Ivan Antonovic Jefremow

Das Mädchen aus dem All (1957-58)

Wissenschaftlich–phantastischer Roman

1. DER EISERNE STERN

In der Mitte des gewölbten Pultes leuchtete purpurn ein großes Ziffernblatt. Ein junges Mädchen stand in starrer Haltung darübergebeugt — sie hatte den Sessel neben sich vergessen — und näherte ihren Kopf der Glasscheibe. Der rote Widerschein machte das junge Gesicht älter und härter, zog um die Lippen scharfe Schatten und zeichnete die kleine Stupsnase spitz. Die breiten, gerunzelten Brauen verliehen dem Gesicht einen finsteren, besorgten Ausdruck.

Ein leises metallisches Klicken übertönte das eintönige Summen der Meßgeräte. Erschrocken fuhr das Mädchen zusammen. Sie richtete sich auf und verschränkte, während sie den ermüdeten Körper streckte, die schlanken Hände im Nacken. Hinter ihr schnappte eine Tür, und der große Schatten eines Mannes mit knappen, exakten Bewegungen tauchte auf. Dann erstrahlte goldfarbenes Licht, bei dem das volle tizianrote Haar des Mädchens Funken zu sprühen schien. Auch ihre Augen strahlten und hingen voll Sorge und Liebe an dem Eintretenden.

"Konnten Sie wirklich nicht einschlafen? Hundert Stunden ohne Schlaf!"

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"Sie meinen, ein schlechtes Beispiel?" fragte der Mann fröhlich. In seiner Stimme schwangen hohe metallische Töne, als niete er seine Worte mit Stahlgliedern zusammen.

"Alle anderen schlafen," erwiderte das Mädchen zaghaft, "und . . . wissen von nichts," fügte sie flüsternd hinzu.

"Fürchten Sie sich nicht zu sprechen. Die anderen schlafen, und wir zwei sind jetzt allein im Kosmos; bis zur Erde sind es fünfzig Billionen Kilometer, über anderthalb Parsek*!"

"Anameson ist nur noch für eine Beschleunigung vorhanden!" Furcht und Begeisterung zugleich sprachen aus den Worten des Mädchens.

Mit zwei raschen Schritten erreichte Erg Noor, der Leiter der siebenunddreißigsten Sternenexpedition, das purpurne Ziffernblatt.

"Der fünfte Kreis!"

"Ja, wir befinden uns bereits auf dem fünften. Und … nicht das geringste!"

Das Mädchen warf einen vielsagenden Blick auf den Lautsprecher des automatischen Empfängers.

"Also kann ich doch nicht schlafen. Alle Varianten, alle Möglichkeiten müssen durchdacht werden. Bis zum Ende des fünften Kreises muß eine Lösung gefunden sein."

"Bis dahin sind es aber noch einhundertzehn Stunden."

"Gut, dann werde ich im Sessel ein wenig schlafen, wenn die Wirkung des Sporamins auf–

* Parsek — astronomisches Längenmaß, Kurzwort aus Parallaxe und Sekunde;
1 Parsek = 3,25 Lichtjahre = 30,8 Billionen Kilometer.

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hört. Ich habe es vor vierundzwanzig Stunden eingenommen."

Das Mädchen dachte angestrengt nach und sagte schließlich:

"Vielleicht sollte man den Radius unseres Kurses verringern? Wenn nun plötzlich mit ihren Sendern etwas los ist?"

"Unmöglich! Eine Verringerung des Radius, ohne die Geschwindigkeit herabzusetzen, bedeutet die augenblickliche Vernichtung des Flugschiffes! Die Geschwindigkeit vermindern und dann ohne Treibstoff, ohne Anameson, anderthalb Parsek mit der Geschwindigkeit einer alten Mondrakete fliegen? Wir würden erst nach zweitausend Jahren unser Sonnensystem erreichen."

"Ich verstehe, aber könnten Sie nicht…"

"Nein. In unvordenklichen Zeiten konnten die Menschen Fahrlässigkeiten begehen. Aber heute nicht mehr!"

"Das meine ich nicht." Kränkung sprach aus der schroffen Antwort des Mädchens. "Ich wollte sagen, daß uns die "'Algrab" — vom Kurs abgewichen — vielleicht auch sucht."

"So stark konnte sie nicht abgewichen sein. Sie muß zur genau errechneten und festgelegten Zeit gestartet sein. Wenn das Unwahrscheinliche geschehen und ihre beiden Sender ausgefallen wären, hätte sie unweigerlich den Kreis diametral zu kreuzen begonnen, und wir würden sie über den planetarischen Empfang hören. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Das bedeutet," Erg Noor zögerte, als könnte er sich nicht entschließen, das Urteil zu fällen, "daß die "'Algrab" nicht mehr existiert."

"Vielleicht ist sie nicht zerstört, sondern nur durch einen Meteoriten beschädigt worden und ist

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nun außerstande, Geschwindigkeit zu entwickeln," widersprach das Mädchen.

"Außerstande, Geschwindigkeit zu entwickeln!" wiederholte Erg Noor. "Das ist genauso, als läge zwischen dem Schiff und dem Ziel ein jahrtausendelanger Weg. Sogar noch schlimmer. Denn der Tod tritt nicht sofort ein, es vergehen Jahre der Hoffnungslosigkeit vor dem endgültigen Untergang."

Mit einer energischen Bewegung zog Erg Noor den Klappsessel unter dem Tisch der Elektronen-Rechenmaschine hervor. Es war das kleine Modell MNU-11. Bis jetzt war es nicht möglich, die für allseitige Operationen verwendbare Elektronenmaschine, das "Gehirn" vom Typ ITU, ihres Gewichts und Ausmaßes und ihrer Zerbrechlichkeit wegen in den Sternschiffen einzubauen und ihr deren Steuerung restlos zu übertragen. Am Steuerpult bedurfte es der Anwesenheit eines diensthabenden Navigators.

Die Hände des Expeditionsleiters glitten unglaublich schnell über die Hebel und Knöpfe. Das bleiche, scharfgeschnittene Gesicht blieb reglos starr, diese hohe Stirn, beharrlich über das Pult geneigt, trotzte den Elementarkräften, die die kleine lebendige Welt bedrohten, weil sie in die verbotenen Tiefen des Raumes vorgedrungen war.

Nisa Krit, die junge Navigatorin, die zum erstenmal an einer Sternenexpedition teilnahm, war verstummt. Mit verhaltenem Atem beobachtete sie den in sich versunkenen Erg Noor. Wie ruhig und voller Energie und Geist war dieser geliebte Mann!

Sie liebte ihn schon seit fünf Jahren, und es hatte keinen Sinn mehr, dies vor ihm zu verbergen; denn er wußte es, das fühlte Nisa. Gerade

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jetzt, nach diesem Unglück, wurde ihr die Freude zuteil, gemeinsam mit ihm Dienst zu tun. Drei Monate zu zweit, während die restliche Besatzung des Sternschiffes in tiefem hypnotischem Schlaf lag. Noch dreizehn Tage, dann werden sie ein halbes Jahr lang schlafen, und inzwischen werden zwei Ablösungen von Navigatoren, Astronomen und Mechanikern den Dienst versehen haben. Die anderen, die Biologen und Geologen, die nur am Ankunftsort zu arbeiten haben — können länger schlafen. Die Astronomen dagegen — die haben die schwierigste und angespannteste Arbeit!

Erg Noor erhob sich, und Nisas Gedanken wurden unterbrochen.

"Ich gehe in die Kabine der Sternkarten. Ihre Ruhepause beginnt in…" — er blickte auf das Zifferblatt der Uhr, die die Weltraumzeit anzeigte — "neun Stunden. Ich kann mich, bevor ich Sie ablöse, ausschlafen."

"Ich bin nicht müde, ich werde hier sein, solange es nötig ist, wenn Sie sich nur ausruhen können!"

Erg Noor runzelte die Stirn und wollte widersprechen, doch von der Zärtlichkeit der Stimme und der goldbraunen auf ihn gerichteten Augen besiegt, lächelte er und ging schweigend hinaus.

Nisa nahm im Sessel Platz, ihr Blick streifte gewohnheitsmäßig über alle Geräte, und sie verfiel in tiefes Nachdenken.

Schwarz hoben sich über ihr die Reflexbildschirme ab, die das Sehfeld des zentralen Steuerungspostens wiedergaben. Das vielfarbige Licht der Sterne bohrte sich wie Nadeln in die Augen.

Der Planet K-2-2N-8, weit von seiner Sonne entfernt, kalt und leblos, war als geeigneter Ort

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für das Treffen der beiden Sternschiffe bestimmt worden … für eine Begegnung, die nicht stattgefunden hatte. Der fünfte Kreis … und was dann? Erg Noor bot jetzt alle Kraft seines überragenden Verstandes auf, um den bestmöglichen Ausweg zu finden. Er, der Expeditionsleiter und Schiffskommandant, darf sich nicht irren, andernfalls kehrt die 'Tantra,' ein Sternschiff erster Klasse, mit ihrer Besatzung von hervorragenden Wissenschaftlern niemals aus den unermeßlichen Weiten des Weltraums zurück! Doch Erg Noor irrt sich nicht.

Nisa empfand plötzlich ein Unwohlsein, was bedeutete, daß das Sternschiff für den Bruchteil eines Grades vom Kurs abgewichen war. Kaum war der graue Nebel vor den Augen des Mädchens gewichen, wiederholte sich der Zustand — das Schiff kehrte auf seinen Kurs zurück. Die ungeheuer empfindlichen Funkortungsgeräte hatten in der schwarzen Leere vor sich einen Meteor aufgespürt — die größte Gefahr für Sternschiffe. Die Elektronenmaschinen, die das Schiff steuerten (denn nur sie können alle Manöver mit der erforderlichen Schnelligkeit ausführen; die menschlichen Nerven eignen sich nicht für die Geschwindigkeiten im Kosmos), ließen die "Tantra" im Millionenbruchteil einer Sekunde ausweichen und nach der Umgehung der Gefahr ebensoschnell wieder den früheren Kurs einnehmen.

Was hinderte nun solche Maschinen, die "'Algrab" zu retten? fragte sich Nisa, wieder zu sich gekommen. Sie ist bestimmt durch den Zusammenhang mit einem Meteor vernichtet worden. Erg Noor hat gesagt, bisher sei trotz der hochempfindlichen Funkortungsgeräte jedes zehnte Sternschiff durch Meteore vernichtet worden. Der Untergang

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der "'Algrab" hatte sie alle in eine riskante Lage gebracht. Das Mädchen rief sich die Ereignisse seit dem Augenblick des Starts ins Gedächtnis zurück.

Die siebenunddreißigste Sternenexpedition war zu einem Planetensystem im Sternbild des Schlangenträgers entsandt worden, dessen einziger besiedelter Planet, die Sirda, schon lange mit der Erde und anderen Welten über den Großen Ring Verbindung hatte. Unvermittelt waren Nachrichten ausgeblieben, und seit über siebzig Jahren war von dort keine einzige Nachricht mehr gekommen. Die Erde, der der Sirda am nächsten gelegene Stern des Rings, hatte daher die Pflicht, festzustellen, was geschehen war. Eine umfassende Untersuchung des Problems war notwendig, deshalb hatte das Expeditionsschiff viele Apparate und einige hervorragende Wissenschaftler mit an Bord genommen, deren Nervensystem sich nach unzähligen Versuchen als fähig erwiesen hatte, die Jahre der Isolierung im Sternschiff durchzuhalten. Der Vorrat an Treibstoff für die Antriebsaggregate — Anameson, ein Stoff, der mit gespaltenen Mesonkern-Verbindungen, dessen Ausstoß mit Lichtgeschwindigkeit erfolgt — würde nicht für den Rückflug reichen. Er sollte auf der Sirda ergänzt werden. Falls mit dem Planeten etwas Ernstliches geschehen war, hatte das Sternschiff "'Algrab" an der Flugbahn des Planeten K-2-2N-88 mit der "Tantra" zusammentreffen und neuen Treibstoff bringen sollen.

Mit ihrem feinen Ohr fing Nisa den veränderten Summton des künstlichen Gravitationsfeldes auf. Die Skalenscheiben dreier Geräte beganne zu flackern, und auf Steuerbord schaltete sich der Elektronenfühler ein. Der erleuchtete Bildschirm

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zeigte einen kantigen schwarzen Klumpen, ein gigantisches Bruchstück Materie, wie man es höchst selten im kosmischen Raum antrifft, und Nisa beeilte sich, Umfang, Gewicht, Geschwindigkeit und Flugrichtung zu bestimmen. Erst als die Spule des automatisch arbeitenden Kontrollgeräts, das die Daten festhielt, klickte, kehrte Nisa zu ihren Erinnerungen zurück.

Am deutlichsten erinnerte sie sich der matten blutroten Sonne, die im Sichtfeld der Bildschirme mit jedem der letzten Monate des vierten Reisejahres größer geworden war. Es war das vierte Jahr für alle Passagiere des Sternschiffes, das mit fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit dahinraste. Auf der Erde waren in dieser Zeit bereits annähernd sieben Jahre vergangen.

Die Bildschirmfilter, die das menschliche Auge schonen, lassen die Strahlen eines jeden Himmelskörpers so erscheinen, wie sie durch den Sauerstoff- und Stickstoffschild der dichten Erdatmosphäre zu sehen sind. Das unbeschreibliche fahlviolette Licht heißer Himmelskörper erscheint bläulich oder weiß, matte rötliche Sterne wirken goldgelb wie unsere Sonne. Hier im Weltraum dagegen nahm der in sieghaft purpurrotem Feuer leuchtende Himmelskörper eine tiefrote Färbung an. Der Planet Sirda befand sich bedeutend näher an seiner Sonne als unsere Erde an der ihrigen. Je mehr sie sich der Sirda näherten, desto riesiger wurde die scharlachrote Scheibe ihrer Sonne, die intensive Wärmestrahlen aussandte. Deshalb mußte zur Kühlung des Sternschiffes viel Energie verbraucht werden.

Zwei Monate vor dem Anfliegen der Sirda hatte die "Tantra" versucht, mit der Außenstation des

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Planeten Verbindung aufzunehmen. Hier existierte nur eine Station auf einem kleinen atmosphärefreien natürlichen Satelliten, der sich in geringerer Entfernung zur Sirda befand als der Mond zur Erde. Schon jetzt ließ sich mit Sicherheit annehmen, daß das Schweigen des Planeten nicht auf eine Verschiebung der Kraftfelder zurückzuführen war.

Das Sternschiff hatte seine Rufe auch dann noch fortgesetzt, als es vom Planeten nur mehr dreißig Millionen Kilometer entfernt und die Geschwindigkeit der "Tantra" auf dreitausend Kilometer in der Sekunde gebremst worden war. Dienst hatte damals Nisa, doch die gesamte Mannschaft war wach und saß erwartungsvoll im zentralen Steuerungsposten vor den Bildschirmen.

Nisa sendete immer wieder und mit wachsender Sendestärke Rufzeichen und schickte Fächerstrahlen voraus.

Endlich erblickten sie den winzigen glänzenden Punkt der Außenstation. Das Sternschiff begann seine Bahn um den Satelliten zu ziehen, indem es sich ihm allmählich spiralförmig näherte und seine Geschwindigkeit der des Satelliten anglich. Bald waren die "Tantra" und der Satellit wie durch ein unsichtbares Seil miteinander verbunden, und das Sternschiff hing über dem schnell auf seiner Bahn dahinjagenden kleinen Himmelskörper. Die Elektronen-Stereoteleskope des Schiffes tasteten nun die Oberfläche des Satelliten ab. Da erschloß sich plötzlich der Besatzung der "Tantra" ein unvergeßliches Bild.

Ein riesiges flaches Glasgebäude erstrahlte im Widerschein der blutroten Sonne. Direkt unter dem Dach lag eine Art großer Versammlungssaal oder

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Auditorium. Dort verharrte reglos eine Menge von Gestalten, die den Erdbewohnern nicht ähnlich, aber zweifellos denkende Wesen waren. Der Astronom der Expedition, Pur Hiss, bestätigte erregt den Abstimmknopf des Instruments. Die Reihen der unter dem Glasdach verschwommen sichtbarenWesen blieben unbeweglich. Pur Hiss verstärkte die Vergrößerung. Ein Podest wurde erkennbar, von Gerätepulten und einem langen Tisch umgeben, an dem eines der Wesen mit angstvollen Augen vor den Versammelten saß.

"Sie sind tot!" rief Erg Noor.

Das Sternschiff hing weiter über dem Satelliten der Sirda, und vierzehn Augenpaare starrten unverwandt auf das gläserne Grab — denn es war in der Tat ein Grab. Wieviel Jahre mochten diese Toten hier sitzen? Vor siebzig Jahren war der Planet verstummt; rechnete man noch sechs Jahre hinzu, die die Funkstrahlen bis zur Erde gebraucht hatten, so war es ein dreiviertel Jahrhundert her.

Aller Augen richteten sich auf den Expeditionsleiter. Erg Noor sah angespannt in den gelblichen Dunstschleier der Atmosphäre des Planeten. Nur schwach angedeutet ließen sich Gebirgszüge und Meere erkennen, doch nichts vermochte die Antwort zu geben, um derentwillen sie hierhergeflogen waren.

"Die Station ist ausgestorben und während der siebzig Jahre nicht wieder ergänzt worden! Höchstwahrscheinlich hat sich eine Katastrophe auf dem Planeten ereignet. Wir müssen niedriger gehen, die Atmosphäre durchgestoßen und möglicherweise landen. Es sind alle versammelt — ich erbitte die Meinung des Rates. . ."

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Lediglich der Astronom Pur Hiss begann Einwände zu machen. Empört betrachtete Nisa seine große Raubvogelnase und die niedrig sitzenden unschönen Ohren.

"Wenn auf dem Planeten eine Katastrophe eingetreten ist, haben wir keinerlei Chance, Anameson zu erhalten. Ein Umfliegen des Planeten in geringer Höhe und erst recht eine Landung würden fast unseren gesamten Treibstoff verbrauchen. Außerdem wissen wir nicht, was geschehen ist. Es kann sich um gewaltige Ausstrahlungen handeln, die uns zugrunde richten."

Alle anderen Expeditionsmitglieder unterstützten indes den Leiter.

"Keinerlei planetarische Ausstrahlungen," erläuterte Erg Noor, "vermögen ein Schiff mit einem kosmischen Schutz zu gefährden. Und sind wir nicht hierhergesandt worden, um zu klären, was sich ereignet hat? Was wird die Erde dem Großen Ring antworten? Denn mit der Feststellung eines Faktes ist wenig getan, wir müssen eine Erklärung finden; entschuldigen Sie diese meine schülerhaften Überlegungen!" In seiner metallischen Stimme klang Spott. "Wir können uns wohl kaum dieser Pflicht entziehen. . ." Der Leiter verstummte.

"Die Temperatur in den oberen Schichten der Atmosphäre ist normal!" rief Nisa erfreut, nachdem sie die Messungen ausgeführt hatte.

Lächelnd begab sich Erg Noor an die Steuerung und ließ das Schiff tiefer gehen, wobei er vorsichtig, Schleife um Schleife, den Spiralflug des Sternschiffes verlangsamte, das sich der Planetenoberfläche näherte. Die Sirda war etwas kleiner als die Erde, daher war bei einem niedrigen Rundflug keine große Geschwindigkeit erforderlich. Die

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Astronomen und der Geologe verglichen die Karten des Planeten mit den Beobachtungen der optischen Geräte der "Tantra". Die Kontinente hatten ihre früheren Umrisse genau gewahrt, die Meere glitzerten ruhig in der roten Sonne. Auch die Gebirgskämme, von früheren Aufnahmen bekannt, hatten ihre Formen nicht verändert, aber der Planet schwieg.

Fünfunddreißig Stunden lang verließ keiner der Expeditionsteilnehmer seinen Beobachtungsposten, nur von Zeit zu Zeit lösten sie einander an den Geräten ab. Die Zusammensetzung der Atmosphäre, die kosmische Strahlung, die Ausstrahlung des roten Himmelskörpers — alles deckte sich mit den früheren Angaben über die Sirda. Nur der Ionisierungsgrad der Stratosphäre hatte sich im Vergleich zu den Erdnormen erhöht. Die Ionisierung war höher als gewöhnlich. In Erg Noors Kopf begann eine dunkle und beunruhigende Mutmaßung Gestalt anzunehmen.

Auf der sechsten Schleife der Fallspirale wurden die Konturen großer Städte sichtbar. Doch noch immer war kein einziges Signal in den Empfängern des Sternschiffs zu hören.

Nisa war dann zum Essen abgelöst worden wahrscheinlich eingenickt. Ihr schien es, als hätte sie nur wenige Minuten geschlafen. Das Sternschiff überflog die Nachtseite der Sirda nicht schneller als ein gewöhnliches Flugschiff der Erde. Da unten mußten Städte, Fabriken und Häfen liegen. Doch kein einziges Licht blitzte in der Finsternis auf, wie sehr auch die starken Stereoteleskope danach suchten. Das alles erschütternde Don–

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nern des die Atmosphäre durchfliegenden Sternschiffes mußte Dutzende Kilometer weit zu hören sein. Eine Stunde verrann. Die Qual des Wartens wurde unerträglich. Erg Noor schaltete die Warnsirene ein. Ein furchtbares Heulen durchdrang die schwarze Leere unter ihnen, und die Schiffsbesatzung hoffte, daß es, vereint mit dem Dröhnen der Atmosphäre, von den immer noch schweigenden Bewohnern der Sirda vernommen werde.

Purpurrotes Licht verdrängte die unheilschwangere Finsternis: die "Tantra" erreichte die beleuchtete Seite des Planeten. Doch unten blieb weiterhin alles schwarz. Die schnell vergrößerten Aufnahmen zeigten einen geschlossenen Teppich von Blumen, die dem samtschwarzen Mohn der Erde ähnelten.

Über tausende Kilometer ersteckte sich das Dickicht des schwarzen Mohns und ersetzte alles: Wald, Gesträuch, Röhricht, Gras. Wie die Rippen riesiger Skelette hoben sich inmitten des schwarzen Teppichs die Straßen der Städte ab, wie rote Wunden muteten die rostigen Eisenkonstruktionen an. Nirgends weder ein Lebewesen noch ein Baum — nichts als schwarzer Mohn!

"Eine ungeheuerliche Tragödie!" flüsterte niedergedrückt der Biologe der Expedition, Eon Tal. "Sie haben sich und ihren ganzen Planeten umgebracht."

Die hervorquellenden Tränen zurückdrängend, brachte Nisa leise hervor: "Dabei ist die Ionisierung gar nicht so stark…"

"Es sind schon viele Jahre vergangen," antwortete der Biologe rauh. Sein Gesicht mit der kühn geschwungenen Nase verfinsterte sich. "Ein solcher radioaktiver Zerfall ist gerade dadurch gefähr–

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lich, daß sich die Strahlung unmerklich anhäuft. Jahrhundertelang konnten sich die Biodosen der Ausstrahlung allmählich vergrößern, und dann erfolgte plötzlich der qualitative Sprung! Verfallende Erbanlage, Ausbleiben der Nachkommenschaft plus Strahlungsepidemien… Das geschieht nicht zum ersten Mal: dem Ring sind ähnliche Katastrophen bekannt."

"Der Planet ist unversehrt. Kein Jahrhundert wird vergehen, und wir haben ihn wieder besiedelt," antwortete Erg Noor überzeugt.

Er entschloß sich zu dem schwierigen Manöver, die Flugbahn des Sternschiffs von der Breiten– auf die Meridianbahn zu verlegen. Wie könnte man den Planeten verlassen, ohne festgestellt zu haben, ob alle umgekommen sind? Vielleicht vermochten die Überlebenden das Sternschiff nicht zu Hilfe zu rufen, weil die Energiestationen und die Geräte nicht arbeiteten?

Nicht zum ersten Mal sah Nisa den Leiter während eines verantwortlichen Manövers am Steuerungspult stehen. Mit seinem harten Gesicht, seinen knappen, stets exakten Bewegungen kam Erg Noor dem jungen Mädchen wie ein legendärer Held vor.

Und wieder zog die "Tantra" ihre Bahn um die leblose Sirda, diesmal von Pol zu Pol. Bisweilen tauchten, besonders in den mittleren Breiten, weite Zonen kahlen Bodens auf. Durch den darüberlagernden Nebel schimmerten rote Sandwellen, die der Wind über gigantische Flächen geweht hatte. Dann dehnte sich erneut die samtene Trauerdecke schwarzen Mohns aus — der einzigen Pflanze, die der Radioaktivität widerstanden oder unter ihrem Einfluß eine lebensfähige Mutation entwickelt hatte.

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Es blieb kein Zweifel. Irgendwo in den verödeten Ruinen Anameson–Treibstoff zu suchen, von dem auf Empfehlung des Großen Rings für Gäste aus anderen Welten Vorräte angelegt worden waren (die Sirda besaß noch keine Sternschiffe, sondern nur kleinere Raketen), würde nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich sein. Die "Tantra" schraubte sich wieder langsam spiralförmig vom Planeten weg. Nachdem das Sternschiff mit Hilfe der Ionen–Ausstoßmotoren auf Geschwindigkeit gegangen war, verließ es das Gravitationsfeld des ausgestorbenen Planeten und nahm Kurs auf ein unbewohntes, nur unter einer Zahlenchiffre bekanntes System, wo im vorhinein kosmische Markierungszeichen hinterlassen worden waren und wo die "'Algrab" sie erwarten sollte. Aus den Aufzeichnungen über die Sirda erfuhren sie von gewagten Versuchen mit spaltbarem Material. Sie fanden Reden hervorragender Wissenschaftler, die rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht hatten, daß schon Anzeichen von schädlichen Auswirkungen auf das Leben vorhanden seien, und die sofortige Einstellung aller Versuche gefordert hatten. Vor einhundertachtzehn Jahren war eine kurze Warnung über den Großen Ring erfolgt, für vernunftbegabte Wesen deutlich genug, von der Regierung der Sirda aber offensichtlich nicht ernst genommen.

Und somit war alles klar: Das Leben auf der Sirda war durch die schädliche Radioaktivität ausgelöscht worden, das Resultat unvorsichtiger Experimente, bei denen man versucht hatte, die gefährlichen Arten der Kernenergie anzuwenden, anstatt klugerweise andere, weniger schädliche Wege zu beschreiten.

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Die Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit der "'Algrab" wurde von Stunde zu Stunde geringer.

Etwas Fürchterliches bahnte sich an.

Erg Noor blieb an der Schwelle stehen und betrachtete die in Nachdenken versunkene Nisa, ihren geneigten Kopf mit dem dichten Haarschopf, der, gegen das Licht gesehen, einer zarten rotgoldenen Blume glich, das übermütige, knabenhafte Profil und die ein wenig schräg stehenden Augen, die, häufig vor verhaltenem Lachen zusammengekniffen, jetzt weit geöffnet waren und besorgt und mutig zugleich das Unbekannte erforschten. Das Mädchen ahnte nicht, zu welch großem, inneren Halt sie für ihn durch ihre grenzenlose Liebe geworden war. Er schritt zum Zentralposten.

Nisa lief Erg Noor entgegen.

"Ich habe alle erforderlichen Materialien und Karten zusammengestellt," sagte er. "Lassen wir die Maschinen arbeiten!" Der Expeditionsleiter streckte sich im Sessel aus und nannte die Zahlen der Koordinaten, die Spannungsstärke der Magnet–, Elektrizitäts– und Gravitationsfelder, die Stromdichte der kosmischen Teilchen und die Geschwindigkeit und Dichte der Meteorenströme.

Nisa, vor Anstrengung in sich zusammengesunken, drückte auf die Knöpfe und betätigte die Schalter der Rechenmaschine. Erg Noor erhielt eine Serie von Antworten und dachte stirnrunzelnd nach.

"Auf unserem Weg liegt ein starkes Gravitationsfeld — ein Bereich im Skorpion, in der Nähe der Sterne 6555–ZR und 11–PKU — mit einer Anhäufung von dunkler Materie," begann Noor. "Um einen Treibstoffverlust zu vermeiden, müssen wir

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hierher, zur Schlange, ausweichen. Bei geringerer Geschwindigkeit könnten wir ohne Antrieb fliegen, indem wir die Gravitationsfelder als Beschleuniger ausnutzen. Aber eine Verlangsamung der Fahrt insgesamt ist ungünstig."

"Könnten wir nicht ohne Verlangsamung auskommen?" fragte Nisa in dem Bemühen, dem Leiter zu helfen.

"Eine Geschwindigkeit von zweihundertfünfzigtausend Kilometern in der Sekunde würde im Gravitationsfeld der Erde das Gewicht des Schiffes auf das Zwölftausendfache erhöhen, folglich die gesamte Expedition in Staub verwandeln. Nur im Raum des Kosmos, weitab von großen Materieanhäufungen, können wir so fliegen. Sobald das Sternschiff in ein Gravitationsfeld gelangt, müssen wir die Geschwindigkeit um so mehr vermindern, je stärker das Feld ist."

"Folglich besteht hier ein Widerspruch." Nisa stützte nach Kinderart das Kinn in die Hand. "Je stärker bei antriebslosem Flug das Gravitationsfeld ist, desto höher könnte die Geschwindigkeit sein, um so langsamer aber muß man fliegen."

"Das trifft nur für Geschwindigkeiten zu, die der des Lichts sehr nahe kommen, wenn also das Sternschiff selbst eine Art Lichtstrahl wird und sich nur auf einer Geraden oder einer sogenannten Kurve gleicher Spannungen bewegen kann.""

"Wenn ich richtig verstanden habe, müssen Sie die "Tantra" mit einer solchen Geschwindigkeit direkt auf unser Sonnensystem steuern."

"Darin liegt eben die Schwierigkeit. Ein Stoppen oder auch nur eine starke Verlangsamung des Fluges bedeutet für uns den Tod, da wir nicht mehr genug Anameson haben, um die notwendige

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Geschwindigkeit wieder zu erreichen. Aber es besteht noch eine andere Gefahr! Sehen Sie, das Gebiet 3442–U ist völlig unerforscht. Hier gibt es keine Sterne, keine bewohnten Planeten, nur das Gravitationsfeld ist bekannt, und hier verläuft seine Grenze. Wozu wir uns entschließen müssen, sollen die Astronomen entscheiden, aber vorläufig…" Der Expeditionsleiter gähnte.

"Das Sporamin hört auf zu wirken. Sie können sich ausruhen," schlug Nisa vor.

"Gut, ich werde es mir hier bequem machen, in diesem Sessel… Vielleicht geschieht ein Wunder, und wir empfangen doch noch eine Nachricht von der "'Algrab"."

In Erg Noors Stimme schwang etwas mit, was Nisas Herz schneller schlagen ließ. Sie hatte den Wunsch, diesen eigensinnigen Kopf an sich zu drücken und über das vorzeitig ergraute Haar zu streichen.

Nisa erhob sich, legte sorgfältig die Aufzeichnungen über den Kurs zusammen und löschte das Licht bis auf die schwache grüne Beleuchtung über den Wandborden mit den Geräten und Uhren. Das Sternschiff flog völlig ruhig in der Leere des Raumes. Das Mädchen nahm unhörbar seinen Platz am "Hirn" des Riesenschiffes ein. Leise wie immer summten die Geräte, die in einer bestimmten Melodie zusammenklangen; die geringste Veränderung wurde sogleich durch einen falschen Ton angezeigt. Alles war in Ordnung: die leise Melodie schwebte in der richtigen Tonart durch den Raum, bisweilen von schwachen Schlägen ähnlich dem Klang eines fernen Gongs untermalt — dann hatte sich der Hilfsmotor eingeschaltet, der den Flug der "Tantra" auf der Flugkurve steuerte. Die starken Ana–

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meson–Motoren schwiegen. Die Ruhe der ewigen Nacht herrschte in dem schlafenden Sternschiff, als drohe dem Schiff und seinen Bewohnern keine Gefahr.

Trotzdem war Nisa im Grunde ihres Herzens ruhig — sie glaubte an Erg Noor. Die Jahre der Reise waren weder lang noch bedrückend gewesen, besonders nachdem zu Nisa die Liebe gekommen war. Außerdem aber gaben die atemberaubenden interessanten Beobachtungen, die Elektroaufzeichnungen von Büchern, Musik und Filmen die Möglichkeit, sein Wissen ständig zu ergänzen und sich nicht als ein Sandkörnchen zu fühlen, das seine schöne Erde verloren hat und in die Tiefe der endlosen Finsternis gestürzt ist. Nisas Gefährten waren Menschen mit außerordentlichen Kenntnissen, und wenn die Nerven von den Eindrücken oder der langen, angespannten Arbeit ermüdeten … was tat es! Im Dauerschlaf, durch ein Ausrichten des Nervensystems auf hypnotische Schwingungen erzielt, versanken große Zeiträume im Nichts und flogen wie ein Augenblick vorüber. Neben dem Geliebten war Nisa glücklich. Doch es bedrückte sie, daß es für die anderen schwieriger war, und besonders für ihn, Erg Noor. Wenn sie nur helfen könnte! Was ist jedoch ein so unwissendes Mädchen neben solchen Menschen! Aber vielleicht halfen ihre Zärtlichkeit, ihr ständiger guter Wille, der heiße Wunsch, alles zu geben, um ihm jede Minute der mühevollen Arbeit zu erleichtern.

Der Expeditionsleiter erwachte und hob den Kopf. Immer noch tönte die gleichmäßige Melodie, hin und wieder von den Stößen des Hilfsmotors unterbrochen. Nisa versah wie zuvor ihren Dienst an den Geräten, den Rücken

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leicht geneigt, das junge Gesicht von Müdigkeit überschattet. Erg Noor warf einen Blick zur kosmischen Uhr und war mit einem Satz auf den Beinen.

"Vierzehn Stunden habe ich geschlafen! Und Sie haben mich nicht geweckt! Das ist…" Er stockte, als er ihr frohes Lächeln bemerkte. "Sie ruhen sich sofort aus!"

"Vielleicht schlafe ich hier … wie Sie?" bat das Mädchen. Sie ging essen, wusch sich und richtete sich im Sessel ein. Heimlich beobachteten ihre strahlenden braunen Augen Erg Noor, als dieser, von einer Wellendusche erfrischt und vom Essen gestärkt, seinen Platz an den Gerätern einnahm. Als er ihre Angaben überprüft hatte, begann er mit schnellen Schritten auf und ab zu gehen.

"Warum schlafen Sie nicht?" fragte er streng.

Nisa schüttelte die Locken, die schon wieder geschnitten werden mußten, denn die Frauen trugen bei außerirdischen Expeditionen das Haar kurz.

"Ich denke nach," begann sie zögernd, "und verbeuge mich vor der Macht und Größe des Menschen, der so weit in die unermeßlichen Tiefen des Raumes vorgedrungen ist! Für sie ist hier vieles gewohnt, aber ich bin zum erstenmal im Kosmos. Wenn man bedenkt: ich nehme an einer grandiosen Reise zu neuen Welten teil."

Erg Noor lächelte schwach und strich sich über die Stirn. "Ich muß Sie enttäuschen oder, besser gesagt, Ihnen den wahren Maßstab unserer Macht zeigen. Hier," er machte sich am Projektor zu schaffen, und an der hinteren Kabinenwand wurde die leuchtende Spirale der Milchstraße sichtbar. Erg Noor zeigte auf den inmitten der finsteren Umgebung kaum erkennbaren ausgefransten Randzweig der

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Spirale, der aus spärlich gesäten Sternen bestand, die wie mattleuchtender Staub wirkten.

"Das ist das Wüstengebiet der Galaxis, wo sich unser Sonnensystem und wir uns gegenwärtig befinden. Das ist die an Licht und Leben arme Peripherie… Dieser Zweig der Milchstraße erstreckt sich, wie Sie sehen, vom Schwan bis zum Schiff, ist weit von den zentralen Regionen entfernt und enthält außerdem einen Dunkelnebel. Um an diesem Zweig entlangzufliegen, würde unsere "Tantra" ungefähr vierzigtausend Erdenjahre benötigen. Den schwarzen Abgrund leeren Raumes, der uns vom nächsten System der Galaxis trennt, würden wir in sechstausend Jahren überqueren. Sie sehen, unsere Flüge in die unermeßlichen Tiefen des Raumes sind vorläufig noch ein Herumtreten auf einem winzigen Fleck mit einem Durchmesser von einem halben Hundert Lichtjahren! Wie wenig wüßten wir von der Welt, gäbe es nicht den Großen Ring."

Nisa hörte aufmerksam zu.

"Stellen Sie sich die ersten interstellaren Flüge vor. Kleine Schiffe, die weder über hohe Geschwindigkeiten noch über ausreichende Schutzvorrichtungen verfügten. Ja, und unsere Ahnen lebten auch nur halb so lange wie wir — das ist wahre menschliche Größe! Das ganze kurze Leben wurde einem solchen Flug geopfert."

Nisa warf den Kopf zurück, wie immer, wenn sie jemandem widersprach.

"Später, wenn man andere Wege findet, den Raum zu bezwingen, und nicht mitten hindurchzustürmen versucht, sagt man vielleicht von Ihnen allen — das waren Helden."

Der Expeditionsleiter streckte seine Hand dem Mädchen entgegen. "Und von Ihnen, Nisa!"

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Sie errötete. "Es macht mich stolz, daß ich mit Ihnen zusammen hier sein kann. Alles würde ich hingeben, um wieder und wieder im Kosmos zu sein."

"Ja, ich weiß," sagte Erg Noor nachdenklich. "Doch nicht alle sind dazu bereit."

Mit weiblichem Feingefühl erriet Nisa die Gedanken des Expeditionsleiters. In seiner Kajüte hingen zwei Stereofotos von der schönen Weda Kong, Historikerin für die alte Welt. Auf dem einen hielt sie den klaren Blick ihrer tiefblauen Augen, unter langen geschwungenen Brauen hervor, auf den Beschauer gerichtet. Mit strahlendem Lächeln hob sie ihre sonnengebräunten Hände zu den langen aschblonden Haaren. Das andere zeigte sie lachend auf einer kupfernen Schiffskanone — einem Denkmal des grauen Altertums.

Erg Noor, der sein Ungestüm verloren hatte, nahm Nisa gegenüber Platz.

"Wenn Sie wüßten, Nisa, wie roh das Schicksal der Sirda meinen Traum zerstört hat!" sagte er plötzlich.

"Wenn die Sirda nicht ausgestorben wäre und wir dort Treibstoff erhalten hätten," setzte er als Antwort auf ihre stumme Frage fort, "hätte ich die Expedition weitergeführt. So war es mit dem Rat vereinbart. Die Sirda hätte alles Erforderliche mitgeteilt, und die "Tantra" wäre weitergeflogen — mit denen, die sich bereit erklärt hätten… Die "'Algrab" wäre dann zur Sirda gerufen worden und hätte die übrigen an Bord genommen. Und Sie, Nisa? Wären sie mitgekommen?"

"Ich? Selbstverständlich!"

"Aber wohin?" fragte Erg Noor plötzlich hart und sah das Mädchen unverwandt an.

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"Wohin Sie wollen, sogar …" Sie wies auf den schwarzen Abgrund zwischen zwei Armen der Milchstraßenspirale.

"Oh, nicht so weit! Sie wissen, Nisa, daß vor ungefähr fünfundachtzig Jahren die vierunddreißigste Sternenexpedition startete, die den Namen 'Stufenexpedition' führte. Drei Sternschiffe entfernten sich in Richtung des Sternbilds der Leier immer weiter von der Erde. Die zwei, die keine Forscher an Bord hatten, gaben nacheinander ihr Anameson an das dritte ab und kehrten zurück. In ähnlicher Weise bezwangen Bergsteiger in früheren Zeiten die Gipfel der höchsten Berge. Das dritte Schiff, die "Parus"…"

"… kehrte nicht zurück!" flüsterte Nisa erregt.

"Ja, die "Parus" kam nicht zurück. Aber aus einem Funkspruch, den sie senden konnte, ging hervor, daß sie ihr Ziel, das große Planetensystem der blauen Wega im Sternbild der Leier, erreicht hatte. Wieviel Menschenaugen erfreuen sich seit unzähligen Generationen an diesem hellen Gestirn des nördlichen Sternhimmels! Der Abstand der Wega von der Erde beträgt einunddreißig Lichtjahre, und für gewöhnlich entfernten sich die Menschen nicht so weit von unserer Sonne. . . Wie dem auch sei, die "Parus" erreichte ihr Ziel. . . Man weiß nicht, weshalb sie verschollen ist, ob ein Meteorit oder eine beträchtliche Funktionsstörung die Ursache waren. Es ist möglich, daß sie jetzt noch durch den Raum jagt und daß die Wagemutigen, die wir für tot halten, noch am Leben sind."

"Wie entsetzlich!" rief Nisa, dann aber fragte sie schnell: "Und was hat die "Parus" mitgeteilt?"

"Sehr wenig. Die Sendung wurde mehrmals unterbrochen und verstummte dann gänzlich, wahr–

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scheinlich wurde sie durch irgendein Kraftfeld überlagert. Ich entsinne mich des Wortlauts: ,Hier Parus, hier Parus, fliege sechssundzwanzig Jahre von der Wega entfernt … genügend … werde warten … vier Planeten der Wega … nichts Herrlicheres … welch ein Glück…'"

"AIso riefen sie doch um Hilfe, wollten irgendwo warten?"

"Selbstverständlich, denn sonst hätte das Sternschiff keine so gewaltige Energiemenge für das Senden der Nachricht verbraucht. Mehr war von ihm nicht zu hören."

"Sechsundzwanzig Erdenjahre Rückflug, und von der Wega zur Sonne sind es einunddreißig Jahre. Die "Parus" befand sich demnach irgendwo in unserem Bereich oder noch näher zur Erde."

"Schwerlich … ausgenommen, sie erhöhte die normale Geschwindigkeit und bewegte sich unweit der Quantengrenze. Aber das ist sehr gefährlich!"

Erg Noor erläuterte kurz die rechnerischen Grundlagen des vernichtenden Sprungs von einem Zustand der Materie in den anderen, merkte aber, daß das Mädchen unaufmerksam zuhörte.

"Ich habe Sie verstanden, wirklich!" rief sie, als der Expeditionsleiter seine Erläuterungen abbrach. "Mich hat nur der Gedanke an den Untergang des Sternschiffes immer wieder abgelenkt."

"In ihren Grundzügen haben Sie die Nachricht also begriffen", antwortete Erg Noor finster. "Besonders schöne Welten mußten sie entdeckt haben! Ich träumte schon lange davon, den Weg der "Parus" zu wiederholen — bei den neuen Vervollkommnungen wäre das jetzt auch mit nur einem Schiff möglich. Seit meiner Jugend träume ich von der Wega — der blauen Sonne mit den herrlichen Planeten!

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"Solche Welten sehen. . . " flüsterte Nisa mit stockendem Atem. "Für die Rückkehr braucht man aber sechzig Erdenjahre oder vierzig kosmische Jahre. Das ist ein halbes Leben!"

"Ja, große Leistungen fordern große Opfer. Doch für mich ist das nicht einmal ein Opfer. Mein Leben auf der Erde hat bisher nur in kurzen Unterbrechungen zwischen Sternenfahrten bestanden. Ich bin sogar in einem Sternschiff geboren."

"Wie konnte das geschehen?" fragte das Mädchen verblüfft.

"Die fünfunddreißigste Sternenexpedition setzte sich aus vier Schiffen zusammen. Auf einem davon war meine Mutter Astronomin. Ich wurde auf halbem Wege zu einem Doppelstern geboren. Als die Expedition zur Erde zurückkehrte, war ich bereits achtzehn Jahre alt. Ich erlernte die Kunst, ein Sternschiff zu steuern, und mußte für einen krank gewordenen Navigator einspringen, ich konnte aber auch als Mechaniker für planetarische und Anameson–Getriebe arbeiten."

"Trotzdem verstehe ich nicht. . . " begann Nisa.

"Wie sich meine Mutter dazu entschließen konnte? Werden Sie älter — dann verstehen Sie. Wie dem auch sei, man trug mich immer zu einem solchen Steuerposten wie unserem hier, und ich starrte mit meinen noch kaum begreifenden Augen auf die Bildschirme und verfolgte die darüber hinweggleitenden Sterne. Wir flogen in Richtung des Wolfes, wo sich ein Doppelstern befand, der dem Zentralgestirn nahe lag: zwei Zwergsterne, blau und orangefarben, von einem Dunkelnebel verdeckt. Den ersten bewußten Eindruck vermittelte mir der Himmel über einem leeren und sauerstoffצfreien Planeten, den ich durch die Glaskuppel der

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provisorischen Station betrachtete — die Expedition war gelandet und studierte sieben Monate lang den Planeten. Dort herrschte, soweit ich mich entsinne, ein unvorstellbarer Reichtum an Platin, Osmium und Iridium. Unglaublich schwere Indiumwürfel waren mein Spielzeug. Und dieser Himmel, mein erster Himmel — schwarz, mit dem klaren Funkeln kalter Sterne und zwei Sonnen von nicht wiederzugebender Schönheit: die eine hellorangefarben, die andere tiefblau. Ich entsinne mich, daß sich ihre Strahlenbündel bisweilen kreuzten, dann überflutete unseren Planeten ein so starkes und heiteres grünes Licht, daß ich vor Begeisterung schrie und sang." Erg Noor schwieg einen Augenblick und schloß: "Genug, die Erinnerungen haben mich fortgetragen. Dabei müßten Sie schon längst ruhen."

"Sprechen Sie weiter, ich habe noch nie so etwas Interessantes gehört", bat das Mädchen, doch Erg Noor ließ sich nicht erweichen. Er holte einen kleinen tickenden Hypnotisator, und Nisa schlief, sei es unter dem gebieterischen Blick Erg Noors oder unter dem Einfluß des schlafspendenden Geräts, so fest ein, daß sie erst kurz vor dein Übergang zum gigantischen sechsten Kreis erwachte. Dem abweisenden Gesicht des Expeditionsleiters sah Nisa es schon an, daß die "'Algrab" immer noch nicht gefunden war.

"Sie sind gerade zur rechten Zeit aufgewacht!" meinte er, als Nisa vom Elektro– und Wellenbad zurückkam. "Schalten Sie die Weckmusik und das Wecklicht ein. Für alle!"

Nisa betätigte schnell eine Reihe Knöpfe, und in allen Kajüten des Sternschiffes, wo Expeditionsmitglieder schliefen, begann das Licht zu flackern,

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ertönte die eigentümliche, allmählich stärker werdende Musik tiefer vibrierender Akkorde. Es setzte das langsame, vorsichtige Erwecken des gehemmten Nervensystems und seine Rückkehr zur normalen Funktion ein. Fünf Stunden später versammelten sich im zentralen Steuerungsposten des Sternschiffes alle munter gewordenen Expeditionsteilnehmer, durch Speise und Nervenanregungsmittel gestärkt.

Die Nachricht vom Ausbleiben des Hilfsschiffes nahm jeder verschieden auf. Wie es Erg Noor erwartet hatte, war die Expedition der Lage gewachsen. Kein Wort der Verzweiflung, kein ängstlicher Blick. Selbst Pur Hiss, der sich auf der Sirda ziemlich kleinmütig gezeigt hatte, nahm die Mitteilung gelassen hin. Die junge Expeditionsärztin Luma Laswa erblaßte lediglich ein wenig und fuhr sich verstohlen mit der Zunge über die trockenen Lippen.

"Gedenken wir der Toten!" sagte Erg Noor und schaltete den Projektor ein. Auf dem Bildschirm erschienen Aufnahmen, die vor dem Abflug der "Tantra" gemacht worden waren. Alle erhoben sich. Langsam zogen eines nach dem andern die Fotos der sieben teils ernsten, teils lächelnden Besatzungsmitglieder der "'Algrab" über den Bildschirm. Erg Noor nannte jeden beim Namen, und die Weltraumfahrer erwiesen ihnen den letzten Gruß, indem sie den Freunden die erhobenen Hände entgegenstreckten. So war es Brauch bei den Astropiloten. Gemeinsam startende Sternschiffe hatten stets die Fotos sämtlicher Expeditionsmitglieder an Bord. Verschwundene Sternschiffe konnten noch lange den kosmischen Raum durchfliegen, ihre Besat–

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zungen konnten noch lange am Leben bleiben, doch das Schiff kehrte nie wieder zurück. Und es gab keine reale Möglichkeit, es zu suchen und ihm Hilfe zu leisten. Nur bisweilen gelang es den Schiffen, wie der "Parus" eine letzte Information zu senden.

Nach dem Trauerritual wendete Erg Noor die "Tantra" in Richtung Erde und schaltete die Anameson–Getriebe ein. Nach wenigen Stunden verstummten sie wieder. Das Sternschiff strebte dem heimatlichen Planeten zu, wobei es pro Tag einundzwanzig Milliarden Kilometer zurücklegte. Bis zur Sonne waren es noch ungefähr sechs Erdenjahre. Im Zentralposten und in der Laborbibliothek wurde eifrig an der Erforschung und Berechnung des neuen Flugkurses gearbeitet. Denn in diesen sechs Flugjahren durfte Anameson nur zum Ausgleichen der natürlichen Bremsimpulse der verschiedenen Kraftfelder verbraucht werden. Mit anderen Worten: Das Sternschiff mußte die ganze Zeit an den Grenzen der Schwerkraftfelder entlang von Stern zu Stern, von Dunkelnebel zu Dunkelnebel geführt werden und durfte an Geschwindigkeit nichts einbüßen. Allen machte das unerforschte Gebiet 3442-U zwischen Sonne und "Tantra" Sorge, das sich nicht umgehen ließ. Bis zur Sonne erstreckten sich längs dieses Gebietes Regionen freischweifender Meteoriten, und außerdem hatte das Schiff beim Wenden bereits viel Anameson verbraucht.

Nach zwei Monaten war die Flugkurve fertig. Die "Tantra"begann eine geneigte Zykloide auf der Grenzlinie zwischen den vor ihr liegenden Gravitationsfeldern gleicher Spannung zu beschreiben.

Das herrliche Schiff war vollständig intakt, die Geschwindigkeit des motorlosen Fluges hielt sich

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in den errechneten Grenzen. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit — vier kosmische Flugjahre lagen zwischen dem Sternschiff und der Heimat.

Erg Noor und Nisa, vom Dienst ermüdet, wurden in langen Schlaf versetzt. Mit ihnen zugleich gingen zwei Astronornen, der Geologe, der Biologe, der Arzt und vier Ingenieure in das zeitweilige Nichts ein.

Die nächste Schicht trat ihren Dienst an: der erfahrene Navigator Pel Lin, der seine zweite Expedition flog, die Astronomin Ingrid Ditra und der Elektroneningenieur Keh Ber, der sich ihnen freiwillig anschloß. Ingrid entfernte sich häufig mit Pel Lins Erlaubnis in die neben dem Steuerungsposten gelegene Bibliothek. Vom tragischen Schicksal der Sirda angeregt, schrieb sie gemeinsam mit Keh Ber, ihrem alten Freund, die monumentale Sinfonie "Der Untergang des Planeten". War Pel Lin von dem Summen der Geräte und dem Betrachten der schwarzen Tiefen des Kosmos ermüdet, setzte er Ingrid an das Pult und machte sich mit Feuereifer an die Entzifferung geheimnisvoller Signale, die sie von einem zum System der nächsten Sterne des Kentauren gehörenden Planeten erhalten hatten, der auf rätselhafte Weise von seinen Bewohnern verlassen worden war. Er glaubte an den Erfolg seines schier übermenschlichen Unterfangens.

Noch zweimal wechselten die Diensthabenden, und die Anameson-Motoren waren insgesamt nur für wenige Minuten eingeschaltet worden. Es war im dritten Monat der vierten Dienstperiode von Pel Lins Gruppe. Im Steuerungsposten befanden sich alle drei — der Navigator, Ingrid und Keh Ber.

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Ein lang anhaltendes Klingeln ließ alle zusammenfahren. Ingrid klammerte sich an Keh Ber.

"Die "Tantra" ist in Gefahr'. Die Spannung des Gravitationsfeldes ist doppelt so hoch wie die errechnete."

Pel Lin erbleichte. Etwas Unerwartetes hatte sich ereignet, das eine sofortige Entscheidung von ihm verlangte. Das Schicksal des Schiffes lag in seiner Hand. Die vergrößerte Schwerkraft bedingte eine Geschwindigkeitsverringerung des Schiffes. Danach würde jedoch kein Treibstoff mehr vorhanden sein, um erneut die Geschwindigkeit zu erhöhen. Pel Lin preßte die Zähne aufeinander und warf den Hebel der IonenBremstriebwerke herum. Helle Schläge mischten sich unter die Melodie der Geräte und übertönten das alarmierende Klingeln jener Apparate, die das normale Verhältnis zwischen Schwerkraft und Geschwindigkeit errechneten. Das Klingeln hörte auf, und die Zeiger bestätigten den Erfolg — Geschwindigkeit und Gravitation waren ausgeglichen. Doch kaum hatte Pel Lin die Bremstriebwerke wieder ausgeschaltet, setzte, von den Zeigern bestätigt, erneut das Klingeln ein. Mit bedrohlicher Gewalt lenkte die Schwerkraft das Schiff von der festgelegten Richtung nach rechts ab. Es bestand kein Zweifel, das Sternschiff stürzte auf ein riesiges Schwerkraftzentrum zu.

Pel Lin wagte nicht, den Kurs zu ändern — ein Unternehmen, das viel Arbeit und höchste Präzision verlangte. Mit Hilfe der Triebwerke bremste er das Sternschiff erneut und steuerte es nach links, obwohl bereits der Fehler des Kurses offen zutage trat, da er zu nahe an einer unbekannten Masse Materie lag.

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"Die Abweichung ist sehr stark", bemerkte Ingrid mit leiser Stimme, "vielleicht. . ."

"Wir müssen die Geschwindigkeit noch weiter verringern, um zu wenden!" rief Pel Lin. "Danach den Flug beschleunigen und entlang der Tangente auf Tempo gehen…" Aus seinen Worten klang verhängnisvolle Unsicherheit.

"Wir haben bereits die wirbelbildende Zone des Kontaktes mit dem benachbarten Schwerkraftfeld durchstoßen", antwortete Ingrid, "die Gravitation wächst ununterbrochen und schnell an."

In rascher Folge begannen die Motoren zu klopfen. Sie hatten sich automatisch eingeschaltet, als die Elektronenmaschine vor sich eine Anhäufung von Materie registrierte. Die "Tantra" begann zu schaukeln und in den Wirbeln des Gravitationsfeldes unterzutauchen. Wie sehr das Sternschiff auch den Flug verlangsamte, die Menschen im Steuerungsposten begannen dennoch das Bewußtsein zu verlieren. Ingrid stürzte zu Boden, Pel Lin, der im Sessel saß, versuchte den bleischweren Kopf zu heben. Keh Ber empfand dumpfe, tierische Angst und kindliche Hilflosigkeit.

Das Klopfen der Motoren wurde häufiger und ging in ein andauerndes Donnern über. Das Elektronenhirn des Schiffes führte nun den Kampf anstelle seiner halb bewußtlosen Herren, auf seine Art mächtig, doch begrenzt, da es keine komplizierten Folgen voraussehen und keinen Ausweg aus komplizierten Situationen ersinnen konnte.

Das Schaukeln der "Tantra" ließ nach. Der Zeiger, der den Vorrat an lonenladungen angab, glitt schnell nach unten. Pel Lin, wieder zu sich gekommen, begriff, daß es an der unerklärlichen Verstärkung der Gravitation lag, weshalb das Stern-

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schiff hier nicht mit verminderter Geschwindigkeit durchfliegen konnte, und er beschloß, links vom Kurs zu dem nahen Gebiet der freischweifenden Meteorite abzubiegen. Das ungeheure Schwerkraftfeld bremste den Flug der "Tantra" mehr und mehr und ließ sie gleichzeitig auf einer immer steiler werdenden Kurve dem Zentrum der schwarzen Leere zustürzen.

Entschlossen schaltete Pel Lin den Hebel der Anameson Triebwerke ein. Die vier hohen Zylinder aus Wolframkarbid, durch einen speziellen Schlitz des Pultes sichtbar, begannen zu leuchten. Im selben Augenblick züngelte wie ein jäher Blitz eine hellgrüne Flamme in ihnen empor und begann sich in vier dichten Spiralen zu winden. Gleich einem schützenden Schild umfloß ein starkes Magnetfeld die Wände der Motorendüsen am Heck des Schiffes, die sonst unverzüglich zerstört worden wären. Der Navigator drückte den Hebel weiter herum: durch die grünen Wirbel wurde der Leitstrahl sichtbar — ein grauer Strom von K-Teilchen. Noch ein Hebeldruck, und den grauen Strahl durchfuhr ein gleißender violettfarbener Blitz — das Signal, daß das Anameson schnell auszuströmen begann. Der ganze Rumpf des Sternschiffes reagierte darauf mit einer kaum spürbaren, jedoch nur schwer zu ertragenden Hochfrequenzschwingung.

Erg Noor lag im Halbschlaf. Langsam wich der Schleier des Vergessens, der immer noch Geist und Körper umfangen hielt.

Erg Noor wurde sich bewußt, daß er Expeditionsleiter war. Er machte verzweifelte Anstrengungen, das normale Bewußtsein zurückzuerlangen. Endlich erfaßte er, daß das Sternschiff gebremst wurde und die Anameson–Triebwerke ar–

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beiteten, daß also etwas geschehen war. Er versuchte sich aufzurichten. Mühsam gelang es ihm, bis zur Tür zu kriechen und sie zu öffnen. Auf allen vieren schleppte er sich in den Zentralposten.

"Die vorderen Bildschirme . . . auf Infrarot . . . umschalten . . . die Motoren stoppen!"

Die Wolframzylinder erloschen. Gleichzeitig verstummte das Vibrieren des Rumpfes. Auf dem rechten vorderen Bildschirm leuchtete ein riesiger Stern in matter braunroter Farbe auf. Für einen Augenblick starrten alle wie gebannt auf die riesige Scheibe, die ein wenig abseits vom Bug des Schiffes aus der Finsternis auftauchte.

"Ich Dummkopf!" rief Pel Lin bitter. "Ich war überzeugt, wir befänden uns neben einem Dunkelnebel! Das aber. . ."

"Ein Eisenstern!" stieß Ingrid Ditra hervor.

Erg Noor, an die Sessellehne geklammert, erhob sich. Sein für gewöhnlich blasses Gesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, die Augen dagegen funkelten wie sonst.

"Ja, ein Eisenstern", sagte er langsam. "Der Schrecken der Astropiloten! Keiner hat ihn in diesen Regionen vermutet." "Ich glaubte einen Nebel vor mir zu haben", antwortete Pel Lin leise und schuldbewußt.

"Ein Dunkelnebel von solcher Schwerkraft müßte in seinem Innern aus verhältnismäßig großen festen Teilchen bestehen, und dann existierte die "Tantra" längst nicht mehr."

"Aber die schroffen Spannungsveränderungen des Feldes, die wirbelbildende Zone? Deutet das nicht geradezu auf einen Nebel?"

"Oder darauf, daß der Stern mehr als einen Planeten hat."

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Pel Lin biß sich so heftig auf die Lippen, daß das Blut hervortrat. Erg Noor nickte aufmunternd mit dem Kopf und betätigte selbst den Weckknopf.

Das Sternschiff begann wieder zu schaukeln. Mit riesiger Geschwindigkeit sauste etwas über den Bildschirm.

"Da ist die Antwort… Wir haben den Planeten überholt. Schnell, schnell an die Arbeit!" Der Blick des Expeditionsleiters fiel auf den Treibstoffzeiger. Er wollte etwas sagen, hielt aber plötzlich wie versteinert inne.

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Inhalt

1. Der eiserne Stern (5-38)
2. Das Mädchen vom Planeten des Epsilonsterns im Tukan (39-64)
3. Im Banne der Finsternis (65-104)
4. Die Sinfonie in f-Moll (105-122)
5. Die roten Wellen (123-151)
6. Die Legende der blauen Sonnen (152-180)
7. Der Rat für Sternenfahrt (181-220)
8. Der Andromedanebel (221-253)

Index

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