Was der Meister zum Thema sagt …

bei Amazon.de bestellen So bliebe denn die Sonne mir im Rücken…
Allein wie herrlich, diesem Sturm erspriessend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umherverbreitend duftig kühle Schauer.
D e r spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Goethe, Faust, II, Zeilen 4715, 4721-27

Man darf eben nicht vergessen, daß Goethe nicht nur Dichter und Beamter war (und einen schlechten Charakter hatte), sondern auch Naturwissenschaftler, wie dieser Abschnitt über den Regenbogen zeigt.
Physikalisch korrekt ist zum einen, daß man die Sonne im Rücken haben muß, wenn man einen Regenbogen sehen will, zum anderen enthält die letzte Zeile die wahre Aussage, daß lediglich das in seine Bestandteile zerlegte, zergliederte Licht, der „Abglanz,” sichtbar ist, nicht aber das reine, ungebrochene Licht. Das ist für unsere Augen unsichtbar, weil wir im Meterbereich und nicht im Nanometerbereich leben, in dem sich das Licht bewegt. Die Materie unserer Welt ist nur sichtbar, weil die Moleküle bestimmte Bereiche des Lichts schlucken und lediglich einen geringen Anteil reflektieren, den unsere Augen dann wahrnehmen. Ich habe ein Physikbuch für die Mittelstufe überprüft und mußte feststellen, daß dort eine Menge ermüdender komplizierter technischer Kram über den Regenbogen steht, nicht aber diese simplen, grundsätzlichen Tatsachen, die zum weiteren, eigenständigen Nachdenken anregen.
Q: Warum können wir nicht um die Ecke gucken, aber hören, was im Raum nebenan gesprochen wird?
A: Die Antwort steht einige Zeilen höher in diesem Text.
Jena, Donnerstag, den 18. September 1823
Man sage nicht, daß es der Wirklichkeit an poetischem Interesse fehle; denn eben darin bewährt sich ja der Dichter, daß er geistreich genug sei, einem gewöhnlichen Gegenstande eine interessante Seite abzugewinnen. Die Wirklichkeit soll die Motive hergeben, die auszusprechenden Punkte, den eigentlichen Kern; aber ein schönes belebtes Ganzes daraus zu bilden, ist Sache des Dichters. Sie kennen den Fürnstein, den sogenannten Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht über den Hopfenbau, es läßt sich nicht artiger machen. Jetzt habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, besonders ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm gelingen wird; denn er hat von Jugend auf unter solchen Leuten gelebt, er kennt den Gegenstand durch und durch, er wird Herr seines Stoffes sein. Und das ist eben der Vorteil bei kleinen Sachen, daß man nur solche Gegenstände zu wählen braucht und wählen wird, die man kennet, von denen man Herr ist. Bei einem großen dichterischen Werk geht das aber nicht, da läßt sich nicht ausweichen, alles, was zur Verknüpfung des Ganzen gehört und in den Plan hinein mit verflochten ist, muß dargestellt werden, und zwar mit getroffener Wahrheit. Bei der Jugend aber ist die Kenntnis der Dinge noch einseitig; ein großes Werk aber erfordert Vielseitigkeit, und daran scheitert man.«
Ich sagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein großes Gedicht über die Jahreszeiten zu machen und die Beschäftigungen und Belustigungen aller Stände hineinzuverflechten. »Hier ist derselbige Fall,« sagte Goethe darauf »es kann Ihnen vieles daran gelingen, aber manches, was Sie vielleicht noch nicht gehörig durchforscht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es gelingt Ihnen vielleicht der Fischer, aber der Jäger vielleicht nicht. Gerät aber am Ganzen etwas nicht, so ist es als Ganzes mangelhaft, so gut einzelne Partien auch sein mögen, und Sie haben nichts Vollendetes geleistet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien für sich selbständig dar, denen Sie gewachsen sind, so machen Sie sicher etwas Gutes.
Besonders warne ich vor eigenen großen Erfindungen; denn da will man eine Ansicht der Dinge geben, und die ist in der Jugend selten reif. Ferner: Charaktere und Ansichten lösen sich als Seiten des Dichters von ihm ab und berauben ihn für fernere Produktionen der Fülle. Und endlich: welche Zeit geht nicht an der Erfindung und inneren Anordnung und Verknüpfung verloren, worauf uns niemand etwas zugute tut, vorausgesetzt, daß wir überhaupt mit unserer Arbeit zustande kommen.
Bei einem gegebenen Stoff hingegen ist alles anders und leichter. Da werden Fakta und Charaktere überliefert, und der Dichter hat nur die Belebung des Ganzen. Auch bewahrt er dabei seine eigene Fülle, denn er braucht nur wenig von dem Seinigen hinzuzutun auch ist der Verlust von Zeit und Kräften bei weitem geringer, denn er hat nur die Mühe der Ausführung. Ja, ich rate sogar zu schon bearbeiteten Gegenständen. Wie oft ist nicht die Iphigenie gemacht, und doch sind alle verschieden; denn jeder sieht und stellt die Sachen anders, eben nach seiner Weise.

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe

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© Otto Sell Tuesday, September 26, 2000
Last update Monday, January 24, 2005

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