1. DER EISERNE STERN
In der Mitte des gewölbten Pultes leuchtete purpurn ein großes
Ziffernblatt. Ein junges Mädchen stand in starrer Haltung
darübergebeugt sie hatte den Sessel neben sich vergessen und
näherte ihren Kopf der Glasscheibe. Der rote Widerschein machte das junge
Gesicht älter und härter, zog um die Lippen scharfe Schatten und
zeichnete die kleine Stupsnase spitz. Die breiten, gerunzelten Brauen verliehen
dem Gesicht einen finsteren, besorgten Ausdruck.
Ein leises metallisches Klicken übertönte das eintönige Summen
der Meßgeräte. Erschrocken fuhr das Mädchen zusammen. Sie
richtete sich auf und verschränkte, während sie den ermüdeten
Körper streckte, die schlanken Hände im Nacken. Hinter ihr schnappte
eine Tür, und der große Schatten eines Mannes mit knappen, exakten
Bewegungen tauchte auf. Dann erstrahlte goldfarbenes Licht, bei dem das volle
tizianrote Haar des Mädchens Funken zu sprühen schien. Auch ihre
Augen strahlten und hingen voll Sorge und Liebe an dem Eintretenden.
"Konnten Sie wirklich nicht einschlafen? Hundert Stunden ohne Schlaf!"
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"Sie meinen, ein schlechtes Beispiel?" fragte der Mann fröhlich.
In seiner Stimme schwangen hohe metallische Töne, als niete er seine Worte
mit Stahlgliedern zusammen.
"Alle anderen schlafen," erwiderte das Mädchen zaghaft,
"und . . . wissen von nichts," fügte sie flüsternd hinzu.
"Fürchten Sie sich nicht zu sprechen. Die anderen schlafen, und wir
zwei sind jetzt allein im Kosmos; bis zur Erde sind es fünfzig Billionen
Kilometer, über anderthalb Parsek*!"
"Anameson ist nur noch für eine Beschleunigung vorhanden!"
Furcht und Begeisterung zugleich sprachen aus den Worten des Mädchens.
Mit zwei raschen Schritten erreichte Erg Noor, der Leiter der
siebenunddreißigsten Sternenexpedition, das purpurne Ziffernblatt.
"Der fünfte Kreis!"
"Ja, wir befinden uns bereits auf dem fünften. Und
nicht das
geringste!"
Das Mädchen warf einen vielsagenden Blick auf den Lautsprecher des
automatischen Empfängers.
"Also kann ich doch nicht schlafen. Alle Varianten, alle Möglichkeiten
müssen durchdacht werden. Bis zum Ende des fünften Kreises muß
eine Lösung gefunden sein."
"Bis dahin sind es aber noch einhundertzehn Stunden."
"Gut, dann werde ich im Sessel ein wenig schlafen, wenn die Wirkung des
Sporamins auf
* Parsek astronomisches Längenmaß, Kurzwort aus Parallaxe und
Sekunde;
1 Parsek = 3,25 Lichtjahre = 30,8 Billionen Kilometer.
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hört. Ich habe es vor vierundzwanzig Stunden eingenommen."
Das Mädchen dachte angestrengt nach und sagte schließlich:
"Vielleicht sollte man den Radius unseres Kurses verringern? Wenn nun
plötzlich mit ihren Sendern etwas los ist?"
"Unmöglich! Eine Verringerung des Radius, ohne die Geschwindigkeit
herabzusetzen, bedeutet die augenblickliche Vernichtung des Flugschiffes! Die
Geschwindigkeit vermindern und dann ohne Treibstoff, ohne Anameson, anderthalb
Parsek mit der Geschwindigkeit einer alten Mondrakete fliegen? Wir würden
erst nach zweitausend Jahren unser Sonnensystem erreichen."
"Ich verstehe, aber könnten Sie nicht
"
"Nein. In unvordenklichen Zeiten konnten die Menschen Fahrlässigkeiten
begehen. Aber heute nicht mehr!"
"Das meine ich nicht." Kränkung sprach aus der schroffen Antwort
des Mädchens. "Ich wollte sagen, daß uns die "'Algrab"
vom Kurs abgewichen vielleicht auch sucht."
"So stark konnte sie nicht abgewichen sein. Sie muß zur genau
errechneten und festgelegten Zeit gestartet sein. Wenn das Unwahrscheinliche
geschehen und ihre beiden Sender ausgefallen wären, hätte sie
unweigerlich den Kreis diametral zu kreuzen begonnen, und wir würden sie
über den planetarischen Empfang hören. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.
Das bedeutet," Erg Noor zögerte, als könnte er sich nicht
entschließen, das Urteil zu fällen, "daß die "'Algrab"
nicht mehr existiert."
"Vielleicht ist sie nicht zerstört, sondern nur durch einen Meteoriten
beschädigt worden und ist
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nun außerstande, Geschwindigkeit zu entwickeln," widersprach das
Mädchen.
"Außerstande, Geschwindigkeit zu entwickeln!" wiederholte Erg
Noor. "Das ist genauso, als läge zwischen dem Schiff und dem Ziel ein
jahrtausendelanger Weg. Sogar noch schlimmer. Denn der Tod tritt nicht sofort
ein, es vergehen Jahre der Hoffnungslosigkeit vor dem endgültigen
Untergang."
Mit einer energischen Bewegung zog Erg Noor den Klappsessel unter dem Tisch der
Elektronen-Rechenmaschine hervor. Es war das kleine Modell MNU-11. Bis jetzt
war es nicht möglich, die für allseitige Operationen verwendbare
Elektronenmaschine, das "Gehirn" vom Typ ITU, ihres Gewichts und Ausmaßes
und ihrer Zerbrechlichkeit wegen in den Sternschiffen einzubauen und ihr deren
Steuerung restlos zu übertragen. Am Steuerpult bedurfte es der Anwesenheit
eines diensthabenden Navigators.
Die Hände des Expeditionsleiters glitten unglaublich schnell über die
Hebel und Knöpfe. Das bleiche, scharfgeschnittene Gesicht blieb reglos
starr, diese hohe Stirn, beharrlich über das Pult geneigt, trotzte den
Elementarkräften, die die kleine lebendige Welt bedrohten, weil sie in die
verbotenen Tiefen des Raumes vorgedrungen war.
Nisa Krit, die junge Navigatorin, die zum erstenmal an einer Sternenexpedition
teilnahm, war verstummt. Mit verhaltenem Atem beobachtete sie den in sich
versunkenen Erg Noor. Wie ruhig und voller Energie und Geist war dieser
geliebte Mann!
Sie liebte ihn schon seit fünf Jahren, und es hatte keinen Sinn mehr, dies
vor ihm zu verbergen; denn er wußte es, das fühlte Nisa. Gerade
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jetzt, nach diesem Unglück, wurde ihr die Freude zuteil, gemeinsam mit ihm
Dienst zu tun. Drei Monate zu zweit, während die restliche Besatzung des
Sternschiffes in tiefem hypnotischem Schlaf lag. Noch dreizehn Tage, dann
werden sie ein halbes Jahr lang schlafen, und inzwischen werden zwei
Ablösungen von Navigatoren, Astronomen und Mechanikern den Dienst versehen
haben. Die anderen, die Biologen und Geologen, die nur am Ankunftsort zu
arbeiten haben können länger schlafen. Die Astronomen dagegen
die haben die schwierigste und angespannteste Arbeit!
Erg Noor erhob sich, und Nisas Gedanken wurden unterbrochen.
"Ich gehe in die Kabine der Sternkarten. Ihre Ruhepause beginnt
in
" er blickte auf das Zifferblatt der Uhr, die die
Weltraumzeit anzeigte "neun Stunden. Ich kann mich, bevor ich Sie
ablöse, ausschlafen."
"Ich bin nicht müde, ich werde hier sein, solange es nötig ist,
wenn Sie sich nur ausruhen können!"
Erg Noor runzelte die Stirn und wollte widersprechen, doch von der
Zärtlichkeit der Stimme und der goldbraunen auf ihn gerichteten Augen
besiegt, lächelte er und ging schweigend hinaus.
Nisa nahm im Sessel Platz, ihr Blick streifte gewohnheitsmäßig
über alle Geräte, und sie verfiel in tiefes Nachdenken.
Schwarz hoben sich über ihr die Reflexbildschirme ab, die das Sehfeld des
zentralen Steuerungspostens wiedergaben. Das vielfarbige Licht der Sterne
bohrte sich wie Nadeln in die Augen.
Der Planet K-2-2N-8, weit von seiner Sonne entfernt, kalt und leblos, war als
geeigneter Ort
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für das Treffen der beiden Sternschiffe bestimmt worden
für
eine Begegnung, die nicht stattgefunden hatte. Der fünfte Kreis
und
was dann? Erg Noor bot jetzt alle Kraft seines überragenden Verstandes
auf, um den bestmöglichen Ausweg zu finden. Er, der Expeditionsleiter und
Schiffskommandant, darf sich nicht irren, andernfalls kehrt die 'Tantra,' ein
Sternschiff erster Klasse, mit ihrer Besatzung von hervorragenden
Wissenschaftlern niemals aus den unermeßlichen Weiten des Weltraums
zurück! Doch Erg Noor irrt sich nicht.
Nisa empfand plötzlich ein Unwohlsein, was bedeutete, daß das
Sternschiff für den Bruchteil eines Grades vom Kurs abgewichen war. Kaum
war der graue Nebel vor den Augen des Mädchens gewichen, wiederholte sich
der Zustand das Schiff kehrte auf seinen Kurs zurück. Die ungeheuer
empfindlichen Funkortungsgeräte hatten in der schwarzen Leere vor sich
einen Meteor aufgespürt die größte Gefahr für
Sternschiffe. Die Elektronenmaschinen, die das Schiff steuerten (denn nur sie
können alle Manöver mit der erforderlichen Schnelligkeit
ausführen; die menschlichen Nerven eignen sich nicht für die
Geschwindigkeiten im Kosmos), ließen die "Tantra" im Millionenbruchteil
einer Sekunde ausweichen und nach der Umgehung der Gefahr ebensoschnell wieder
den früheren Kurs einnehmen.
Was hinderte nun solche Maschinen, die "'Algrab" zu retten? fragte sich
Nisa, wieder zu sich gekommen. Sie ist bestimmt durch den Zusammenhang mit
einem Meteor vernichtet worden. Erg Noor hat gesagt, bisher sei trotz der
hochempfindlichen Funkortungsgeräte jedes zehnte Sternschiff durch Meteore
vernichtet worden. Der Untergang
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der "'Algrab" hatte sie alle in eine riskante Lage gebracht. Das Mädchen
rief sich die Ereignisse seit dem Augenblick des Starts ins Gedächtnis
zurück.
Die siebenunddreißigste Sternenexpedition war zu einem Planetensystem im
Sternbild des Schlangenträgers entsandt worden, dessen einziger
besiedelter Planet, die Sirda, schon lange mit der Erde und anderen Welten
über den Großen Ring Verbindung hatte. Unvermittelt waren
Nachrichten ausgeblieben, und seit über siebzig Jahren war von dort keine
einzige Nachricht mehr gekommen. Die Erde, der der Sirda am nächsten
gelegene Stern des Rings, hatte daher die Pflicht, festzustellen, was geschehen
war. Eine umfassende Untersuchung des Problems war notwendig, deshalb hatte das
Expeditionsschiff viele Apparate und einige hervorragende Wissenschaftler mit
an Bord genommen, deren Nervensystem sich nach unzähligen Versuchen als
fähig erwiesen hatte, die Jahre der Isolierung im Sternschiff
durchzuhalten. Der Vorrat an Treibstoff für die Antriebsaggregate
Anameson, ein Stoff, der mit gespaltenen Mesonkern-Verbindungen, dessen
Ausstoß mit Lichtgeschwindigkeit erfolgt würde nicht für
den Rückflug reichen. Er sollte auf der Sirda ergänzt werden. Falls
mit dem Planeten etwas Ernstliches geschehen war, hatte das Sternschiff
"'Algrab" an der Flugbahn des Planeten K-2-2N-88 mit der "Tantra"
zusammentreffen und neuen Treibstoff bringen sollen.
Mit ihrem feinen Ohr fing Nisa den veränderten Summton des
künstlichen Gravitationsfeldes auf. Die Skalenscheiben dreier Geräte
beganne zu flackern, und auf Steuerbord schaltete sich der
Elektronenfühler ein. Der erleuchtete Bildschirm
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zeigte einen kantigen schwarzen Klumpen, ein gigantisches Bruchstück
Materie, wie man es höchst selten im kosmischen Raum antrifft, und Nisa
beeilte sich, Umfang, Gewicht, Geschwindigkeit und Flugrichtung zu bestimmen.
Erst als die Spule des automatisch arbeitenden Kontrollgeräts, das die
Daten festhielt, klickte, kehrte Nisa zu ihren Erinnerungen zurück.
Am deutlichsten erinnerte sie sich der matten blutroten Sonne, die im Sichtfeld
der Bildschirme mit jedem der letzten Monate des vierten Reisejahres
größer geworden war. Es war das vierte Jahr für alle Passagiere
des Sternschiffes, das mit fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit
dahinraste. Auf der Erde waren in dieser Zeit bereits annähernd sieben
Jahre vergangen.
Die Bildschirmfilter, die das menschliche Auge schonen, lassen die Strahlen
eines jeden Himmelskörpers so erscheinen, wie sie durch den Sauerstoff-
und Stickstoffschild der dichten Erdatmosphäre zu sehen sind. Das
unbeschreibliche fahlviolette Licht heißer Himmelskörper erscheint
bläulich oder weiß, matte rötliche Sterne wirken goldgelb wie
unsere Sonne. Hier im Weltraum dagegen nahm der in sieghaft purpurrotem Feuer
leuchtende Himmelskörper eine tiefrote Färbung an. Der Planet Sirda
befand sich bedeutend näher an seiner Sonne als unsere Erde an der
ihrigen. Je mehr sie sich der Sirda näherten, desto riesiger wurde die
scharlachrote Scheibe ihrer Sonne, die intensive Wärmestrahlen aussandte.
Deshalb mußte zur Kühlung des Sternschiffes viel Energie verbraucht
werden.
Zwei Monate vor dem Anfliegen der Sirda hatte die "Tantra" versucht, mit der
Außenstation des
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Planeten Verbindung aufzunehmen. Hier existierte nur eine Station auf einem
kleinen atmosphärefreien natürlichen Satelliten, der sich in
geringerer Entfernung zur Sirda befand als der Mond zur Erde. Schon jetzt
ließ sich mit Sicherheit annehmen, daß das Schweigen des Planeten
nicht auf eine Verschiebung der Kraftfelder zurückzuführen war.
Das Sternschiff hatte seine Rufe auch dann noch fortgesetzt, als es vom
Planeten nur mehr dreißig Millionen Kilometer entfernt und die
Geschwindigkeit der "Tantra" auf dreitausend Kilometer in der Sekunde gebremst
worden war. Dienst hatte damals Nisa, doch die gesamte Mannschaft war wach und
saß erwartungsvoll im zentralen Steuerungsposten vor den Bildschirmen.
Nisa sendete immer wieder und mit wachsender Sendestärke Rufzeichen und
schickte Fächerstrahlen voraus.
Endlich erblickten sie den winzigen glänzenden Punkt der
Außenstation. Das Sternschiff begann seine Bahn um den Satelliten zu
ziehen, indem es sich ihm allmählich spiralförmig näherte und
seine Geschwindigkeit der des Satelliten anglich. Bald waren die "Tantra" und
der Satellit wie durch ein unsichtbares Seil miteinander verbunden, und das
Sternschiff hing über dem schnell auf seiner Bahn dahinjagenden kleinen
Himmelskörper. Die Elektronen-Stereoteleskope des Schiffes tasteten nun
die Oberfläche des Satelliten ab. Da erschloß sich plötzlich
der Besatzung der "Tantra" ein unvergeßliches Bild.
Ein riesiges flaches Glasgebäude erstrahlte im Widerschein der blutroten
Sonne. Direkt unter dem Dach lag eine Art großer Versammlungssaal oder
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Auditorium. Dort verharrte reglos eine Menge von Gestalten, die den
Erdbewohnern nicht ähnlich, aber zweifellos denkende Wesen waren. Der
Astronom der Expedition, Pur Hiss, bestätigte erregt den Abstimmknopf des
Instruments. Die Reihen der unter dem Glasdach verschwommen sichtbarenWesen
blieben unbeweglich. Pur Hiss verstärkte die Vergrößerung. Ein
Podest wurde erkennbar, von Gerätepulten und einem langen Tisch umgeben,
an dem eines der Wesen mit angstvollen Augen vor den Versammelten saß.
"Sie sind tot!" rief Erg Noor.
Das Sternschiff hing weiter über dem Satelliten der Sirda, und vierzehn
Augenpaare starrten unverwandt auf das gläserne Grab denn es war in
der Tat ein Grab. Wieviel Jahre mochten diese Toten hier sitzen? Vor siebzig
Jahren war der Planet verstummt; rechnete man noch sechs Jahre hinzu, die die
Funkstrahlen bis zur Erde gebraucht hatten, so war es ein dreiviertel
Jahrhundert her.
Aller Augen richteten sich auf den Expeditionsleiter. Erg Noor sah angespannt
in den gelblichen Dunstschleier der Atmosphäre des Planeten. Nur schwach
angedeutet ließen sich Gebirgszüge und Meere erkennen, doch nichts
vermochte die Antwort zu geben, um derentwillen sie hierhergeflogen waren.
"Die Station ist ausgestorben und während der siebzig Jahre nicht
wieder ergänzt worden! Höchstwahrscheinlich hat sich eine Katastrophe
auf dem Planeten ereignet. Wir müssen niedriger gehen, die Atmosphäre
durchgestoßen und möglicherweise landen. Es sind alle versammelt
ich erbitte die Meinung des Rates. . ."
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Lediglich der Astronom Pur Hiss begann Einwände zu machen. Empört
betrachtete Nisa seine große Raubvogelnase und die niedrig sitzenden
unschönen Ohren.
"Wenn auf dem Planeten eine Katastrophe eingetreten ist, haben wir
keinerlei Chance, Anameson zu erhalten. Ein Umfliegen des Planeten in geringer
Höhe und erst recht eine Landung würden fast unseren gesamten
Treibstoff verbrauchen. Außerdem wissen wir nicht, was geschehen ist. Es
kann sich um gewaltige Ausstrahlungen handeln, die uns zugrunde richten."
Alle anderen Expeditionsmitglieder unterstützten indes den Leiter.
"Keinerlei planetarische Ausstrahlungen," erläuterte Erg Noor,
"vermögen ein Schiff mit einem kosmischen Schutz zu gefährden.
Und sind wir nicht hierhergesandt worden, um zu klären, was sich ereignet
hat? Was wird die Erde dem Großen Ring antworten? Denn mit der
Feststellung eines Faktes ist wenig getan, wir müssen eine Erklärung
finden; entschuldigen Sie diese meine schülerhaften
Überlegungen!" In seiner metallischen Stimme klang Spott. "Wir
können uns wohl kaum dieser Pflicht entziehen. . ." Der Leiter
verstummte.
"Die Temperatur in den oberen Schichten der Atmosphäre ist
normal!" rief Nisa erfreut, nachdem sie die Messungen ausgeführt
hatte.
Lächelnd begab sich Erg Noor an die Steuerung und ließ das Schiff
tiefer gehen, wobei er vorsichtig, Schleife um Schleife, den Spiralflug des
Sternschiffes verlangsamte, das sich der Planetenoberfläche näherte.
Die Sirda war etwas kleiner als die Erde, daher war bei einem niedrigen
Rundflug keine große Geschwindigkeit erforderlich. Die
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Astronomen und der Geologe verglichen die Karten des Planeten mit den
Beobachtungen der optischen Geräte der "Tantra". Die Kontinente hatten
ihre früheren Umrisse genau gewahrt, die Meere glitzerten ruhig in der
roten Sonne. Auch die Gebirgskämme, von früheren Aufnahmen bekannt,
hatten ihre Formen nicht verändert, aber der Planet schwieg.
Fünfunddreißig Stunden lang verließ keiner der
Expeditionsteilnehmer seinen Beobachtungsposten, nur von Zeit zu Zeit
lösten sie einander an den Geräten ab. Die Zusammensetzung der
Atmosphäre, die kosmische Strahlung, die Ausstrahlung des roten
Himmelskörpers alles deckte sich mit den früheren Angaben
über die Sirda. Nur der Ionisierungsgrad der Stratosphäre hatte sich
im Vergleich zu den Erdnormen erhöht. Die Ionisierung war höher als
gewöhnlich. In Erg Noors Kopf begann eine dunkle und beunruhigende
Mutmaßung Gestalt anzunehmen.
Auf der sechsten Schleife der Fallspirale wurden die Konturen großer
Städte sichtbar. Doch noch immer war kein einziges Signal in den
Empfängern des Sternschiffs zu hören.
Nisa war dann zum Essen abgelöst worden wahrscheinlich eingenickt. Ihr
schien es, als hätte sie nur wenige Minuten geschlafen. Das Sternschiff
überflog die Nachtseite der Sirda nicht schneller als ein
gewöhnliches Flugschiff der Erde. Da unten mußten Städte,
Fabriken und Häfen liegen. Doch kein einziges Licht blitzte in der
Finsternis auf, wie sehr auch die starken Stereoteleskope danach suchten. Das
alles erschütternde Don
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nern des die Atmosphäre durchfliegenden Sternschiffes mußte Dutzende
Kilometer weit zu hören sein. Eine Stunde verrann. Die Qual des Wartens
wurde unerträglich. Erg Noor schaltete die Warnsirene ein. Ein furchtbares
Heulen durchdrang die schwarze Leere unter ihnen, und die Schiffsbesatzung
hoffte, daß es, vereint mit dem Dröhnen der Atmosphäre, von den
immer noch schweigenden Bewohnern der Sirda vernommen werde.
Purpurrotes Licht verdrängte die unheilschwangere Finsternis: die "Tantra"
erreichte die beleuchtete Seite des Planeten. Doch unten blieb weiterhin alles
schwarz. Die schnell vergrößerten Aufnahmen zeigten einen
geschlossenen Teppich von Blumen, die dem samtschwarzen Mohn der Erde
ähnelten.
Über tausende Kilometer ersteckte sich das Dickicht des schwarzen Mohns
und ersetzte alles: Wald, Gesträuch, Röhricht, Gras. Wie die Rippen
riesiger Skelette hoben sich inmitten des schwarzen Teppichs die Straßen
der Städte ab, wie rote Wunden muteten die rostigen Eisenkonstruktionen
an. Nirgends weder ein Lebewesen noch ein Baum nichts als schwarzer Mohn!
"Eine ungeheuerliche Tragödie!" flüsterte
niedergedrückt der Biologe der Expedition, Eon Tal. "Sie haben sich
und ihren ganzen Planeten umgebracht."
Die hervorquellenden Tränen zurückdrängend, brachte Nisa leise
hervor: "Dabei ist die Ionisierung gar nicht so stark
"
"Es sind schon viele Jahre vergangen," antwortete der Biologe rauh.
Sein Gesicht mit der kühn geschwungenen Nase verfinsterte sich. "Ein
solcher radioaktiver Zerfall ist gerade dadurch gefähr
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lich, daß sich die Strahlung unmerklich anhäuft. Jahrhundertelang
konnten sich die Biodosen der Ausstrahlung allmählich
vergrößern, und dann erfolgte plötzlich der qualitative Sprung!
Verfallende Erbanlage, Ausbleiben der Nachkommenschaft plus
Strahlungsepidemien
Das geschieht nicht zum ersten Mal: dem Ring sind
ähnliche Katastrophen bekannt."
"Der Planet ist unversehrt. Kein Jahrhundert wird vergehen, und wir haben
ihn wieder besiedelt," antwortete Erg Noor überzeugt.
Er entschloß sich zu dem schwierigen Manöver, die Flugbahn des
Sternschiffs von der Breiten auf die Meridianbahn zu verlegen. Wie
könnte man den Planeten verlassen, ohne festgestellt zu haben, ob alle
umgekommen sind? Vielleicht vermochten die Überlebenden das Sternschiff
nicht zu Hilfe zu rufen, weil die Energiestationen und die Geräte nicht
arbeiteten?
Nicht zum ersten Mal sah Nisa den Leiter während eines verantwortlichen
Manövers am Steuerungspult stehen. Mit seinem harten Gesicht, seinen
knappen, stets exakten Bewegungen kam Erg Noor dem jungen Mädchen wie ein
legendärer Held vor.
Und wieder zog die "Tantra" ihre Bahn um die leblose Sirda, diesmal von Pol zu
Pol. Bisweilen tauchten, besonders in den mittleren Breiten, weite Zonen kahlen
Bodens auf. Durch den darüberlagernden Nebel schimmerten rote Sandwellen,
die der Wind über gigantische Flächen geweht hatte. Dann dehnte sich
erneut die samtene Trauerdecke schwarzen Mohns aus der einzigen Pflanze,
die der Radioaktivität widerstanden oder unter ihrem Einfluß eine
lebensfähige Mutation entwickelt hatte.
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Es blieb kein Zweifel. Irgendwo in den verödeten Ruinen
AnamesonTreibstoff zu suchen, von dem auf Empfehlung des Großen
Rings für Gäste aus anderen Welten Vorräte angelegt worden waren
(die Sirda besaß noch keine Sternschiffe, sondern nur kleinere Raketen),
würde nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich sein. Die
"Tantra" schraubte sich wieder langsam spiralförmig vom Planeten weg.
Nachdem das Sternschiff mit Hilfe der IonenAusstoßmotoren auf
Geschwindigkeit gegangen war, verließ es das Gravitationsfeld des
ausgestorbenen Planeten und nahm Kurs auf ein unbewohntes, nur unter einer
Zahlenchiffre bekanntes System, wo im vorhinein kosmische Markierungszeichen
hinterlassen worden waren und wo die "'Algrab" sie erwarten sollte. Aus den
Aufzeichnungen über die Sirda erfuhren sie von gewagten Versuchen mit
spaltbarem Material. Sie fanden Reden hervorragender Wissenschaftler, die
rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht hatten, daß schon Anzeichen von
schädlichen Auswirkungen auf das Leben vorhanden seien, und die sofortige
Einstellung aller Versuche gefordert hatten. Vor einhundertachtzehn Jahren war
eine kurze Warnung über den Großen Ring erfolgt, für
vernunftbegabte Wesen deutlich genug, von der Regierung der Sirda aber
offensichtlich nicht ernst genommen.
Und somit war alles klar: Das Leben auf der Sirda war durch die schädliche
Radioaktivität ausgelöscht worden, das Resultat unvorsichtiger
Experimente, bei denen man versucht hatte, die gefährlichen Arten der
Kernenergie anzuwenden, anstatt klugerweise andere, weniger schädliche
Wege zu beschreiten.
(19)
Die Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit der "'Algrab" wurde von Stunde zu
Stunde geringer.
Etwas Fürchterliches bahnte sich an.
Erg Noor blieb an der Schwelle stehen und betrachtete die in Nachdenken
versunkene Nisa, ihren geneigten Kopf mit dem dichten Haarschopf, der, gegen
das Licht gesehen, einer zarten rotgoldenen Blume glich, das
übermütige, knabenhafte Profil und die ein wenig schräg
stehenden Augen, die, häufig vor verhaltenem Lachen zusammengekniffen,
jetzt weit geöffnet waren und besorgt und mutig zugleich das Unbekannte
erforschten. Das Mädchen ahnte nicht, zu welch großem, inneren Halt
sie für ihn durch ihre grenzenlose Liebe geworden war. Er schritt zum
Zentralposten.
Nisa lief Erg Noor entgegen.
"Ich habe alle erforderlichen Materialien und Karten
zusammengestellt," sagte er. "Lassen wir die Maschinen
arbeiten!" Der Expeditionsleiter streckte sich im Sessel aus und nannte
die Zahlen der Koordinaten, die Spannungsstärke der Magnet,
Elektrizitäts und Gravitationsfelder, die Stromdichte der kosmischen
Teilchen und die Geschwindigkeit und Dichte der Meteorenströme.
Nisa, vor Anstrengung in sich zusammengesunken, drückte auf die
Knöpfe und betätigte die Schalter der Rechenmaschine. Erg Noor
erhielt eine Serie von Antworten und dachte stirnrunzelnd nach.
"Auf unserem Weg liegt ein starkes Gravitationsfeld ein Bereich im
Skorpion, in der Nähe der Sterne 6555ZR und 11PKU mit
einer Anhäufung von dunkler Materie," begann Noor. "Um einen
Treibstoffverlust zu vermeiden, müssen wir
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hierher, zur Schlange, ausweichen. Bei geringerer Geschwindigkeit könnten
wir ohne Antrieb fliegen, indem wir die Gravitationsfelder als Beschleuniger
ausnutzen. Aber eine Verlangsamung der Fahrt insgesamt ist ungünstig."
"Könnten wir nicht ohne Verlangsamung auskommen?" fragte Nisa in dem
Bemühen, dem Leiter zu helfen.
"Eine Geschwindigkeit von zweihundertfünfzigtausend Kilometern in der
Sekunde würde im Gravitationsfeld der Erde das Gewicht des Schiffes auf
das Zwölftausendfache erhöhen, folglich die gesamte Expedition in
Staub verwandeln. Nur im Raum des Kosmos, weitab von großen
Materieanhäufungen, können wir so fliegen. Sobald das Sternschiff in
ein Gravitationsfeld gelangt, müssen wir die Geschwindigkeit um so mehr
vermindern, je stärker das Feld ist."
"Folglich besteht hier ein Widerspruch." Nisa stützte nach
Kinderart das Kinn in die Hand. "Je stärker bei antriebslosem Flug das
Gravitationsfeld ist, desto höher könnte die Geschwindigkeit sein, um
so langsamer aber muß man fliegen."
"Das trifft nur für Geschwindigkeiten zu, die der des Lichts sehr nahe
kommen, wenn also das Sternschiff selbst eine Art Lichtstrahl wird und sich nur
auf einer Geraden oder einer sogenannten Kurve gleicher Spannungen bewegen
kann.""
"Wenn ich richtig verstanden habe, müssen Sie die "Tantra" mit einer
solchen Geschwindigkeit direkt auf unser Sonnensystem steuern."
"Darin liegt eben die Schwierigkeit. Ein Stoppen oder auch nur eine starke
Verlangsamung des Fluges bedeutet für uns den Tod, da wir nicht mehr genug
Anameson haben, um die notwendige
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Geschwindigkeit wieder zu erreichen. Aber es besteht noch eine andere Gefahr!
Sehen Sie, das Gebiet 3442U ist völlig unerforscht. Hier gibt es
keine Sterne, keine bewohnten Planeten, nur das Gravitationsfeld ist bekannt,
und hier verläuft seine Grenze. Wozu wir uns entschließen
müssen, sollen die Astronomen entscheiden, aber vorläufig
"
Der Expeditionsleiter gähnte.
"Das Sporamin hört auf zu wirken. Sie können sich
ausruhen," schlug Nisa vor.
"Gut, ich werde es mir hier bequem machen, in diesem Sessel
Vielleicht geschieht ein Wunder, und wir empfangen doch noch eine Nachricht von
der "'Algrab"."
In Erg Noors Stimme schwang etwas mit, was Nisas Herz schneller schlagen
ließ. Sie hatte den Wunsch, diesen eigensinnigen Kopf an sich zu
drücken und über das vorzeitig ergraute Haar zu streichen.
Nisa erhob sich, legte sorgfältig die Aufzeichnungen über den Kurs
zusammen und löschte das Licht bis auf die schwache grüne Beleuchtung
über den Wandborden mit den Geräten und Uhren. Das Sternschiff flog
völlig ruhig in der Leere des Raumes. Das Mädchen nahm unhörbar
seinen Platz am "Hirn" des Riesenschiffes ein. Leise wie immer summten die
Geräte, die in einer bestimmten Melodie zusammenklangen; die geringste
Veränderung wurde sogleich durch einen falschen Ton angezeigt. Alles war
in Ordnung: die leise Melodie schwebte in der richtigen Tonart durch den Raum,
bisweilen von schwachen Schlägen ähnlich dem Klang eines fernen Gongs
untermalt dann hatte sich der Hilfsmotor eingeschaltet, der den Flug der
"Tantra" auf der Flugkurve steuerte. Die starken Ana
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mesonMotoren schwiegen. Die Ruhe der ewigen Nacht herrschte in dem
schlafenden Sternschiff, als drohe dem Schiff und seinen Bewohnern keine Gefahr.
Trotzdem war Nisa im Grunde ihres Herzens ruhig sie glaubte an Erg Noor.
Die Jahre der Reise waren weder lang noch bedrückend gewesen, besonders
nachdem zu Nisa die Liebe gekommen war. Außerdem aber gaben die
atemberaubenden interessanten Beobachtungen, die Elektroaufzeichnungen von
Büchern, Musik und Filmen die Möglichkeit, sein Wissen ständig
zu ergänzen und sich nicht als ein Sandkörnchen zu fühlen, das
seine schöne Erde verloren hat und in die Tiefe der endlosen Finsternis
gestürzt ist. Nisas Gefährten waren Menschen mit
außerordentlichen Kenntnissen, und wenn die Nerven von den
Eindrücken oder der langen, angespannten Arbeit ermüdeten
was
tat es! Im Dauerschlaf, durch ein Ausrichten des Nervensystems auf hypnotische
Schwingungen erzielt, versanken große Zeiträume im Nichts und flogen
wie ein Augenblick vorüber. Neben dem Geliebten war Nisa glücklich.
Doch es bedrückte sie, daß es für die anderen schwieriger war,
und besonders für ihn, Erg Noor. Wenn sie nur helfen könnte! Was ist
jedoch ein so unwissendes Mädchen neben solchen Menschen! Aber vielleicht
halfen ihre Zärtlichkeit, ihr ständiger guter Wille, der heiße
Wunsch, alles zu geben, um ihm jede Minute der mühevollen Arbeit zu
erleichtern.
Der Expeditionsleiter erwachte und hob den Kopf. Immer noch tönte die
gleichmäßige Melodie, hin und wieder von den Stößen des
Hilfsmotors unterbrochen. Nisa versah wie zuvor ihren Dienst an den
Geräten, den Rücken
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leicht geneigt, das junge Gesicht von Müdigkeit überschattet. Erg
Noor warf einen Blick zur kosmischen Uhr und war mit einem Satz auf den Beinen.
"Vierzehn Stunden habe ich geschlafen! Und Sie haben mich nicht geweckt!
Das ist
" Er stockte, als er ihr frohes Lächeln bemerkte.
"Sie ruhen sich sofort aus!"
"Vielleicht schlafe ich hier
wie Sie?" bat das Mädchen.
Sie ging essen, wusch sich und richtete sich im Sessel ein. Heimlich
beobachteten ihre strahlenden braunen Augen Erg Noor, als dieser, von einer
Wellendusche erfrischt und vom Essen gestärkt, seinen Platz an den
Gerätern einnahm. Als er ihre Angaben überprüft hatte, begann er
mit schnellen Schritten auf und ab zu gehen.
"Warum schlafen Sie nicht?" fragte er streng.
Nisa schüttelte die Locken, die schon wieder geschnitten werden
mußten, denn die Frauen trugen bei außerirdischen Expeditionen das
Haar kurz.
"Ich denke nach," begann sie zögernd, "und verbeuge mich
vor der Macht und Größe des Menschen, der so weit in die
unermeßlichen Tiefen des Raumes vorgedrungen ist! Für sie ist hier
vieles gewohnt, aber ich bin zum erstenmal im Kosmos. Wenn man bedenkt: ich
nehme an einer grandiosen Reise zu neuen Welten teil."
Erg Noor lächelte schwach und strich sich über die Stirn. "Ich
muß Sie enttäuschen oder, besser gesagt, Ihnen den wahren
Maßstab unserer Macht zeigen. Hier," er machte sich am Projektor zu
schaffen, und an der hinteren Kabinenwand wurde die leuchtende Spirale der
Milchstraße sichtbar. Erg Noor zeigte auf den inmitten der finsteren
Umgebung kaum erkennbaren ausgefransten Randzweig der
(24)
Spirale, der aus spärlich gesäten Sternen bestand, die wie
mattleuchtender Staub wirkten.
"Das ist das Wüstengebiet der Galaxis, wo sich unser Sonnensystem und
wir uns gegenwärtig befinden. Das ist die an Licht und Leben arme
Peripherie
Dieser Zweig der Milchstraße erstreckt sich, wie Sie
sehen, vom Schwan bis zum Schiff, ist weit von den zentralen Regionen entfernt
und enthält außerdem einen Dunkelnebel. Um an diesem Zweig
entlangzufliegen, würde unsere "Tantra" ungefähr vierzigtausend
Erdenjahre benötigen. Den schwarzen Abgrund leeren Raumes, der uns vom
nächsten System der Galaxis trennt, würden wir in sechstausend Jahren
überqueren. Sie sehen, unsere Flüge in die unermeßlichen Tiefen
des Raumes sind vorläufig noch ein Herumtreten auf einem winzigen Fleck
mit einem Durchmesser von einem halben Hundert Lichtjahren! Wie wenig
wüßten wir von der Welt, gäbe es nicht den Großen
Ring."
Nisa hörte aufmerksam zu.
"Stellen Sie sich die ersten interstellaren Flüge vor. Kleine
Schiffe, die weder über hohe Geschwindigkeiten noch über ausreichende
Schutzvorrichtungen verfügten. Ja, und unsere Ahnen lebten auch nur halb
so lange wie wir das ist wahre menschliche Größe! Das ganze
kurze Leben wurde einem solchen Flug geopfert."
Nisa warf den Kopf zurück, wie immer, wenn sie jemandem widersprach.
"Später, wenn man andere Wege findet, den Raum zu bezwingen, und nicht
mitten hindurchzustürmen versucht, sagt man vielleicht von Ihnen allen
das waren Helden."
Der Expeditionsleiter streckte seine Hand dem Mädchen entgegen. "Und
von Ihnen, Nisa!"
(25)
Sie errötete. "Es macht mich stolz, daß ich mit Ihnen zusammen
hier sein kann. Alles würde ich hingeben, um wieder und wieder im Kosmos
zu sein."
"Ja, ich weiß," sagte Erg Noor nachdenklich. "Doch nicht
alle sind dazu bereit."
Mit weiblichem Feingefühl erriet Nisa die Gedanken des Expeditionsleiters.
In seiner Kajüte hingen zwei Stereofotos von der schönen Weda Kong,
Historikerin für die alte Welt. Auf dem einen hielt sie den klaren Blick
ihrer tiefblauen Augen, unter langen geschwungenen Brauen hervor, auf den
Beschauer gerichtet. Mit strahlendem Lächeln hob sie ihre
sonnengebräunten Hände zu den langen aschblonden Haaren. Das andere
zeigte sie lachend auf einer kupfernen Schiffskanone einem Denkmal des
grauen Altertums.
Erg Noor, der sein Ungestüm verloren hatte, nahm Nisa gegenüber
Platz.
"Wenn Sie wüßten, Nisa, wie roh das Schicksal der Sirda meinen
Traum zerstört hat!" sagte er plötzlich.
"Wenn die Sirda nicht ausgestorben wäre und wir dort Treibstoff
erhalten hätten," setzte er als Antwort auf ihre stumme Frage fort,
"hätte ich die Expedition weitergeführt. So war es mit dem Rat
vereinbart. Die Sirda hätte alles Erforderliche mitgeteilt, und die
"Tantra" wäre weitergeflogen mit denen, die sich bereit
erklärt hätten
Die "'Algrab" wäre dann zur Sirda gerufen
worden und hätte die übrigen an Bord genommen. Und Sie, Nisa?
Wären sie mitgekommen?"
"Ich? Selbstverständlich!"
"Aber wohin?" fragte Erg Noor plötzlich hart und sah das
Mädchen unverwandt an.
(26)
"Wohin Sie wollen, sogar
" Sie wies auf den schwarzen Abgrund
zwischen zwei Armen der Milchstraßenspirale.
"Oh, nicht so weit! Sie wissen, Nisa, daß vor ungefähr
fünfundachtzig Jahren die vierunddreißigste Sternenexpedition
startete, die den Namen 'Stufenexpedition' führte. Drei Sternschiffe
entfernten sich in Richtung des Sternbilds der Leier immer weiter von der Erde.
Die zwei, die keine Forscher an Bord hatten, gaben nacheinander ihr Anameson an
das dritte ab und kehrten zurück. In ähnlicher Weise bezwangen
Bergsteiger in früheren Zeiten die Gipfel der höchsten Berge. Das
dritte Schiff, die "Parus"
"
"
kehrte nicht zurück!" flüsterte Nisa erregt.
"Ja, die "Parus" kam nicht zurück. Aber aus einem Funkspruch, den sie
senden konnte, ging hervor, daß sie ihr Ziel, das große
Planetensystem der blauen Wega im Sternbild der Leier, erreicht hatte. Wieviel
Menschenaugen erfreuen sich seit unzähligen Generationen an diesem hellen
Gestirn des nördlichen Sternhimmels! Der Abstand der Wega von der Erde
beträgt einunddreißig Lichtjahre, und für gewöhnlich
entfernten sich die Menschen nicht so weit von unserer Sonne. . . Wie dem auch
sei, die "Parus" erreichte ihr Ziel. . . Man weiß nicht, weshalb sie
verschollen ist, ob ein Meteorit oder eine beträchtliche
Funktionsstörung die Ursache waren. Es ist möglich, daß sie
jetzt noch durch den Raum jagt und daß die Wagemutigen, die wir für
tot halten, noch am Leben sind."
"Wie entsetzlich!" rief Nisa, dann aber fragte sie schnell: "Und
was hat die "Parus" mitgeteilt?"
"Sehr wenig. Die Sendung wurde mehrmals unterbrochen und verstummte dann
gänzlich, wahr
(27)
scheinlich wurde sie durch irgendein Kraftfeld überlagert. Ich entsinne
mich des Wortlauts: ,Hier Parus, hier Parus, fliege sechssundzwanzig Jahre von
der Wega entfernt
genügend
werde warten
vier
Planeten der Wega
nichts Herrlicheres
welch ein
Glück
'"
"AIso riefen sie doch um Hilfe, wollten irgendwo warten?"
"Selbstverständlich, denn sonst hätte das Sternschiff keine so
gewaltige Energiemenge für das Senden der Nachricht verbraucht. Mehr war
von ihm nicht zu hören."
"Sechsundzwanzig Erdenjahre Rückflug, und von der Wega zur Sonne sind
es einunddreißig Jahre. Die "Parus" befand sich demnach irgendwo in
unserem Bereich oder noch näher zur Erde."
"Schwerlich
ausgenommen, sie erhöhte die normale
Geschwindigkeit und bewegte sich unweit der Quantengrenze. Aber das ist sehr
gefährlich!"
Erg Noor erläuterte kurz die rechnerischen Grundlagen des vernichtenden
Sprungs von einem Zustand der Materie in den anderen, merkte aber, daß
das Mädchen unaufmerksam zuhörte.
"Ich habe Sie verstanden, wirklich!" rief sie, als der
Expeditionsleiter seine Erläuterungen abbrach. "Mich hat nur der
Gedanke an den Untergang des Sternschiffes immer wieder abgelenkt."
"In ihren Grundzügen haben Sie die Nachricht also begriffen",
antwortete Erg Noor finster. "Besonders schöne Welten mußten
sie entdeckt haben! Ich träumte schon lange davon, den Weg der "Parus" zu
wiederholen bei den neuen Vervollkommnungen wäre das jetzt auch mit
nur einem Schiff möglich. Seit meiner Jugend träume ich von der Wega
der blauen Sonne mit den herrlichen Planeten!
(28)
"Solche Welten sehen. . . " flüsterte Nisa mit stockendem Atem.
"Für die Rückkehr braucht man aber sechzig Erdenjahre oder
vierzig kosmische Jahre. Das ist ein halbes Leben!"
"Ja, große Leistungen fordern große Opfer. Doch für mich
ist das nicht einmal ein Opfer. Mein Leben auf der Erde hat bisher nur in kurzen
Unterbrechungen zwischen Sternenfahrten bestanden. Ich bin sogar in einem
Sternschiff geboren."
"Wie konnte das geschehen?" fragte das Mädchen verblüfft.
"Die fünfunddreißigste Sternenexpedition setzte sich aus vier
Schiffen zusammen. Auf einem davon war meine Mutter Astronomin. Ich wurde auf
halbem Wege zu einem Doppelstern geboren. Als die Expedition zur Erde
zurückkehrte, war ich bereits achtzehn Jahre alt. Ich erlernte die Kunst,
ein Sternschiff zu steuern, und mußte für einen krank gewordenen
Navigator einspringen, ich konnte aber auch als Mechaniker für
planetarische und AnamesonGetriebe arbeiten."
"Trotzdem verstehe ich nicht. . . " begann Nisa.
"Wie sich meine Mutter dazu entschließen konnte? Werden Sie
älter dann verstehen Sie. Wie dem auch sei, man trug mich immer zu
einem solchen Steuerposten wie unserem hier, und ich starrte mit meinen noch
kaum begreifenden Augen auf die Bildschirme und verfolgte die darüber
hinweggleitenden Sterne. Wir flogen in Richtung des Wolfes, wo sich ein
Doppelstern befand, der dem Zentralgestirn nahe lag: zwei Zwergsterne, blau und
orangefarben, von einem Dunkelnebel verdeckt. Den ersten bewußten
Eindruck vermittelte mir der Himmel über einem leeren und
sauerstoffצfreien Planeten, den ich durch die Glaskuppel der
(29)
provisorischen Station betrachtete die Expedition war gelandet und
studierte sieben Monate lang den Planeten. Dort herrschte, soweit ich mich
entsinne, ein unvorstellbarer Reichtum an Platin, Osmium und Iridium.
Unglaublich schwere Indiumwürfel waren mein Spielzeug. Und dieser Himmel,
mein erster Himmel schwarz, mit dem klaren Funkeln kalter Sterne und
zwei Sonnen von nicht wiederzugebender Schönheit: die eine
hellorangefarben, die andere tiefblau. Ich entsinne mich, daß sich ihre
Strahlenbündel bisweilen kreuzten, dann überflutete unseren Planeten
ein so starkes und heiteres grünes Licht, daß ich vor Begeisterung
schrie und sang." Erg Noor schwieg einen Augenblick und schloß:
"Genug, die Erinnerungen haben mich fortgetragen. Dabei müßten
Sie schon längst ruhen."
"Sprechen Sie weiter, ich habe noch nie so etwas Interessantes
gehört", bat das Mädchen, doch Erg Noor ließ sich nicht
erweichen. Er holte einen kleinen tickenden Hypnotisator, und Nisa schlief, sei
es unter dem gebieterischen Blick Erg Noors oder unter dem Einfluß des
schlafspendenden Geräts, so fest ein, daß sie erst kurz vor dein
Übergang zum gigantischen sechsten Kreis erwachte. Dem abweisenden
Gesicht des Expeditionsleiters sah Nisa es schon an, daß die "'Algrab"
immer noch nicht gefunden war.
"Sie sind gerade zur rechten Zeit aufgewacht!" meinte er, als Nisa vom
Elektro und Wellenbad zurückkam. "Schalten Sie die Weckmusik und
das Wecklicht ein. Für alle!"
Nisa betätigte schnell eine Reihe Knöpfe, und in allen Kajüten
des Sternschiffes, wo Expeditionsmitglieder schliefen, begann das Licht zu
flackern,
(30)
ertönte die eigentümliche, allmählich stärker werdende
Musik tiefer vibrierender Akkorde. Es setzte das langsame, vorsichtige Erwecken
des gehemmten Nervensystems und seine Rückkehr zur normalen Funktion ein.
Fünf Stunden später versammelten sich im zentralen Steuerungsposten
des Sternschiffes alle munter gewordenen Expeditionsteilnehmer, durch Speise und
Nervenanregungsmittel gestärkt.
Die Nachricht vom Ausbleiben des Hilfsschiffes nahm jeder verschieden auf. Wie
es Erg Noor erwartet hatte, war die Expedition der Lage gewachsen. Kein Wort
der Verzweiflung, kein ängstlicher Blick. Selbst Pur Hiss, der sich auf der
Sirda ziemlich kleinmütig gezeigt hatte, nahm die Mitteilung gelassen hin.
Die junge Expeditionsärztin Luma Laswa erblaßte lediglich ein wenig
und fuhr sich verstohlen mit der Zunge über die trockenen Lippen.
"Gedenken wir der Toten!" sagte Erg Noor und schaltete den Projektor
ein. Auf dem Bildschirm erschienen Aufnahmen, die vor dem Abflug der "Tantra"
gemacht worden waren. Alle erhoben sich. Langsam zogen eines nach dem andern
die Fotos der sieben teils ernsten, teils lächelnden Besatzungsmitglieder
der "'Algrab" über den Bildschirm. Erg Noor nannte jeden beim Namen, und
die
Weltraumfahrer erwiesen ihnen den letzten Gruß, indem sie den Freunden
die erhobenen Hände entgegenstreckten. So war es Brauch bei den
Astropiloten. Gemeinsam startende Sternschiffe hatten stets die Fotos
sämtlicher Expeditionsmitglieder an Bord. Verschwundene Sternschiffe
konnten noch lange den kosmischen Raum durchfliegen, ihre Besat
(31)
zungen konnten noch lange am Leben bleiben, doch das Schiff kehrte nie wieder
zurück. Und es gab keine reale Möglichkeit, es zu suchen und ihm
Hilfe zu leisten. Nur bisweilen gelang es den Schiffen, wie der "Parus" eine
letzte Information zu senden.
Nach dem Trauerritual wendete Erg Noor die "Tantra" in Richtung Erde und
schaltete die AnamesonGetriebe ein. Nach wenigen Stunden verstummten sie
wieder. Das Sternschiff strebte dem heimatlichen Planeten zu, wobei es pro Tag
einundzwanzig Milliarden Kilometer zurücklegte. Bis zur Sonne waren es
noch ungefähr sechs Erdenjahre. Im Zentralposten und in der
Laborbibliothek wurde eifrig an der Erforschung und Berechnung des neuen
Flugkurses gearbeitet. Denn in diesen sechs Flugjahren durfte Anameson nur zum
Ausgleichen der natürlichen Bremsimpulse der verschiedenen Kraftfelder
verbraucht werden. Mit anderen Worten: Das Sternschiff mußte die ganze
Zeit an den Grenzen der Schwerkraftfelder entlang von Stern zu Stern, von
Dunkelnebel zu Dunkelnebel geführt werden und durfte an Geschwindigkeit
nichts einbüßen. Allen machte das unerforschte Gebiet 3442-U
zwischen Sonne und "Tantra" Sorge, das sich nicht umgehen ließ. Bis zur
Sonne erstreckten sich längs dieses Gebietes Regionen freischweifender
Meteoriten, und außerdem hatte das Schiff beim Wenden bereits viel
Anameson verbraucht.
Nach zwei Monaten war die Flugkurve fertig. Die "Tantra"begann eine geneigte
Zykloide auf der Grenzlinie zwischen den vor ihr liegenden Gravitationsfeldern
gleicher Spannung zu beschreiben.
Das herrliche Schiff war vollständig intakt, die Geschwindigkeit des
motorlosen Fluges hielt sich
(32)
in den errechneten Grenzen. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit
vier kosmische Flugjahre lagen zwischen dem Sternschiff und der Heimat.
Erg Noor und Nisa, vom Dienst ermüdet, wurden in langen Schlaf versetzt.
Mit ihnen zugleich gingen zwei Astronornen, der Geologe, der Biologe, der Arzt
und vier Ingenieure in das zeitweilige Nichts ein.
Die nächste Schicht trat ihren Dienst an: der erfahrene Navigator Pel Lin,
der seine zweite Expedition flog, die Astronomin Ingrid Ditra und der
Elektroneningenieur Keh Ber, der sich ihnen freiwillig anschloß. Ingrid
entfernte sich häufig mit Pel Lins Erlaubnis in die neben dem
Steuerungsposten gelegene Bibliothek. Vom tragischen Schicksal der Sirda
angeregt, schrieb sie gemeinsam mit Keh Ber, ihrem alten Freund, die
monumentale Sinfonie "Der Untergang des Planeten". War Pel Lin von dem
Summen
der Geräte und dem Betrachten der schwarzen Tiefen des Kosmos
ermüdet, setzte er Ingrid an das Pult und machte sich mit Feuereifer an
die Entzifferung geheimnisvoller Signale, die sie von einem zum System der
nächsten Sterne des Kentauren gehörenden Planeten erhalten hatten,
der auf rätselhafte Weise von seinen Bewohnern verlassen worden war. Er
glaubte an den Erfolg seines schier übermenschlichen Unterfangens.
Noch zweimal wechselten die Diensthabenden, und die Anameson-Motoren waren
insgesamt nur für wenige Minuten eingeschaltet worden. Es war im dritten
Monat der vierten Dienstperiode von Pel Lins Gruppe. Im Steuerungsposten
befanden sich alle drei der Navigator, Ingrid und Keh Ber.
(33)
Ein lang anhaltendes Klingeln ließ alle zusammenfahren. Ingrid klammerte sich
an Keh Ber.
"Die "Tantra" ist in Gefahr'. Die Spannung des Gravitationsfeldes ist
doppelt so hoch wie die errechnete."
Pel Lin erbleichte. Etwas Unerwartetes hatte sich ereignet, das eine sofortige
Entscheidung von ihm verlangte. Das Schicksal des Schiffes lag in seiner
Hand. Die vergrößerte Schwerkraft bedingte eine
Geschwindigkeitsverringerung des Schiffes. Danach würde jedoch kein
Treibstoff mehr vorhanden sein, um erneut die Geschwindigkeit zu erhöhen.
Pel Lin preßte die Zähne aufeinander und warf den Hebel der
IonenBremstriebwerke herum. Helle Schläge mischten sich
unter die Melodie der Geräte und übertönten das alarmierende
Klingeln jener Apparate, die das normale Verhältnis zwischen Schwerkraft
und Geschwindigkeit errechneten. Das Klingeln hörte auf, und die Zeiger
bestätigten den Erfolg Geschwindigkeit und Gravitation waren
ausgeglichen. Doch kaum hatte Pel Lin die Bremstriebwerke wieder ausgeschaltet,
setzte, von den Zeigern bestätigt, erneut das Klingeln ein. Mit
bedrohlicher Gewalt lenkte die Schwerkraft das Schiff von der festgelegten
Richtung nach rechts ab. Es bestand kein Zweifel, das Sternschiff stürzte
auf ein riesiges Schwerkraftzentrum zu.
Pel Lin wagte nicht, den Kurs zu ändern ein Unternehmen, das viel
Arbeit und höchste Präzision verlangte. Mit Hilfe der Triebwerke
bremste er das Sternschiff erneut und steuerte es nach links, obwohl bereits
der Fehler des Kurses offen zutage trat, da er zu nahe an einer unbekannten
Masse Materie lag.
(34)
"Die Abweichung ist sehr stark", bemerkte Ingrid mit leiser Stimme,
"vielleicht. . ."
"Wir müssen die Geschwindigkeit noch weiter verringern, um zu
wenden!" rief Pel Lin. "Danach den Flug beschleunigen und entlang der
Tangente auf Tempo gehen
" Aus seinen Worten klang
verhängnisvolle Unsicherheit.
"Wir haben bereits die wirbelbildende Zone des Kontaktes mit dem
benachbarten Schwerkraftfeld durchstoßen", antwortete Ingrid,
"die Gravitation wächst ununterbrochen und schnell an."
In rascher Folge begannen die Motoren zu klopfen. Sie hatten sich automatisch
eingeschaltet, als die Elektronenmaschine vor sich eine Anhäufung von
Materie registrierte. Die "Tantra" begann zu schaukeln und in den Wirbeln des
Gravitationsfeldes unterzutauchen. Wie sehr das Sternschiff auch den Flug
verlangsamte, die Menschen im Steuerungsposten begannen dennoch das
Bewußtsein zu verlieren. Ingrid stürzte zu Boden, Pel Lin, der im
Sessel saß, versuchte den bleischweren Kopf zu heben. Keh Ber empfand
dumpfe, tierische Angst und kindliche Hilflosigkeit.
Das Klopfen der Motoren wurde häufiger und ging in ein andauerndes Donnern
über. Das Elektronenhirn des Schiffes führte nun den Kampf anstelle
seiner halb bewußtlosen Herren, auf seine Art mächtig, doch
begrenzt, da es keine komplizierten Folgen voraussehen und keinen Ausweg aus
komplizierten Situationen ersinnen konnte.
Das Schaukeln der "Tantra" ließ nach. Der Zeiger, der den Vorrat an
lonenladungen angab, glitt schnell nach unten. Pel Lin, wieder zu sich
gekommen, begriff, daß es an der unerklärlichen Verstärkung der
Gravitation lag, weshalb das Stern-
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schiff hier nicht mit verminderter Geschwindigkeit durchfliegen konnte, und er
beschloß, links vom Kurs zu dem nahen Gebiet der freischweifenden
Meteorite abzubiegen. Das ungeheure Schwerkraftfeld bremste den Flug der
"Tantra" mehr und mehr und ließ sie gleichzeitig auf einer immer steiler
werdenden Kurve dem Zentrum der schwarzen Leere zustürzen.
Entschlossen schaltete Pel Lin den Hebel der Anameson Triebwerke ein. Die vier
hohen Zylinder aus Wolframkarbid, durch einen speziellen Schlitz des Pultes
sichtbar, begannen zu leuchten. Im selben Augenblick züngelte wie ein
jäher Blitz eine hellgrüne Flamme in ihnen empor und begann sich in
vier dichten Spiralen zu winden. Gleich einem schützenden Schild
umfloß ein starkes Magnetfeld die Wände der Motorendüsen am
Heck des Schiffes, die sonst unverzüglich zerstört worden wären.
Der Navigator drückte den Hebel weiter herum: durch die grünen Wirbel
wurde der Leitstrahl sichtbar ein grauer Strom von K-Teilchen. Noch ein
Hebeldruck, und den grauen Strahl durchfuhr ein gleißender
violettfarbener Blitz das Signal, daß das Anameson schnell
auszuströmen begann. Der ganze Rumpf des Sternschiffes reagierte
darauf mit einer kaum spürbaren, jedoch nur schwer zu ertragenden
Hochfrequenzschwingung.
Erg Noor lag im Halbschlaf. Langsam wich der Schleier des Vergessens, der immer
noch Geist und Körper umfangen hielt.
Erg Noor wurde sich bewußt, daß er Expeditionsleiter war. Er machte
verzweifelte Anstrengungen, das normale Bewußtsein zurückzuerlangen.
Endlich erfaßte er, daß das Sternschiff gebremst wurde und die
AnamesonTriebwerke ar
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beiteten, daß also etwas geschehen war. Er versuchte sich aufzurichten.
Mühsam gelang es ihm, bis zur Tür zu kriechen und sie zu öffnen.
Auf allen vieren schleppte er sich in den Zentralposten.
"Die vorderen Bildschirme . . . auf Infrarot . . . umschalten . . . die
Motoren stoppen!"
Die Wolframzylinder erloschen. Gleichzeitig verstummte das Vibrieren des
Rumpfes. Auf dem rechten vorderen Bildschirm leuchtete ein riesiger Stern in
matter braunroter Farbe auf. Für einen Augenblick starrten alle wie
gebannt auf die riesige Scheibe, die ein wenig abseits vom Bug des Schiffes aus
der Finsternis auftauchte.
"Ich Dummkopf!" rief Pel Lin bitter. "Ich war überzeugt, wir
befänden uns neben einem Dunkelnebel! Das aber. . ."
"Ein Eisenstern!" stieß Ingrid Ditra hervor.
Erg Noor, an die Sessellehne geklammert, erhob sich. Sein für
gewöhnlich blasses Gesicht hatte eine bläuliche Färbung
angenommen, die Augen dagegen funkelten wie sonst.
"Ja, ein Eisenstern", sagte er langsam. "Der Schrecken der
Astropiloten! Keiner hat ihn in diesen Regionen vermutet." "Ich glaubte
einen Nebel vor mir zu haben", antwortete Pel Lin leise und
schuldbewußt.
"Ein Dunkelnebel von solcher Schwerkraft müßte in seinem
Innern aus verhältnismäßig großen festen Teilchen
bestehen, und dann existierte die "Tantra" längst nicht mehr."
"Aber die schroffen Spannungsveränderungen des Feldes, die
wirbelbildende Zone? Deutet das nicht geradezu auf einen Nebel?"
"Oder darauf, daß der Stern mehr als einen Planeten hat."
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Pel Lin biß sich so heftig auf die Lippen, daß das Blut hervortrat.
Erg Noor nickte aufmunternd mit dem Kopf und betätigte selbst den
Weckknopf.
Das Sternschiff begann wieder zu schaukeln. Mit riesiger Geschwindigkeit sauste
etwas über den Bildschirm.
"Da ist die Antwort
Wir haben den Planeten überholt. Schnell,
schnell an die Arbeit!" Der Blick des Expeditionsleiters fiel auf den
Treibstoffzeiger. Er wollte etwas sagen, hielt aber plötzlich wie
versteinert inne.
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