen den Schiffen!"
fügte Pur Hiss hinzu.
"Natürlich. Und da wir nicht wissen, wer uns auflauert, errichten wir eine
Doppelsperre durch Strahlungen und Strom. Wir ziehen Leitungen und schaffen
auf dem ganzen Weg einen Lichtkorridor."
Bina Leds Kopf schlug hart auf den Tisch. Die Ärztin und der zweite
Astronom schleppten sich zu der bewußtlosen Geologin.
"Es ist nichts weiter", erklärte Luma Laswa. "Überanstrengung. Helfen
Sie mir, Bina auf das Bett zu legen."
Diese einfache Arbeit wäre nicht so schnell erledigt worden, hätte
nicht der Mechaniker Taron die Idee gehabt, einen automatischen Elektrokarren
zu benutzen. Mit dessen Hilfe wurden alle acht Kundschafter zu ihren Betten
transportiert; denn es war Zeit für sie auszuruhen, sonst hätte die
Überanstrengung des an die neuen Bedingungen noch nicht angepassten
Organismus eine Erkrankung hervorrufen können.
Bald begannen zwei aneinandergekoppelte Roboterwagen den Weg zwischen den
Sternschiffen zu ebnen. Zu beiden Seiten des abgesteckten Weges erstreckten
sich starke Kabel. An beiden Sternschiffen wurden provisorische
Beobachtungstürme mit dicken Verschlußglocken aus Silikobor
errichtet. In den Türmen saßen Beobachter, die von Zeit zu Zeit
Bündel tödlicher Strahlen aus Pulsationskammern ausschickten. Das
starke Licht der Scheinwerfer erlosch während der Arbeit nicht eine
Sekunde. Im Kiel der "Parus" wurde die Hauptluke geöffnet, wurden die
Schotten auseinandergenommen und vier AnamesonBe
(88)
hälter sowie dreißig Zylinder mit Ionenladungen zum Verladen
vorbereitet. Das Verstauen in der "Tantra" war eine bedeutend kompliziertere
Aufgabe. Das Sternschiff durfte nicht wie die tote "Parus" geöffnet
werden, da sonst tödliche Keime fremden Lebens eindringen konnten. Deshalb
wurde die Luke der "Tantra" nur zum Öffnen vorbereitet. Als die
Innenschotten geöffnet waren, holte man von der "Parus" Reserveballons mit
Preßluft. Vom Augenblick des Öffnens der Luke an bis zum
Abschluß des Verladens der Behälter sollte unter hohem Druck
Preßluft durch den Ladeschacht nach außen gejagt werden.
Außerdem wurde an der Schiffswand eine Sperrstrahlung eingerichtet.
Allmählich gewöhnten sich die Menschen an die Arbeit in den
"stählernen Skeletten" und an die Schwerkraft; der unerträgliche
Schmerz in allen Gliedern, der nach der Landung eingesetzt hatte, ließ
nach.
Einige Erdentage waren vergangen. Noch hatten sich die geheimnisvollen Feinde
der Menschen nicht gezeigt. Plötzlich begann die Außentemperatur
schlagartig zu sinken. Ein orkanartiger Wind kam auf, der von Stunde zu Stunde
zunahm. Die schwarze Sonne ging unter. Es kühlte sich nicht sehr ab, gegen
Mitte der Plantennacht setzte jedoch starker Frost ein. Die Arbeiten wurden mit
eingeschalteter Skaphanderheizung fortgesetzt. Der erste Behälter konnte
aus der "Parus" geholt und zur "Tantra" transportiert werden, als ein neuer
Orkan zu wüten begann, bedeutend stärker als der vorherige. Die
Temperatur stieg über Null, die dichten Luftströme führten viel
Feuchtigkeit heran. Der Orkan wurde derart stark, daß das Sternschiff
unter dem Anprall des ungeheuren
(89)
Windes erbebte. Alle Anstrengungen der Forscher konzentrierten sich auf die
Befestigung des Behälters unter dem Kiel der "Tantra". Das
furchterweckende Heulen des Orkans wuchs an. Über die Hochebene jagten
gefährliche Wirbelwinde, die unseren Tornados glichen. Im Lichtstreifen
schoß eine riesige Windhose aus Regen, Schnee und Staub empor. Unter
ihrem Anprall rissen die Hochspannungsleitungen, und bläuliche Funken
zuckten gen Himmel.
Das gelbliche Scheinwerferlicht an der "Parus" erlosch.
Erg Noor verfügte, die Arbeit zu unterbrechen und sich ins Schiff
zurückzuziehen.
"Aber der Beobachter ist ja noch dort!" rief Bina Led und zeigte auf den
schwachen Lichtschein im SilikoborTurm.
"Ich weiß, dort ist Nisa, ich werde gleich hingehen", sagte der
Epeditionsleiter.
"Der Strom ist augeschaltet, und unsere Feinde können im Dunkeln lauern",
gab Bina ängstlich zu bedenken.
"Wenn der Orkan auf uns wirkt, wird er zweifellos auch auf diese Wesen wirken.
Ich bin überzeugt, solange der Sturm anhält, besteht keinerlei
Gefahr. Und ich bin hier so schwer, daß ich nicht weggeblasen werde, wenn
ich auf dem Boden dort hinkrieche. Schon lange wollte ich vom Turm aus diesen
Wesen auflauern!"
"Lassen Sie mich mitgehen!" bat der Biologe und stellte sich schnell neben den
Expeditionsleiter.
"Einverstanden. Aber weiter niemand."
Die beiden Männer krochen lange, sich an Unebenheiten und Gesteinsritzen
festklammernd,
(90)
bestrebt, dem Wirbel möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Immer
wieder versuchte sie der Orkan vom Boden loszureißen und fortzublasen.
Einmal gelang es ihm, aber Erg Noor bekam den davonrollenden Eon Tal noch zu
fassen, wälzte sich über ihn und hakte sich mit seinen
Krallenhandschuhen an einem großen Stein fest.
Nisa öffnete die Turmluke, und die beiden zwängten sich nacheinander
hindurch. Hier im Turm war es warm und ruhig, er stand fest und sicher, da er
in Voraussicht eventueller Stürme gut verankert war. Das rotlockige
Mädchen war über das Eintreffen ihrer Gefährten erfreut. Sie gab
ehrlich zu, daß es für sie furchtbar gewesen wäre, einen Tag
allein im Sturm auf dem fremden Planeten zu verbringen.
Erg Noor teilte der "Tantra" ihre Ankunft mit, und der Scheinwerfer des
Schiffes erlosch. Nun leuchtete in der tiefen Finsternis lediglich das schwache
Licht im Innern des Turmes. Der Boden erbebte unter den Sturmböen und der
darüber hinwegrasenden Windhosen. Nisa saß auf dem Drehstuhl, mit
dem Rücken gegen den Rheostat des Stromabnehmers gelehnt. Der
Expeditionsleiter und der Geologe setzten sich ihr zu Füßen auf den
ringförmigen Vorsprung des Turmfundaments. In ihren dicken Skaphandern
nahmen sie fast den ganzen Raum ein.
"Ich schlage vor, wir schlafen", erklang Erg Noors Stimme in den Telefonen.
"Bis zum Aufgang der schwarzen Sonne sind es noch reichlich zwölf Stunden,
erst dann wir der
Orkan abflauen und die Temperatur ansteigen."
Nisa und Eon Tal stimmten bereitwillig zu. Von dem dreifachen Gewicht
niedergedrückt, von
(91)
den ungefügen Skaphandern eingeengt, schliefen die drei in dem
sturmgeschüttelten Turm.
Von Zeit zu Zeit erwachte Nisa und gab an den Diensthabenden der "Tantra" die
Durchsage "Alles wohl". Dann schlief sie wieder ein. Der Orkan hatte inzwischen
merklich nachgelassen und das Beben des Bodens aufgehört. Jetzt konnten
die unbekannten Wesen erscheinen. Die Beobachter im Turm nahmen
Wachhaltetabletten ein.
"Das fremde Sternschiff läßt mir keine Ruhe", gestand Nisa. "Zu
gerne möchte ich wissen, von wo und wie es hierhergeriet."
"Ich auch", antwortete Erg Noor, "wobei es klar ist, warum es
hierherverschlagen wurde. Schon seit langem werden über den Großen
Ring Berichte von Eisensternen und ihren Fangplaneten gesendet. Doch in der
Umgebung der Sonne war bisher kein einziger Eisenstern bekannt. Wir haben den
ersten entdeckt."
"Beabsichtigen Sie, auch das Tellerschiff zu untersuchen?" fragte der
Biologe.
"Unbedingt! Tellerraumschiffe sind in den uns benachbarten besiedelten Gebieten
unbekannt. Das ist von irgendwo weit her, vielleicht irrte es schon mehrere
Jahrtausende nach dem Tode der Besatzung oder nach einer starken
Beschädigung in der Galaxis umher. Vielleicht erschließen uns die
Materialien, die wir in diesem tellerförmigen Schiff vorfinden werden, das
Verständnis für viele Sendungen des Rings. Sobald wir die "Parus"
entladen haben, werden wir uns mit ihm befassen. Jetzt können wir niemand
entbehren."
"Die "Parus" hatten wir doch in wenigen Stunden untersucht..."
(92)
"Ich habe mir das Tellerschiff im Stereoteleskop angesehen. Es ist
verschlossen. Nirgends ist eine Öffnung zu sehen. Äußerst
schwer ist es, in das Innere irgendeines kosmischen Schiffes einzudringen, das
zuverlässig gegen Kräfte geschützt ist, die um ein Vielfaches
stärker sind als alle irdischen Naturgewalten. Versuchen Sie einmal, in
die abgeschlossene "Tantra" zu gelangen, durch ihre Panzerung aus Metall mit
umgebildeter innerer Kristallstruktur. Weit schwieriger ist es bei einem
völlig fremden Schiff, dessen Konstruktionsprinzipien man nicht kennt. Wir
werden aber versuchen, das Rätsel zu lösen."
Erg Noor schwieg und lauschte. Selbst die empfindlichen Mikrofone ließen
keinen Wind mehr erkennen. Der Sturm war vorüber. Doch von außen
drang ein knirschendes Geräusch herein.
Der Expeditionsleiter hob die Hand, und Nisa, die ihn ohne Worte verstand,
schaltete die Beleuchtung aus. Das Dunkel in dem von infrarotem Licht
erwärmten Turm schien dicht wie eine schwarze Flüssigkeit, als stehe
dieser Bau von Menschenhand auf dem Grund des Ozeans. Durch die durchsichtige
Silikoborglocke flackerten braune Lichter auf, die von den Menschen deutlich
erkannt wurden. Bisweilen bildeten sie für eine Sekunde einen kleinen
Stern mit dunkelroten oder dunkelgrünen Strahlen, erloschen und erschienen
wieder. Die Sternchen streckten sich kettenförmig aus, krümmten sich
zu Ringen, krochen lautlos über die glatte, diamantharte Oberfläche
des Turmdeckels. Die Forscher empfanden ein seltsames Brennen in den Augen und
einen scharfen Schmerz in den Hauptnerven des Körpers. Es war, als
bohr
(93)
ten sich die kurzen Strahlen der braunen Sterne wie Nadeln in die
Nervenstränge.
"Nisa", flüsterte Erg Noor, "stellen Sie den Regulator auf volle Kraft und
schalten Sie sofort das Licht ein."
Der Turm erstrahlte in grellbläulichem, irdischem Licht. Die davon
geblendeten Menschen dahen nichts, oder fast nichts. Nisa und Eon glaubten
etwas bemerkt zu haben, oder schien es nur so? Das Dunkel an der echten
Turmseite verschwand nicht sofort, sondern blieb für einen Augenblick wie
ein großer Klumpen liegen. Aber es dauerte nur einen Augenblick, dann war
es blitzartig verschwunden.
"Das ist ein lebendes Wesen, und es versucht uns anzugreifen", rief Erg
Noor.
Der Biologe unterstützte den Expeditionsleiter:
"Mir scheint, daß hier auf dem Planeten der Finsternis wobei es ja
nur für uns Finsternis ist, weil unsere Augen die infraroten Strahlen
nicht wahrnehmen andere Strahlen, zum Beispiel gelbe und blaue, auf
diese Wesen eine starke Wirkung ausüben. Sie zogen sich so schnell
zurück, daß die Besatzungsmitglieder der "Parus" nichts bemerken
konnten, als sie den Platz des Überfalls mit Scheinwerfern ableuchteten.
Und als sie etwas bemerkten, da war es zu spät, und die Sterbenden konnte
nichts mehr erzählen."
"Wir werden sofort den Versuch wiederholen, so unangenehm das Näherkommen
dieser Wesen auch ist."
Nisa schaltete das Licht aus, und wieder saßen die drei Beobachter in
Erwartung der rätselhaften Wesen dieser Welt der Finsternis.
(94)
"Womit sind sie ausgerüstet? Weshalb spürt man ihr Näherkommen
durch Glocke und Skaphander?" fragte sich laut der Biologe. "Ist das eine
besondere Form von Energie?"
"Es gibt hier nur sehr wenige Formen von Energie, und hier handelt es sich
zweifelsohne um elektromagnetische. Es existieren jedoch vielfältige
Abwandlungen. Dieses Wesen verfügt über eine Waffe, die auf unser
Nervensystem einwirkt. Wie muß es erst sein, wenn ein solcher Fühler
einen ungeschützten Körper berührt!"
Erg Noor überlief ein Schauer. Nisa Krit erzitterte, als sie die Ketten
brauner Lichter bemerkte, die schnell von drei Seiten näher kamen.
"Das ist nicht nur ein Wesen!" flüsterte Eon. "Vielleicht sollten wir sie
nicht erst den Turmdeckel berühren lassen."
"Sie haben recht. Soll sich jeder mit dem Rücken dem Licht zuwenden und
nur auf seiner Seite Ausschau halten! Schalten Sie ein, Nisa."
Diesmal vermochte jeder der Forscher eine kleine Einzelheit festzustellen, aus
denen sich ein Gesamteindruck von den Wesen ergab, die flachen
rhombischen Riesenquallen ähnlich in geringer Höhe über
dem Boden schwebten und unten mit dichten Fransen besetzt waren. Einige
Fühler waren im Verhältnis zu den Ausmaßen des Wesens kurz,
nicht länger als ein Meter. In den Spitzen Winkeln des Rhombus
züngelten je zwei Fühler, die bedeutend länger waren. Am Ansatz
der Fühler bemerkte der Biologe große Blasen, die matt von innen
heraus leuchteten, und aus denen sternenförmige Blitze zuckten.
"Beobachter, warum schalten Sie das Licht ein und aus?" erklang plötzlich
in den Helmen Ingrids
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Stimme. "Brauchen Sie Hilfe? Der Sturm ist zu Ende, und wir nehmen die Arbeit
wieder auf. Wir werden sofort zu Ihnen kommen. . ."
"Unter keinen Umständen!" unterbrach sie der Leiter streng. "Wir stehen
einer großen Gefahr gegenüber. Rufen Sie alle zusammen!"
Erg Noor berichtete von den Beobachtungen im Turm. Nach einer Beratung
beschlossen die Weltraumreisenden, auf einem Karren einen Teil des
Ionentriebwerkes herbeizuschaffen. Feuerströme von dreihundert Meter
Länge jagten über die steinige Ebene und fegten alles Sichtbare und
Unsichtbare hinweg. Es verging keine halbe Stunde, und die Menschen zogen ruhig
neue Hochspannungskabel. Der Schutz war wiederhergestellt. Jetzt stand es fest,
daß das Anameson bis zum Anbruch der Planetennacht umgeladen werden
mußte. Dies gelang unter unglaublichen Anstrengungen. Danach verschanzten
sich die entkräfteten Expeditionsteilnehmer hinter dem unbezwingbaren
Panzer des Sternschiffes. Die Mikrophone trugen von außen das Heulen und
Krachen des Orkans herein. Doch dadurch wurde die kleine, hell erleuchete Welt
noch heimeliger.
Ingrid und Luma suchten einen Stereofilm aus, und schon umspülten die
strahlend blauen Gewässer des Indischen Ozeans die Füße der in
der Bibliothek Sitzenden.
Nisa beugte sich zu dem Biologen hinüber.
"Wie wunderbar ist doch die Schönheit unserer Welt nach der Finsternis und
dem Sturm, nach diesen elektrischen schwarzen Medusen", flüsterte
sie.
"Ja, natürlich. Und deswegen möchte ich brennend gerne eine solche
Meduse fangen! Ich habe
(96)
mir gerade über diese Aufgabe den Kopf zerbrochen."
Nisa Krit unterbreitete eine Idee, die ihr eben gekommen war. Man könnte
einen der leeren Wassertanks mit einem aus der Ferne zu schließenden
Deckel versehen. Als Köder müßte man ein Stück
konserviertes Frischfleisch hineinlegen, wovon ein kleiner Vorrat als
außerordentliche Delikatesse an Bord war. Sollte das schwarze "Etwas"
dort hineinkriechen und der Deckel zuklappen, müßte durch Ventile
die Luft des Planeten der Finsternis ausgepumpt, der Behälter mit einem
Gas, das nur schwer chemische Verbindungen eingeht, gefüllt und der
Deckelrand sicher abgedichtet werden.
Nach der neun Erdentage dauernden Planetennacht hatten die Ingenieure die Falle
konstruiert.
Erg Noor stellte während dieser Zeit einen elektrischen Schneidbrenner
her, mit dessen Hilfe er in das Innere des unbekannten scheibenförmigen
Weltraumschiffes einzudringen hoffte.
In dem bereits zur Gewohnheit gewordenen Dunkel verebbten die Stürme, der
Frost wurde wieder von Wärme abgelöst der neuntägige
"Tag" brach an. Das Verladen der Ionenladungen, einiger Vorräte und
wertvoller Instrumente nahm noch weitere vier Erdentage in Anspruch.
Am fünften Tage wurde der Hochspannungsstrom abgeschaltet, und der Biologe
schloß sich zusammen mit zwei Freiwilligen Keh Ber und Ingrid
im Beobachtungsturm an der "Parus" ein. Die schwarzen Wesen tauchten
unverzüglich auf. Der Biologe saß am Infrarotschirm und vermochte so
das Treiben der mörderischen "Medusen" zu verfolgen. Jetzt kroch eine von
ihnen zum Fangbehälter. Sie preßte die Fühler zusammen,
(97)
klammerte sich fest und zog sich nach innen. Plötzlich erschien noch eine
schwarze Meduse am offenen Tankrand. Die zuerst gekommene öffnete die
Fühler die Funken der sternförmigen Lichter vervielfachten
sich und verwandelten sich in vibrierende dunkelrote Lichtstreifen, die auf dem
Bildschirm als Blitze aufzuckten. Das zweite Wesen glitt zurück, worauf
sich das erste augenblicklich zusammenrollte und auf den Boden des Tanks fallen
ließ. Der Biologe griff zum Schalter, doch Keh Ber hielt ihn zurück.
Auch das zweite Ungeheuer hatte sich jetzt zusammengerollt und folgte dem
ersten nach. Nun befanden sich zwei dieser furchtbaren Medusen im Tank. Man
mußte sich nur wundern, wie sie es fertiggebracht hatten, ihren Umfang
derartig zu verringern. Ein Druck auf den Knopf der Deckel klappte zu,
und sofort umschwärmten fünf oder sechs schwarze Scheusale von allen
Seiten das riesige zirkoniumumwandige Gefäß. Der Biologe bat die
"Tantra", das Licht des Schutzstreifens einzuschalten. Die schwarzen Gespenster
verschwanden wie üblich im Nu, doch zwei von ihnen lagen unter dem
schweren Deckel des Tanks.
Der Biologe ging zu dem Wassertank, berührte den Deckel und erhielt
einen derart heftigen Nervenschlag, daß er vor Schmerz aufschrie. Sein
linker Arm hing gelähmt herunter.
Keh Ber zog einen HochtemperaturSchutzskaphander an. Nun erst gelang es,
den Deckel abzudichten und in den Tank reinen Erdstickstoff zu pressen. Auch
die Ventile wurden zugeschweißt. Dann wurde um den Behälter ein
Stück von der Reserveverkleidung des Sternschiffes gelegt und der Tank in
die Sammelkammer gestellt. Der Sieg
(98)
war um einen teuren Preis errungen die Lähmung im Arm des Biologen
ging trotz aller Bemühungen der Ärztin nicht vorüber. Eon Tal
hatte stark darunter zu leiden, doch dachte er nicht daran, den Marsch zum
Tellerschiff aufzugeben.
Das Tellerschiff ein Gast aus fernen Welten war von der "Parus"
doch weiter entfernt, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. In dem in der
Ferne verschwimmenden Scheinwerferlicht hatten sie auch die Ausmaße des
Schiffes nicht richtig abgeschätzt. Beim Näherkommen zeigte sich, was
für ein kolossales Bauwerk es war. Mindestens dreihundertfünfzig
Meter betrug sein Durchmesser. Von der "Parus" mußten Kabel abmontiert
werden, um das Schutzsystem bis zum Teller zu ziehen. Das geheimnisvolle
Sternschiff ragte vor den Menschen wie eine lotrechte Wand auf. Pechschwarze
Wolken ballten sich zusammen und verbargen den oberen Teil des Riesentellers.
Eine malachitgrüne Masse bedeckte den Rumpf. Diese stark rissige Schicht
war über einen Meter dick. Durch die Risse blinkte stahlblaues Metall.
Die Seite des Tellers, die der "Parus" zugewandt war, hatte einen
spiralförmigen Auswuchs von ungefähr fünfzig Metern Durchmesser
und zehn Metern Höhe. Die andere, gewölbtere Seite des Sternschiffs,
die in tiefem Dunkel lag, bildete gewissermaßen einen mit dem Teller
verbundenen Kugelabschnitt. Auch auf dieser Seite ragte eine hohe Spiralwelle
aus dem Schiffsrumpf.
Viele Stunden verbrachten die Forscher mit der Suche nach einem Eingang oder
einer Luke. Es gelang ihnen nicht einmal, Öffnungen für optische
Geräte oder Antriebsdüsen zu entdecken. Der Metallkoloss war
unzugänglich.
(99)
Sie beschlossen, das Ende der Spiralwelle zu öffnen, denn sie rechneten
damit, daß die Welle im Innern hohl sei und man durch sie in das Schiff
gelangen werde, ohne Gefahr zu laufen, auf eine Reihe hintereinanderliegender
Schotten zu stoßen.
Die Untersuchung des Tellerschiffes war von großem Interesse. Dieser Gast
aus fernen Welten konnte Geräte, Materialien und Gebrauchsgegenstände
jener Wesen in sich bergen, die das Sternschiff durch solche Weiten
geführt hatten. Im Vergleich dazu ware die Reisen der Sternschiffe der
Erde nur ein schüchterner Ausflug in den kosmischen Raum.
Auf der einen Seite reichte die Spiralwelle bis zum Boden. Dorthin schleppten
die Forscher einen Scheinwerfer und Hochspannungsleitungen. Das von dem Teller
zurückgeworfene bläuliche Licht zerfloß wie ein matter Nebel
über die Ebene und reichte bis zu hohen, dunklen Erhebungen,
wahrscheinlich Felsen, zwischen denen bodenlose Finsternis herrschte.
"Nur Keh Ber und ich, die wir Skaphander mit höchstem Hitze und
Strahlenschutz anhaben, werden die Spiralwelle öffnen", sagte Erg Noor.
"Die anderen in den biologischen Skaphandern übernehmen die Deckung."
Der Leiter stockte. Etwas drängte sich in sein Bewußtsein, was seine
Energie lähmte. Ihn erfüllte die stumpfe Ergebenheit eines kraftlos
gewordenen Tieres. Völlig in Schweiß gebadet, schritt Erg Noor
willenlos auf die schwarzen Felsen zu. Ein Schrei Nisas gab ihm
das Bewußtsein zurück. Er blieb stehen, doch eine dunkle,
unerklärliche Kraft trieb ihn wieder vorwärts.
(100)
Keh Ber und Eon Tal, die sich am Rande des Lichtkreises befanden, folgten dem
Expeditionsleiter langsam. In den Nebelschwaden entstand eine Bewegung, die
über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinausging und deshalb um
so furchteinflößender wirkte. Das war nicht die bereits bekannte
medusenartige Kreatur. Aus dem aschgrauen Halbdunkel glitt ein schwarzes Kreuz
mit breiten Schaufeln und einer konvexen Ellipse in der Mitte hervor. An drei
Enden des Kreuzes waren linsenförmige Augen erkennbar, in denen sich das
Scheinwerferlicht spiegelte. Der untere Teil des Kreuzes versank im Dunkel der
Bodenvertiefungen.
Erg Noor, der schneller als die anderen ausschritt, kam dem gespenstischen
Kreuz auf hundert Schritt nahe und stürzte plötzlich wie leblos zu
Boden. Ehe einer begreifen konnte, daß es um Leben oder Tod des
Expeditionsleiters ging, war das schwarze Kreuz über die
Hochspannungsleitung hinausgewachsen. Es neigte sich wie ein der Stengel einer
Pflanze nach vorn, um Erg Noor zu erreichen.
Nisa, die zu weit entfernt war, um dem Einfluß dieses neuen Wesens zu
erliegen, hob, von Zorn gepackt, den Schneidbrenner, schaltete den Strom ein
und sprang nach vorn, um mit ihrem Körper Erg Noor zu decken. Aus den drei
Augen des Kreuzes schossen schlangenförmige Blitze hervor. Mit
ausgebreiteten Armen stürzte das Mädchen auf Erg Noor nieder. Der
Strahler entfiel Nisas Händen, seine Mündung blieb jedoch zum
Glück auf die Mitte des schwarzen Kreuzes gerichtet. Das Untier
krümmte sich zusammen und verschwand in der undurchdringlichen Finsternis
am Felsen,
(101)
als wäre es rücklings hingestürzt. Erg Noor und seine beiden
Gefährten kamen wieder zu sich. Sie hoben das Mädchen auf und trugen
es zum Tellerschiff. Die übrigen sechs, die sich inzwischen wieder
gefaßt hatten, schleppten ein Ionentriebwerk herbei und improvisierten
daraus eine Art Kanone. Mit einem bisher nie gekannten Gefühl der Wut
richtete Erg Noor den vernichtenden Feuerstrahl gegen die Felsen, wobei er
besonders sorgfältig am Boden entlangstrich, bemüht, nicht einen
einzigen Quadratmeter auszulassen. Eon Tal kniete bei der unbeweglich liegenden
Nisa. Leise rief er sie durchs Telefon an und versuchte, ihr Gesicht unter dem
Helm zu erkennen. Das Mädchen lag mit geschlossenen Augen wie tot da.
"Das Ungeheuer hat Nisa getötet!" rief Eon Tal verbittert, als Erg Noor
näher trat.
"Bringen Sie sie sofort zu Luma auf die "Tantra", und tun auch Sie Ihr
möglichstes, die Art der Verletzung festzustellen!" Erg Noors Stimme klang
seltsam fremd. "Wir bleiben zu sechst hier und führen die Untersuchung zu
Ende. Der Geologe wird sie begleiten und unterwegs alle ihm begegnenden
Gesteinsarten sammeln wir können uns nicht länger auf diesem
Planeten aufhalten. Hier braucht man Schutzpanzer, wie wir sie nicht haben. Wir
setzen nur das Leben der Besatzung aufs Spiel."
Erg Noor drehte sich um und schritt auf das Tellerschiff zu. Die "Kanone" hielt
ihren Schlund aufn die Felsen gerichtet. Alle zehn Minuten schaltete der
Elektroneningenieur den Feuerstrom ein. Erg Noor und Keh Ber schleppten den
Schneidbrenner zur Spiralwelle, deren Windung in Brusthöhe vor ihnen
lag.
(102)
Sogar durch den dicken Schutzskaphander drang das laute Krachen. In der
Malachitschicht entstanden Risse. Bruchstücke der festen Masse platzten ab
und schlugend klirrend gegen die Skaphander. Der weiter hinten stehende zweite
Elektroneningenieur sammelte einige Stücke in einen Kasten. Der
Schneidstrahl löste eine ganze Platte aus der Schicht und legte eine
körnige im Scheinwerferlicht glitzernde Fläche von hellblauer Farbe
frei. Nachdem ein Quadrat umrissen war, groß genug, einen Menschen im
Skaphander durchzulassen, zog Keh Ber den ersten Schnitt, der aber das blaue
Metall nicht ganz durchdrang. Ber zog eine zweite Linie im rechten Winkel zur
ersten und fuhr mit dem Schneidstrahl auf der Linie hin und her, wobei er
ständig die Spannung erhöhte. Der Einschnitt im Metall war schon
über einen Meer tief. Ermüdet gab Keh Ber den Brenner Erg Noor.
Plötzlich wichen die Schnittflächen auseinander.
"Alles zurück, hinlegen!" schrie Erg Noor, während er den
Schneidbrenner abschaltete und zurücksprang. Das massive Metallstück
klappte wie der Deckel einer Konservenbüchse auf, und aus der Öffnung
schlug eine grelle regenbogenfarbige Flamme hervor, die an der Spiralwelle
entlangschoß. Das rettete die Forscher; hinzu kam noch, daß das
blaue Metall augenblicklich schmolz und die Öffnung wieder
verschloß. Erg Noor und Keh Ber waren unversehrt geblieben. Der Ausbruch
hatte sie von dem seltsamen Sternschiff weit weggeschleudert und die
Hochspannungskabel zerfetzt.
Von der Erschütterung zu sich gekommen, begriffen alle, daß sie
jetzt schutzlos waren. Zum
(103)
Glück befanden sie sich im Lichtstrahl des ganz gebliebenen Scheinwerfers.
Erg Noor entschied, daß es genug wäre. Die Forscher ließen
Instrumente, Kabel und Scheinwerfer liegen, setzten sich auf den
unbeschädigten Wagen und fuhren eilig zur "Tantra".
Nur ein glückliches Zusammentreffen verschiedner Umstände hatte sie
beim unvorsichtigen Aufschweißen des fremden Sternschiffes gerettet. Ein
zweiter Versuch hätte sie wahrscheinlich ins Verderben gestürzt. Was
aber war mit Nisa? Erg Noor hoffte, der Skaphander werde die unbekannte Kraft
des schwarzen Kreuzes geschwächt haben. Den Biologen hatte die
Berührung der Medusenfalle ja auch nicht getötet. Aber konnten sie
hier, fern von den mächtigen medizinischen Instituten der Erde, mit den
Wirkungen der unbekannten Waffe fertig werden?
In der Schleusenkammer der "Tantra" näherte sich Keh Ber dem
Expeditionsleiter und zeigte auf dessen linke Schulter. Erg Noor besah sich im
Spiegel. Der Skaphander war an der Schulter aufgerissen. Daraus ragte ein
Stück blaues Metall hervor, das in das Isolationsfutter gedrungen war,
jedoch die innere Skaphanderschicht nicht durchschlagen hatte. Mit Mühe
gelang es, den Splitter herauszuziehen. Um den Preis großer Gefahr konnte
so wenigstens eine Probe des rätselhaften Metalls vom Tellerschiff mit zur
Erde genommen werden.
Die gesamte Expedition atmete erleichtert auf, als alle wieder im Schiff waren.
Die Katastrophe an der Welle war mit Stereoteleskopen beobachtet worden, und
jede weitere Erklärung erübrigte sich.
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