Man darf eben nicht vergessen, daß Goethe nicht nur Dichter und Beamter
war (und einen schlechten Charakter hatte), sondern auch Naturwissenschaftler,
wie dieser Abschnitt über den Regenbogen zeigt.
Physikalisch korrekt ist zum einen, daß man die Sonne im Rücken
haben muß, wenn man einen Regenbogen sehen will, zum anderen enthält
die letzte Zeile die wahre Aussage, daß lediglich das in seine
Bestandteile zerlegte, zergliederte Licht, der Abglanz, sichtbar
ist, nicht aber das reine, ungebrochene Licht. Das ist für unsere Augen
unsichtbar, weil wir im Meterbereich und nicht im Nanometerbereich leben, in
dem sich das Licht bewegt. Die Materie unserer Welt ist nur sichtbar, weil die
Moleküle bestimmte Bereiche des Lichts schlucken und lediglich einen
geringen Anteil reflektieren, den unsere Augen dann wahrnehmen. Ich habe ein
Physikbuch für die Mittelstufe überprüft und mußte
feststellen, daß dort eine Menge ermüdender komplizierter
technischer Kram über den Regenbogen steht, nicht aber diese simplen,
grundsätzlichen Tatsachen, die zum weiteren, eigenständigen
Nachdenken anregen.
Q: Warum können wir nicht um die Ecke gucken, aber
hören, was im Raum nebenan gesprochen wird?
A: Die Antwort steht einige Zeilen höher in diesem Text.
Jena, Donnerstag, den 18. September 1823
Man sage nicht, daß es der Wirklichkeit an poetischem Interesse fehle;
denn eben darin bewährt sich ja der Dichter, daß er geistreich genug
sei, einem gewöhnlichen Gegenstande eine interessante Seite abzugewinnen.
Die Wirklichkeit soll die Motive hergeben, die auszusprechenden Punkte, den
eigentlichen Kern; aber ein schönes belebtes Ganzes daraus zu bilden, ist
Sache des Dichters. Sie kennen den Fürnstein, den sogenannten
Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht über den Hopfenbau, es
läßt sich nicht artiger machen. Jetzt habe ich ihm Handwerkslieder
aufgegeben, besonders ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm
gelingen wird; denn er hat von Jugend auf unter solchen Leuten gelebt, er kennt
den Gegenstand durch und durch, er wird Herr seines Stoffes sein. Und das ist
eben der Vorteil bei kleinen Sachen, daß man nur solche Gegenstände
zu wählen braucht und wählen wird, die man kennet, von denen man Herr
ist. Bei einem großen dichterischen Werk geht das aber nicht, da
läßt sich nicht ausweichen, alles, was zur Verknüpfung des
Ganzen gehört und in den Plan hinein mit verflochten ist, muß
dargestellt werden, und zwar mit getroffener Wahrheit. Bei der Jugend aber ist
die Kenntnis der Dinge noch einseitig; ein großes Werk aber erfordert
Vielseitigkeit, und daran scheitert man.«
Ich sagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein großes Gedicht
über die Jahreszeiten zu machen und die Beschäftigungen und
Belustigungen aller Stände hineinzuverflechten. »Hier ist derselbige
Fall,« sagte Goethe darauf »es kann Ihnen vieles daran gelingen, aber
manches, was Sie vielleicht noch nicht gehörig durchforscht haben und
kennen, gelingt Ihnen nicht. Es gelingt Ihnen vielleicht der Fischer, aber der
Jäger vielleicht nicht. Gerät aber am Ganzen etwas nicht, so ist es
als Ganzes mangelhaft, so gut einzelne Partien auch sein mögen, und Sie
haben nichts Vollendetes geleistet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen
Partien für sich selbständig dar, denen Sie gewachsen sind, so machen
Sie sicher etwas Gutes.
Besonders warne ich vor eigenen großen Erfindungen; denn da will man eine
Ansicht der Dinge geben, und die ist in der Jugend selten reif. Ferner:
Charaktere und Ansichten lösen sich als Seiten des Dichters von ihm ab und
berauben ihn für fernere Produktionen der Fülle. Und endlich: welche
Zeit geht nicht an der Erfindung und inneren Anordnung und Verknüpfung
verloren, worauf uns niemand etwas zugute tut, vorausgesetzt, daß wir
überhaupt mit unserer Arbeit zustande kommen.
Bei einem gegebenen Stoff hingegen ist alles anders und leichter. Da werden
Fakta und Charaktere überliefert, und der Dichter hat nur die Belebung des
Ganzen. Auch bewahrt er dabei seine eigene Fülle, denn er braucht nur
wenig von dem Seinigen hinzuzutun auch ist der Verlust von Zeit und
Kräften bei weitem geringer, denn er hat nur die Mühe der
Ausführung. Ja, ich rate sogar zu schon bearbeiteten Gegenständen.
Wie oft ist nicht die Iphigenie gemacht, und doch sind alle verschieden; denn
jeder sieht und stellt die Sachen anders, eben nach seiner Weise.
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe
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